PAGANS

War früher alles besser, auch Punkrock? Man könnte es manchmal meinen, aber ganz so pessimistisch wollen wir dann doch nicht sein. Mit den PAGANS jedenfalls bescherte Cleveland, Ohio anno ´77 nach und neben PERE UBU, DEVO und den DEAD BOYS noch eine weitere Band, die zwar nie so "berühmt" wurde wie die drei anderen, die aber doch mit zum besten gehört, was je an Punk da draussen unterwegs war. Auf Crypt Records ist jetzt eine auf zwei CDs bzw. LPs verteilte nahezu komplette Werkschau der Band erschienen, was ich zum Anlass nahm, mich mit dem einstigen Frontmann Mike Hudson über damals und heute zu unterhalten. Ich bestehe übrigens darauf, dass jeder von euch vor dem Lesen dieses Interviews den PAGANS-Überhit "What´s this shit called love?" von der aktuellen Ox-CD - meiner Meinung nach einer der besten Punk-Songs ever! - auf maximaler Lautstärke hört. Danke - und Go!

Mike, du bist ein Kollege, wie ich festgestellt habe.


Ja, ich bin Redakteuer bei einer Wochenzeitung. Ich bin jetzt seit 25 Jahren im Zeitungsgeschäft, und vor einigen Jahren habe ich dann eben meine eigene Zeitung gegründet. Ich arbeitete zu Anfang in Cleveland, dann im Nordwesten von Pennsylvania, in New York City und fing dann vor drei Jahren bei der Tageszeitung hier in der Stadt an. Ein Geschäftsmann hier aus der Stadt fragte mich dann, ob ich nicht Lust hätte, eine Wochenzeitung zu gründen, und hier bin ich.

Was für eine Zeitung ist das? Eine Szene-Programmzeitschrift oder was?


Nein, wir berichten über Kriminalität, Politik und Sport. Weisst du, Niagara Falls ist echt ein Zoo: jede Menge Organisierte Kriminalität, korrupte Polizisten und so weiter, die Themen gehen dir hier nie aus.

Niagara Falls - gehe ich recht in der Annahme, dass die Stadt direkt an den berühmten Wasserfällen liegt?

Genau da!

Da, wo die ganzen Leute ihre Flitterwochen verbringen.

Die Frischverheirateten und die Selbstmörder kommen hierher. Während der Touristensaison haben wir davon zwei bis drei jede Woche. Die springen einfach runter. Das geht schon seit zig Jahren so. Früher war da sogar mal jemand am unteren Ende der Fälle, der sein Geld damit verdiente, die Leichen zu bergen: der bekam dafür $50 pro Nase.

Das klingt nach jeder Menge guter Geschichten.

Mann, das ist ein Trip!

Wie kommt´s, dass du in diesem Bereich des Journalismus arbeitest und nicht ein Musikschreiber geworden bist?

Man verdient einfach mehr Geld. Die ganzen Musikschreiber, die ich kenne, verdienen alle nicht besonders gut, aber klar, dafür kommen sie umsonst auf Konzerte und bekommen Platten. Ich fing mit 21 an für eine Zeitung zu schreiben, und das ist so ziemlich alles, was ich kann, wofür ich Geld bekomme.

Wie stehst du denn heute zu Punk, wie "punk" bist du heute noch? Ich meine, als Zeitungsmacher in einer kleinen Stadt hast du doch heute genau mit den Leuten zu tun, die sonst als erstes auf die Punks schimpfen: die Geschäftsleute, die Polizei und so weiter.

Haha, ich weiss, das ist irgendwie lustig. Vor zwei Wochen war in Cleveland ein Konzert, wo mich die Veranstalter eingeladen hatten auf der Bühne die Bands anzukündigen. Ich nahm meinen Geschäftspartner mit nach Cleveland, der ist ganz normal, sitzt hier im Gemeinderat und so, und der fand sich plötzlich in einem Saal mit 700 Punks zwischen 18 und meinem Alter. Naja, es war echt witzig, hehe, denn ich hatte anfangs schon etwas Angst um ihn, aber als ich mich nach ihm umschaute, stand er mit drei Typen mit Iro und Lederjacke in einer Ecke und unterhielt sich angeregt. Ich meinte nachher nur zu ihm, dass er ja wohl echt ein guter Politiker sei.

Würdest du denn sagen, dass du dir im Jahr 2001 noch irgendwie eine Punk-Attitude bewahrt hast?

Naja, wenn du eine Ausgabe meiner Zeitung sehen würdest, würdest du mir sicher zustimmen, dass ich mir einiges an Punk-Spirit bewahrt habe. Wir stehen der Regierung sehr kritisch gegenüber, wir beschäftigen uns mit ungeklärten Mordfällen und seltsamen Ereignissen. Auch wenn sich die Zeitung nicht direkt mit Punk und Musik beschäftigt, so denke ich doch, dass sie für einen guten Teil der Ideen und Einstellungen steht, die auch hinter Punk stehen.

Hörst du heutzutage noch Punkrock?

