Die 1978 gegründeten und aus Belfast stammenden PROTEX werden oft in einem Atemzug mit OUTCASTS,
STIFF LITTLE FINGERS, RUDI und UNDERTONES genannt. Ihre Debüt-7“ „Don’t Ring Me Up“ erschien 1978 auf dem legendären Good Vibrations Records, drei weitere auf Polydor folgten, bevor die Luft raus war – noch vor Erscheinen des ersten Albums wurde die Band gedroppt und löste sich 1981 auf. 2010 erschien dieses unveröffentlichte Debüt endlich auf Sing Sing Records und die Ur-Mitglieder Aidan Murtagh und David McMaster entschlossen sich zur Neugründung von PROTEX. Mit „Tightrope“ erschien nun ein neues Album auf Bachelor Records aus Österreich. Meine Fragen beantwortete Aidan Murtagh, Sänger, Gitarrist und Songwriter – „I was with PROTEX from 1978 and am still playing in the 2017 line up“, schreibt er.
Aidan, bitte stell die aktuelle 2017er-Besetzung von PROTEX vor.
Ich spiele Gitarre und bin Leadsänger, Norman Boyd spielt die zweite Gitarre, unser Bassist ist Jon Rossi und Gordon Walker sitzt am Schlagzeug.
Wie bist du zum Punk gekommen, was hat dir daran gefallen und wie kamst du schließlich auf die Idee, selbst eine Band zu gründen?
Ich weiß noch, dass Punk ein Thema war in der Schule und in meinem Freundeskreis. Wir lasen alle den NME und Sounds, und uns war bewusst, dass sich in der Musikszene ein Umschwung abzeichnete. Irgendwann hörte ich bei einem Freund dann die erste THE DAMNED-Platte und „Anarchy In The UK“ von den SEX PISTOLS. Ich hatte bereits mit 14 angefangen, in Bands zu spielen. Meist spielten wir THIN LIZZY- oder R’n’B-Cover, aber jetzt hatte ich das Bedürfnis, diese neue, aufregendere und energetischere Musik zu spielen. Die englische R’n’B-Szene wird oft als Vorläufer des Punk bezeichnet. Das kann ich gut nachvollziehen, da die Haltung und rohe Energie dieser Bands mich sehr angesprochen hat. Ich habe DR. FEELGOOD auf ihrer ersten Tour in Belfast gesehen, zu einer Zeit, als hier eigentlich niemand auftrat. Das war ein großer Moment für mich. Ziemlich bald danach kam Punk.
PROTEX werden immer in einem Atemzug mit OUTCASTS, STIFF LITTLE FINGERS, RUDI und UNDERTONES genannt. Wie sehr wart ihr tatsächlich ein Teil derselben Szene? Waren diese Bands eher Freunde oder Konkurrenten?
In der Anfangszeit waren diese Bands die Szenegrößen und ich erinnere mich, mit allen von ihnen die Bühne geteilt zu haben, das war hauptsächlich in der Harp Bar in Belfast. STIFF LITTLE FINGERS erschlossen sich relativ schnell ein breiteres Publikum – nicht zuletzt durch die Themen ihrer Songs – und spielten daher bald auch außerhalb Belfasts. Die UNDERTONES lebten im 150 Kilometer entfernten Derry und waren daher anfangs nicht so oft dabei. Ich weiß noch, dass PROTEX bei ihrem ersten Belfast-Gig in der Harp Bar dabei waren. Sie waren fantastisch und sehr nett. RUDI spielten wo und wann immer sie konnten und wir hatten oft Auftritte mit ihnen oder den OUTCASTS. Zwischen manchen Bands gab es tatsächlich ein paar Teenager-Rivalitäten und -Eifersüchteleien. Das zeigte sich umso deutlicher, je erfolgreicher und bekannter man wurde.
Wie war der Alltag in den späten Siebzigern in Belfast? Und wie hast du es geschafft, in diesen an sich so dunklen Jahren solche schönen, melodiösen Songs zu schreiben?
