Punk in Wien - Teil 1: Es is zum Scheissn

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Thomas Reitmayer

Wie in jeder europäischen Großstadt gab es auch in Wien seit Ende der Siebziger Jahre eine aktive und umtriebige Punk-Szene, auch wenn dort die Uhren irgendwie anders tickten und einiges anders lief. Dennoch war es genauso spannend wie in den anderen Großstädten. Über lange Monate hinweg habe ich das Entstehen des Dokumentarfilms „Es is zum Scheissn“ über die Wiener Punk-Szene der Siebziger und Achtziger Jahre mitbekommen und war darüber begeistert, dass der Film im Oktober 2019 in einem ausverkauften Kino uraufgeführt wurde. Leider gab es nach der Premiere mächtig Knatsch, was ich zum Anlass nahm, mit dem Regisseur Thomas Reitmayer das folgende Interview zu führen.

Punk in Wien hat eine sehr lange Tradition und es gab viele Protagonisten in den vergangenen vier Jahrzehnten. Wie bist du auf die Idee gekommen, diese Historie aufzuarbeiten?


Wien ist eine im besten Sinn sehr, sehr eigenartige Stadt mit einer sehr, sehr eigenartigen Atmosphäre. Wien ist langsam und gemütlich, Wien ist verschlagen und gemein, Wien ist morbid, behäbig, spießig, aber auch weltoffen und voller Kunst und Kultur. Und das ist alles kein Widerspruch. Deswegen überrascht es auch nicht, dass Punk aus Wien anders ist als Punk von woanders ... und dann auch wieder nicht. Ich bin jetzt – erst oder schon, kommt immer auf den Blickwinkel an – 45 Jahre alt, also zähle ich zu der dritten oder gar vierten Generation von Wiener Punks. Meine persönliche Geschichtsschreibung beginnt um 1987/88 herum. Aber es gab eben auch vorher was. Die Suche nach diesen Wurzeln ist das Rückgrat von „Es is zum Scheissn“.

Welchen Einfluss hatte der „Sheriff“ auf dein Bestreben, das Buch beziehungsweise den Film zu machen? Wer war er?

Ach, der Sheriff ... ohne den Sheriff gäbe es das alles nicht. Als ich begonnen habe, auf Konzerte zu gehen, war der Sheriff schon lange da. Er war ein Berg von einem Menschen, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Er war laut und lustig, aber auch schwierig und ein wenig schmuddelig, wie eben Punk so ist. Der Sheriff war mein erster Fixpunkt: er war einfach immer da. Auf jedem Konzert, komme, was da wolle. Und so wirklich jede Band hat ihn gekannt und nach ihm gefragt. POISON IDEA haben ein Konzert unterbrochen, weil der Sheriff brunzen gehen musste. Rollins hat ihn – zwar nicht namentlich, aber trotzdem – in „Get in the Van“ erwähnt. Ray Cappo hat von ihm aufs Maul gekriegt. Und jeder hat den Sheriff geliebt. Dann ist er plötzlich und unerwartet 2012 verstorben ... an einer verdammten Grippe. Und mit dem Tod vom Sheriff wurde mir so richtig schmerzhaft bewusst, dass das alles nicht ewig so weitergehen kann und wird, und ich habe begonnen, um es mal wichtigtuerisch und professionell auszudrücken, „Zeitzeug*innen“ vor der Kamera zum Reden zu bringen und ihre Geschichte und Geschichten aufzuzeichnen.

Wie ist es zu dem Titel „Es is zum Scheissn“ gekommen?

„Es is zum Scheissn“ war sowohl der Titel eines Fanzines von Erwin Bösling aus den Achtziger Jahren als auch eines alten Songs von DIE BÖSLINGE, der allerdings erst Anfang der 2000er im Studio aufgenommen wurde. Ich wollte unbedingt einen Titel mit Bezug zu Wien finden und „Es is zum Scheissn“ passt wie die Faust aufs Auge: provokant, vulgär und durch und durch Wienerisch.

