Punk und Religion Teil 6: RIOT PEDDLERS

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Never mind Bollywood – here’s the ...

Nach Vertreter*innen muslimisch und jüdisch geprägter Punkbands geht es dieses mal um den Hinduismus. Fündig geworden bin ich über das Netzwerk Punkrock India. Dort konnte ich einen Kontakt zu der nach eigenen Angaben ersten indischen Hardcore-Punk-Band knüpfen, den RIOT PEDDLERS aus Bombay. Aus einer westlichen, verklärten, rucksacktouristischen Hippie-Perspektive wird Indien respektive der Hinduismus häufig auf eine pazifistische Gandhi-Erzählung reduziert. Tatsächlich ist Indien eine zutiefst hierarchisch, religiös und autoritär geprägte Gesellschaft. Starke Führerfiguren wie Premierminister Narendra Modi werden hoch geschätzt. Sänger und Gitarrist Arun Ravi erzählt im Interview, wie man dennoch mit Punkrock Nadelstiche in verkrustete Strukturen setzen kann.

Arun, woher kommst du, was machst du abgesehen von Punkrock?


Ich wurde vor 32 Jahren in Bombay geboren und bin beruflich für visuelle Effekte in Medien verantwortlich.

Betrachtest du dich als religiösen Menschen? Teilst du irgendwelche religiösen Werte?

Nein, ich bin kein religiöser Mensch ... mehr. Ich teile aber allgemeine religiöse Werte wie „Sei kein Arschloch“ oder „Respektiert einander“. Ich bin in einer religiösen Familie aufgewachsen. Religion spielte eine wichtige Rolle in meinem Leben. Meine Eltern versuchten, mich religiös bei der Stange zu halten, als ich mit 18 erste Anzeichen einer eigenen Vorstellung von meinem Lebensweg entwickelte. Sie haben aber schnell erkannt, dass das aussichtslos war.

War Punkrock eine Ursache für deinen Sinneswandel?

Nein, war er nicht, aber er hat mir definitiv geholfen, weiterzugehen und freier zu denken. Ich finde, Religion sollte eine persönliche Sache sein. Etwas, an das man glaubt und das man friedlich unter Menschen praktiziert, die denselben Glauben teilen. Ich verurteile religiöse Menschen, wenn sie anderen ihre Praktiken auferlegen und sie geringschätzen, wenn sie nicht an dieselben Dinge glauben oder nicht demselben Gott folgen wie sie selbst.

Wann und wie bist du zum ersten Mal mit Punkrock und der Punkrock-Subkultur in Berührung gekommen?

Ich bin mit Punk vor allem durch Videospiele in Kontakt gekommen, etwa „Dave Mirra Freestyle BMX“ und „Tony Hawk’s Pro Skater“. Sie hatten einen tollen Soundtrack mit Songs aus vielen Genres, die meisten davon waren Skatepunk, den ich wirklich sehr mochte. Meine Lieblingsbands waren zu dieser Zeit NOFX, RANCID, VISION und MILLENCOLIN.

Wie war die Reaktion deiner Familie und deines Umfelds, als du angefangen hast, Punkrocker zu sein?

Mein Vater dachte, ich sei verrückt, weil ich manchmal mit einem Irokesen-Haarschnitt aufs College ging. Meine Mutter hat mich und meinen Musikgeschmack immer unterstützt. Die anderen Leute waren auch ziemlich verwirrt. Insbesondere hier, wo sich nur sehr wenige Menschen trauen, anders zu sein. Gespräche, die ich wegen meines Aussehens mit Leuten hatte, kreisten schnell um das Thema Punkrock und ich sprach gerne mit Leuten, die ähnliche Musik hörten wie ich.

Vom Musikhören zum Musikmachen: Wie haben die RIOT PEDDLERS angefangen? Wirken sich eure kulturellen Wurzeln auf die Band aus?

