PUNK-TRADITIONEN – TEIL 4: Springerstiefel

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[b]In Zeiten, als nur Popper bestens gepflegte Turnschuhe trugen und das heutige Spektakel um überteuerte Ausbeuterschühchen à la Nike in der Punk- und Hardcoreszene undenkbar war, trug der Punk von Welt Springerstiefel.[b]

Und die waren in den seltensten Fällen solche, also Fallschirmspringerstiefel aus Bundeswehrbeständen. Springerstiefel, das waren die feinen schwarzen Boots aus weichem Leder mit braunem Lederfutter. Konnte man neu kaufen, kosteten aber 100 Mark, die nur Punks aus gutem Hause hatten. Aber „Springerstiefel“ hatte sich da als Begriff längst etabliert, in der Szene und außerhalb, und spätestens ab den Neunzigern, als hirntotes Glatzengesocks in Bomberjacken durch die Gegend marodierte, sprachen die Medien flächendeckend von „Springerstiefeln“, obwohl auch da von den Glatzen eher 10-Loch-Doc Martens oder Ranger Boots mit Stahlkappen getragen wurden.

Deshalb: Wir trugen weder Springerstiefel noch Docs (die kamen später), wir trugen Kampfstiefel. Die gab es bei uns in Heidenheim bei einem Bundeswehrklamottenverwerter in einer schäbigen Halle im Industriegebiet. Bergeweise abgetragene BW-Hosen-, -Parkas, -Feldsäcke und -Schlafsäcke lagen dort ungeordnet herum, und auch bergeweise „pre-used“ Stiefel – ausweislich einer kleinen Recherche wohl Kampfstiefel der Modellreihen 1971, 1977 und 1983. Unter 20 Mark kosteten die braunen, schon recht verbrauchten Stiefel des Modells 1971, das Leder war ausgetrocknet und hart, Blasen garantiert, und man musste erst ordentlich fetten, um die tragbar zu bekommen. Aber Geld für solche Stiefel gab es von den Eltern nicht, also griff man zu der billigsten Variante. Die schwarzen, besseren Nachfolgemodelle waren teurer und schwerer zu bekommen, die weichen, schnieken, angenehm zu tragenden richtigen Fallschirmspringerstiefel gab es nur als Neuware für um die 100 Mark.

Wie schizophren es für uns die Bundeswehr verachtende, spätere Kriegsdienstverweigerer war, uns mit Militärkleidung einzudecken, das realisierten wir damals nicht, diese billige Kleidung war Teil unserer „Tracht“, und entsprechende Bemerkungen von (Groß-)Eltern wurden geflissentlich ignoriert. Und so sehr man den „Bund“ und das Marschieren als individualistischer junger Mensch auch verabscheute, tief in sich drin musste man zugeben, dass man mit solchen Stiefeln doch ganz anders lief: größere und schwerere Schritte, selbstbewusstes Auftreten – das war wichtig, wenn man mit seiner Kleidung und Frisur der Restwelt als Freak galt. Und natürlich hatten die Stiefel auch handfeste Vorteile: mit denen konnte man sicher durch jedes im Zweifelsfall selbst angerichtete (Glasscherben-)Schlachtfeld marschieren.

Joachim Hiller