Wer war die erste Punkband in Wien beziehungsweise welche Band hat die erste Punk-Single in Wien herausgebracht?

Da gibt es nicht viel subjektiven Interpretationsspielraum: CHUZPE waren die erste Punkband in und aus Wien. Vorher gab es zwar andere laute, abseitige, wilde Bands, aber CHUZPE waren einfach die Pioniere. 1977 ging es los, die ersten Aufnahmen von CHUZPE sind allerdings erst auf dem legendären „Wiener Blutrausch“-Sampler von 1979 zu finden. Ein Jahr zuvor sollte eine Single erscheinen, „Nervengas“, veröffentlicht wurde sie allerdings – mehr oder weniger posthum – erst 2011. In Wien geht eben alles ein bissl gemütlicher zu, haha! Die Ehre der ersten Single gebührt daher DIRT SHIT. Der ursprüngliche Schlagzeuger von DIRT SHIT war Robert Räudig von CHUZPE, es war aber dann ein gewisser Herr Ronnie Urini, der mit seinem irrwitzigen Stil alles verändert hat. Und auch wenn Falco als der Superstar aus Österreich gilt, darf man Ronnie nicht vergessen: Er hat mit Mars Bonfire von STEPPENWOLF Musik gemacht, mit Chet Baker, Marianne Faithfull, Nico und Nancy Sinatra. Er ist ein unglaublich guter Musiker und ein begnadeter Geschichtenerzähler. Aber auch in diesem Fall liegt es vermutlich an Wien, dass sein Name nicht bekannter ist ...

Was würdest du als Keimzelle für den frühen Wiener Punk bezeichnen?

Nachdem ich das ja alles nicht selber miterlebt habe, kann ich nur die Erzählungen wiedergeben. Es gab relativ früh Mojo Records als Drehscheibe, einen Plattenladen in dem unter anderem Ronnie Urini und Panza gearbeitet haben. Treffpunkte im engeren Sinn gab es kaum, es gab bestenfalls verrauchte Hinterzimmer von Wirtshäusern, in denen sich Punks getroffen und später auch Konzerte veranstaltet haben. Internationale Bands haben aus geografischen wie auch aus politischen Gründen einen großen Bogen um Wien gemacht. Die Grenzen waren ja alles andere als offen und Wien lag immer schon mehr näher am Balkan als im Herzen Europas, auch was die Mentalität betrifft. Und nicht zuletzt war der Flohmarkt am Naschmarkt spätestens seit den frühen Achtziger Jahren ein Treffpunkt für Punks. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich als Bub an diesen schrillen Vögeln vorbeigegangen bin und fasziniert war. Mit einigen war ich später saufen, andere sind weggestorben.

Wie bist du selbst zum Punkrock gekommen? Was hast du zuvor gemacht beziehungsweise gibt es schon andere Veröffentlichungen von dir?