Diese Frage wird mir oft gestellt. Und du hast absolut recht, es war eine schreckliche Zeit. Nachts war Belfast eine Geisterstadt. Abgesehen von der britischen Armee und Polizei war niemand unterwegs ... außer ein paar Punks vielleicht auf dem Weg zu irgendeiner Show. Die Stadt war in viele Lager gespalten und die blieben jeweils unter sich, so dass das Belfaster Stadtzentrum ab sechs Uhr abends völlig ausgestorben war. Darüber hinaus zog sich ein Sicherheitsring um die City, und um durch die Sperren gelassen zu werden, musste man sich durchsuchen lassen. Ständig gab es irgendwo in der Stadt Bombenanschläge oder Schießereien, aber für uns ging das Leben einfach weiter. Wir alle genossen es, Musik zu machen, und bekamen selbst genug von den Troubles mit, daher stand uns nicht der Sinn danach, auch noch Songs darüber zu schreiben. Außerdem erledigten STIFF LITTLE FINGERS das schon. In meinen Songs schrieb ich über Beziehungen und Gefühle, die mir wesentlich wichtiger waren. Klassischer Rock’n’Roll könnte man sagen, nur deutlich aggressiver gespielt. Erst kürzlich meinte jemand, vor diesem Hintergrund aufgewachsen zu sein, hätte diese Vorliebe für aggressive Musik womöglich befördert. Dem würde ich nicht grundsätzlich widersprechen, aber wenn es so war, dann geschah das unterbewusst. Punk passte einfach zu dem beklemmenden Gefühl, das man in Belfast zu dieser düsteren und gefährlichen Zeit hatte.
Wie gefiel dir der Film „Good Vibrations“ über die Musikszene Belfasts in den Siebzigern? Konnte er halbwegs präzise rüberbringen, wie es damals war?
Der Film gefiel mir sehr gut. Richard Dorman hat Terri Hooley, den Gründer von Good Vibrations Records, wirklich gut verkörpert. Einiges wirkte vertraut, anderes wiederum war offensichtlich erfunden. Viele Dinge aus der Zeit, an die ich mich erinnere, hat der Film ausgelassen. Auch mir wurde eine Rolle in dem Film angeboten, aber ich habe abgelehnt – stattdessen war irgendwo ein PROTEX-Patch zu sehen, und das hat sicher mehr gebracht, als ich es jemals hätte tun können! THE OUTCASTS haben jedenfalls sehr von dem Film profitiert, genau wie Terri selbst.
Der erste Abschnitt in der Geschichte von PROTEX endete 1981. Wie kam das?
PROTEX lösten sich 1981 auf. Wir hatten so vieles in einer so kurzen Zeitspanne erlebt, ausgiebig getourt, in verschiedensten Studios aufgenommen, viele unserer Helden getroffen und einen Einblick ins Musikgeschäft bekommen. Ich habe das Rock’n’Roll-Leben in London wirklich genossen, doch in den frühen Achtzigern veränderte sich die Szene wieder, es gab neue Trends wie Ska und später New Romanticism. Wir waren zu der Zeit auch nicht sonderlich zufrieden mit dem Album, das wir aufgenommen hatten und das nie veröffentlicht wurde. Polydor hatte unseren Vertrag nicht verlängert und es schien an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Dann kam David nach einem Wochenende in Belfast in unser Londoner Apartment zurück und eröffnete uns, er würde die Band verlassen. Ich tat kurz danach dasselbe, da ich das Gefühl hatte, die Sache sei erledigt. Ich ging zurück nach Irland, es fiel mir aber schwer, hier wieder mit allem klarzukommen.
Warum, wie und mit wem sind PROTEX 2010 wiedergekommen?
