Moderner Ska aus der Schweiz
Dieses Mal beschäftige ich mich mit drei Bands aus der Schweiz, in denen auch Frauen den Ton angeben. Längst schon wollte ich einen Blick in die Alpenrepublik werfen, da kam mir der Gedanke, warum nicht mal die Frauen interviewen? Wie finden sie die männerdominierte Ska-Szene? Frauen sind hier leider immer noch Ausnahmeerscheinungen vor, auf und hinter der Bühne. Warum eigentlich? Ariane Lüthi, Tenorsaxophonistin von OPEN SEASON, Sängerin Steffi Beutler von STAN OR ITCHY und SUPERSPY-Sängerin Nicole Stoessel standen mir Rede und Antwort.
Seit wann gibt es eure Bands und wie lange seid ihr schon dabei?
Ariane: OPEN SEASON gibt es seit 2000. Ich bin von Beginn an dabei.
Steffi: STAN OR ITCHY existiert seit 2001. Ich bin 2000 zur Band gestoßen, als diese noch anders hieß und andere Musik machte. Eigentlich war ich nur für den Background vorgesehen, habe mich aber relativ rasch als Leadsängerin durchgesetzt.
Nicole: SUPERSPY bestehen seit dem Jahr 2000.
Warum sind Frauen in der Ska-Szene die Ausnahme?
Ariane: Es gibt einige Sängerinnen sowie ein paar wenige Pianistinnen und Saxophonistinnen. Spielt eine Frau jedoch Bass oder Schlagzeug, gleicht das einer Sensation. Frauen sind bestimmt nicht weniger musikalisch als Männer, und auch das Körperbau-Muskelkraft-Argument ist Nonsens. Niemand macht mit einer „All Boy“-Band Werbung. Eventuell ist es ein gesellschaftliches Phänomen, dass Frauen weniger gefördert oder unbewusst in andere Gefilde gelenkt werden. Natürlich muss man sich ein wenig behaupten und sich zutrauen, im Rampenlicht zu stehen, aber ich denke nicht, dass Frauen grundsätzlich weniger Selbstvertrauen haben als Männer.
Steffi: Wenn man Frauen antrifft, sind oder waren sie erfolgreich, wie zum Beispiel bei THE SELECTER, den DANCEHALL CRASHERS oder NO DOUBT, welche ja kommerziell die erfolgreichste Gruppe sind und ihre Wurzeln im Ska haben. Wohl deshalb werden die wenigen Bands mit Leadsängerinnen auch schnell mit NO DOUBT verglichen. Ich denke, dass das weibliche Ohr mit Pop, Folk oder Soul mehr anfangen kann, und Frauen, die selbst Musik machen, eher in diesen Genres aktiv sind. Aggressives und Provozierendes wie Punk sagt Frauen weniger zu.
Nicole: Tatsächlich sind Frauen in der gesamten alternativen Musikszene nach wie vor unterrepräsentiert. Es gibt dennoch großartige Musikerinnen, die extrem rocken: Brody Dalle, die früher bei den DISTILLERS war und heute bei SPINERETTE ist, Louise Post und Nina Gordon von VERUCA SALT, Monique Powell von SAVE FERRIS, Karen Orzolek von den YEAH YEAH YEAHS oder auch Nikki Monninger von den SILVERSUN PICKUPS. Musik ist nicht geschlechtsabhängig. Sie lebt vom Gefühl der Leidenschaft. Ska wird leider nach wie vor nur von einer Minderheit geliebt, nur wenige Menschen machen diese Musik, und von diesen wiederum sind nur wenige weiblich.
Wie fühlt ihr euch in dieser von Männern dominierten Szene?
Ariane: Es ist für mich normal geworden, fast ausschließlich mit Jungs zu tun zu haben. Die meiste Zeit bewegt man sich ohnehin innerhalb des „engen Familienkreises“ der Band, der so vertraut ist, dass man sich dessen kaum bewusst ist, hauptsächlich mit Jungs zusammen zu sein. Ich fühle mich als normaler Teil des Ganzen.
