Während in der kapitalistischen Welt "Punks" zu Rockstars mutierten und tausende Platten verkauften, war die musikalische Welt der Punkbands in der DDR der Magnetbanduntergrund. Es gibt unzählige Kassettenaufnahmen, die einen staunen lassen, wie mutig Punk sein konnte - an eine offizielle Veröffentlichung von Musik auf Vinyl war für Punkbands in Ost-Deutschland jedoch Anfang der 1980er Jahre nicht zu denken. Die erste DDR-Punk-Platte "DDR von unten/eNDe" erschien dann auch 1983 im Westen. Das abenteuerliche Zustandekommen dieser Veröffentlichung verdeutlicht exemplarisch die widrigen Umstände für subkulturelle Tätigkeiten damals sowie den Mut, Enthusiasmus und Idealismus der Aktiven zu dieser Zeit, ist Ausdruck der tatsächlich vorhandenen Wut und zeigt letztlich auch die schizophrene Widersprüchlichkeit, die weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in der DDR bis tief in oppositionelle Kreise charakterisierte.
Treibende Kraft hinter dem Projekt "Zonenpunk auf Platte" war Sascha Anderson. Der heute ob seiner Vergangenheit kontrovers Diskutierte war in der alternativen Literatur-, Kunst- und Musik-Szene der DDR, einer Szene, die sich programmatisch vom Staat abzukoppeln versuchte, eine tragende, einflussreiche, weil aktive Figur, kannte im staatsuntreuen Untergrund Maler, Schriftsteller und Musiker. In der Hoffnung, ihnen aufgrund seiner zahlreichen Kontakte helfen zu können, wandten sich im Frühling 1982 die Berliner Musiker von ROSA EXTRA an Anderson. Die hatten zuvor auf einer Party den in West-Berlin wohnhaften Dimitri Hegemann (gründete später unter anderem das Techno-Label Tresor und eröffnete gleichnamigen Club in Berlin) getroffen. Dieser kam damals regelmäßig in die DDR, war Teil der Szene, kannte die Bands und man kannte ihn. Er war so fasziniert von den schrägen Figuren im Osten, dass ihm die Idee kam, einen Ost-Punk-Sampler im Westen zu veröffentlichen. Mit dieser Idee wurde er dann in West-Berlin bei Karl Walterbach, dem Labelchef der Aggressiven Rockproduktionen, vorstellig. Dieser zeigte sich interessiert und sagte zu, die Platte zu veröffentlichen. Auch Anderson war von der Idee begeistert und nahm sich des Projekts an. Da er selbst damals in der Band ZWITSCHERMASCHINE aktiv war, war klar, dass diese auch auf der Platte erscheinen würden. Des Weiteren sollten Songs von AUFRUHR ZUR LIEBE und SAALSCHUTZ erklingen. Um das Line-up für die Platte zu komplettieren, sollte noch etwas Spezielles her, etwas, "was es eigentlich gar nicht geben darf im bestbewachten Land der Welt" (Torsten Preuß).
Dieses Phänomen fand sich im Juni 1982 in Erfurt: Bei einer Party, auf der ZWITSCHERMASCHINE spielten, gaben auch SCHLEIM-KEIM ein paar Songs zum Besten. Das Thüringer Trio war eine der ersten und konsequentesten Punkbands im Osten, sehr direkt und ausdrucksstark. SCHLEIM-KEIM sollte die fünfte Band auf dem Sampler werden. Es wurde also Kontakt hergestellt und so kam bald eins zum anderen. Da "richtige" Aufnahmestudios in der DDR Bands ohne "Einstufung" (staatliche "Existiererlaubnis" für Bands) nicht zugänglich waren, versammelten sich die Beteiligten an einem Wochenende im Januar 1983 in einem Privatstudio in der Nähe von Dresden, und unter widrigen Umständen wurden dort die Beiträge aufgenommen. Nach Beendigung der Aufnahmen nahm Anderson die Bänder an sich und die Auserwählten des ostdeutschen Untergrundes verteilten sich wieder in alle Richtungen.
