Es ist wunderbar, dass man sie immer noch findet: diese kleinen, halbstündigen Plattenperlen, die sich scheinbar mühelos einen festen Dauerrotationsplatz erobern. Einen solchen Fall stellte bei mir in den letzten Wochen und Monaten das fantastische "101"-Album der schwedischen PLASTIQUES dar. Im Jahr 2001 von Sänger/Gitarrist Magnus Sellergren und Schlagzeuger Jonas Berg gegründet, hat die Band seitdem mit wechselnden Bassisten die ebenso grandiose Single "Shoplifting" auf Radio Blast und besagtes Album auf P.Trash Records rausgebracht. Was lag also näher, als Bandleader Magnus mal auf den Zahn zu fühlen? Der erwies sich als eloquenter Gesprächspartner, der nicht nur über THE PLASTIQUES viel zu erzählen hatte, sondern auch über seine alte Band THE DIALTONES, dem schwedischem Kleinstadtleben und seinen interessanten persönlichen Projekten.
Magnus, ich hab schon öfter von einer seltsamen Verbindung zwischen den PLASTIQUES und den RAMONES gehört. Was steckt dahinter?
Stimmt, unsere erste Probe fand am Tag statt, an dem Joey Ramone starb, unser Live-Debüt war am selben Tag, an dem sich Dee Dee eine Überdosis setzte, und während der Sessions für unsere Platte segnete dann Johnny das Zeitliche.
Das Album ist auch den dreien gewidmet, hört sich aber nur bedingt nach den RAMONES an. Es ist zwar simpel und cool, variiert aber viel mehr Spielarten und ist voll gepackt mit liebevollen Reminiszenzen an 50 Jahre Rock'n'Roll-Geschichte.
Das Album ist tatsächlich ein kleines Sammelsurium aus 50 Jahren Rock'n'Roll, das ist auch der Grund, warum wir es "101" genannt haben. Es soll so etwas wie unser erster Teil - die erste Lektion - sein. Ein Fundament von Spielarten, die widergeben, warum wir das Ganze machen. Ich höre alles Mögliche an Musik: Rock'n'Roll, Rockabilly, Surf, Pop, Punk, Beat, Garage, 60s R&B, Soul und Glam, und das möchte ich alles in meine eigene Musik einbringen.
Um eine der Reminiszenzen auf dem Album aufzugreifen: Wurdet ihr mittlerweile von den KINKS verklagt?
Nein. Ich bezweifle auch, dass Monsieur Davies je von uns gehört hat. Aber falls doch und falls ihn Lieder wie "Beat beat ..." oder "By your side" stören, kann er damit nicht wirklich vor Gericht ziehen, denn auf unserem Album ist wirklich nichts geklaut. Auf jeden Fall nicht absichtlich ... Diese Riffs gelten heutzutage als Klassiker und wir sollten nicht vergessen, dass eine Menge englischer und amerikanischer Beat-Bands genauso von schwarzen Musikern gestohlen haben. Ohne einen Jimmy Reed hätte es kein "My generation" gegeben.
Zuerst sollte Tom van Laak mit Radio Blast Records die Platte rausbringen. Jetzt ist die CD aber auf P.Trash Records erschienen. Gab es dafür bestimmte Gründe?
Stimmt, das Album wurde für Radio Blast aufgenommen und von Tom bezahlt, aber er hat seine Meinung später geändert. Er sagte, er könne nicht voll hinter der Platte stehen, und das ist für mich ein nachvollziehbarer Grund. Also bot er es anderen Labels an und letztlich hat P.Trash zugeschlagen. Es gab kein böses Blut, und ehrlich gesagt, bewundere ich Toms Ehrlichkeit. Ein Label sollte immer zu einhundert Prozent hinter jeder Platte stehen, die es rausbringt.
Außer dem deutschen Label wurde das Album auch in Köln von Paul Grace Smith von DUMBELL aufgenommen. Mögt ihr Deutschland?
