PUNK-TRADITIONEN – TEIL 22

Foto© by Marc Gärtner

Politische Ansagen auf der Bühne

„Preaching to the converted“ sagt man im englischen Sprachraum dazu, wenn jemand, der von etwas überzeugt ist, Menschen, die bereits oder vermutlich die gleiche Einstellung haben, mit großer Inbrunst genau davon zu überzeugen versucht.

Wenn also ein vegan lebender Mensch bereits vegan lebenden Menschen mit Nachdruck darüber informiert, dass Tiere essen inakzeptabel ist, dann predigt er/sie zu bereits Konvertierten. Und wenn auf einem Punk-Konzert auf der Bühne inbrünstige Ansagen gegen Faschismus und Nazis gemacht werden, die aus dem Saal mit lauten „Nazis raus!“-Chören quittiert werden, dann dürfte die Chance sehr gering sein, damit auch nur eine Person zu erreichen, die spontan zu sich sagt: „Ach so, Nazis sind nicht gut? Ich fand Hitler bislang echt cool, aber hey, vielleicht ist da ja was dran. Okay, Nazis sind blöd, vielen Dank für den wertvollen Hinweis.“

Aber ... darum geht es gar nicht. Mit meiner soziologischen Viertelbildung – zu viele Bücher über Punk gelesen – weiß ich, wissen wir alle ja, dass Punk zwar keine Religion ist, aber durchaus wie alle Special-Interest-Gruppen (Schützenvereine, Kegelclubs, Freimaurer, Fußballer:innen ...) gewisse Rituale hat, und dazu gehören Zeremonien der Selbstbestätigung. Hier sind wir, da sind die anderen. Das sind unsere Insignien und Äußerlichkeiten, unsere Ideale,Werte und Ansichten. So wie der Gospel-Prediger im klassischen Call-and-response seine Schäfchen in Ekstase redet, wie Sportmann(!)schaften sich durch an die US-Marines erinnernde Ansagen mit darauf folgendem Antwortchor auf „den Kampf“ einschwören, so ist das eben auch bei uns.

Hier nun zu argumentieren „Ja, aber warum muss der Sänger/die Sängerin der Band das denn jetzt alles sagen und betonen, das wissen wir doch alle“, ist unsinnig. Es geht nicht darum, was gesagt wird, sondern dass es gesagt wird. Es ist eine Art Zeremonie, die denen auf der Bühne und denen davor ein gutes Gefühl gibt. Faust in die Luft und yeah! So manche:r mag sich hier freilich ertappt fühlen, von wegen Individuum, nicht Teil einer Masse, und aus daraus resultierender Punk-Querulanz (Wenn alle dafür sind, bin ich dagegen!) kommen dann auch ablehnende Reaktionen. Von lautstark verbalisierten Unmutsäußerungen nehmen hingegen die meisten Querulanten in so einem Moment Abstand, mit „Halt’s Maul und spiel weiter!“ kommt man nicht wirklich an gegen gute Argumente gegen Faschismus, Sexismus etc. – da geht mensch eben Bierholen oder aufs Klo. Und so wird auf Konzerten weiter gepredigt (im plumpen Fall) und durchaus fundiert informiert (im besten Fall) und wir halten das alle aus, irgendwie. Denn wir wissen ja: Es ist Teil der Folklore und geschieht nur aus lautersten Gründen und in bester Absicht.