Ab und an höre ich mir mal alte Sachen an, und gelegentlich kaufe ich mir auch mal eine neue Platte. Unlängst habe ich mir das letzte OFFSPRING-Album gekauft, und gelegentlich schicken mir Leute von Bands hier aus der Gegend ihre Platten. Ich höre mir das an, aber ganz ehrlich, Musik spielt in meinem Leben nicht mehr die Rolle wie damals, als ich 21 war. Joey Ramone ist letzte Woche gestorben, und da habe ich mir dann erstmal die ganzen alten RAMONES-Sachen angehört. Ansonsten... Lass mich mal eben auf mein Regal schauen: da stehen die CHESTERFIELD KINGS, OFFSPRING, SHAGGY, ICE CUBE - ich höre auch viel Rap, gerade ICE CUBE. Ich finde, dass viel von der Energie und der Wut, die 1977 Punk auszeichnete, heute im Rap zu finden ist. Viele der Punkbands haben zwar die "richtigen" Frisuren und Klamotten und ihr "Stil" stimmt, aber über Politik äussert sich heute keine mehr so, wie das damals gemacht wurde.

Wenn ich nur Bands wie BLINK 182, BLOODHOUND GANG oder LIMP BIZKIT sehe, könnte ich schon kotzen: die haben alle diesen "punky look" und sind pseudorebellisch, aber da steckt keine Substanz dahinter und die sind völlig ungefährlich.

Damit hast du den Nagel auf den Kopf getroffen: no danger! Als wir 1978 erstmals auf Tour gingen, kamen wir in Käffer, wo kein Schwein die geringste Ahnung hatte was Punk ist. Wir sollten dann in Bikerkneipen spielen, voll mit Hell´s Angels. Es gab ständig Prügeleien, es war einfach gefährlich ein Punk zu sein.

Würdest du dich selbst als Überlebenden bezeichnen?

Angesichts der Anzahl toter Freunde bin ich das wohl.

In was für einem Umfeld habt ihr die PAGANS damals gegründet?

Die ganze Sache war für mich einfach völlig unglaublich. Ich hatte damals so viel Spaß wie danach kaum wieder in meinem Leben. Warum? Weil wir etwas völlig Neues machten. Ich rede von der Zeit, bevor es in jeder Stadt einen Indie-Plattenladen gab, bevor es einen Underground-Club gab. Man hatte eher das Gefühl, vollkommen unbekanntes Terrain zu erkunden, und es war ein gutes Gefühl. Cleveland war damals eine Industriestadt, die Ende der Siebziger einen Großteil ihrer Fabriken einbüßte und in der eine sehr hohe Arbeitslosigkeit herrschte. 1978 musste Cleveland als erste Großstadt seit der Great Depression ihren Bankrott erklären. Wir hatten damals mit Dennis Kucinich einen Bürgermeister, der heute Mitglied des US-Kongress ist und damals so nah an einem Kommunisten dran war wie das eben in den USA möglich ist, wenn man als Politiker akzeptiert werden will. Die wollten damals zum Beispiel die Stadtwerke verkaufen, was er stoppte, unterstützt von einer Kampagne, bei der ein riesiges Banner aufgehängt wurde auf dem stand "Power to the people". Damals sperrten die Banken der Stadt all ihre Konten, und einen Tag später überfiel der jüngere Bruder des Bürgermeisters, der selbst auch einige Probleme hatte, eine dieser Banken. Das war eine beinahe schon surreale Szenerie, in der sich Bands wie wir, PERE UBU, die DEAD BOYS und DEVO bewegten. Die CRAMPS hingen oft in der Stadt rum, DESTROY ALL MONSTERS waren da, die Band von Ron Asheton von den STOOGES und Mike Davis von MC 5. Wir spielten in den immer gleichen Kneipen, 40, 50 Leute kamen, und die Besitzer waren zufrieden, denn sonst kam überhaupt niemand. Mehr war da nicht, und wir machten Singles, machten halt die Band, weil wir so gelangweilt waren und sonst sowieso nichts anderes zu tun hatten.

Ein Songtitel wie "Dead end America" bringt die damalige Situation also auf den Punkt.

Ja, absolut. In England sah es zu dieser Zeit in manchen Landesteilen auch nicht besser aus, was sich wohl auch auf die Musik der Punkbands von dort auswirkte, während der Vibe in Städten wie New York, Los Angeles oder San Francisco doch ein ganz anderer war. Dort gab es ein Showbusiness, dort war Punk durchaus auch ein Trend, ein Modeding.

Du hast eben mit PERE UBU, DEVO oder DEAD BOYS Bands erwähnt, die heute legendär sind.

Ja, ich weiss, und weisst du was? Es gab Konzerte, da spielten die alle an einem Abend zusammen in einem Laden wie dem "Pirate´s Cove": UBU, DEAD BOYS und wir. Wir waren alle sehr verschieden, musikalisch und von unseren Klamotten und vom Verhalten her, aber es war doch ein Ding. Das ist es auch, was ich an der heutigen "Szene" nicht verstehe: entweder ist es ein Metalkonzert oder Hardcore oder sonstwas, aber es vermischt sich nicht. Damals waren die Grenzen zwischen den verschiedenen Musikstilen noch nicht gezogen. Was uns anbelangte, so versuchten wir trotz aller Schwierigkeiten unseren Humor zu bewahren. Ich denke an einen Song wie "I juvenile" oder andere frühe Songs: die waren eigentlich eher lustig, die hatten so diesen Unterton "Es ist zwar alles Scheisse, aber was habe ich damit zu tun?".