Meine erste Berührung mit harter Musik passierte lustigerweise, ohne dass ich sie auch tatsächlich gehört hätte. Im Haus, in dem ich aufgewachsen bin, gab es an der Straßenecke einen winzigen Plattenladen, in dessen Auslage die „Killers“-LP von IRON MAIDEN zu sehen war. Das Cover hat mein jüngeres Ich unglaublich beeindruckt und ich habe bestimmt Stunden damit verbracht, es anzustarren und mir jedes noch so kleine Detail einzuprägen. Klar gab es daheim Platten mit mehr oder weniger lauten Gitarren: Ich kann mich an DEEP PURPLE erinnern, an THE KNACK, an QUEEN, an CREAM, an Manfred Mann – mein erstes Lieblingslied war „Do wah diddy“ ... Oida, nach wie vor eine Hammernummer! –, aber IRON MAIDEN war einfach das Epizentrum des musikalischen Erdbebens für mich. Und durch Metal kam dann der Punk. Wobei, nein ... das stimmt so nicht ganz, denn eigentlich müsste ich korrekterweise sagen, dass Hardcore in meiner musikalischen Sozialisation vor Punk passiert ist. Zuerst hat mich mal so Zeug wie MISFITS, BLACK FLAG oder DISCHARGE begeistert; Bands wie CLASH oder ADVERTS fand ich in meiner Sturm-und-Drang-Phase noch eher altbacken und fad. Das hat sich allerdings mit zunehmenden Alter dann geändert, haha! Die Band, die mich allerdings mehr geprägt hat als jede andere, ist eine aus Wien: EXTREM. Mit 14 habe ich mir die „Vorheilen ist besser als Beugen“-Kassette gekauft und die hat einfach alles verändert. Die Musik war so was von räudig und aggressiv, so was kannte ich in dieser Form noch nicht. Dazu die Texte von Helmut Heiland in derbstem Wiener Dialekt, gegen alles und jeden ... besser ging es einfach nicht. Ich habe dann dem Schlagzeuger Peter Zinner einen Brief geschrieben, zur Post getragen und in den Nachbarbezirk geschickt – und er hat tatsächlich zurückgeschrieben! Im Kuvert waren Sticker und Flyer und eine neue Welt hat sich für mich eröffnet. Ich habe dann begonnen Fanzines zu bestellen, Tapetrading kam auch relativ bald und meine kleine Welt lag einfach in Trümmern vor mir. So begannen Hardcore und Punk für mich. Ende der Achtziger gab es schon ein Metal-Fanzine von mir und einem Schulfreund und nach und nach kamen andere Aktivitäten dazu. Mitte der Neunziger gründete ich einen Mailorder, aus dem sich ein Plattenladen entwickelt hat, den es fast zwanzig Jahre lang gab. Ich habe ein Label betrieben, Konzerte organisiert, mehr Plattencover und T-Shirts designt, als ich mir merken kann oder will, Bücher gemacht, ein professionelles Magazin mit fünfstelliger Auflage, Siebdruckposter ... ich war schon immer ein eher getriebener Mensch, haha. Zines mache ich bis heute noch, in der einen oder anderen Form.

Deine Aufarbeitung läuft auf zwei Schienen ab. Einmal in Form eines Buches als auch als Filmdokument. Hat sich das eine aus dem anderen entwickelt oder hattest du einen Masterplan, den du nach und nach abarbeitest?

Die Idee zum Film war definitiv zuerst da und auch das ist Punk geschuldet: Ich habe mir Grafikdesign und Fotografie autodidaktisch beigebracht, ich habe Fanzines und Bücher gemacht, also wieso nicht auch gleich einen Film? Ich hatte und habe nach wie vor eine ziemlich naive Herangehensweise an alles. Ich liebe es, mich auszuprobieren und meine Grenzen auszutesten. Also: Film. Gegen Ende des Projekts ging dann die Zusammenarbeit mit den zwei werten Herren, die mit mir ursprünglich gefilmt haben, aus sagen wir mal persönlichen Gründen auseinander und der Film lag eine Zeit lang auf Eis. Aber weil meine Frau mich in- und auswendig kennt und ihr selbstverständlich auch bewusst ist, dass ich keine halben Sachen mag und unerledigte Dinge mich belasten, hat sie mich auf die Idee mit dem Buch gebracht. Material genug ist ja dafür da und ein Film kann eine Geschichte im Gegensatz zu einem Buch eben nur anreißen und an der Oberfläche kratzen.

Wann und in welcher Form soll das Buch erscheinen? Wie sieht deine stilistische Vorgehensweise aus, eher beschreibend oder auf Oral History beruhend?

