Scheiße, Pisse, Kotze, Rotz. Pimmel, Arsch, Fotze. Punk hatte von jeher etwas sehr Körperliches an sich, und das liegt in der Natur der Sache. Punk ist Provokation, per se, und womit lässt sich das noch besser steigern als mit der Verwendung von „bösen“ Wörtern aus der Gosse? Das mögen andere und vor allem Erwachsene(re) als kindisch empfinden, und genau das ist es auch – Punk ist eben immer schon die Verlängerung der Kindheit gewesen, das straflose und weitgehend sanktionsfreie Brechen von Tabus – und damit im besten Wortsinne „kindisch“. Psychologie? Aber hallo!
„In der analen Phase (von lat. anus der After), die sich etwa vom zweiten bis zum dritten Lebensjahr vollzieht, erlangt das Kind zuerst durch das Ausscheiden von Exkrementen (Defäkation) und anschließend durch deren Zurückhaltung Befriedigung. Abhängig von kulturellen Normen können äußere Anforderungen in Konflikt zu diesen Bedürfnissen stehen, wodurch die Freude, die das Kind an dieser Stimulationszone empfindet, reguliert und unterdrückt wird.“ Weiß Wikipedia. Und weiter: „Diese Phase trägt zur Sauberkeitserziehung, zum Erlernen des sozialen Miteinanders, zur Konfliktfähigkeit und zur späteren Über-Ich-Entwicklung bei. Nach Freud kann das Kind in der analen Phase in Konflikte geraten, je nachdem, wie von den Erziehern mit der Sauberkeitserziehung umgegangen wird.“
Da kann man nun eine Menge anal(ha!)ysieren und interpretieren, doch das sollen andere tun. Ich will mich eigentlich nur in dieser kleinen Abhandlung jenen Bandnamen widmen, die genau diese „Untenrum“-Inspiration widerspiegeln. Fangen wir harmlos an: PISSRINNE kamen einst aus Mülheim an der Ruhr, waren Vorgänger von LOKALMATADORE (unvergessen ihre Klassiker „Pipi machen muss man“ und „Pillemann Fotze Arsch“) und BLUTTAT und verewigten in ihrem Namen jenen Ort, an dem kleine Jungs mit verstohlenen Blicken nach links und rechts lernen, dass alle Menschen respektive Männer gleich sind, aber unterschiedliche lange, äh, Dings, äh, Pimmel haben. Frauen können heute zwar mittels Papierrinnen auch im Stehen pinkeln, wenn sie wollen, aber der Normalfall sind Klokabinen. Das wussten auch schon THE SLITS, die Ende der Siebziger in London offensiv einen weiblichen Kontrapunkt zum männlichen Schwanzvergleich setzten und damit die verstockten Engländer schockten. Apropos: THE VAGEENAS aus frü0her Wuppertal/heute Essen um Frontfrau Babette hauen in die gleiche Kerbe, ebenso THE CLITS. Wer beim Aussprechen des Bandnamens zuckt ... ist verklemmt. Oder nutzt zur Befriedigung eine ... ELEKTROMUSCHI? Oder ... MARSHMALLOW MUSCHIS, Grrrl-Punk-Riot aus Düsseldorf? Dagegen wirkt der Name des Ein-Mann-Projekts SYPHILITIC VAGINAS beinahe etwas unelegant.
Egal, ob EISENPIMMEL (Duisburg, die Neunziger) oder THE DICKS (Texas, frühe Achtziger), was rauskommt ist immer PISSE (Deutschland, Gegenwart). Wobei „Pisse“ immer viel härter klingt als Urin, was mich zum österreichischen Achtziger-Wave-Musiker Ronnie Urini führt, von dem ich bis heute nicht weiß, ob der Name Absicht oder ein böser Zufall ist. Aus dem gleichen Wortstamm sind THE URINALS, wobei Urinal doch irgendwie sehr förmlich klingt für so ein Stehpissbecken. Und wer da nicht so gut zielen kann oder so viel gesoffen hat, dass die Kontrolle über die Blase verloren geht, hat dann sicher Spaß an den PISSED JEANS. Und was war mit den PISSED SPITZELS? Und (warum) fehlt bei der britischen Anarchopunk-Band RUDIMENTARY PENI ein S? Was ist eine PENIS FLYTRAP? Wie muss man sich REVOLTING COCKS vorstellen? Genau, „cock“ wie Pimmel, nicht wie der Hahn auf dem Mist. Wie in COCKS IN STAINED SATIN. Und wer bis heute rätselt, was der Name der Australier HARD-ONS bedeutet ... nun ... der liest sicher auch nicht das legendäre Fanzine Der kosmische Penis aus Poppenhausen(!) bzw. Schweinfurt. Für kurzes Zusammenzucken sorgte einst Lee Hollis, wenn er auf die Bühne trat und seine Band ankündigte mit „Hi, we are the SPERMBIRDS!“ In der DDR existierte damals, Ende der Achtziger, parallel die SPERMA COMBO. WANK FOR PEACE kann da schon wieder als politische Aktion angesehen werden.
Ich werde nie den Moment vergessen, als ich mich beim USA-Besuch an einem Urinal erleichterte und errötend erkannte, was es mit dem Bandnamen AMERICAN STANDARD (Chicago, Achtziger) auf sich hatte: es ist eine Sanitärkeramikmarke ... Gleiches Spiel in England: ARMITAGE SHANKS (Garage-Punk der Neunziger) haben sich wohl nach/bei einem Pub-Besuch getauft. Einheimische kapieren den Witz sofort, Auswärtige nie oder erst viel später. Wobei einem so was in Zeiten von Suchmaschinen schneller auffällt als in der Zeit davor.
