PORK PIE

Foto© by Salzmann Fotografie / Mad Wolley

35 Jahre Ska, Ska, Ska!

Wieder einmal berichten wir anlässlich eines Jubiläums über das deutsche Ska-Urgestein Pork Pie und seinen Gründer Matzge aus Berlin. Neben dem 35-jährigen Jubiläum des wohl dienstältesten Ska-Labels in Deutschland, Pork Pie, gibt es noch einen Anlass für dieses Interview, der vor allem Freunden des Offbeats restless legs bereiten wird. Denn wir feiern die siebte Veröffentlichung der kultigen Compilation-Reihe deutscher Ska-Bands „Ska... Ska... Skandal! No. 7“!

14 größtenteils bislang unveröffentlichte Beiträge unserer Lieblinge sind hier versammelt. Mit dabei sind deutsche Ska-Größen wie THE BUSTERS, EL BOSSO & DIE PING PONGS, BLECHREIZ, BLUEKILLA, SKAOS oder NO SPORTS, aber auch jüngere Bands wie JOHNNY REGGAE RUB FOUNDATION oder THE NØ. Betrachtet das folgende Gespräch als eine Art Fortsetzung unserer bisherigen Beiträge mit oder über Matzge. Gemeinsam machen wir da weiter, wo wir vor etwa fünf Jahren aufgehört haben, blicken zurück, betrachten die Gegenwart und wagen einen kleinen Ausblick in die Zukunft der deutschen Ska-Szene. An dieser Stelle sei auch noch mal auf die umfangreiche Datenbank auf unserer Website ox-fanzine.de hingewiesen. Dort kann man sich über die früheren Umtriebe von Matzge und Pork Pie informieren, neben vielen Veröffentlichungen in den Reviews schmökern, alte und neue großartige Musik kennen lernen.

Matzge, bei unserem letzten Gespräch ging es unter anderem um neue musikalische Entwicklungen im Ska. Rückblickend habe ich den Eindruck, dass nach der dritten Ska-Welle alles wieder in traditionellere Bahnen gelenkt wurde.
Also nach meinem Empfinden kann man das so nicht sagen. Es gibt nach wie vor diese ganze Bandbreite von Traditional Ska, Early Reggae über 2Tone und 3rd Wave, bis hin zu knüppelhartem Ska-Punk. Diese enorme stilistische Bandbreite war ja schon immer das Problem, wenn man den Leuten erklären wollte, was Ska eigentlich ist, und es gibt ja auch die verschiedenen, teilweise unvereinbaren Lager dieser Subgenres. Bei Pork Pie setze ich mich gerne über solche stilistischen Befindlichkeiten hinweg und versuche, sie auf meinen Releases zu einer friedlichen Koexistenz zu vereinen. Sicherlich ist es kaum möglich und auch nicht zu erwarten, dass in einer großen vierten Ska-Welle das Rad noch einmal neu erfunden wird. Vielmehr sind es die kleinen, aber feinen Details und frischen Ideen, die dafür sorgen, dass Ska lebendig bleibt und sich weiterentwickelt.

Wie gut ist die deutsche Ska-Szene 2024 aufgestellt?
Mit Blick auf das Line-Up des „Ska... Ska... Skandal! No. 7“ finde ich die Ska-Szene eigentlich sehr gut und vielfältig aufgestellt. Wenn man den Vergleich zum „Ska... Ska... Skandal! No. 1“ zieht, liegen da Lichtjahre dazwischen, was den Sound und auch das Songwriting angeht. Die Bands sind viel professioneller geworden. Allerdings ist es heutzutage extrem schwierig geworden, so einen Kultstatus wie Anfang der 1990er Jahre zu erreichen. Ich befürchte leider auch, dass wir hier in Deutschland ein veritables Nachwuchsproblem haben. An wirklich jungen deutschen Bands fällt mir im Moment keine ein, wo ich sagen würde, geiler Scheiß, die werden noch mal richtig abräumen. Ich denke, die Generation U30 interessiert sich eher für andere Genres. Es gibt ein paar „jüngere“ Bands, die es noch nicht so lange gibt und die sehr gute und abgefahrene Sachen machen. Zum Beispiel THE NØ, die beim This is Ska Festival 2022 den Rekord von 26 unplugged Sets gespielt haben. JOHNNY REGGAE RUB FOUNDATION, die als Duo angefangen haben, mit pedalbedienbaren mechanischen Drums, Gitarre und Orgel, und mittlerweile eine komplette Ska-Band sind. Oder Judge Dread Memorial, der entweder zum Playback oder auch mit seiner Band THE STEADYTONES eine großartige Judge Dread-Cover-Show bietet, aber auch Ikonen wie Stranger Cole mit seiner Band begleitet.