Ach, wenn ich das nur wüsste ... Im Moment bin ich einfach nur froh, dass die ganze Arbeit erst mal vorbei ist, haha! Nach all den Dramen rund um den Film liegt meine Motivation aber auch momentan im Dämmerschlaf ... Dazu kommen wir aber später noch ausführlicher. Mir läuft ja nichts davon.

Wen hast du für dein Projekt alles interviewt und wann hast du überhaupt damit angefangen?

Das erste Interview hat im Dezember 2013 mit Erwin Bösling und Harald Rau stattgefunden, beide von DIE BÖSLINGE. Harry ist ein lebendes Lexikon und hat mir unfassbar viel mit Zahlen, Daten und Fakten geholfen. Über seine Vermittlung bin ich dann an Ilse Hoffmann von A-GEN53, der ersten reinen Frauen-Punkband in Wien, geraten und von da an ging es Schlag auf Schlag: bald folgten Panza, Kodak, Ronnie Urini, Mops von TARGET OF DEMAND, zwar ursprünglich ein Linzer, aber seit 1983 in Wien, die DEAD NITTELS und wie sie alle heißen, aber auch Menschen, die nicht Punks sind oder waren, wie beispielsweise Christian Schreibmüller, der ehemalige Obmann der GaGa, oder Erich Dimitz, der sich damals sehr für Aegidi und Spalo engagiert hat. Sehr glücklich bin ich auch darüber, dass ich zu Lebzeiten noch den Lörkas von PÖBEL – und zig anderen Bands – interviewen durfte, ein echtes Wiener Original! Das letzte Interview für den Film war mit Peter Zinner, exakt einen Tag vor der Reunion-Show von EXTREM in der Pankahyttn, also gerade mal ein Monat bevor der Film im Kino war. Damit hat sich der Kreis auch für mich sehr schön geschlossen.

Waren die alten Protagonisten sofort bereit mitzuwirken oder gab es auch Leute, die dich für eine „Flitzpiepe“ hielten?

Einige der alten Damen und Herren waren von Anfang begeistert von der Idee und haben unendlich viel Zeit und Mühe für das Projekt geopfert, andere wollten nicht vor eine Kamera und wieder andere waren und blieben stur und skeptisch. Und ich verstehe gerade den letzten Punkt sehr gut: Natürlich will man, dass die eigene Geschichte korrekt und authentisch erzählt wird. Der Grundtenor ist aber auch, dass mir das sehr gut gelungen ist. Und es ist ja auch nicht meine Geschichte, ich als Person bin in diesem Zusammenhang irrelevant. Man sieht in ein, zwei Szenen meine Hand und im Abspann ist mein Name ein einziges Mal zu lesen: in der gleichen Schriftgröße wie die Namen aller anderen. Meine Tochter hat mich gelehrt, dass so was wie Ego ein riesiger Scheißdreck ist ... und zwar auf die harte Tour. Es ist aber auch bezeichnend, dass gerade die unwesentlichsten Hinterbänkler sich so unglaublich wichtig nehmen, dass mein Kind mit noch nicht mal drei Jahren oft reifer wirkt als mancher Tattergreis an der Grenze zum Katheter.

Wie lange hat es letztendlich gedauert, deinen Film fertigzustellen?

Alles in allem waren es von der ursprünglichen Idee bis zum fertigen Film sieben Jahre. Allerdings habe ich nicht die ganzen sieben Jahre durchgehend am Film gearbeitet, da sind auch gute zwei Jahre Babypause inkludiert.

Wie bist du damit klar gekommen, dass du mit dem Projekt alleine weitermachen musstest, nachdem die anderen den Kram hingeworfen hatten?

