In Ox 138 ließen wir im ersten Teil dieses Berichts Musiker von norwegischen Hardcore-Bands zu Wort kommen. Sie erzählten, wie sich in den Achtzigern die DIY-Strukturen der europäischen Hardcore-Szene entwickelten, die bis heute die Basis unserer Szene darstellen. Teil 2 schließt daran an.
LYRICS
Der Slogan „Punk ist mehr als nur Musik“ begleitet die Szene seit den Achtziger Jahren. Bei Punk geht es nicht allein darum, Spaß zu haben oder eine Straßenschlacht anzuzetteln, wo immer man ist, denn sonst hätten die Mitglieder der Punk-Szene auch Metalhead, Gothic oder Psychobilly werden können. Der politische wie auch der sozial- und gesellschaftskritische Aspekt der Texte der Hardcore-Punk-Bands war und bleibt bis heute ausgesprochen wichtig. Aber worum ging es bei diesen Inhalten und was war den Bandmitgliedern wichtig?
Jens-Petter Wiig, ANGOR WAT
Wir wurden bald als Anarcho-Band bezeichnet, denn CRASS waren unser größter Einfluss – nicht nur in ihre Texte, sondern auch in der Art und Weise, wie sie arbeiteten. Wir hatten auch unser eigenes Label und ein Fanzine, aber die Leistung von CRASS war schon gewaltig. Textlich ging es viel um Weltpolitik und weniger um lokale Themen. Aber unsere Hauptbotschaft war im Grunde genommen, aufzustehen und selbst aktiv zu werden, genau so wie wir es auch gemacht haben, wie ich denke.
Viggo Mastad, ISRAELVIS
Als wir ISRAELVIS gründeten, waren wir mehr oder weniger fertig mit den direkt politischen, parolenartigen Texten, die wir bei ANGOR WAT hatten. Die Aussage der Texte blieb die gleiche, aber die Formulierungen wurden ironischer, persönlicher oder abstrakter. Der Bandname selbst war ein Wortspiel, das zwei wichtige Dinge der westlichen Welt zusammenbrachte, und war eindeutig ironisch zu verstehen. Oder wie wir es im Titeltrack des letzten ISRAELVIS-Albums formuliert haben: „Life it has been good to us / The white guilty and glorious / Live our lives by the unbeatable philosophy / Of one for you and two for me“. Zusammenfassend kann man also sagen, dass die Texte von ISRAELVIS viel mit der Egozentrik unserer Kultur und vor allem mit der Bereitschaft unserer Gesellschaft zu tun hatten, Ungleichheit, Unterdrückung und Grausamkeit zu akzeptieren, um unseren Lebensstil und das Paradigma des „Fortschritts“ aufrechtzuerhalten.
Finn-Erik Tangen, BANNLYST
Die Texte, die wir bei BANNLYST geschrieben haben, beschäftigen sich sehr stark mit dem Thema Krieg und der Absurdität der Existenz von Führern, die anderen Menschen befehlen, für sie zu töten, aus welchem Grund auch immer sie sich das vorstellen können. Wir haben diesen Druck selbst gespürt, da die Möglichkeit bestand, dass wir zum Wehrdienst in Norwegen hätten eingezogen werden können. Zum Glück sind wir alle am Ende um den Kriegsdienst herumgekommen. Wir hatten auch Texte über die rechten Bewegungen in Norwegen. Wir haben die verdammten rassistischen Nazis gehasst und tun es immer noch. Das Ziel war es, unsere Botschaft möglichst jedem zu vermitteln, der sich dafür interessierte, und damit vielleicht andere ähnlich zum Nachdenken anzuregen, wie die Texte anderer Bands mich über die Jahre inspiriert haben.
Frank Østrem, FADER WAR
Unser Sänger Steven hat unsere Texte geschrieben. Er verließ diesen Planeten im Frühjahr 2006. Themen? Krieg, Gewalt, Religion und Ungerechtigkeit waren es, was uns wütend machte!
Roger Andreassen, LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT?
Ich schätze, man könnte sagen, dass wir Texte zu vielen verschiedenen Themen hatten, sowohl politische Songs als auch andere, die inspiriert waren durch zwischenmenschliche Beziehungen, also eher auf einer persönlicheren Ebene. Nach einer Weile wurde es mir und Katja wichtig, Texte zu schreiben, die von jedem unterschiedlich interpretiert werden können. Meistens passierte das absichtlich, aber von Zeit zu Zeit kamen Leute auf mich zu, die mich baten, Teile von Texten zu erklären, die für sie eine völlig andere Bedeutung hatten als das, woran ich beim Schreiben gedacht hatte. Ich finde, das ist eine tolle Sache. Eindimensionale Texte sterben schnell, nachdem sie verfasst wurden. Texte, die für verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge bedeuten, bleiben am Leben. Wow! Ich schätze, wir sind Dichter. Haha!
Kjartan Kristiansen, WANNSKRÆKK
Unsere Texte waren auf Norwegisch und wurden vor allem durch Langeweile und dem Gefühl von Enge geprägt. Eingeengt von kleinbürgerlichen Erwartungen, während in der realen Welt gleichzeitig fürchterliche Ereignisse wie Kriege stattfanden, wogegen wir „Kleinen“ nichts ausrichten konnten. Und obendrein hatte meine Freundin gerade mit mir Schluss gemacht ...
Gunnar Nuven, SVART FRAMTID, KAFKA PROSESS, SO MUCH HATE
Ich würde mal sagen, dass die Themen Sexismus und Rassismus grundsätzlich wichtig waren, für mich genauso wie für die ganze Szene in Oslo. Auch dass man sich nicht einfach hinsetzen sollte und warten, dass jemand anderes etwas unternimmt. Man soll sich selbst in den Arsch treten und was auf die Beine stellen. Und es ging es auch um Sachen, die man in bestimmten Situationen erlebt hat.