Sicher, denn ich habe das Gefühl, Schweden entwickelt sich durch allerlei Konservativismus und Rechtsradikalismus immer weiter zurück. In Deutschland scheint mir alles eher "Laissez-faire" zu sein, es mischt sich nicht jeder in anderer Leute Angelegenheiten. Der Grund, warum wir Köln für die Aufnahmen gewählt haben, war der, dass Studios in Schweden ein Albtraum sind. Du verschwendest die Hälfte der Zeit damit, Leuten, denen du tausend Euro am Tag zahlst, Punkrock zu erklären. Wir hatten auch vor, in die Toe Rag Studios in London zu gehen, aber nachdem die WHITE STRIPES dort aufgenommen hatten, sind die Preise explodiert. Also brachte Tom uns mit Paul zusammen, der erzählte uns vom Kölner Rauschraum-Studio und wir fuhren für eine Woche hin. Paul erwies sich für die Zusammenarbeit wirklich als toller Kerl! Ihm musste ich nichts erklären, weil er das Ding schon seit circa 25 Jahren macht.
Habt ihr während der Aufnahmen in Deutschland live gespielt beziehungsweise spielt ihr ansonsten viele Shows in Schweden?
Wir sollten einen Gig während der Albumaufnahmen spielen, aber der
ist ausgefallen. THE PLASTIQUES sind bisher nicht wirklich getourt, nur ein paar Shows hier und da. In Schweden bist du ziemlich auf dich allein gestellt, falls du keine Heavy Rotation und Werbung im kommerziellen Musikfernsehen hast. Sogar die so genannte Untergrundbewegung in Schweden ist "trendy" und ich glaube, ich bin dafür einfach nicht hip genug, verdammt. Vergiss Schweden, wen kümmert überhaupt Schweden?
THE PLASTIQUES kommen aus Göteborg, oder? Gibt es neben euch noch andere empfehlenswerte Bands in der Gegend?
Nein, die PLASTIQUES kommen aus der kleinen Industriestadt Ljungby in Südschweden. Der Ort bietet nicht viel mehr als Besäufnisse und Schlägereien an den Wochenenden. Manch einer wird das hassen, aber ich habe mittlerweile festgestellt, dass es für mich dadurch viel einfacher ist, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Hier sind auch viele Drogen im Umlauf. Pot und Amphetamine sind zwar typisch für eine konservative Region, aber da gibt es mittlerweile einen spürbaren Anstieg. Mittlerweile kommt viel Heroin dazu, aber dafür können wir uns europaweit wohl bei George W. bedanken, wo sich doch die afghanische Heroinproduktion nach der "Befreiung" durch die USA um circa 900 Prozent erhöht hat. Hohlköpfige Neonazis gibt es hier natürlich auch, wie du also siehst, ist meine Heimat eine kleine, elende Stadt am Ende der Welt. Dank eines neuen Tattoo-Studios - Black Magic Tattoo - kommen hier im Moment aber eine Menge Kids mit dem wirklichen Untergrund-Punkrock-Ding in Kontakt.
Wie sieht's allgemein mit der schwedischen "Szene" aus?
Ich stehe mit niemandem mehr in Kontakt und kümmere mich nicht darum, was andere Leute tun. Letztens habe ich eine neue Blues-Punk-Combo, DELTAHEAD, aus dem hohen Norden gehört und die sind okay, aber wirken auch ein wenig wie THE OBLIVIANS, nur zehn Jahre zu spät. HENRY FIATS OPEN SORE haben es noch verdient, erwähnt zu werden. Heutzutage, wo durchschnittliche Punkbands ungefähr so gefährlich wirken wie ein lauwarmes Glas Wasser, ist es echt nett, diese Bekloppten so laut wie möglich aufzudrehen, bis man Nasenbluten bekommt. Sie haben uns übrigens unseren ersten Gig besorgt, also: Dankeschön, Henry Fiat!
Kurz vor einer Europatour mit den DIRTSHAKES, auf die ich mich sehr gefreut hatte, hat sich deine damalige Bands THE DIALTONES aufgelöst. Was war passiert?