Das „Strange Obsessions“-Album von 1980 wurde 2010 von Sing Sing Records in New York veröffentlicht, und durch das Internet war nach so vielen Jahre noch Interesse an der Band spürbar. Ich fand das sehr merkwürdig. Ich war 2010 in einer Popband namens THE CHARMED, aber ohne ernsthafte Absichten. Außerdem spielte ich in einer Rock ’n’ Roll-Band mit dem Namen RUMBLEMAMBO, benannt nach einem Link Wray-Song, als David mich anrief und fragte, ob ich daran interessiert wäre, wieder zusammen mit ihm aufzutreten. Ich lehnte erst mal ab, aber nach ein paar Wochen entschied ich mich dann doch, der Sache eine Chance zu geben. Ich organisierte einen Schlagzeuger und einen Bassisten und traf mich mit Dave zur Probe im Studio. Ich hatte ihn seit 17 Jahren nicht gesehen. Als wir dann anfingen zu spielen, merkte ich erst wieder, wie sehr ich die Einfachheit und die Melodik unserer Songs mochte. Unser erster Auftritt mit den neuen PROTEX war anlässlich der Filmpremiere von „Good Vibrations“ in Belfast. Danach kamen immer mehr Anfragen und wir spielten auf dem Rebellion Festival in Blackpool, in Madrid, Japan, London und Deutschland. Leider verließ David die Band direkt nach dem Deutschland-Trip. Er hatte nun mit PROTEX alles erreicht, was er wollte. Ich entschied mich weiterzumachen, da es mir so guttat, wieder aufzutreten und zu touren. Also holte ich noch einen weiteren Musiker in die Band und im jetzigen PROTEX-Line-up ging es weiter. Wir haben erst mal so viel geprobt, wie wir konnten, und, was das Wichtigste ist, wir kommen alle sehr gut miteinander aus.
Was hast du all die Jahre bandmäßig und beruflich gemacht?
Ich habe über die Jahre in verschiedenen kleinen Bands gespielt. Ich habe studiert, halte als Teilzeitkraft Vorlesungen am Belfast Metropolitan College und führe nebenher ein Hotel. Bei PROTEX gibt es jetzt einen Architekten, einen Grafikdesigner, einen Sozialarbeiter und einen Hospitality-Manager.
Und was machen die früheren Mitglieder von PROTEX heute?
Paul ist in London geblieben und nie nach Belfast zurückgegangen. Er hat mit Merchandising zu tun und hat inzwischen seine eigene Firma. Owen ist nach der Trennung PROTEX auf die Uni gegangen und arbeitet jetzt für die BBC in Belfast, für die er einige großartige Radiodokumentationen gemacht hat. David hat eine lange Karriere im Bankwesen hingelegt und ist inzwischen im Ruhestand.
Stand gleich nach den ersten Konzerten fest, dass ihr auch ein neues Album aufnehmen würdet?
Wir haben überhaupt nicht daran gedacht, neue Sachen zu machen oder aufzunehmen. Jedenfalls nicht, bis wir bei unseren Shows in Tokio und beim SXSW von einer jungen Generation von Fans, nach neuem Material gefragt wurden. Wir haben dann realisiert, dass unsere Musik ein neues Publikum hat. Die mochten die alten Sachen, waren aber trotzdem an neuen interessiert. Das machte die ganze Geschichte umso aufregender für uns und gab der Band eine völlig neue Zukunftsperspektive.
Finden sich auf „Tightrope“ ausschließlich neue Stücke, oder basieren einige auf älteren Ideen?
Es sind alles neue Songs bis auf einen. Den habe ich 1980 geschrieben und er heißt „Without you“. Wir hatten damals ein Demo dafür aufgenommen. Für die neue Platte habe ich ihn etwas gekürzt und auf das Gitarrensolo verzichtet. Der Rest sind neue Songs, die ich letztes Jahr geschrieben, mit der Band geprobt und aufgenommen habe. Die Themen sind immer noch typisch PROTEX – es dreht sich um Gefühle, Beziehungen, die Liebe. Allerdings gibt es diesmal auch zwei Songs, die Stellung beziehen zu der aktuellen politischen Situation in Nordirland. Der Titelsong „Tightrope“ ist kurz vor dem Zusammenbruch der Lokalregierung in Stormont entstanden. Der Song „Truth“ behandelt ebenfalls unsere Lokalpolitiker und wie die Regierung Dinge unter den Teppich kehrt, die damals während des Nordirlandkonflikts passiert sind. Die Wahrheit ist immer noch nicht restlos aufgedeckt und vieles wird unterdrückt. Das unterscheidet sie von den schlichten Songs der frühen PROTEX.
Wo und wie habt ihr das Album aufgenommen? Der Sound ist so „klassisch“, dass ich dir wahrscheinlich geglaubt hätte, hättest du gesagt, es seien unveröffentlichte Aufnahmen aus den Siebzigern.