Inwieweit ist der „Spirit of ’69“ noch aktuell oder eher nur noch etwas für Nostalgiker, wenn man sich die Skinheadkultur anschaut? Spielt das für heutige Ska-Bands noch eine große Rolle?
Wenn man sich die entsprechenden Konzerte und Festivals anschaut, merkt man schon, dass die Szene älter geworden ist, insofern spielt Nostalgie eine Rolle. Auch im Publikum fehlt ein wenig die Generation U30, dafür sieht man auf Festivals inzwischen aber auch gut gestylete Rudeboy-Familien mit ihren kleinen Kindern oder auch die traditionellen „Altglatzen“. Bei den Bands selbst ist der Spirit of ’69 natürlich noch sehr präsent und ohne den Bezug auf diese Tradition würde der Musik auch die komplette Basis fehlen.

Du hast 1989 die deutsche Ska-Compilation-Reihe „Ska... Ska... Skandal!“ ins Leben gerufen. Im Juni erschien nun der siebte Sampler, der im Wesentlichen die Bandbreite der Bands der ersten Zusammenstellung von 1989 hat. Erzähl doch mal über den Entwicklungsprozess. Seit wann hast du daran gearbeitet und wie hat sich alles zusammengefügt?
Das ist eine irre Geschichte. Bei SKANDAL ALLSTARS haben sich 2023 auf Initiative von BLECHREIZ-Sänger Chris Proofley zusammen mit den NO SPORTS und Booker Franze vom This is Ska Festival einige der Leadsänger der ersten „Ska... Ska... Skandal!“-Sampler zusammengetan. So kamen dann noch Mad Wolley von SKAOS, Ras Meyer von MOTHERS PRIDE, Joe Scholes von THE BRACES und last but not least Dr. Ring Ding als Vertreter von EL BOSSO & DIE PING PONGS dazu. Ursprünglich wohl nur für eine „Skandal!“-Revue auf dem This Is Ska Festival 2023 und ohne mein Wissen und Zutun. Als ich davon erfuhr, entstand die Idee, eine Art „Best Of Ska... Ska... Skandal!“ zu machen, auf dem die herausragendsten Tracks aus dieser Zeit noch einmal veröffentlicht werden sollten. Chris Proofley hat dann ein Cover entworfen, eine dieser kultigen Zeichnungen, und damit den Pflock für „Ska... Ska... Skandal! No. 7“ eingeschlagen. Allerdings war das letztendlich zeitlich bis zum SKANDAL ALLSTARS-Konzert auf dem This is Ska Festival 2023 nicht mehr umsetzbar. Nun war es aber so, dass die SKANDAL ALLSTARS-Revue so gut lief, dass es im November ein weiteres Konzert beim Dynamite Ska gab. Und dieses geile Cover war ja jetzt nun schon mal da. Was also damit machen? Nach reiflicher Überlegung, die sich bis ins Frühjahr 2024 hinzog, wollte ich dann doch lieber einen wirklich neuen „Ska... Ska... Skandal!“-Sampler machen. Die No. 6 war ja schon neun Jahre her und in der Zwischenzeit hat sich die Szene enorm weiterentwickelt. Wirklich allerhöchste Eisenbahn für No. 7, die dann aber auch unbedingt bis zum This is Ska Festival 2024 fertig sein sollte. Im März habe ich endlich den großen Rundruf bei allen mir bekannten und aktiven Bands gestartet, von denen ich mir einen Beitrag gewünscht hätte. Das Konzept des Samplers ist ja, dass eigentlich nur unveröffentlichte Songs drauf sein sollen, also etwas Exklusives und keine Zweitverwertung. Tatsächlich haben sich dann die 14 Bands gemeldet, die jetzt auf dem Sampler sind. Die meisten haben sich tatsächlich extra dafür ins Tonstudio eingemietet und einen ganz neuen Song aufgenommen. Oder sie hatten noch was „in der Schublade“, das noch nie auf Platte veröffentlicht wurde. Ich war total überwältigt, mit welchem Engagement die Bands an die Sache herangegangen sind und was für tolle Songs dabei herausgekommen sind. Und tatsächlich, zur Deadline am 2. Mai waren alle Mastertapes fertig. Diamanten entstehen eben nur unter hohem Druck. Was die Bandbreite der Bands angeht, möchte ich ein wenig widersprechen. Waren bei den ersten Compilations doch eher die schnelleren Songs im 2Tone oder 3rd-Wave-Ska angesiedelt, sind jetzt auch einige erstklassige Traditional-Ska- und Reggae-Tunes zu hören.