Ich finde es übrigens erstaunlich, wie viele Bands bis heute die PAGANS covern.

Das fing Ende der Achtziger an, und ich weiss von Bands aus Italien, Australien, Japan und noch zig anderen Ländern sowie aus den USA, die unsere Lieder spielen. Ich empfinde das als eine Ehre. Manchmal schicken mir die Leute ihre Coverversionen, und ich habe auch ein Tape hier, das ungefähr eine Stunde lang ist und nur PAGANS-Coversongs enthält. Für mich ist das okay, ich will dafür auch kein Geld, denn wir haben damals ja auch jede Menge Coverversionen gespielt. Sowas macht man ja aus Respekt vor einer Band, um andere davon zu überzeugen, sich doch vielleicht auch mal diese Band anzuhören. Nimm etwa "Little black egg", das kannte damals niemand ausserhalb von Cleveland, das war in den Sechzigern ein lokaler Hit.

Auf Crypt gibt es jetzt diese Rereleases. Wie kam´s dazu, was hat´s damit auf sich?

Ingesamt sind da 70 Songs von uns drauf, darunter alles, was wir je im Studio aufgenommen haben in den Jahren ´77 bis ´83. Manche Songs sind auch mehrfach enthalten, es gibt unveröffentlichte Liveaufnahmen, und ich hätte mir nur noch gewünscht, dass auch unsere Aufnahmen aus den späten Achtzigern enthalten wären, aber Crypt wollten das nicht. Abgesehen davon ist es aber eine sehr umfassende PAGANS-Sammlung, die meinen Segen hat.

Du hast eben die späten Achtziger erwähnt: in der Tat gab es die Band damals ja nochmal für kurze Zeit. Wie kam es dazu?

1986 war in Minneapolis die "Buried Alive"-Platte erschienen, 17 Songs auf Vinyl. Die Scheibe verkaufte sich gut und bekam gute Besprechungen, und plötzlich kamen Leute an und boten uns Geld an für Konzerte. Wir dachten uns was soll´s und spielten, wobei es schon interessant war zu sehen, dass wir zwischen ´77 und ´82 mit viel Glück mal vor 50 Leuten auftraten, ausser natürlich wenn wir mal für die RAMONES den Opener machen durften. Im besten Falle hatten wir mal 200 oder 300 Zuschauer, und plötzlich spielten wir überall in den USA als Headliner, die Shows waren ausverkauft. Ich muss sagen, das war schon sehr schön, auch wenn ich mir bei jedem Konzert die Frage stellten, wo all diese Leute 1979 waren, als wir angesichts leerer Clubs diese Unterstützung hätten brauchen können. Dann hätten wir uns nicht aufgelöst.

Gib mir doch bei dieser Gelegenheit mal die "biografischen" Daten.

Unser erstes Konzert haben wir im Juli 1977 gespielt, und in dieser Besetzung existierte Band bis November 1979, als wir uns auflösten. Im Oktober 1982 kam die Band wieder zusammen und wir lösten uns dann im Mai ´83 wieder auf. Die zweite Reunion Ende der Achtziger war dann was anderes: Ich lebte schon nicht mehr in Cleveland, sondern arbeitete in Pennsylvania für eine Zeitung. Wir spielten meist nur am Wochenende, wegen meines Job, insgesamt 25 bis 30 Konzerte, zwischen Oktober ´86 und November ´89. Seitdem ist die Band nicht mehr aktiv, wobei ich selbst aber ein paar Platten gemacht habe, solo und mit den STYRENES. Der Tod meines Bruders Brian Hudson ´91 war dann wohl das endgültige Aus für die Band.

Was hältst du denn von Reunions?


Die sind für mich persönlich eine Entschuldigung meine allerbesten Freunde zu treffen - die anderen Leute aus der Band. Die sehe ich nicht mehr so oft, seit ich aus Cleveland weggezogen bin. Wir treffen uns, trinken zusammen, haben Spaß und wenn die anderen Leute auch ihren Spaß haben, umso besser.

Angeblich soll es später dieses Jahr doch nochmal einen Auftritt der PAGANS geben.

Ja, wahrscheinlich im November in Las Vegas beim "Las Vegas Slam". Wir haben uns neulich in Cleveland getroffen, darüber gesprochen und werden wohl dabei sein. Die Veranstalter zahlen für alles, wir werden vorher eine Woche in Los Angeles proben, also dachten wir uns, wir machen das einfach.

Mike, ich danke dir für das Interview.

Wer´s ganz genau wissen will, sollte sich im Internet die sehr ausführlichen Fan-Seiten zur Band anschauen, die wirklich sehr lesenswert sind und auf denen sich auch Mike Hudson selbst ausführlich zur Geschichte der PAGANS äußert. Auch die Fotos auf diesen Seiten stammen von den Websites.