Auch Punks werden älter, gründen Familien, bekommen Kinder, werden Eltern, Mütter und Väter. Punk is Dad – wie ich seit über sieben Jahren. Die üblichen Kinderliedersammlungen nerven schnell, angefangen von der Krabbelgruppe über den Kindergarten und das Grundschulalter des Nachwuchses, bis dieser irgendwann seine eigene Musik findet. Oftmals kollidiert der Musikgeschmack der nächsten Generation mit dem der vorangegangenen. Muss das wirklich sein? Dieser Text soll die Eltern unter euch anregen, wie ihr euren Kleinen vernünftige Musik schmackhaft macht und selbst nicht permanent den ausgeleierten Kinderliederklassikern, gerne auch in der YouTube-Midifile-Variante, ausgeliefert seid.
Unsere Große war im ersten Jahr äußerst anstrengend. Während andere Eltern, deren Kinder scheinbar nachts durchschliefen, meinten: „Genießt die Zeit.“ Im Zombiemodus irgendwie doch genossen habe ich die Nächte, in denen ich mich mit meiner Tochter auf dem Arm durch meine Plattensammlung hörte, da war zum Beispiel Sandkasten-Eddie, so die kindlichen Assoziationen zum Cover des IRON MAIDEN-Albums „Powerslave“. Spätestens wenn der Nachwuchs aber mit anderen Kindern, deren Eltern und Pädagog*innen diverser Einrichtungen in Berührung kommt, schwindet der eigene Einfluss und es werden erste fremde Lieder mitgeträllert. Als Punk ist man da immer auf der Suche nach Alternativen, die bestenfalls auch uns Eltern beim (zwangsweisen) Mithören zu Hause oder im Auto gefallen. Und es gibt sie, die Alternativen – auch wenn die Suche danach mühsam ist und die Ohren oftmals dabei bluten müssen. Hier also mein persönlicher Erfahrungsbericht inklusive Reaktionen unserer Kinder.
So manche Band nimmt ja mal spaßeshalber ein Kinderlied auf und interpretiert dieses auf ihre ganz eigene Art oder schreibt zu einem aktuellen Thema ein Lied für Kinder. Erfolgreiche Zusammenstellungen sind „Unter meinem Bett“ und „Giraffenaffen“, auf deren Vol. 2 waren sogar SLIME mit „Trau dich“ zu hören. Beide Sampler-Reihen gehen dieses Jahr in die sechste Runde, mit Stars und Sternchen vorwiegend aus der deutschen Pop/Rock-Szene und der einen oder anderen Ausnahme, von denen auch unsereins was im Plattenschrank haben könnte. Es gibt auch Live-Shows, bei denen dann die einen oder anderen Vertreter der aktuellen Veröffentlichung auf der Bühne stehen.
Mit großer Begeisterung wurden die Bücher und CDs von Ritter Rost aufgenommen. Seit zwanzig Jahren wird Jahr für Jahr eine neue Geschichte mit den unterschiedlichsten Musikstilen veröffentlicht. Dass dabei manche Textzeile durchaus kritischen Charakter haben kann, den Kinder erst einmal gar nicht verstehen, stört nicht. Im Gegenteil. So werden die Eltern auch in die Geschichte miteinbezogen und die Kinder lernen Themen kennen, mit denen sich die Großen auseinandersetzen. Und das ist meistens ziemlich cool, amüsant auch für die Eltern, und musikalisch geht’s durch allerlei Genres. Die Comicfigur Nola Note reist um den Erdball und stellt Musik aus den unterschiedlichsten Zeitepochen, verschiedene Instrumente und Kulturelles aus aller Welt vor. Prädikat: empfehlenswert.
Auch okay ist die Reihe „Eule findet den Beat“, die unseren Töchtern gut gefällt, aber mit Klischees nicht spart. Dann stieß ich auf Farmer Jason, besser bekannt als Jason Ringenberg, der in den Achtziger Jahren mit der Cowpunk-Band JASON & THE SCORCHERS Erfolge feierte. Gemeinsam mit seiner Familie und einigen prominenten Musiker*innen nimmt er seit ein paar Jahren Alben auf und erklärt den Kindern in seinem Soloprogramm, was sich auf seiner Farm und im Wald alles tummelt. Fanden wir als Eltern recht lustig, zündete bei den Kids aber leider nicht so richtig, vielleicht auch wegen der Sprachbarriere. Ähnlich erging es uns mit Mike Parks Kinderalbum „Smile“ und der Punk-Farm, während Fuze-Kollege Dennis Müller die bei sich zu Hause gerade abfeiert.