Wollen wir wirklich diese alte Geschichte aufwärmen? Na ja, was zu dem Split der DIALTONES geführt hat, setzt sich letztendlich aus drei Dingen zusammen. Zuallererst hatte ich das Gefühl, dass wir uns künstlerisch zu sehr in eine Ecke manövriert hatten. Das kannst du gut auf der "Four Last Blasts!"-EP hören, dieses Lauter-und-schneller-Ding wurde immer ermüdender. Der zweite Grund war, dass ich zu der Zeit in der schlimmsten Beziehung steckte, die man sich vorstellen kann, und das hat mich total runtergezogen und fast in den Wahnsinn getrieben. Drittens gab es da dieses Arschloch, dessen Namen ich hier nicht erwähnen werde, aber wir können ihn gerne "den Profi" nennen. Wir haben ihn als Drummer für unseren US-Trip angeheuert, mit der Vorgabe, direkt danach die Deutschlandtour zu absolvieren. Er sagte "Sicher", wir kamen aus den Staaten zurück, als er uns in der letzten Sekunde sitzen ließ. Um es auf die Spitze zu treiben, besaß das Stück Scheiße noch die Frechheit, sich das Maul über mich zu zerreißen. Er hat eine Menge Leute hängen lassen: uns, die DIRTSHAKES, die Veranstalter. Nachdem die gesamte Tour abgesagt wurde, sagte unser Bassist, dass er lieber zu Hause mit seiner Freundin Weihnachten feiern würde, anstatt die Band zu retten. Das war der Punkt, an dem ich mir sagte: "Fuck it!" Ich möchte mich auf diesem Weg öffentlich bei Jenz Bumper und den DIRTSHAKES bedanken und entschuldigen! Sie haben eine Menge wunderbarer Arbeit geleistet, für die ich sehr dankbar bin. Es tut mir auch Leid, dass du unsere Tour verpasst hast, ich hab mich damals genauso darauf gefreut wie du ...
Was können wir in Zukunft von den PLASTIQUES erwarten? Gibt es Pläne für neue Aufnahmen oder Sonstiges?
Was die Band angeht, weiß ich im Moment nicht genau, was die Zukunft bringt. Ich werde wohl sehr bald eine Solo-EP rausbringen auf einem kleinen schwedischen Label. Sie klingt ein wenig wie die PLASTIQUES, nur viel poppiger. Wer unsere erste Single mochte, wird dieses Ding auch mögen. Außerdem halte ich immer nach Bands Ausschau, die ich produzieren kann. Wer Interesse hat, kann mich gerne kontaktieren. Wenn ihr die Reisekosten übernehmt und sicherstellt, dass ich immer genug Zigaretten und Kaffee zur Verfügung habe, soll euch das nicht mehr als einen Sixpack und einen Blowjob kosten. Allerdings bin ich momentan nebenher auch noch permanent mit vielen anderen Sachen beschäftigt ...
Die da wären?
Ich stoße mir gerade die Hörner im Filmbusiness ab. Bis jetzt habe ich vier Drehbücher geschrieben und ich versuche gerade, sie zu verkaufen. Andreas Banke, der Regisseur von Schwedens erstem Vampirfilm - siehe frostbiten.se -, hat sich neulich bei mir gemeldet und könnte an etwas interessiert sein. Dank meiner wahnsinnigen Phrasendrescherei in meinem Blog ist mittlerweile auch ein Verleger daran interessiert, etwas als Buch veröffentlichen, und dafür sollte ich wirklich mal meinen Arsch hochkriegen.
Aber wenn du schon so ein vielbeschäftigter Mann bist, warum musst du dann sogar die Bandfotos alleine absolvieren? Oder sind THE PLASTIQUES jetzt eine One-Man-Band?
Nein, aber die anderen Bandmitglieder sind wahnsinnig hässlich und höllisch faul!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und Bernd Fischer
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #62 Oktober/November 2005 und Bernd Fischer