Dass Anderson so problemlos hantieren konnte, hatte sicherlich mit seiner Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zu tun. Er war Agent des Staates in einer vermeintlich freien Gruppierung im Osten und blieb dies selbst noch nach 1986, als er nach seiner Ausreise in West-Berlin in den Kreisen der ausgereisten DDR-KünstlerInnen weitermachte, womit er im Osten aufgehört hatte. Daraus ergab sich eine höchst bizarre Situation und zeigt die Schizophrenie dieses Staates: Er genoss durch seine Tätigkeit als Spitzel, während derer er dem MfS bereitwillig Informationen über Personen und Szenestrukturen zur Verfügung stellte, eine gewisse Narrenfreiheit, die es ihm ermöglichte, im Untergrund Dinge zu realisieren, die sonst wahrscheinlich niemals möglich gewesen wären. Auch ein Mitglied von ROSA EXTRA und der Besitzer des Studios, in dem die Aufnahmen stattfanden, Sören Naumann, waren damals als IMs unterwegs; die Staatsorgane waren also die ganze Zeit über die Vorgänge in Kenntnis, allein, sie schienen das Vorhaben zunächst nicht allzu ernst zu nehmen, sie ließen Anderson machen. Otze Ehrlich von SCHLEIM-KEIM hatte das damals zumindest schon geahnt. In einem Interview sagte er mal: "Anderson hat sich damals bei mir verraten, denn er meinte, wenn irgendwas wegen der Platte passiert, sollte ich alles auf ihn schieben. Ich dachte mir, irgendwas stimmt da nicht. Aber eigentlich war mir das auch scheißegal. Hauptsache du machst die Platte! Ich dachte, egal ob du im Knast landest, es fetzt einfach, im Osten eine Platte draußen zu haben."
Als die Songs im Kasten waren, trat die Stasi in Aktion. Sie wurden bei ROSA EXTRA vorstellig: Sie wüssten von der Platte und rieten ihnen, unter Mitteilung der zu erwartenden Strafe im Falle der Nichtbefolgung ("bis zu fünf Jahren Haft"), die Bänder alsbald dem MfS auszuhändigen. Bei der Wahl zwischen potenziellem Ruhm und Freiheit entschied sich die Band für Letzteres und lieferte ihre Bänder schweren Herzens ab. Bereits zuvor hatten, auch unter massiven Druck durch die Stasi, AUFRUHR ZUR LIEBE und SAALSCHUTZ ihre Beiträge zurück gezogen. Bis heute ist unklar, warum die Stasi damals nicht alle Bänder beschlagnahmt hat und warum sie überhaupt erst so spät aktiv geworden sind. Die Aufnahmen von ZWITSCHERMASCHINE und SCHLEIM-KEIM fanden jedenfalls im Frühjahr 1983, dank Andersons exklusiven Beziehungen, im Kofferraum eines Diplomatenwagens den Weg auf die andere Seite der Mauer. Hegemann sichtete das Material, entschied welche Stücke auf der Platte erscheinen sollten und verwendete Arbeiten der ZWITSCHERMASCHINE-Mitglieder Conny Schleime und Ralf Kerbach als Artwork. Die Platte "DDR von unten/eNDe" ("ND" in Anlehnung an die Tageszeitung "Neues Deutschland", damals Zentralorgan der Einheitspartei SED) kam dann im Mai 1983 im Westen raus, aber nur wenige Exemplare fanden den Weg in den Osten. "Ich hatte mir unsere Platte bei Anderson in Berlin abgeholt, der wollte die aber gar nicht rausrücken, ich hab sie mir also einfach so gegriffen. Der hatte uns ja sogar Kohle versprochen, wollte aber nicht zahlen. Ich habe daraufhin einfach eine Tür eingetreten und mir 120 West-Mark mitgenommen", wusste Otze später zu berichten.