Unsere Band startete 2010, als ich unseren Ex-Schlagzeuger Ashwin Dutt kennen lernte, der auch mit Leidenschaft an Punk interessiert war. Später in diesem Jahr stieß Animesh Das, unser aktueller Bassist, zu uns. Ashwin verließ die Band 2019 und wurde durch Dhruv Sarker ersetzt, der einer meiner engsten Freunde ist. Bis jetzt haben wir in Indien, Singapur und Malaysia gespielt. Weitere Shows im Ausland sind in Kürze geplant. Unsere letzte Veröffentlichung „Sarkarsm“ ist von 2012. Wir haben gerade eine neue EP veröffentlicht, im Januar 2020. Alles in der Band und der Musik dreht sich um unsere kulturellen Wurzeln. Wir sprechen Tabus an, wir wollen Grenzen überschreiten und den meisten unserer Landsleute auf die Füße treten. Und Punkrock ist eine sehr lustige, eingängige und brutal ehrliche Art, eine Botschaft in kürzester Zeit zu vermitteln. Punkrock ist ein Teil meiner Identität. Es ist der Mut, anders zu sein, Dinge anders zu sehen. Etwas mit Leidenschaft und gegen alle Widrigkeiten zu machen.

Gibt es in Indien respektive im Hinduismus ein Verständnis für Jugendkulturen wie Punk?

Er wird als eine Kulturform angesehen, aber von normalen Leuten im Alltag nicht wirklich wahrgenommen. Offene Konfrontationen mit der Punk-Community sind eher die Ausnahme. Na ja, in unserem Fall eher die Regel. Punk ist konservativen Hindus einfach zu rebellisch. Die Leute mögen es nicht, hinterfragt zu werden, besonders nicht im Bereich traditioneller Werte und Regeln. „Tod allen, die sich unserer Religion widersetzen!“ – das ist ihr Leitsatz. Das muss man sich mal überlegen – geht es noch widersprüchlicher?!

Gab es schon einmal Ärger mit Behörden oder den Cops? Ist es gefährlich, als „Nestbeschmutzer“ aufzutreten?

Ja, den gab es reichlich. Aber die Arschlöcher sollen nur kommen! Wir haben ein Lied namens „Chai paani“, in dem es darum geht, dass die Polizei Bestechungsgelder verlangt, was hier in Indien sehr häufig vorkommt. Auf einer Show von uns wollten sie daraufhin Festnahmen durchführen. Allerdings wussten sie nicht, wen sie verhaften sollten, weil das Publikum komplett mitgesungen hat und sie nicht den ganzen Saal räumen konnten. In Bombay gibt es übrigens zwei gute Live-Clubs: Anti-Social und Above The Habitat. Dort wird immer gute Musik gespielt.

Habt ihr als Band eine politische oder soziale Agenda?

Ja. Wir vertreten eine sehr linke Position und äußern uns sehr direkt zum religiösen Fundamentalismus, der unser Land plagt. Wir lieben es, Leute anzutriggern. Auf unserer nächsten EP wird einen Song namens „Muslim dudes on bikes“ geben, in dem es darum geht, dass bei uns Muslime rücksichtsloses Fahren auf der Straße als Ventil nutzen, um ihrer Frustration über die ständige Unterdrückung durch die Gesellschaft Luft zu machen.

Muslime protestieren ja zur Zeit heftig gegen das neue Staatsbürgergesetz in Indien. Was ist deine Meinung dazu? Wird dieses Thema in der Punk-Community diskutiert?

Das wird von allen diskutiert, nicht nur in der Punk-Community. Jemanden aufgrund seiner Religion zu diskriminieren, verstößt gegen die säkulare Demokratie unseres Landes. Ich denke, es ist schrecklich für ein Land, das so lange versucht hat, fortschrittlich zu sein, eine Regierung zu haben, wegen der wir erneut über Religionsfragen diskutieren, was wieder zu mehr Spaltung führt, anstatt uns auf die Weiterentwicklung des Landes zu konzentrieren.

Du sprachst das Problem der fundamentalistischen Tendenzen im Hinduismus an. Ist deiner Meinung nach der Islam weniger fundamentalistisch als der Hinduismus? Sollte Religion nicht immer kritisch betrachtet werden, auch bei Minderheiten?

