John Esplen aus Newcastle-Upon-Tyne betreibt Overground seit 1988, und alleine das ist eine Leistung, scheinen Punk-Labels doch eine durchschnittliche Lebensdauer von fünf Jahren zu haben. Dann ist die Begeisterung verpufft, alles Geld verbraten, der Inhaber ruiniert, die guten Bands weitergezogen. Um also länger durchzuhalten braucht es Geduld und Begeisterung, und über beides verfügt John, der einerseits neue Platten alter Bands veröffentlicht, aber auch viele Rereleases, speziell aus dem UK-Anarcho-Punk der Achtziger. Zu seinen Bands zählen ZOUNDS, RUBELLA BALLET, THE MOB, MAN ... OR ASTRO-MAN?, 999, TV PERSONALITIES, DICKIES, SWELL MAPS, ALTERNATIVE TV und noch einige andere mehr.
John, wer bist du, und wie und wann bist du zu Punk gekommen?
Ich heiße John Esplen und ich betreibe Overground Records seit 1988. Im Alter von 16 oder 17 bin ich durch Bands wie DICKIES, JAM und DAMNED zum Punk gekommen. Großen Einfluss hatte außerdem John Peel.
Wie und wann hast du dein Label gegründet, welche Labels beinfluss(t)en dich bei deiner Labelarbeit?
Als ich angefangen habe, gab es keine anderen Labels wie Overground. Obwohl, Damaged Goods entstanden etwa zur gleichen Zeit. Aber es gab keine Labels, die mich inspirierten. Die Idee hinter Overground war, ein paar alte Singles neu aufzulegen, sowie interessante Demos und unveröffentlichte Songs herauszubringen. Mein größtes Ziel war, etwas von den DICKIES zu veröffentlichen. Auf das Release der „Just Say Yes“-7“/CD-EP bin ich heute noch sehr stolz.
Kannst du davon leben oder was machst du sonst noch?
Ich kenne eigentlich niemanden, der von seinem Label leben kann, insofern freue ich mich, wenn ich überhaupt etwas Geld damit mache. Ich verkaufe Punk-Raritäten via vinylonthe.net, betreibe den Musikverlag wipeoutmusic.com, kümmere mich um das Stage-Management bei verschiedenen Konzerten, unterrichte Musik und mache noch mehr Kram, um mich über Wasser zu halten.
Was fasziniert dich daran, ein Label zu machen?
Wundervolle unveröffentlichte Aufnahmen, wundervolle neue Aufnahmen von Lieblingsbands wie 999 und ZOUNDS, die beide nach langer Auszeit super Alben abgeliefert haben, und nach monatelanger Arbeit endlich das fertige Produkt in den Händen zu halten.
Hast du sowas wie eine Label-Politik?
Nein, es gibt keine. Solange ich Lust auf die Veröffentlichung habe und ich am Ende bei Null rauskomme, bin ich zufrieden. Leider sind die Verkäufe so stark zurückgegangen, dass ich viele Bands nicht machen kann, obwohl ich gerne möchte.
Du veröffentlichst hauptsächlich alte Punkbands oder Rereleases und Zusammenstellungen älterer Aufnahmen. Gibt es keine interessanten neuen Bands?
Doch, bei meinem Verlag arbeite ich mit vielen interessanten neuen Bands. Aber das Label hat einen Ruf und eine gewisse Fanbase. Neue Bands passen da nicht wirklich rein.
Welche Musikstile gefallen dir am besten?
Meine erste große Liebe war und ist Siebziger-UK-Punk. Ich mag auch viel Anarchopunk, aber eher Bands wie THE MOB, ZOUNDS, NAKED, die von der Siebziger-Punk-Szene beeinflusst wurden. Die unzähligen CRASS-Kopien mag ich nicht. Ich höre auch aktuellen Punk, es gibt ein paar gute Bands wie CONTROL, MORAL DILEMMA, SONIC BOOM SIX oder THE GRIT.
Was bedeutet Punk für dich, für welche Werte und Ideen steht er?
