N.T.Ä.

Foto© by Denise Belschner

Jeder Song ist eine Geschichte

Kaum eine Band hat mich in den letzten Jahren so abgeholt wie N.T.Ä. aus Saarbrücken. Jetzt ist ihr Debütalbum „Stories That Pave The Road To Hell“ auf Kidnap erschienen. Wir sprachen mit Frontfrau und Bassistin Nadine Nevermore, Gitarrist Tommy Crack und Drummer Äxel Äxport über toxische Cis-Männlichkeit, Burnout, aber auch über das vielleicht wichtigste in einer Band – Freundschaft!

Euer Album ist auf Kidnap erschienen, bei dem Song werdet ihr von Alex von PASCOW unterstützt. Wie ist es dazu gekommen?

Alex: Mit den Aufnahmen ging es im Februar letzten Jahres richtig los. Das war die Zeit, wo wir auch PASCOW auf deren Release-Show supportet haben. Da ging es dann auch los mit Kidnap.
Nadine: Ich kenne die Jungs von PASCOW schon ewig.
Alex: Da bestand schon eine lange Freundschaft und das hat sich dann alles so ergeben. Und auf der Release-Show – das war ja ein Riesending für uns – haben wir den Song „Molar“, der uns schon damals super gut gefallen hat, live mitschneiden lassen.
Nadine: Wir haben uns gedacht, wir hätten gerne eine gesangliche Unterstützung. Und dann haben wir Alex von PASCOW gefragt, und er hat zugestimmt.

Der Opener „Boys will be boys“ handelt von toxischer Cis-Männlichkeit, auf der Bühne habt ihr ein Schild mit „It’s a dress and not a yes“.
Nadine: Ich finde, dass das auch in der Szene thematisiert werden muss. Weil die Szene nicht so ein Safe Space ist, wie man dachte. Ich habe das auch schon mehrfach erlebt. Man spürt das schon, ob das jetzt ein versehentliches Streifen im Pogo ist oder ein gezieltes Anfassen am Hintern. Und gerade letzteres kam schon öfter vor, gerade wenn ich in der ersten Reihe stand, dass ich gezielt betatscht wurde. Und ich habe es erst bisher einmal erlebt, dass die Leute drum herum das mitbekommen haben und dass der Typ dann auch von der Security rausgeschmissen wurde. Aber das war wie gesagt bisher erst einmal. Und ich habe das erst als „Ja, das ist dann so“ abgetan. Aber im Zuge der Thematisierung habe ich gedacht: „Nee halt, das ist eben nicht so!“
Alex: Für uns ist es auch sinnbildlich für unsere Shows. Wir wollen nicht die Großen, Starken in der ersten Reihe haben, die alle anderen wegdrängen oder wegschieben. Bei uns kann jeder vor die Bühne gehen und jeder hat das gleiche Recht. Es ist so, dass jeder sich wohlfühlt auf unseren Konzerten, jeder sich anständig benimmt und auch aufpasst aufeinander.
Nadine: Jeder darf jeden schubsen!
Alex: Für uns ist das die oberste Priorität, dass sich jeder wohlfühlt! Da gibt es keine Diskussion drum.
Nadine: Es heißt immer noch „Es sind halt Jungs“. Das wurde zu lange gesagt. Deswegen der Song und auch unser Schild. Nur weil ich einen tiefen Ausschnitt trage oder einen kurzen Rock, heißt das nicht, das man mir auf den Hintern hauen darf oder sonst was machen darf. Und deswegen ist der Song als erstes auf der Platte.
Alex: Und das war auch der erste, den wir als Single von der Platte veröffentlicht haben. Und das war letztendlich eine Kampfansage.

Und „Burnout“ – wie persönlich ist der?
Alex: Der Text ist schon persönlich, aber auch gesellschaftspolitisch. Burnout gilt mittlerweile als Volkskrankheit, da der Druck immer mehr wächst.
Nadine: Es ist ja auch total seltsam. Bei ersten Treffen im Smalltalk wird ganz häufig gefragt „Und, was machst du beruflich?“. Als ob das etwas Wichtiges wäre.
Alex: Bevor man fragt „Wie geht es dir?“ oder „Wie läuft’s?“ kommt immer erst die Frage „Was machst du beruflich?“.
Nadine: Das ist schon krass seltsam, dass das in der Gesellschaft so einen hohen Stellenwert hat. Nach dem Motto, ohne Arbeit bist du nichts. Und an diesen Anforderungen gehen auch viele Leute kaputt.
Alex: Ich arbeite mit Kindern. Und da geht die chronische Überforderung schon los, und dann bis ins hohe Alter. Das Hamsterrad ...

Ihr habt auch zwei ältere Songs auf dem Album, „Empowerment“ und „Control“.
Alex: Die beiden Songs sind uns auch sehr wichtig. Die haben wir damals schon als Single in digitaler Form veröffentlicht. „Empowerment“ war der erste Song, den wir überhaupt hatten. Mit dem sind wir als Band quasi zusammengekommen. Und aus politischer Sicht ist er auch ein ganz wichtiger Song. Und dem Song „Control“ wollten wir auf jeden Fall noch mehr Aufmerksamkeit schenken und neu aufnehmen, weil er immer noch politisch so aktuell ist, weil diese ganzen machtgeilen diktatorischen Arschlöcher eben so vieles ruinieren – ohne Rücksicht auf Verluste.