Ich glaube, der Islam ist sehr fundamentalistisch und fast schon militant, bis zu einem gewissen Grad. Es ist die letzte Religion, der ich angehören möchte. Ich glaube, dass alle Religionen sehr kritisch beäugt werden sollten, aber die Medien und die politischen Entscheidungen jedes Landes sollten noch kritischer betrachtet werden. Ich weiß, dass Länder wie die USA mit Unterstützung aus Europa nach dem 11. September eine halbe Million Todesfälle überwiegend muslimischer Menschen verursacht haben, die nicht einmal in irgendeinen Krieg verwickelt waren. Und da sind eine weitere halbe Million Menschen – durch den Scheiß, der in Syrien passiert ist – noch nicht berücksichtigt. Vergiss nicht, dass diese Ungerechtigkeiten an Orten geschehen, die Menschen ihre Heimat nennen, genauso wie die Europäer, die von Terroranschlägen betroffen sind. Ich glaube, die ganze Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir aufhören könnten, den Nahen Osten zu verarschen. Verstehe mich bitte nicht falsch, ich hasse Kriege und glaube nicht, dass irgendjemand es verdient zu sterben, weder in Europa noch im Nahen Osten. Aber leider ist das nicht die Welt, in der wir leben. Aber wir sollten nicht nachlassen, das verbessern zu wollen. Religion ist da nicht das einzige Problem. An erste Stelle würde ich die menschliche Gier setzen. Darin sind wir uns interessanterweise alle sehr ähnlich.

In meiner westlichen säkularen Perspektive scheinen Punk und Religion nicht viele Gemeinsamkeiten zu haben: Individualismus vs. Kollektivismus, Nonkonformität vs. Konformität, überwiegend schwulenfreundlich, teilweise feministisch. Wo siehst du einen Zugang zu Punk für religiöse Menschen?

Im Reiz, etwas Verbotenes zu hören und zu wissen, dass andere dieses mit dir teilen. Jugendliche kommen irgendwann an den Punkt, die Regeln des in sich geschlossenen Gedankenkonstrukts einer Religion zu hinterfragen. Insbesondere in streng religiösen Familien. Sie wollen sich kritisch artikulieren und Mauern des Schweigens durchbrechen. Das ist es, was sie zum Punkrock bringen kann.

Ist Punkrock dann nur ein individueller Ausweg oder kann er ein Weg sein, den Hinduismus zu modernisieren? Sollte er das überhaupt?

Ich glaube nicht, dass Punkrock zur Modernisierung des Hinduismus verwendet werden kann. Ich glaube auch nicht, dass irgendetwas den Hinduismus modernisieren kann. Indien ist keine moderne westliche Gesellschaft, die an ihren Tabus arbeitet. Die werden bleiben, Punkrock hin oder her. Das liegt aber nicht daran, dass Punkrock seinen Biss verloren hat. Aber er ist nur ein Medium. Die Menschheit wird ihm immer Gründe geben, weiter zu existieren. Ich würde sagen, Punkrock wird erst dann sterben, wenn wir einen umfassenden Weltfrieden erreichen.

Nach so vielen ernsthaften Fragen: Was ist dein Lieblings-Anti-Religion-Punkrock-Song?

„Leeches“ von GALLOWS.

 


RIOT PEDDLERS „Bollywood songs“

I hate this song, it makes me sick / Bollywood can suck my dick / I have a big frown on my face / Need to get the fuck out of this place / I hate this song, it makes me sick / Radio can suck my dick / I’m feeling jacked up in my head / I think I’m probably better off dead / And I’m dying! / A feeling has come over me / I wanna kill everyone I fucking see / I’m all out! / Motherfucking hate the vibe / [...] Bullshit songs by corporates / Ever wanted to commit suicide? / If I heard this song again, I would die ...

 


Das Einbürgerungsgesetz

... Indiens, das jüngst nach über sechzig Jahren erneuert wurde, hat zu schweren Krawallen mit mehreren Toten zwischen indischen Muslimen, die ca. ein Fünftel der Gesamtbevölkerung ausmachen, und der Polizei geführt. Das Gesetz ermöglicht eine vereinfachte Einbürgerung religiös verfolgter Menschen nach sechs Jahren Aufenthalt in Indien, auch wenn diese illegal eingereist sind. Dazu zählen Hindus, Buddhisten, Sikhs, Christen und Parsen aus den Indien umgebenden Ländern Bangladesch, Afghanistan und Pakistan. Für Muslime gelten die Einbürgerungserleichterungen hingegen nicht. Premierminister Modi begründete dies damit, dass Muslime in muslimischen Ländern als Minderheit nicht religiös verfolgt werden.