PUNK-TRADITIONEN – TEIL 5: Docs

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Der normale Punk trug in den Achtzigern Springerstiefel (siehe Ox 146), der coole Punk trug Docs. Das Problem: Woher nehmen, wie bezahlen?

Die oft fälschlich als Springerstiefel bezeichneten gebrauchten Bundeswehr-Kampfstiefel waren extrem billig, die 100 Mark für die schickeren und bequemeren echten Springerstiefel hatte kaum jemand von uns, denn für uns minderjährige Nachwuchspunks bestand ja schon das Problem, den Erziehungsberechtigten die Kohle für neue Turnschuhe („Sneaker“ sagte damals keiner) aus dem Kreuz zu leiern. Und warum hätten die Eltern dem Sprössling, dessen Punksein generell abgelehnt wurde, auch noch die dazu nötige Uniform – hier: martialische Stiefel – finanzieren sollen?

Womit wir zum Thema „Docs“ kommen. Wir wussten ja anfangs nicht mal, wie die richtig heißen. „Docks“ hießen die, behauptete einer, weil die Dockarbeiter in England die tragen. Nein, die habe ein Doktor Martin erfunden, wusste jemand anders. Irgendwann war dann klar, dass die „Dr. Martens“ heißen, der Fachmann sagte „Doc Martens“, die Coolen kürzten das auf Docs ab. Woher nehmen? Wer regelmäßig nach London fuhr, kaufte sie dort, neben vielen Platten. Andere kauften in Berlin, aber das waren auch 500 Kilometer. Aber dort gab es ewig in der Oranienstraße einen Laden, wo man die klassischen schwarzen Acht-Loch-Docs für 99 Mark bekommen konnte. Oder man bestellte sie per Mailorder, Blue Moon aus Berlin war da eine gute Quelle auch für die spitzen Waver-Schnallenschuhe und Creepers – manch Punk trug die, aber eher die „Billys“.

Ich kaufte meine ersten Docs in Stuttgart in einem Laden in der Möhringer Straße, nichts ging übers Anprobieren vor dem Kauf, denn die Dinger waren notorische Blasenmacher, hinten an der Ferse. Hatte man die aber mal eingelaufen, waren sie sehr bequem, ja meiner Oma habe ich sogar mal das „Sponsoring“ eines Paars „verkauft“, indem ich ihr wortreich die orthopädischen Vorteile der „Bouncing Soles“, der speziellen Luftpolstersohle beschrieb. Apropos: Bei der amtsärztlichen Untersuchung zu Beginn des Zivildiensts fragte mich die blöde Sau von Ärztin, die mir zuvor mit kalter Hand an die Eier gepackt hatte, ob ich einen Klumpfuß hätte – wegen der Docs! Die erinnerten sie wohl an die orthopädischen Stiefel von ihrem alten klumpfüßigen Chef Dr. Goebbels ...

Die echt harten Hunde unter uns hatten 10- oder 12-Loch-Docs mit Stahlkappen, die Skinheads trugen ihre Docs lieber in Rot, die von der „anderen Feldpostnummer“ hatten weiße Schnürsenkel – sah man das und kannte man so jemand nicht, hieß es Land gewinnen. Docs-Halbschuhe wurden auch gerne genommen, sahen aber fast schon zu brav aus. Und dann kam es auch noch auf die Schnürung an: nicht über Kreuz, sondern so, dass von außen die Schnürsenkel nur horizontal zu sehen sind. Das halte ich bis heute so, wo es Docs längst an jeder Ecke zu kaufen gibt und sie gerade mal wieder Mode sind. Wer schon lange Docs trägt (oder wieder, gerade habe ich mir vegane Achtloch gekauft, für 180 Euro ...), der hält das aus, denn er/sie weiß: Moden kommen und gehen, Docs bleiben, auch wenn sie ihre einstige Coolness längst eingebüßt haben, seit die Marke von einem Finanzinvestor übernommen wurde. Und dass die Docs eine deutsche Erfindung sind, vom deutschen Arzt Klaus Märtens entwickelt wurden und erst in den Fünfzigern ihren Weg nach Großbritannien fanden, ist eine ganz andere Geschichte. Deutsche Gesundheitsstiefel hätten deutsche Punks damals so begeistert getragen wie Birkenstocksandalen. Aber was aus England kam, war cool und damit okay – wobei keiner auf dem Schirm hatte, dass die Docs in UK eben zu Beginn von Punk nichts anderes waren als billige Arbeitsschuhe, überall zu bekommen, wie hier die Springerstiefel. Aber so ähnlich lief es ja auch mit Chucks, Dickies-Jacken und -Hosen, Carhartt-Klamotten: billige, stabile Sachen, die Menschen mit wenig Geld kauften und gebraucht leicht zu bekommen waren, bevor sie sie zu überteuerten Lifestyleprodukten wurden.

Weshalb es längst schon vegane, günstigere, fairer produzierte Alternativen zu Docs gibt, etwa von Vegetarian Shoes. Wobei Sitz und Bequemlichkeit auch wieder ein Thema ist ... Bleibt abschließend nur noch zu erwähnen, dass eines überhaupt nicht geht: seine Docs statt stramm geschnürt offen zu tragen. Macht mich bis heute aggressiv, wenn ich so eine Stillosigkeit sehen muss.