Mit vielen der Bands auf No. 7 hast du seit 35 Jahren Kontakt. Was macht diese Bands für dich so besonders?
Ich beschränke mich jetzt auf die Bands, die ich definitiv schon seit mindestens 1989 kenne. BLECHREIZ haben den Ska-Kult in Berlin mitbegründet, waren Ideengeber für die Corporate Identity und das Artwork der „Ska... Ska...Skandal!“-Sampler und des Labels Pork Pie und sind bis heute aus unserer Szene nicht wegzudenken. Auf dem 1. Berliner Ska-Festival im Quartier Latin habe ich SKAOS zum ersten Mal gesehen und war so begeistert, dass ich ein Ska-Label gründen wollte. Es folgte das erste One-Artist-Album auf Pork Pie und wir sind bis heute gute Freunde geblieben. THE BUSTERS sind ganz großes Kino und eine präzise Ska-Maschine. Ich durfte zwei Alben veröffentlichen und sie auf ihrer Japantour begleiten. EL BOSSO & DIE PING PONGS, „Immer nur Ska“, mehr brauche ich da nicht zu sagen. NO SPORTS haben mit „King Kong“ und „Stay rude, stay rebel“ Ska-Geschichte geschrieben, sind zu ihren Wurzeln zurückgekehrt und bilden als Backing-Band das Rückgrat der SKANDAL ALLSTARS. Ich freue mich sehr, dass wir alle nach 35 Jahren und vielen Höhen und Tiefen immer noch gute Freunde sind.

Inwieweit könnten die SKANDAL ALLSTARS eine feste Institution werden, um die Beiträge deutscher Ska-Bands für die Zukunft zu sichern?
Wie schon erwähnt, waren die Reaktionen auf die beiden SKANDAL ALLSTARS-Konzerte unglaublich gut. Offensichtlich hat sich die Ska-Crowd danach gesehnt, endlich wieder die Hits aus den frühen Jahren des Ska made in Germany, in Bestform zu erleben. Außerdem wurde mir berichtet, dass am Vortag bei den gemeinsamen Proben für den Auftritt beim This is Ska Festival, eine unglaublich tolle Stimmung und ein Gemeinschaftsgefühl unter den beteiligten Musikern entstanden sei. Insofern stehen die Chancen also nicht schlecht, dass wir auch in Zukunft immer mal wieder das Vergnügen haben werden, die SKANDAL ALLSTARS live zu erleben.