Aber bleiben wir bei „untenrum“: GG Allin (RIP) trug sein öffentliches Defäkieren zwar nicht im Namen, aber sein künstlerisches Œuvre wird posthum genau darauf reduziert. Seine Zeitgenossen waren die sehr direkt benannten ANAL CUNT, die nicht wegen ihres Namens, sondern wegen anderer Aktivitäten ihres gleichfalls verstorbenen Mitglieds (!) Seth Putnam (zurecht?) gecancelt wurden. Bleiben wir in der Plattensammlung an der gleichen Stelle, ziehen wir eine Scheibe der ANAL BABES heraus, dann von ANALSTAHL (München) sowie von ANAL VOMIT (und ein kleines Stück weiter) ADOLF & THE PISS ARTISTS. Und wenn wir schon bei hintenrum sind: SCHEISSE hieß nicht nur eine Band in der deutschen Punk-Geschichte, und apropos Adolf: die SHITLERS sind uns noch in guter (?) Erinnerung. Etwas komisch fühlt es sich heute an, den kanadischen Lokalpolitiker Joe Keithley mit seinem Punknamen von D.O.A. anzusprechen: Joey Shithead. Nicht zu vergessen die schwedischen SHITLICKERS ... Und was zum Teufel machten die BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE ...? Die hört man in ganz fatalistischen Moment, wenn diese eine Band die Weltsituation auf den Punkt bringt: GESAMTSCHEISSE: SCHEISSE
Kleiner Einschub: Es gibt Fachausdrücke für alles, und wer sich mit Koprologie beschäftigt, widmet sich der Untersuchung von Exkrementen. Wohingegen jemand, der sich mit Skatologie beschäftigt, mitnichten Spielkartenkundler ist: Es geht hier um die Vorliebe für anale Ausdrücke (Fäkalsprache). Unappetitlich (Hallo GG!) wird es bei Koprophagie, dem Terminus für die Vorliebe für den Verzehr von Kot. Thematisch nah dran ist hier die Koprophilie, der sexuelle Lustgewinn durch menschlichen Kot respektive dessen Ausscheidung. Literaturwissenschaftler wiederum könnten sich endlos austauschen über das, was im Englischen als „toilet humour“ bezeichnet wird und eine jahrhundertealte Tradition hat – Punk ist da nur ein weiterer Punkt in der Liste.
Weiter geht es im Thema: TEAM SCHEISSE haben es mit ihrem Fäkalhumor weit gebracht, SCHEISSE MINNELLI verstanden ihren Namen einst als seltsame Anspielung auf eine Schauspielerin, und MANN KACKT SICH IN DIE HOSE hatten womöglich nur ein Problem mit ihrem ... SCHLIESSMUSKEL ... Die waren aber immer lustig, was man von DIE ARSCHGEFICKTEN GUMMIZOFEN nicht so wirklich behaupten kann. Auch eher unangenehm: THE BLEEDING HEMEROIDS ... Nicht vergessen werden dürfen an dieser Stelle natürlich KACKSCHLACHT aus Braunschweig (hm ...) mit ihrem „Post-Asselpunk“.
Nun könnte man über Essstörungen schreiben, BULIMIA BANQUET war da schon ein recht offensiver Name, aber es soll nur als Überleitung dienen zum Thema der Ausscheidung obenrum, also wenn mensch aus verschiedensten Gründen einen KOTZREIZ verspürt oder wegen mir auch COTZRAIZ. Weswegen? Wegen einem COTZBROCKEN zum Beispiel, und dann wird mann zum ROTZKOTZ und hat womöglich sogar VOMIT VISIONS, was aber Vicki Vomit sicher besser beantworten kann. Und mancher macht sogar ein Buch daraus, wie Ox-Kollege Alex Gräbeldinger mit „Ein bekotztes Feinrippunterhemd ist der Dresscode zu meinem Lebensgefühl“.
Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Tipps für Ergänzungen dürfen gerne eingereicht werden (mail@ox-fanzine.de), aber sie belegt doch eindrucksvoll, dass Punk(s) schon immer über ein treffsicheres Gespür verfügte(n), wie Eltern, Lehrende, „die Gesellschaft“ mit simplen Mitteln auf die Palme zu bringen war. Da gehörte viel kindlicher Spaß und eine Portion Pennälerhumor dazu, die Grenzen zwischen Gewitztheit und derber Geschmacklosigkeit sind fließend, aber hier ist es wie bei jeder Provokation: Wer blinzelt, wer reagiert, der zeigt sich berührt und hat verloren. Der Kenner und die Kennerin lächeln über so was müde hinweg und denken genussvoll daran, wie die entsprechende Künstler:innengruppe wohl dasteht, wenn der Name mal außerhalb des Derbheiten gewohnten Kontextes genannt werden muss: Bandkonto einrichten? Merch verzollen beim Grenzübertritt? T-Shirt erklären, wenn man in anderem sozialem Kontext agiert und morgens schlaftrunken beim Ankleiden nicht darauf geachtet hat, dass es in der Klasse/beim Sport/im Kirchenchor auch mal wärmer wird und man den Kapu ausziehen muss? Metaller:innen sind da besser dran: Deren Bandnamen sind oft noch derber, aber in der Regel (aus Feigheit?) extrem verschnörkelt und damit unlesbar und ergo sozialverträglich(er).
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und Joachim Hiller