In dieser Artikelreihe stellen wir Menschen aus der Punk- und Hardcore-Szene vor, die sich im weitesten Sinne grafisch betätigen und Poster, Flyer und Cover gestalten. Diesmal sprachen wir mit Gregory Jacobsen aus Chicago, der auch in der Band LOVELY LITTLE GIRLS ist.
Bitte stell dich vor.
Gregory Jacobsen, 47, Maler und Sänger in der Band LOVELY LITTLE GIRLS aus Chicago. Ich kam mit 13 Jahren zum Punk/Hardcore. Ich hörte viel Thrash Metal, aber es wurde langweilig und die Gitarrensoli waren ätzend. Ich war immer auf der Suche nach etwas Verrückterem und Rohem. Ich liebte das „Crossover“-Album von DRI, und das führte mich zu ihren Hardcore-Punk-Platten, die mich umgehauen haben. Ich finde diese Alben auch nach all den Jahren immer noch besonders schräg und einfallsreich. Als ich in New Jersey aufgewachsen bin, war so ein Meathead/Jock-Hardcore sehr beliebt, aber damit konnte ich nichts anfangen. In den Katalogen von SST und Alternative Tentacles suchte ich nach dem, was ich an Punk liebte: schräge, aggressive, künstlerische Zerstörung. Als ich Greg Ginns Gitarrensoli zum ersten Mal hörte, war das eine Offenbarung. Als ich 1994 nach Chicago zog, war in den dreckigsten Ecken der Stadt die No-Wave-Szene sehr aktiv. Es war eine Szene, die mich wirklich ansprach. Sie vereinte die aggressive Entfremdung des Punk, den experimentellen Geist von Free Jazz und Noise und den lächerlichen Bombast des Metal, alles gepaart mit einem urkomischen schwarzen Humor. Sie war sehr spezifisch für eine bestimmte Region und Zeit, ähnlich wie die ursprüngliche New Yorker No-Wave-Szene. Skin Graft war als Label federführend bei der Veröffentlichung und Verbreitung dieser Musik in der Welt.
Du bist selbst in einer Band. Stell sie bitte vor.
LOVELY LITTLE GIRLS haben eine neue Platte, die im August auf Skin Graft erscheint. Es begann 2001 als Punk/No-Wave-Performance-Projekt mit maskierten Tänzern, Fahrradhupen, abstoßenden Gedichten, Lärm und allgemeinem Chaos. Johanna Went, die Wiener Aktionisten und die Kipper Kids waren eine große Inspiration. Thematische Anregung kam vom Außenseiterkünstler Henry Darger und dem Film „What Ever Happened to Baby Jane?“ Die Gruppe entwickelte sich bald zu einer richtigen Band und Alex Perkolup kam an Bord, die Musik wurde komplexer und gleichzeitig blieb die Absurdität des Projekts zu erhalten. Die Band wuchs auf neun Mitglieder an, darunter eine Bläsersektion und Background-Gesang. Wir haben uns in ernsthafte Prog-Gefilde begeben, ähnlich wie MAGMA, CAPTAIN BEEFHEART und CARDIACS. Aber im Kern ist da immer noch die tiefe Liebe für DEAD KENNEDYS, FLIPPER, THE CONTORTIONS, BLACK FLAG und THE FALL. Ich bin so dankbar für diese Musiker in meiner Band. Sie sind in der Lage, das Hässliche und Unförmige in großartige und majestätische Momente zu verwandeln, aber auch das Schöne in etwas total Blödes. Es ist mir sehr wichtig, Dualität zu fördern und Mehrdeutigkeiten zu betonen.
Wie sehr ist die Musik mit deiner grafischen Arbeit verbunden?
Die Band und die Kunst befruchten sich gegenseitig. Meine Performance-Kunst ist sehr übertrieben und basiert auf Bewegung und Mimik. Meine Bilder konzentrieren sich auf Figuren und Body-Horror. Sie sind ein ästhetischer und konzeptioneller Leitfaden für die Band. Auf der anderen Seite finden Elemente, die in der Musik oder der Performance auftauchen, oft ihren Weg in meine Gemälde.
Seit wann bist du künstlerisch aktiv, wie hat es angefangen und wie ging es weiter?
Ich habe schon immer gezeichnet, mich aber auch für Comedy und Performance interessiert. Die Kunst hat sich aber durchgesetzt. Ich kann mich in meinem Atelier einschließen und mich einfach auf meine eigene Unfähigkeit verlassen.
Wie arbeitest du? Klassisch mit Papier und Farbe, oder digital am Computer?