Ich weiß, dass unterschiedlichste Leute Punk auf unterschiedlichste Weise definieren. Mich hat Punk vor allem die D.I.Y.-Ethik gelehrt. Du kannst es selbst machen, du kannst unabhängig sein und du musst dich nicht in die Mainstream-Musikszene oder die Gesellschaft einfügen. Dazu stehe ich noch heute!
elche waren die ersten Bands auf deinem Label, wie heißen die heutigen?
SATAN’S RATS und TELEVISION PERSONALITIES waren die ersten, die aktuellen sind DISRUPTERS, ZOUNDS und MAN ... OR ASTRO-MAN?.
Welche drei Veröffentlichungen sind die wichtigsten und/oder meist verkauften?
Am besten verkauft haben sich „Not So Brave“ von FLUX OF PINK INDIANS , Richard Hells „3 New Songs“ und „I Was A Mod Before You Was A Mod“ von TELEVISION PERSONALITIES. Ich weiß nicht genau, welche die wichtigsten Platten waren. Jeder hat eine unterschiedliche Meinung dazu. Aber wenn ich wählen müsste, dann die vier „Anti-...“-Anarchopunk-Compilations, die sind der Wahnsinn.
Warum ist Anarchopunk so wichtig und welche Bedeutung hat er für die weltweite Punk-Bewegung?
Ich glaube, in den Achtzigern spielte Anarchopunk international kaum eine Rolle, aber für Großbritannien war er extrem wichtig. Er versetzte die Regierung in Aufregung, Politiker im Parlament diskutierten darüber. Der Geheimdienst hörte die Telefone von Punks ab, öffnete deren Post und ließ sie beschatten. Eine Generation von Punks wendete sich dadurch gegen die Kommerzialisierung von Punk. Als wir die Anarchopunk-Serie zusammenstellten, war ich erfreut, dass noch immer viele Leute eine Gegenkultur bilden und die Mainstream-Gesellschaft ablehnen.
In meiner Besprechung der Anarchopunk-Compilation erwähnte ich auch folgende absurde Situation: Während Bands wie VANDALS oder Henry Rollins im Irak oder in Afghanistan für US-Soldaten spielen, protestieren Bands wie CRASS, ZOUNDS oder CONFLICT gegen diesen Militarismus. Gab es diese Bipolarität schon immer?
Amerikanische Bands hatten schon immer ganz andere Ansichten als UK-Bands und das wird sich auch nicht ändern. Ich habe kein Problem damit. Ich habe keine festgelegte politische Überzeugung oder Doktrin. Ich respektiere die Meinung anderer Leute, auch wenn ich sie nicht teile. Anarchopunk starb, weil die Szene zu viele Regeln aufstellte. Zu viel politische Korrektheit. Immer mehr Extreme. Jahre später wiederholte sich das Ganze in der Straight-Edge-Bewegung.
In den Achtzigern war Punk sehr einflussreich, zumindest schien es so. Schließlich interessierten sich Politiker und Polizei sehr für die Aktivitäten von CRASS oder CONFLICT. Heutzutage hat Punk diesen Impuls scheinbar verloren, ist eher eine Mode oder ein Wochenendspaß für Mittvierziger, die sich auf dem Rebellion Festival betrinken wollen.
Das stimmt leider. Aber ich habe immer befürchtet, dass es so kommen wird. Immerhin gibt es immer noch eine aktive Szene. Dafür bin ich dankbar. Trotzdem denke ich nicht, dass Punk oder sonst eine Musik nochmals derart einflussreich sein wird. Junge Leute werden heutzutage in ihrem Leben schon durch zu viele Dinge abgelenkt. Musik ist für sie nur eine weiteres Konsumgut. Als ich Teenager war, war Musik Teil meines Leben.
Welche Pläne hast du mit Overground für die nächste Zukunft?
Eine CRAVATS-Doppel-CD mit Songs aus den Jahren bei Small Wonders, die Vinylversion von THE MOBs „Let The Tribe Increase“ und ein neues Album von PARANOID VISIONS.
Du hast eine Veröffentlichung von MAN OR ASTRO-MAN? angekündigt, was geht da? Sind sie noch aktiv, gibt es irgendwelche Pläne?
Ja, es gibt sie noch. Sie kommen im April 2012 nach Europa und nehmen gerade neues Material auf.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #99 Dezember 2011/Januar 2012 und Joachim Hiller