Ihr benutzt als Songtitel nur Hauptwörter.
Alex: Schön, dass dir das auffällt. Du bist wirklich der erste, der uns darauf anspricht.
Nadine: Am Anfang haben wir uns nicht so viel dabei gedacht. Und dann haben wir gesagt, ja, das ist jetzt unser Ding. Auch das mit den Großbuchstaben.

Auch der Song „Dryland“ ist mir aufgefallen. Es gibt ja nicht viele Bands, die über eine austrocknende Welt singen.
Nadine: Einer der Gründe ist, dass ich ehrenamtlich bei der Saarbrücker Crew von Viva con Agua dabei bin. Und deswegen ist mir die Thematik auch sehr wichtig. Und es ist wieder keine schöne Geschichte, mit der wir uns auch außerhalb der Band beschäftigen. Und seit dem ersten Gig haben wir auch immer eine Spendendose dabei.

Ihr habt englische Texte. Die einzige deutsche Textzeile lautet „Fick die AfD“. Wie seht ihr die jetzigen Demonstrationen?
Nadine: Mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, wieviele Menschen sich dagegenstellen. Auch in der Ecke, wo ich eigentlich herkomme, war jetzt letztes Wochenende eine Demonstration, was ich jetzt nicht erwartet hätte. Das hat mich sehr glücklich gemacht. Und ich hoffe, dass das anhält und auch was bewirkt. 2016 hat man den Protest gegen die AfD ja noch belächelt. Und ich hoffe, dass das kein Phänomen wird, das in einem Monat wieder vergessen ist.

Die LP ist aufgemacht wie ein Skizzenbuch aus dem Kreativbereich.
Nadine: Jeder Song ist eine Geschichte. Und wo schreibt man Geschichten auf? In einem Notizbuch. Also habe ich mir ein Notizbuch gekauft und alles da reingeschrieben. Und die Zeichnungen sind von meinem Freund.
Alex: Und das Schöne ist, dass für das Booklet alle Seiten von dem Notizblock, das Nadine vollgeschrieben hat, abfotografiert worden sind. Und das Buch, das man in den Videos sieht, ist eben dieses Notizbuch, wo Nadine alles reinschreibt. Das ist jetzt nicht digital gestaltet. Ein Bekannter meinte, wir hätten doch den N.T.Ä. Sticker anders setzen können. Nein das geht nicht, weil der Sticker echt geklebt ist.
Nadine: Und auch der Kaffeefleck ist echt.

Ihr wart letztes Jahr drei Tage mit CASUALTIES auf Tour, wo ich euch in Köln live gesehen habe und werdet auch im kommenden Jahr mit ihnen spielen.
Alex: Sie kommen im Sommer wieder und da dürfen wir wieder bei ein paar Gigs mitspielen. Da freuen wir uns tierisch drauf.
Tommy: Ich habe die Band das erste Mal 2005 live gesehen, noch mit altem Sänger und altem Basser. Da habe ich nicht gedacht, dass ich mal mit denen auf einer Bühne stehen werde.
Nadine: Wir waren vor zehn Jahren auf dem Ruhrpott Rodeo, auch um CASUALTIES zu sehen. Wir sind morgens mit hängenden Iros aus dem Zelt gekrochen – und jetzt spielen wir im Sommer selbst auf dem Rodeo.
Alex: Das ist schon so ein Traum. Wenn man selbst jahrelang vor der Bühne stand und dann selbst die Chance hat, da oben zu stehen. Das hat auch der Sänger von CASUALTIES im Gespräch im Backstage gesagt, dass er schon als kleiner Junge in einer Band spielen wollte. Der liebt das einfach. Wir packen gleich den Tour-Bus und dann geht es wieder los. Das ist natürlich auch sauanstrengend. Aber das Gefühl, mit unserer Band, also mit Freunden, auf Tour zu sein, das gibt einem so viel Freude.

Wie wichtig ist die Freundschaft in der Band?
Alex: Eigentlich ist das auch das Schwierige an einer Band, die richtigen Leute zu finden. Das ist eine höchst emotionale Sache. Man hört ja immer wieder, dass Bands nicht im Guten auseinandergehen. Als wir in Köln gespielt haben, hat auch ein junger Gitarrist zu mir gesagt, dass es ihm so schwerfalle, Leute für eine Band zu finden. Wir haben natürlich auch die Erfahrung gemacht. Und wir sind einfach glücklich, dass wir drei uns haben. Es muss ja auf so vielen Ebenen passen. Persönlich, wenn man Konzerte spielen und auf Tour sein will. Musikalisch muss es passen, und natürlich auch, was die Einstellung betrifft. Und das ist schon ein Glücksgriff, wenn man sich gefunden hat. Eine Band ist wie eine Beziehung, die man hegen und pflegen muss.