Aus Vorsicht nannten sich SCHLEIM-KEIM auf der Veröffentlichung SAU-KERLE; all die Vorsicht nutzte natürlich nichts, denn das MfS wusste dank seiner eifrigen Mitarbeiter bereits Bescheid. Die Jungs von SCHLEIM-KEIM wurden dann auch direkt vom Staatssicherheitsdienst "zur Klärung eines Sachverhalts" verhaftet. Während die anderen beiden aber bald wieder freigelassen wurden, behielten sie Otze länger in Haft. Er stritt alles kategorisch ab, bis sie ihm eines Tages Tonbandaufzeichnungen vorspielten, auf denen der Bassist alles zugab. Auch geriet er als Verfasser der Texte besonders ins Visier der Staatssicherheit, obwohl diese nicht explizit gegen die DDR, sondern allgemein gefasst waren. "Ich habe ihnen immer wieder gesagt, die Texte bezögen sich auf Südafrika. Sie konnten mich da einfach nicht festnageln." Aber sie wollten noch mehr Informationen: Kontakte, Leute, Treffpunkte. Nach Monaten ließen sie ihn schließlich gehen, aber er wurde in den Folgejahren immer wieder abgeholt und inhaftiert, wohl um ihn einzuschüchtern. Jede Kleinigkeit genügte, er durfte sich nichts mehr erlauben. Der Spuk, die Abstrafung für die Platte, nahm erst 1989 mit dem Fall der Mauer ein Ende. In den folgenden Interviews kommen zwei damals direkt Beteiligte zu Wort.
Sascha Anderson, geboren 1953 in Weimar, damals wie heute als Verleger, Herausgeber, Lektor und Schriftsteller tätig, lebt in Berlin und Frankfurt/Main. Er ist Herausgeber der Reihen "Black Paperhouse" und "Edition Paperhouse" im Gutleut Verlag. Im selben Verlag erschienen 2006 auch seine aktuellsten Publikationen "Totenhaus" und "Crime Sites. Nach Heraklit".
Hast du dich in der DDR, wie konkret oder abstrakt auch immer, unterdrückt gefühlt? Gab es irgendwelche konkrete, unmittelbare Konfrontationen mit den Staatsorganen oder Sanktionen?
Von meinem Vater. Von zweien meiner vielen Onkel. Vom Wunsch meiner Großmutter, mich vor ihrem Tod zu verheiraten. Konfrontationen mit dem Staat gab es bei jedem zweiten Versuch, öffentlich aufzutreten oder zu veröffentlichen.
Inwieweit warst du Teil der Punk-Szene der DDR? Was hat dich an Punk interessiert, was machte den Reiz aus?
Nur am Rande. Eindeutiges Interesse an direkteren Ausdrucksformen als sie die Literatur bietet. Überdruss an den Frauenkleiderschattierungen zwischen violett und lila. Immer mal wieder Pionierleitersyndrome. Die eigenen und die Kinder der Freunde kamen ins renitente Alter. Wenn man ein Konglomerat aus CAN, Captain Beefheart und PIL gut umrührt, dann ist das etwa das, was ich als Punk empfunden habe.
Du warst ja damals am Enstehungsprozess der "DDR von unten"-LP entscheidend beteiligt. Wie haben sich dir die Vorgänge der Realisierung dieser Platte damals dargestellt? Wie ist das abgelaufen?
Wie bei allen Projekten, an denen eine Unmenge Personen beteiligt war. Am Anfang sind alle dabei, dann beginnen sie reihum darüber nachzudenken, was von Vorteil und Nachteil sein könnte. Währenddessen verlassen wieder ein paar die DDR und am Ende steht die Frage, findet es überhaupt noch statt. Irgendwer muss oder will es dann durchziehen. Ist immer eine Gratwanderung zwischen Egoismus und Altruismus. Hatte ja damals auch schon zwei Bücher im Westen veröffentlicht; da wird man dann für alles angesteuert. Vielleicht auch ein wenig das Gefühl, sowieso machen zu können, was ich wollte, wenn ich meinen Führungsoffizieren nicht alles auf die Nase binde. Ich war sicher kein Widerstandkämpfer, aber D/dissident kann man ja dennoch sein. Vielleicht nicht bewusst, aber unbewusst bin ich so schnell wie möglich vor mir selbst hergelaufen oder so ähnlich. Im Detail steht das alles in diesem Punk-Buch im Verbrecherverlag ("Spannung. Leistung. Widerstand. - Magnetbanduntergrund DDR 1979-1990" hrsg. von Pehlemann/Galenza, Anm.d.A.).
Wie wichtig war dir damals diese LP-Produktion, welche Bedeutung hatte sie für dich? Und welche Bedeutung hatte sie für die Band?