Steffi: Es ist schon vorgekommen, dass ich mich backstage unter den anderen Bands etwas abseits gefühlt habe. Das liegt daran, dass sich Jungs untereinander meistens recht schnell verstehen und ins Gespräch kommen, weil der Bassist was über den Verstärker vom anderen Bassisten wissen will, oder die Drummer sich das Schlagzeug teilen. Es stört mich nicht, dass die Ska-Szene männerdominiert ist. Für uns ist dies sogar von Vorteil: Wenn mal eine Frau auf der Bühne steht, fällt das auf!
Nicole: Abgesehen von den Diskussionen über Automarken oder Computersysteme, mache ich gern mit Männern Musik. Sie sind nicht kompliziert und sorgen dafür, dass du dich nicht um technischen Schnickschnack kümmern musst. Dass die Musikszene von Männern dominiert wird, stört mich überhaupt nicht. Ich hatte noch nie das Gefühl, mich behaupten zu müssen. Aber natürlich freue ich mich, wenn ich auch mal auf eine Band mit einer Musikerin treffe.
Sind Chauvinismus und Sexismus relevante Themen – und wenn ja, welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?
Ariane: Normalerweise wird man sehr respektvoll und zuvorkommend behandelt. Es hat sich einmal ein Veranstalter beschwert, dass er zu viel Essen auftischen müsse, weil die Band ihre Freundinnen mitgenommen habe ... Im Normalfall wird man aber ebenso herzlich aufgenommen wie die Jungs.
Steffi: Es kam einmal vor, dass jemand von einer anderen Band gemeint hat, ich sei die T-Shirt-Verkäuferin von STAN OR ITCHY.
Nicole: Vermutlich gibt es Chauvinismus und Sexismus in kleinerem oder größerem Ausmaß überall.
Ein ganz großer Vorteil, Frauen in der Band zu haben, ist ...
Ariane: ... dass Frau nach dem Konzert duscht und so frischen Duft in Backstageraum und Tourbus bringt, und es sieht besser aus auf der Bühne.
Steffi: ... dass sie gerne Bier holen gehen, weil sie dann froh sind, eine kurze Pause von dem „Männer unter sich“-Geschwafel zu haben.
Nicole: Unser Gitarrist John meinte, die Musik würde für das Publikum zur Nebensache verkommen, stünden mehr Frauen auf der Bühne. Ein Vorteil liegt jedoch darin, dass das Publikum in diesem Fall auch gemischter ausfällt und es keine klassische Rollenverteilung gibt.
Mit welchem Klischees möchtet ihr gerne aufräumen?
Ariane: Dass Frauen im Backstagebereich grundsätzlich die Freundinnen der Bandmitglieder sind.
Steffi: Ich halte nicht viel von Klischees, auch wenn es sie immer geben wird. Mir ist wichtig, dass STAN OR ITCHY gute Musik machen. Ich hoffe, so weitere Frauen zu motivieren, dass sie sich in diese Männerszene hineintrauen.
Nicole: Dass Musikerinnen für Ordnung sorgen, kein Bier trinken und Vegetarierinnen sind.
Wie seid ihr mit der Ska- und Punk-Szene in der Schweiz in Berührung gekommen?
Ariane: Ich wurde von einer Freundin eingeladen, in ihrer Band mitzuspielen. Die Band hatte keinen Namen und nur einen vage definierten Stil, doch bald waren die richtigen Leute zusammen. Ska war in der Schweiz ein echtes Szene-Ding. Die Welle kam erst, nachdem wir schon eine Weile zusammen spielten und auch eine Setlist zusammen hatten. Die wichtigste Band für uns war damals KALLES KAVIAR aus Basel, die schon lange dabei war und uns in ihrem Vorprogramm spielen ließ. Die Schweizer Szene war außerdem geprägt von den VENTILATORS, WAZOMBA aus Olten und QUATRE IN TOULOUSE aus Bern. Ansonsten fanden noch eine Menge Konzerte von europäischen, amerikanischen und jamaikanischen Bands statt. Wichtig für uns waren Dr. Ring Ding, der damals noch mit den SENIOR ALLSTARS tourte, und EASTERN STANDARD TIME. Mit beiden spielten wir sehr früh in unserer Bandgeschichte zusammen. Sehr prägend waren auch die Konzerte im Vorprogramm von SKATALITES und Laurel Aitken.
