PUNK-TRADITIONEN – TEIL 14

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Dreadlocks

Sie sind selten geworden, die Filzzottelfrisuren-träger:innen auf Konzerten, in der Punk- und Hardcore-Szene, vor und auf der Bühne. Je „bauwagenplatziger“ der Kontext, desto eher noch die Chance, jemanden mit (mehr als) schulterlanger „Wursthaarfrisur“ zu sehen.

Und sieht man jemanden mit einer solchen „Matte“, ist die entsprechende Person entweder Ü50 (in meinem Umfeld fallen mir da zwei Menschen ein) oder tatsächlich sehr jung und öko-hippiesk, tendenziell eher weiblich. Es gab Zeiten, da waren Dreadlocks im Punk- und Hardcore aber wirklich allgegenwärtig (so auch beim Verfasser dieser Zeilen), so circa Ende der Achtziger bis weit in die Neunziger hinein. Tourende US-Bands hatten die Haarmode eingeschleppt, HR von den BAD BRAINS allen voran, womit auch die Herkunft ins Spiel kommt: Dreadlocks haben ihren Ursprung in der jamaikanischen Rastafari-Subkultur, und wegen den BAD BRAINS-Roots in jener Szene und ihrem Crossover in den Hardcore waren es unter anderem diese, die die Filzlocken in einen anderen Szene-Kontext brachten.

Praktisch waren Dreadlocks nie: Waschen und Pflege aufwändig, aber man hatte auch immer was zu zwirbeln zwischen den Fingern. Beim Schlafen oder Arbeiten, irgendwie waren die Zotteln ständig im Weg, und waren sie mal lang, waren sie auch ganz schön schwer. Ein Grund, warum aus „Dreads“ selten eine Frisur fürs Leben wurde: Im Gegensatz zu den Rastas, bei denen die Frisur ein religiös-kulturelles Statement war und ist, war es bei den Punk-Kids eben wie Iro oder Glatze ein Mode-Statement – und irgendwann kam der Job, kam das Bewerbungsgespräch, kam das „richtige“ Leben und damit die Schere. Irgendwo in einer Schachtel findet sich sicher bei einigen von uns noch eine entsprechende Reliquie.

Und heute? Dreadlocks sind verfemt. Wer sie als weißer, westlicher Mensch trägt, macht sich in den Augen mancher Aktivist:innen der „kulturellen Aneignung“ schuldig – kurz vor „Blackfacing“. Im April 2021 traf dieser Vorwurf mit voller Wucht den Popstar Justin Bieber. Als weißer Punkmusiker mit Dreads zu posieren? 2021 inmitten von Cancel Culture-Debatten eine ganz schlechte Idee, außer man steht auf Shitstorms. Vor dreißig Jahren war davon keine Rede, von keiner Seite, was freilich nichts heißt, nichts rechtfertigt, nichts begründet, nichts verteidigt. Aber damals wurde auch nicht der kulturelle Kontext der Rastafari-Kultur diskutiert mit ihren bisweilen homophoben und misogynen Aspekten und der Anbetung eines äthiopischen Diktators.

Und das nächste Mal widmen wir uns dann dem „Iro“ respektive Mohawk – auch selten geworden, über dem auch das Damoklesschwert des Vorwurfs der kulturellen Aneignung baumelt ...