ZWITSCHERMASCHINE war gerade am zerflattern. Von der Ursprungsbesetzung war Kerbach in West-Berlin, Conny Schleime und Michael Rom hatten Ausreiseanträge gestellt, Fuchs lebte in Dresden in einem nervlichen und räumlichen Ausnahmezustand. Der Schlagzeuger Großmann arbeitete beim "Theater der jungen Generation" in Dresden, ich denke nicht, dass der sich auf extreme Dinge eingelassen hätte. Ich war ja erst Ende 1979, nach meiner Entlassung aus dem Knast, dazugekommen. Das war alles nicht statisch. Meine Interessen lagen eher in der extremeren Rock-Richtung, mir war das Genre egal. Jeder hatte individuelle Orientierungen. Wir traten ja weniger als Punkband auf, eher als Kunstprojekt - mal mit Literatur, mal mit Live-Malerei, mal zusammen mit musizierenden Künstlern. Es gab dann für die Auftritte auch permanent andere Namen: "ohne Titel", "ohne Name", "Zwitschermaschine hoch 4", "Factory" mit und ohne "hoch 4", bei meinem privaten Ding dann "Fabrik". Wie wichtig das Plattenprojekt für die anderen Beteiligten war, kann ich nicht sagen. Im Gegensatz zu den voll auf die Musik konzentrierten, wie ROSA EXTRA und später für SCHLEIM-KEIM, lagen die Prioritäten bei uns anders. Ich befand mich in einem ständigen Organisations- und Produktionsstress. Die Platte war ein Ding von vielen.
Es ist ja kein Geheimnis, dass du damals als IM tätig warst und dadurch eine gewisse "Immunität" hattest, die dir Dinge ermöglichte, die sonst wohl eher undenkbar gewesen wären. Wie fühlt sich das an, im Untergrund verschiedenste Projekte zu gestalten - und ich nehme an, dass du das schon mit Leidenschaft getan hast - und gleichzeitig der anderen Seite intimste Informationen über selbige auszuliefern? Bist du dir damals der Tragweite dieses Doppellebens bewusst gewesen?
Nein. Aber auch in meiner Kindheit folgte die Strafe dennoch auf dem Fuß. Zwischen Privatem und Öffentlichem war zwar zu dieser Zeit schon eine konzeptionelle Nicht-Grenze installiert, dennoch blieb im Wesentlichen eine ethische Vereinbarung aktiv, die mehr als mit Traditionen zu tun hatte. Da kann die psychische - von mir aus auch die soziale - Dimension erklären wollen, was sie will: "Das Böse" - vor allem, weil es nicht in Reingestalt durchgeht, ich bin ja kein Idealist - hat sich der Schuldfrage zu stellen. Ich habe zehn Jahre zu diesem Thema geredet: das bringt nichts! Auf Moral in dieser Aktualität von Einbahnstraße kann ich nicht mehr reagieren. Im Übrigen war es nicht so, dass die Stasi genau gewusst hat, was da abläuft. Von mir aus gesehen, hat das allein insofern mit der Stasi zu tun, dass da ein Haufen Typen miteinander rumgemacht haben, von denen jeder von einem anderen Horizont aus und in Richtung anderer Ufer tickte. So was kann nur im Chaos enden. Jetzt meint jeder, seinen ideologischen Senf dazugeben zu müssen. Das bringt nichts. Meine Führungsoffiziere wollten unbedingt verhindern, dass das Ding erscheint. Aber ich hatte da schon soviel Energie rein gesteckt. Ich hab meinen beiden Typen gesagt, sie sollten machen, was sie wollten, und ich mach, was ich will. Aber so schnell kann man natürlich gar nicht laufen, ohne sich selbst ständig einzuholen.
Cornelia Schleime, geboren 1953 in Ost-Berlin, studierte in Dresden Maskenbild und später Grafik/Malerei. 1984 siedelte sie nach West-Berlin über und ging 1989 für eineinhalb Jahre nach New York, bevor sie nach Deutschland zurückkehrte. Sowohl im Osten als auch in New York, beschäftigte sie sich mit Film, anschließend nur noch mit Malerei. "In der Malerei bekomme ich sofort ein Feedback. Es gibt keine Zwischenschalter. Ich sehe sofort, was gut oder schlecht ist. Ich habe dabei alles in der Hand. Auch die Schuldzuweisung geht an meine Adresse. Das macht mich unabhängig. Dass ich dabei noch Geld verdiene, macht mich glücklich. Nun, es war auch ein langer Weg bis dahin."