Die im rheinhessischen Raum bekannte Punkband DIE TRAKTOR hat mit „Arno und die Strümpfe“ ein Kindermusical kreiert. Während das Hörspiel auf CD rotzig-punkig ist, Kinderliederklassiker im Punkrock-Gewand runtergeschrammelt werden und von unseren Kids immer wieder gerne gehört wird, wirkt das Theaterstück sowohl in Sachen Bühnenbild und Kostüme wie auch in der musikalisch semi-akustisch heruntergefahrenen Version etwas dürftig. Die Idee an sich ist aber cool. Wenn dann die Kinder auch noch selbst gegen einen Lolli von der Zuckerhexe irgendein Lied trällern, während die Hexe den Kindern die Lieder klaut, haben auch die Kleinen ihren ganz eigenen Auftritt in dem Stück.
Schon seit zehn Jahren spielt die Dresdner Ska-Band YELLOW UMBRELLA die Geschichten des Reggaehasen Boooo (mit vier „o“). Mittlerweile kann man auf vier Bücher und diverse Open-Air- und Theaterauftritte zurückblicken. „Die große Reggaehase Boooo Revue“-CD ist großartig und läuft auch immer wieder gerne bei unseren Kids. Und so kann man auch gleich den Schlenker zu Dr. Ring-Ding machen, dessen „Ruba Dub Santa“ auf dem Weihnachtsalbum „Once A Year“ seit 2016 bei uns den nötigen Bums in die „besinnliche“ Adventszeit bringt.
Nun zum Thema Musik in Film und TV. HEAVYSAURUS haben 2015 sogar einen eigenen Film in die Kinos gebracht. Die Kostüme fanden die Kinder zwar lustig, aber das nutzte sich schnell ab, da unsere Töchter weder die Hardrock- und Heavy-Metal-Mucke noch die Texte ansprechend fanden. Vielleicht versuche ich es lieber mit „School of Rock“ mit Jack Black und „Rock’n’Roll High School“ mit den RAMONES, wenn sie etwas älter sind. Sollte das Interesse für Musik und Tanz im Allgemeinen steigen, fände ich „Fame“ und „Glee“ auch gar nicht schlecht.
Bei KiKA wird gerade die 13. Staffel von „Dein Song“ vorbereitet. Hier dürfen die Kinder ihre eigenen Ideen einbringen, dazu kommen diversen Pop- und Rocksternchen als Coaches, die bei der Umsetzung des eigenen Stücks behilflich sind. Sehr gut kam bei unseren Kindern auch die Castingshow „The Voice Kids“ an, die in diesem Jahr die wohl derzeit erfolgreichste Kinderband DEINE FREUNDE in der Jury hatte. Dass es sich bei den Stücken leider nur um Coverversionen handelt, darunter auch diverse Rockklassiker, störte unsere Töchter nicht, da sie die meisten Lieder, geschweige denn die Originalversionen sowieso nicht kannten. Sie finden einfach toll, was hier acht- bis fünfzehnjährige Mädchen und Jungen unterstützt von einer Live-Band präsentieren.
Mittlerweile erreichen auch die Ox-Redaktion öfter Tonträger von Bands aus den Genres Rock, Punk und Metal, die Hörspiele oder Kinderalben produzieren. Unsere Kinder finden daran Gefallen oder auch nicht. Entscheidend sind übrigens meistens die Texte! Was gut gemeint ist, wirkt oftmals bemüht und wurde dürftig umgesetzt. Der wesentliche Fehler bei den meisten Produktionen dieser Art liegt darin, dass hier Erwachsene versuchen, den Kindern etwas von ihrer Erwachsenenperspektive aus zu vermitteln, was Kinder sehr schnell entlarven und oft gar nicht gut ankommt. Kommt dann noch der subtile Zeigefinger oder soll ein ganz bestimmtes Weltbild vermittelt werden, geht der Schuss meist endgültig nach hinten los. In solchen Fällen zeigen einem die Kinder durch ihr Verhalten, und das völlig zu Recht, den (noch metaphorisch gemeinten) Stinkefinger. Wir Erwachsene sind Vorbilder und es gilt in erster Linie das, was wir tun. Wird dieses Tun eher zufällig im Text verarbeitet, kommt das besser an als der Versuch, eine plakative Message zu vermitteln.
Unsere Töchter entwickeln jetzt langsam ihren eigenen Geschmack. Noch immer tanzen wir gemeinsam durchs Wohnzimmer. Für die Kleine ist es immer noch so etwas wie ein Abendritual. Mit einem für Außenstehende äußerst kompliziert wirkenden ausgeklügelten System mit Hilfe eines Würfelbechers und vier Würfeln ermitteln wir fast jeden Abend eine für die Kinder neue Platte aus meiner Vinyl-Sammlung, die mal mehr, mal weniger gut ankommt. Meine Große findet gerade die neue BUSTERS-Platte großartig und möchte die Band bei Gelegenheit unbedingt mal live sehen. So soll es sein! Und sollten auch größere Konzerte in diesem Jahr wieder möglich sein, geht es gemeinsam noch einmal zu DEINE FREUNDE nach Offenbach.
(Elementarer Musikpädagoge des Ox-Instituts)
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #151 August/September 2020 und Simon Brunner