Ach, alles halb so schlimm. Natürlich war ich wütend, traurig und frustriert, aber was soll’s. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns in einem Punk-Kontext bewegen und Punk ist trotz aller progressiven Forderungen – allerdings immer an die anderen, niemals an sich selbst! – eine stinkende Senkgrube voller gescheiterter Existenzen, toxischer Narzissten und hängengebliebener Volltrottel. Aber das war mir von Anfang an klar. Punk ist letztendlich doch auch nur ein Mikrokosmos, der die Dynamiken des gesellschaftlichen Makrokosmos reproduziert und multipliziert. Das macht zum Teil auch den Reiz aus, aber man muss schon ein dickes Fell haben und damit umgehen können.

Dein Film besticht durch eine Vielzahl an „historischen“ Aufnahmen, wie private Super-8-Filme, aber auch alte TV-Berichte. Bist du ein Trüffelschwein, das stets auf der Suche nach einschlägigem Material war?

Ja, so in etwa könnte man es nennen. Ich habe schon immer die Ästhetik von Punk geliebt, vom kopierten Cut-and-paste-Flyer bis hin zu den Fotos von Glen Friedman. Für „Es is zum Scheissn“ habe ich so ziemlich alle meine persönlichen Kontakte immer und immer wieder genervt und es hat sich gelohnt. Ich war in Bezirksmuseen und in den Archiven von Stadtzeitungen. Ich habe Schätze gehoben wie Super-8-Material – inklusive Tonspur! – von BLACK FLAG 1983 und D.O.A. 1984. Ich hatte alles mögliche in der Hand, von Besetzer*innenkommuniques bis hin zu Mappen voller Negativstreifen und ich bin mir sicher, dass das noch längst nicht alles ist.

Hattest du eine Finanzierungsquelle für deinen Film im Hintergrund? Wer hat dir letztendlich dabei geholfen, den Film in die jetzige Version zu bringen?

Das ganze Projekt wurde mit einem Nullbudget auf Basis der guten alten Selbstausbeutung umgesetzt. Klar hätte der Film mit einer Produktionsfirma im Hintergrund und mit Geld in der Hand anders aussehen oder schneller fertig werden können, aber es passt schon so, wie es ist. Mehr Punk geht eigentlich fast nicht und von dieser Unmittelbarkeit und Rohheit lebt der Film meiner Meinung nach auch. Der international alles andere als unbekannte Filmemacher Paul Poet, der auch mit Christoph Schlingensief gearbeitet hat, und und und ... hat eine „Punk Cinema“-Retrospektive auf die Beine gestellt, in der so einige Schmankerl gezeigt wurden, und das war letztendlich auch der ausschlaggebende Arschtritt, den ich gebraucht habe. Die Aussicht, den Film im Rahmen dieser Retrospektive im Kino zeigen zu können, das war Motivation genug. Über die Vermittlung eines weiteren Freundes bin ich dann zum großartigen Patrick Spanbauer gekommen, der sich übrigens lustigerweise ein Büro mit Helmut Heiland von EXTREM teilt, und spätestens dann war klar, dass es die optimale Kombination und Arbeitsatmosphäre ist. Patrick ist ungefähr in meinem Alter und fast deckungsgleich mit Metal, Punk und Skateboarding sozialisiert und er hat einfach ein goldenes Händchen für Film.

Sehr beeindruckend fand ich die Stellen über die Hausbesetzungen in Wien in der Gassergasse, kurz: GaGa, und der Aegidi/Spalo. Dass Räumungen stattfanden, kennt man leider aus ganz Europa, aber ganz selten waren Kameras so nah dabei wie in Wien. Welchen Stellenwert hatten diese Häuser damals für die Szene?