Wenn du die Entwicklung der deutschen Ska-Szene seit 1989 so Revue passieren lässt, welche Prognose würdest du für die nächste Jahren abgeben und was ist nach „Ska... Ska... Skandal! No. 7“ noch auf Pork Pie zu erwarten?
Schwer zu sagen. Es lässt sich leider nicht wegdiskutieren, dass wir derzeit ein Alterungsproblem haben. Wenn man sich die Festivals anschaut, sieht man, dass vor allem die jamaikanischen Urgesteine des Ska nach und nach aus Altersgründen nicht mehr auftreten können oder bereits verstorben sind. Man wird sich also umorientieren müssen, was das Line-up angeht, und versuchen, jüngeren Acts mehr Raum zu geben. Im Moment sehe ich da eher England vorne mit Bands wie DEATH OF GUITAR POP, DAKKA SKANKS oder den hierzulande schon viel bekannteren BUSTER SHUFFLE, die ja auch 2024 beim This is Ska-Festival gespielt haben. Ob es eine echte vierte Ska-Welle geben wird? Zu hoffen wäre es, vielleicht in ein paar Jahren. Generiert von künstlicher Intelligenz.

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Steckbrief
Matzge, Pork Pie

Aufgewachsen in Reutlingen (aktuelle Werbekampagne: „Leben, wo keiner Urlaub macht!“), immerhin früh genug, um die Protagonisten des Spirit of ’69 bewusst zu erleben. Mit 14 die erste Band gegründet. 1978 nach Berlin abgehauen, viel gefeiert, die 2Tone-Ära miterlebt, Bands unter anderem im legendären Loft live abgemischt und die eigene Band PANZERKNACKER AG gegründet. 1981 zusammen mit Jörg Fukking das erste eigene Label Schnick-Schnack Tonträger gegründet und im ersten eigenen Vierspur-Kellerstudio unter anderem den legendären Fun-Punk-Stimmungssampler „20 schäumende Stimmungshits“ mit DIE TOTEN HOSEN, SUURBIERS und DEUTSCHE TRINKERJUGEND und die ersten Platten der Band DIE ÄRZTE produziert.
1984 folgte die Gründung des Labels Vielklang, auf dem Bands unterschiedlicher Musikrichtungen veröffentlicht wurden. 1987 Gründung der Vielklang GmbH als „Mutterschiff“ diverser Labels und des Vielklang Tonstudios, in dem später unter anderem BAD MANNERS, THE BUSTERS, EL BOSSO & DIE PING PONGS, Derrick Morgan, SKAOS, SPITFIRE oder THE TOASTERS aufnahmen.
1989 Gründung des Labels Pork Pie mit dem ersten deutschen Ska-Sampler „Ska... Ska... Skandal! No. 1“ unter dem Dach von Vielklang. 1993 Gründung des (Ska-)Musikverlags Fab Squad Publishing. In all den Jahren mit Bands und Künstlern wie Laurel Aitken, BABYLOVE & THE VAN DANGOS, BAD MANNERS, BENUTS, BERLIN BOOM ORCHESTRA, BLASCORE, BLECHREIZ, BLUEKILLA, THE BUSTERS, DALLAX, DISTEMPER, Dr. Ring Ding, EL BOSSO & DIE PING PONGS, THE FRITS, JOHNNY REGGAE RUB FOUNDATION, LEO & THE LINEUP, LIBERATOR, LIONSCLUB, Derrick Morgan, MASONS ARMS, MR. REVIEW, NAPOLEON SOLO, NO LIFE LOST, NO SPORTS, RINGO SKA, SKAOS, SPITFIRE, THE SKALATONES, STAN OR ITCHY, THE TOASTERS, Tommy Tornado, THE VALKYRIANS, THE VENTILATORS, YEBO, YELLOW CAB und YELLOW UMBRELLA gearbeitet.
Nach dem Ende von Vielklang das Label Pork Pie seit 2004 als Einzelunternehmen geführt. Japantouren mit THE BUSTERS und SKAOS, immer mit viel Leidenschaft dabei, um neue, spannende und gerne auch schräge Ska-Veröffentlichungen zu realisieren.