Ich male meistens. Ich habe angefangen, digital zu arbeiten, aber ich habe noch nicht herausgefunden, wie ich mich beim Zeichnen mit dem Tablet richtig verhalte – meine Schulter und mein Rücken sind dann im Arsch. Ich male gerne, weil ich dabei meinen ganzen Körper einsetzen kann, mehr Kontrolle über meine Pinsel habe und nicht in eine ungesunde Totenstarre verfalle.
Bist du Autodidakt oder kannst du auf eine klassische künstlerische Ausbildung verweisen?
Ich war auf dem School of the Art Institute in Chicago. Ich habe ein bisschen gemalt, mich aber hauptsächlich auf Sound, Druckgrafik und Performancekunst konzentriert. Es war wichtig für mich, einen größeren Überblick darüber zu bekommen, was möglich ist und wie ich verschiedene Disziplinen in meine Arbeit integrieren kann.
Hast du künstlerische Vorbilder?
Alle, die ihre Visionen verfolgen und nicht aufgeben. Ich schätze es auch, wenn Künstler:innen nicht so dogmatisch an ihrer Sichtweise oder ihrem Stil festhalten. Veränderung ist immer gut. Ich hinterfrage ständig meine eigene Arbeit und wie sie mit allem zusammenhängt. Nur so kann ich mich als Mensch und Künstler weiterentwickeln.
Und welche Stile haben dich beeinflusst?
Die Neue Sachlichkeit, wie Otto Dix und George Grosz. Picasso war schon immer ein großes Vorbild, sowohl mit seinen formalen Experimenten als auch mit seinem hässlichen und chaotischen späteren Stil: Scheiß drauf, hier sind ein paar schlammige und verschmierte groteske Figuren. Ich liebe auch den Stil der Imagisten des amerikanischen Mittleren Westen oder „The Hairy Who“, wie Jim Nutt, Karl Wirsum, Ed Paschke und Christina Ramberg. Das basiert auf der Pop-Art, aber ist noch verrückter. Viele der Arbeiten haben einen perversen, dunklen Humor. Jemand wie Karl Wirsum entstellt die menschliche Gestalt und reduziert sie auf lustige und bizarre kindliche Formen. Es ist sehr grafisch, aber auch wunderschön gemalt. Am bekanntesten ist vielleicht sein farbenfrohes Gemälde von Screamin’ Jay Hawkins.
Kann man deine Kunst kaufen?
Meine Bilder und Zeichnungen kann man in verschiedenen Galerien kaufen. Drucke mache ich nicht so oft.
Arbeitest du völlig frei oder auch auf Bestellung? Zum Beispiel für Bands oder Konzertveranstalter?
Gelegentlich mache ich Auftragsarbeiten, aber das ist für mich nicht wichtig. Ich bin schrecklich schlecht darin, die Ideen anderer zu illustrieren. Meine Arbeit entwickelt sich organisch und ich übermale oft etwas, an dem ich viel zu lange gearbeitet habe, wenn es nicht funktioniert. Ein Auftrag muss schon von einer Band kommen, die ich wirklich mag, mit einem ähnlichen ästhetischen Interesse an Body-Horror und Absurdismus. Ich habe Albumcover für TO LIVE AND SHAVE IN L.A., CONTROLLED BLEEDING und TROPICAL FUCK STORM sowie ein Tourplakat für die Komikerin Sarah Squirm gestaltet. Zur Zeit arbeite ich an einem Artwork für die Band SQUID PISSER.
Wie sieht es mit Ausstellungen aus?
Ich stelle regelmäßig aus. Meine Hauptgalerie ist die Zg Gallery in Chicago, aber ich habe auch schon in L.A. bei La Luz de Jesus, in Berlin bei Bongoût und in Paris in der Arsenic Galerie ausgestellt. Im Oktober nehme ich an einer Gruppenausstellung in Zusammenarbeit mit dem Kunstmagazin Hi-Fructose in Philadelphia teil.
Was gibt dir deine Kunst emotional?
Sie gibt mir ein Gefühl von Sinnhaftigkeit. Sie ermöglicht es mir, meine Persönlichkeit in die Welt zu tragen. Man kann sagen, dass die meisten meiner Arbeiten irgendwie seltsam, befremdlich und abstoßend sind. In letzter Zeit habe ich alberne Katzen gemalt – die Leute lieben sie. Ich habe festgestellt, wie erfüllend es ist, wenn meine Arbeit den Menschen unmittelbar Freude bereitet.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #169 August/September 2023 und Joachim Hiller