Hast du dich in der DDR, wie konkret oder abstrakt auch immer, unterdrückt gefühlt? Gab es irgendwelche konkrete, unmittelbare Konfrontationen mit den Staatsorganen oder Sanktionen?
Ja, natürlich, ich bekam Ausstellungsverbot, obwohl meine Bilder nicht politisch waren. Sollte ich nun Käseverkäuferin werden, oder was? Die IMs, die angesetzt waren, waren teilweise aus dem Freundeskreis rekrutiert. Dies im Nachhinein zu erfahren, war auch nicht gerade schön; das reichte bis in die Intimsphäre. Aktfotos wurden von den "Organen" aus der Wohnung mitgenommen und analysiert und ich fand später in meiner Akte Bemerkungen über mein Sexualleben. Sie haben sich in der Kleinteiligkeit ihrer Beobachtungen sehr viel Mühe gemacht, aber oft zielten sie nicht unbedingt ins Schwarze. Jetzt versteht man auch, warum die Wirtschaft so brach lag. Der Staat, war nur mit sich selbst beschäftigt und damit, seine Mannschaft vom Meutern abzuhalten. Solche Galeeren gehen zwangsläufig unter.
Inwieweit warst du Teil der Punk-Szene der DDR? Was hat dich an Punk interessiert, was machte den Reiz aus?
Ich war eigentlich kein Teil der Punk-Szene. Wir machten vielmehr diese schräge Musik, da wir Ausstellungsverbot hatten, wollten dadurch unseren Frust abladen und suchten nach anderen Strukturen, auch innerhalb der Musik und Ausdrucksmöglichkeiten. Punks waren aber diejenigen, die zu unseren Konzerten kamen und so sagte man dann, wir seien Punk-Musiker, obschon niemand unserer Musiker mit einer Irokese herumlief. Uniformiertheit hat mich immer angewidert, deshalb habe ich lieber vier Hüte übereinander getragen, statt mir Zucker in die Haare zu schmieren. Dennoch waren mir die Punks sympathisch, als Gegenbild zum Arbeiterwohlstaat.
Du warst ja Mitglied der Band ZWITSCHERMACHINE, die auf der "DDR von unten"-LP Teil der "ersten Zonenpunk-Platte" war. Wie haben sich für dich die Vorgänge der Realisierung dieser Platte damals dargestellt? Wie ist das abgelaufen?
Problematisch war, dass Ralf Kerbach bereits ausgereist war. Er und ich hatten zusammen die Band gegründet und Ralf prägte weitestgehend die musikalische Struktur. Als er weg war, existierte die Band eigentlich gar nicht mehr und wir mussten für die Platte die Band sozusagen wieder ins Leben rufen, also auch einen Ersatz für ihn finden, um die Aufnahmen machen zu können. Für meinen Geschmack gestaltete sich dies recht schwierig, denn die zwei Musiker, die hinzukamen, hatten ihre Wurzeln im Freejazz. Das war ja beileibe nicht, was Ralf und ich wollten. Natürlich standen ja die einzelnen Titel fest, so wie sie Ralf konzipiert hatte, dennoch kam auf einmal eine andere Klangfarbe in die Musik, die etwas von der anfänglichen Radikalität eingebüsst hatte. Anderson organisierte dann ein Studio, und so machten wir dort die Aufnahmen. Als Ralf sie dann im Westen erhielt, überarbeitete er einzelne Passagen noch einmal im RIAS-Studio. Schlussendlich waren wir dann doch mit dem Ergebnis zufrieden, da es natürlich auch der Eitelkeit schmeichelte, nun endlich eine Platte zu haben.
Welche Rolle spielte deiner Meinung nach Andersons Tätigkeit als IM bei der Realisierung der Platte?