Die GaGa war ein autonomes Jugendzentrum und war nie besetzt und auch die Häuser in der Aegidigasse und in der Spalowkygasse wurden ursprünglich als autonome Wohnprojekte von der Stadt Wien zur Verfügung gestellt – bevor sie besetzt wurden, um eine Räumung zu verhindern. Den Stellenwert kann man natürlich gar nicht hoch genug ansetzen: Ohne das autonome Zentrum GaGa wäre Wien in der Achtzigern noch sehr viel toter gewesen. Die GaGa war die Heimat für Bands wie SCHUND und PÖBEL, EXTREM haben dort geprobt und aufgenommen und auch internationale Bands wie INFERNO, ZSD, TOXOPLASMA, NIKOTEENS und sogar ein Wolf Biermann sind in der Gassergasse aufgetreten. Aber auch das habe ich natürlich nicht selbst miterlebt. Als die GaGa geräumt und abgerissen wurde, war ich gerade mal neun Jahre alt. In die Endphase der Aegidi/Spalo konnte ich noch ganz kurz zaghaft reinschnuppern, als RKL dort gespielt haben ... wie aufregend das war, in der Nacht von daheim wegzuschleichen, um mit 13, 14 eine US-Hardcore-Band in einem besetzten Haus zu sehen! Ich habe meiner Oma übrigens auch nach ihrem Tod nur sehr langsam verziehen, dass ich damals nicht zu HERESY, LÄRM und NEGAZIONE gehen durfte, weil am nächsten Tag Mathe-Schularbeit war, haha! Aber diese drei Bands auf ihrem Höhepunkt an einem Abend ... lass dir das mal auf der Zunge zergehen!

Dein Film „Es is zum Scheissn“ ist im Oktober 2019 zum ersten Mal in Wien in einem Programmkino aufgeführt worden. Es waren direkt die ersten beiden Vorstellungen mit 160 Sitzplätzen ausverkauft. Warst du überrascht, dass ein solch großes Interesse an deinem Film besteht? Es scheint so, als würde sich das Wiener Feuilleton auf einmal auch für die eigene Punk-Geschichte interessieren. Wie waren die Reaktionen auf deinen Film?

Na gut, das breite Interesse an Punk in Wien hat mit mir und dem Film ja nur begrenzt zu tun, also sollten wir da den Ball ein bissl flach halten. So richtig Fahrt aufgenommen hat alles 1997 mit dem „Es Chaos is die Botschaft!“-Sampler, danach folgten Rereleases der Platten von SCHUND, PÖBEL, DEAD NITTELS, EXTREM, CHUZPE und und und ... mal mehr und mal weniger gelungen, aber wichtig und richtig. Aber ja, trotz und wegen allem war ich doch sehr überrascht. Eigentlich war ja nur eine einzige Vorstellung geplant, daraus wurden zwei an einem Abend und das Kino wollte sogar einen Monat später noch eine dritte nachschieben ... damit hat niemand gerechnet. Die Reaktionen waren zu 99% positiv und teilweise sogar begeistert und es gab bis heute nur zwei Kritikpunkte: einer davon war der teilweise suboptimale Ton, der andere die doch recht schiefe Frauenquote im Film. Beide Punkte sind absolut berechtigt und ich sehe es auch so.

Zu meinem schieren Entsetzen hast du mir mitgeteilt, dass du sämtliche weitere Aufführungen absagen musstest? Was ist geschehen?