Steffi: Durch OPEN SEASON, SKALADDIN und NGURU. OPEN SEASON sind in der Schweiz unumstritten die Nummer eins. SKALADDIN war eine der ersten Schweizer Skapunk-Bands, das erste Album „Rub The Lamp“ schlug hierzulande voll ein. Einige Bands aus Übersee entdeckten zu der Zeit Europa und davon profitierten dann auch NGURU, die schon seit 1996 aktiv sind.
Nicole: Wir haben sämtliche Facetten der Ska- und Punk-Szene erst als Band durch unsere Konzerte und durch Benno Riedmann, dem Chef der Schweizer Ska- beziehungsweise Punk-Labels Leech und 808 Records, kennen gelernt. Er hat unsere beiden Alben veröffentlicht und uns an viele Orte gebracht.
Welche musikalische Entwicklung habt ihr hinter euch und in welche Richtung geht es derzeit?
Ariane: Wir haben in den Anfängen fast ausschließlich Ska gespielt, zuweilen fast 2Tone, jedoch grundsätzlich „traditional“ und mit einer Menge Jazz- und etwas Latin-Einflüssen. Im Laufe der Zeit ist mehr Rocksteady und Reggae dazugekommen. Wichtige Einflüsse waren die Tourneen mit Victor Rice und King Django, aber auch unsere persönliche Entwicklung. Wir sind auf den Geschmack von Electro und Dancehall gekommen, was sich auch in unserer Musik widerspiegelt. Wir präsentieren jetzt alte Musik im neuen Gewand, da sind die Möglichkeiten unerschöpflich. Wo das genau hinführt, ist schwer zu sagen, das kann man ja auch nicht planen. Wir spielen grundsätzlich, was uns gefällt, aber es wird bestimmt in der Art von „Here We Go“, unserem neuesten Album, weitergehen.
Steffi: Bands wie die SPECIALS, SKATALITES, BUSTERS, TOASTERS oder auch SUBLIME haben uns den Ska schmackhaft gemacht. Dabei haben wir stets versucht, nicht unsere Legenden zu kopieren, sondern die Musik so zu gestalten, dass sie für uns funktioniert. Natürlich haben wir erst mit der Zeit gelernt, gewisse Finessen in unser Songwriting einfließen zu lassen. Momentan orientieren wir uns am traditionellen Ska, aber auch Blues-Einflüsse sind zu spüren. Lassen wir uns überraschen.
Nicole: Musikalisch haben wir eine enorme Entwicklung durchgemacht. Erst Ska, dann Ska-Pop, Ska-Punk, schließlich Punkrock. Und nun? Rock vielleicht? Wir schreiben momentan neue Songs und sind jedenfalls gespannt, in welche Richtung es uns verschlägt.
Was ist in diesem Jahr geplant?
Ariane: OPEN SEASON spielen dieses Jahr zwar keine Konzerte in der Schweiz, machen aber drei Auslandstourneen. Nach intensiven Clubtouren im letzten Jahr machen wir hier eine Pause, bevor wir 2010 mit der großen Zehn-Jahre-Jubiläums-Fete zurückkommen ... Deutschland steht 2009 bestimmt auf dem Plan. Wir sehen uns im Frühling, Sommer oder Herbst!
Steffi: Sicher ist, dass wir unsere erste UK-Tour bestreiten werden und auch ganz bestimmt wieder nach Deutschland kommen.
Nicole: Momentan steht das Schreiben von Songs an erster Stelle. Irgendwann wollen wir ein dann neues Album veröffentlichen, und das Angebot für eine Deutschlandtournee würden wir sicher nicht abschlagen. Liebe Clubs, wir freuen uns auf eure Anrufe!
Simon Brunner
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