Ich glaube, dass seine Rolle dabei wichtig war. Ich habe nie so einen Heini von der Stasi getroffen, um einschätzen zu können, wie sie diesem Projekt gegenüberstanden. Vielleicht hat Anderson sogar die Stasi erpresst und gesagt, wenn das mit der Platte nichts wird, steigt er bei der Firma der Schnüffler aus. Vorstellbar wäre das für mich; er war ja ein Pokerface. Ich denke, Anderson war die Platte schon sehr wichtig.
Hattest du als direkt an der Platte Beteiligte Angst vor eventuellen Folgen wie Haft? Weißt du von Ängsten deiner damaligen Mitstreiter? Ich meine, wie "gefährlich" war denn diese Situation damals wirklich? Man kann sich das heute ja gar nicht mehr so richtig vorstellen ...
Also, Angst hatte, glaube ich, niemand. Ich dachte immer, wenn wir dieses Zeug machen, treibt es meine Ausreise weiter voran, denn ich stellte ja etliche Anträge. Mich wunderte nur, wie glatt alles lief. Aber vielleicht hatten wir dies ja Anderson zu verdanken, von dem wir damals nicht wussten, dass er als IM auf uns angesetzt war. Der IM hielt also im doppelten Sinne das Mikrofon. Ich konnte später in Akten nachlesen, dass er seinen Führungsoffizieren gegenüber diese Musik verteidigte, in dem Sinne, dass er wohl sagte, so etwas gehört zur Jugend dazu und der Staat dürfte es nicht abschneiden, erst dann würden die Folgen fatal. Er erklärte seinen Offizieren sogar die musikalischen Strukturen. Heute stelle ich mir jene Gesichter vor, wie überfordert sie gewesen sein müssen.
Bert Papenfuß hat Otze von SCHLEIM-KEIM einmal als den "einzigen Punkrock-Star in der DDR" bezeichnet. Hatte er tatsächlich so eine herausragende Stellung? Warum?
Aus dem Bauch heraus sehe ich das genauso. So richtig gut kannten wir sie am Anfang nicht, aber da wir so gegensätzlich waren, waren wir dann doch von einander angezogen. Die Jungens waren Brüder und einer von ihnen Schlachthofarbeiter und er drosch auf seine Trommeln und Becken ein, als würde er grad ein Schwein schlachten. Die Stakkatos waren umwerfend. Es ging ihnen bei den Drums einzig und allein um Geschwindigkeit und die konnte ihnen keiner nachmachen. Zirkelten wir im Intellektuellen, rasten sie drauf los. Sie waren unglaublich echt und ganz sympathische Kerle. Auch waren sie nicht eitel, denn es ging ihnen einzig und allein um die Musik. Eitelkeiten waren sonst bei allen übrigen Bands zu beobachten. Die SCHLEIM-KEIMs haben wirklich mit dem Hammer aus der DDR-Flagge die Sichel zerkloppt.
Welche Sicht hast du heute auf die damalige Zeit?
Ich denke, dass dieser Seitensprung in die Musik auch aus heutiger Sicht bereichernd war. Maler arbeiten ja mehr oder weniger isoliert, doch bei einer Band findet ein Prozess innerhalb der Gruppe statt. Das fand ich eine gute Erfahrung. Aber generell war dies eine sehr aufwühlende Zeit, denn man hatte uns fast den Pinsel verboten und wir konterten mit Lungenvolumen. Es war dieser gruppendynamische Aufbruch, aber irgendwann schreibt jeder Aufbruch seine eigenen Gesetze und dann wird es langweilig. Man befindet sich dann wieder in einer Struktur, obwohl man begonnen hatte, Strukturen aufzulösen. Jeden Zeitabschnitt, mit den jeweiligen Aktivitäten, sehe ich immer nur als eine Suche nach dem Weg. Dort, wo allerdings die Antipoden härter aufeinander treffen, und dies ist in Diktaturen der Fall, haben die Aktivitäten ihre Einmaligkeit. Dennoch bin ich froh, dass es diese Zeit nicht mehr gibt. Irgendwann wäre ich dort nur noch mit einer Gasmaske herumgelaufen, da ich den Gestank dieser zweitaktmotorigen, fahnenschwenkenden Verbundsgenossenschaften nicht mehr ertragen hätte. Deshalb wollte und musste ich raus.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #73 August/September 2007 und Konstantin Hanke