Das ist eine lange Geschichte und ein Drama von fast klassisch-griechischer Dimension und ich muss dir ganz ehrlich gestehen, dass ich selbst nicht so ganz durchblicke. Einer der Protagonisten – der an dieser Stelle allerdings nicht namentlich genannt werden soll, das wäre zu viel der Ehre –, der sehr viel Material beigesteuert hat, fühlte sich falsch oder zu wenig repräsentiert und zog seine mündliche Zusage zur Verwendung des Materials zurück. Er hatte seine fünf Minuten Aufmerksamkeit mit einem lächerlich divenhaften Auftritt vor Publikum und jetzt kann er scheißen gehen. Wer es in fast vier Jahrzehnten nicht schafft, aus einer ganzen Schatzkiste an fantastischen Material etwas zu machen, der sollte lieber ein bissl kleinlauter sein. Tatsache ist, dass ich auf der einen Seite nie jemanden bescheißen oder mich mit fremden Federn schmücken wollte, aber ich habe auf der anderen Seite eben auch nicht die geringste Lust auf Anwälte und Gerichte. Das ist nicht mein Verständnis von Punk. Aber darauf kommt es auch nicht an. Lass mich dir eine Geschichte dazu erzählen, die vieles relativiert: Es gibt ein sehr bekanntes Foto von einem Punk in Lederjacke, auf deren Rücken „Wien, du tote Stadt“ steht. Dieses Foto wurde von besagtem Herrn geschossen und kommt nicht mal im Film vor. Ein paar Tage nach der Premiere finde ich eine Nachricht in meiner Inbox ... vom Sohn eben jenes Punks in eben jener Lederjacke. Er war bei der Premiere und hat sich sehr lieb und freundlich bei mir dafür bedankt, dass er sehen durfte, wie sein leider mittlerweile verstorbener Vater seine Jugend verbracht hat. Und genau auf so was kommt es an. Punk hat auch 2019 noch immer die Kraft, Menschen zu berühren. Und wenn diese menschliche Komponente von Eitelkeiten, Copyrightstreitigkeiten und Egos blockiert wird, dann ist ein Punk ein Haufen Scheiße und sollte sterben, damit wir leben können.

Das Geld, das durch die Kinoaufführung reingekommen ist, ist von dir gespendet worden. An welche Stellen hast du gespendet, was war der Sinn dahinter?

Kleiner Irrtum hier: Der Film war von Anfang an als unkommerzielles Projekt gedacht und hat zu keinem Zeitpunkt Kohle generiert ... schön wär’s, haha! Das Geld kam durch den Verkauf der Filmplakate plus adäquater Spenden für antifaschistische Projekte herein, und es war echt nicht wenig. Das gab mir ein kleines bisschen wieder den Glauben an das Gute im Punk und im Menschen zurück. Der erste Teil der Spenden ging an Queerbase Wien, ein LGBTQ-Flüchtlingsprojekt. Dahinter steckt meine kleine ganz persönliche Rache an den ganzen alten Deppen, die das Maul immer ganz weit offen haben – aber aus diesen Mäulern kam außer sehr viel heißer Luft nicht viel, und wenn, dann auch gern mal ekelhafte homophobe Äußerungen. Also wie kann man sich besser revanchieren, als sie mit so einer Aktion öffentlich vorzuführen? Der zweite Teil der Spenden ging an die humanitäre Hilfsorganisation Cadus und an die freie Frauenstadt Jinwar in Nordsyrien im Rahmen der „Punks for Rojava“-Kampagne. Punk hatte für mich immer eine politische Komponente, sonst wäre es zwar eine scheißcoole Musikrichtung unter vielen, aber eben auch nicht mehr.

Das tut mir sehr leid zu hören, dass dein Filmprojekt abrupt zum Ende gekommen ist. Wie wird es weitergehen, Thomas? Schmeißt du die Brocken jetzt komplett hin oder wirst du die entsprechenden Stellen rausschneiden und dann mit anderem adäquaten Material auffüllen?

Ach komm, wirke ich wie ein gebrochener Mann? Hahaha ... die Falten um die Augen wurden ein kleines bisschen tiefer, der Bart wurde grauer, aber das wäre alles auch ohne Außeneinwirkung passiert. Wie wird es weitergehen? Eh wie immer: laut, unversöhnlich und mit dem Kopf durch die Wand. Ich kann und will ja nicht anders. Punk hat sich in meine DNA reincodiert, ob mir das jetzt gefällt oder nicht. Der Film ist fertig. Ich lege jetzt mal die müden Beine hoch und gönne mir ein kaltes Bier oder einen warmen Tee, je nach Tagesverfassung. Mittelfristig wird er wohl oder übel seinen Weg zu all jenen Menschen finden, die ihn sehen wollen – wobei mir übel immer schon besser gefallen hat. Übel klingt gut.