Es wurde hier in Belfast in den Earth Music Studios aufgenommen. Es hat einiges an Zeit in Anspruch genommen, das zwischen allen Bandmitgliedern zu koordinieren, da wir alle arbeiten und verschiedene Rahmenbedingungen mitbringen. Leider ist meine Mutter letztes Jahr verstorben, so dass die Aufnahmen erst mal gestoppt wurden und wir einen Termin in den USA absagten. Es war also ein langer Prozess. Die Sessions dauerten jeweils drei Stunden. Sobald die Drums für den jeweiligen Song fertig waren, wurden die anderen Instrumente im Kontrollraum anstatt im Studio hinzugefügt. Das ist eine andere Vorgehensweise, als wir sie zum Beispiel bei den Aufnahmen von „Strange Obsessions“ bei Chas Chandler hatten. Damals waren wir immer im Studio, spielten zusammen und profitierten voneinander. Danach wurden einige Overdubs hinzugefügt und zwei Sänger nahmen noch gleichzeitig Harmonien für die Vocals auf. Der Hauptunterschied bei „Tightrope“ ist vermutlich, dass es keinen wirklichen Produzenten gab – wir hatten die Zügel selbst in der Hand. Ich wusste genau, welchen Sound und welche Harmonien ich haben wollte. Außerdem wollte ich es minimalistisch, kein Klavier, keine Bläser oder so was. Es ging mir nur darum, dass die neuen Sachen nach PROTEX klingen, und ich denke, das haben wir geschafft.
Wie kommt es, dass ihr das Album bei Bachelor Records, einem österreichischen Label, herausbringt?
Elmar von Bachelor hat einige der besten Bands unter Vertrag und ist auch ein richtiger Fan. Außerdem weiß er genau, was er tut, und seine Vertragsbedingungen sind attraktiv. Er bezieht uns in jeden einzelnen Schritt des Gesamtablaufs mit ein und steht auf unsere Musik. Tatsächlich waren nur wenige andere Label interessiert. Manche wollten das Risiko eines neuen PROTEX-Albums nicht eingehen. Dafür bekam ich viele Angebote für Neupressungen von „Strange Obsessions“, da ihnen das als sicherere Investition erschien. Bachelor Records glauben an den PROTEX-Sound und haben außerdem einen hervorragenden Vertrieb; es war also sinnvoll, bei ihnen zu unterschreiben. Wir wurden auch in Belfast von einem Label gefragt, ob sie das Album herausbringen könnten, aber sie haben uns keine attraktiven Vertragsbedingungen unterbreitet.
Was ist mit euren alten Aufnahmen?
Die Neuauflage von „Strange Obsessions“ 2010 durch Sing Sing hat uns wieder zurück ins Bewusstsein der Leute gebracht. „Don’t ring me up“ – der erste Song, den ich jemals geschrieben habe – ist etliche Male von verschiedensten Labels wiederveröffentlicht worden. 2012 wurde er sogar in Japan herausgebracht, und erst letztes Jahr von Cherry Red in einem Boxset anlässlich von vierzig Jahren Punk.
Du stammst aus einem Teil der Welt, der viel unter Abgrenzung gelitten hat. Wie denkst du über das ganze Brexit-Wirrwarr, das auch Verhältnis von Nordirland mit der Republik Irland beeinflussen wird?
Ich für meinen Teil bin nicht für den Brexit. Ich möchte in der EU bleiben. So wie eigentlich jede tourende Band, falls die bisherige Reisefreiheit einschränkt werden sollte, durch Visa etc. Im Moment ist die ganze Sache noch sehr ungewiss. Außerdem möchte ich nicht, dass wir zu befestigten Grenzen und der Teilung unseres Landes zurückkehren. Ich erinnere mich zu gut, wie es hier vor dem gegenwärtigen „Frieden“ zuging. Aber natürlich sind viele meiner Mitbürger hier in Nordirland anderer Meinung.
Wann kommt ihr wieder nach Deutschland? Und wie hat es euch in Berlin und Hamburg bei eurem letzten Besuch gefallen?
Wir haben sowohl in Hamburg als auch in Berlin eine schöne Zeit verlebt. Es war unser zweiter Abstecher nach Deutschland und es war wunderbar. Die Konzerte waren sehr gut besucht – wir waren uns nicht sicher, wie es laufen würde, aber es war großartig. Wir haben viele tolle Leute getroffen. Wir würden gern noch mal wiederkommen, haben aber noch keine konkreten Verabredungen getroffen – vielleicht im Herbst oder Spätsommer.
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