TOURSTORYS
Die Tourstorys sind das Salz in der Suppe der Geschichten, die in der Punkrock-Szene erzählt werden. Konzerte sind wichtige Treffpunkte und das Musikereignis wird zum Rahmen für die Kommunikation. Egal, ob du ehemalige oder aktive Bands nach ihren Tourneen befragst, du wirst eine Fülle von Erlebnissen zu hören bekommen. Allerdings mussten die erforderlichen Strukturen neu geschaffen werden. Im Laufe der Achtziger gab es immer mehr Konzerte, bei denen sich die Leute in ihren Heimatstädten trafen oder andere Freunde besuchten, woraufhin oft Shows für diese Freunde in ihrer Heimatstadt organisiert wurden. Aus diesem „Network of Friends“ entstand ein erweitertes und wachsendes Netzwerk von D.I.Y.-Konzertorten, gefolgt von den ersten szeneeigenen Buchungsagenturen.
Gunnar Nuven, SVART FRAMTID, KAFKA PROSESS, SO MUCH HATE
Unsere Tour mit DISORDER 1984 kam zustande, weil sie damals meine Lieblingsband waren. Ich wollte sie einfach mal treffen und bin für einen Monat nach Bristol in England gefahren. Dann hat Taf von DISORDER unsere Platte gehört und mich gefragt, ob wir mit ihnen auf Tour gehen wollen. Und schließlich kam irgendwann ein Brief von ihm, dass die Tour klappt. Wir haben uns daraufhin Interrail-Tickets besorgt und sind mit dem Equipment los, das wir tragen konnten, und waren dann mit dem Zug unterwegs – zwei Monate lang! Damals haben wir super viele Leute getroffen und für uns war das ein richtiger Kulturschock. In Norwegen konnte man nur in Oslo und Trondheim spielen, wo man auch noch eine acht- bis zehnstündige Autofahrt einplanen musste. Und dann kommst du ins AJZ Bielefeld, was damals für uns, im August 1984, im Zusammenhang mit den Chaostagen, die einen Tag später in Hannover stattfanden, ein ziemlich großes Ding war. Wir haben im Blitz in Oslo vielleicht vor 40 Leuten gespielt und auf einmal stehst du in Bielefeld und da sind 400 bis 500 Leute. Das war richtig gut voll! Ja, es gibt selbstverständlich sehr viele Erinnerungen, zum Beispiel an die Konzerte im Störtebeker in Hamburg. Die Konzerte in Linz in Österreich waren auch etwas ganz Besonderes. Es gab viele Orte mit besonderen Leuten, die richtig gut waren. Es gab größere Konzerte und auch kleinere Konzerte, wo du vor 13 Leuten gespielt hast, die aber trotzdem totalen Spaß gemacht haben. Bremen ist auch sehr gut gewesen. Wir haben recht oft mit bekannten anderen Bands gespielt. Wenn du zusammen mit FUGAZI oder so aufgetreten bist, dann war klar, dass du natürlich ein Riesenpublikum hast. Wir fanden es immer am geilsten, wenn wir mehr oder weniger auf Augenhöhe mit dem Publikum waren, so dass es einigermaßen übersichtlich war. Seltsam waren die Konzerte in Belgien, wo man wie in Scherpenheuvel schon mittags Soundcheck machen musste und am frühen Nachmittag haben wir bereits unser Konzert gespielt. Und da standen dann echt 500 bis 600 Hardcore-Leute in der Halle und sind tierisch abgegangen.
Roger Andreassen, LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT?
Ich bin nicht sicher, aber wir haben irgendwas zwischen 200 und 300 Shows gespielt. Interessierte können sich das auf dem Cover unserer Live-CD „This Might Be My Second Last Beer“ von 1994 anschauen. Da haben wir alle Shows aufgelistet, an die wir uns zum Zeitpunkt der Veröffentlichung erinnern konnten, mit Terminen, Veranstaltungsort und allem Drum und Dran. Ja, ich habe viele Erinnerungen. Zu viele, um sie zu alle erzählen, schätze ich. Aber ein paar Ereignisse sind mir noch besonders präsent: Die Kollision auf der Autobahn mit einem großen Sattelschlepper-Lkw. Bedroht werden von einem verrückten Mädchen mit zwei Macheten im Backstage-Raum der Reithalle in Bern, Schweiz. In einem Schwimmbad voller Müll in einer verlassenen Schule vor den Toren von Paris auftreten sollen, mit einem Elektrokabel, das über die Autobahn gespannt war, damit wir spielen konnten. Das war unsere erste Absage überhaupt. Das war einfach nicht möglich. Und unzählige mehr ...
Viggo Mastad, ISRAELVIS
ISRAELVIS tourten zwischen 1992 und 1994 mehrmals durch Deutschland und andere europäische Länder. Wir spielten mit anderen norwegischen Bands wie WITHIN RANGE und LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT?, aber auch alleine. Es ließe sich vieles über das Touren sagen, über ein großartiges Publikum, sich mit Gleichgesinnten und freundlichen Menschen zu treffen und die Szene, über tolle Mahlzeiten, tolle Gespräche, aber auch über verschwitzte Schlafsäcke, heruntergekommene Absteigen, Angriffe von Neonazis, komplizierte Grenzübergänge, kaputte Autos und so weiter. Alles in allem haben diese Erfahrungen extrem viel Gutes bewirkt, sowohl für die Band als auch für uns als Individuen, die wir daran wachsen und unseren Horizont erweitern konnten.
Finn-Erik Tangen, BANNLYST
Ich erzähle nur die erste Geschichte, die mir in den Sinn kommt. Ich denke, dass sie veranschaulicht, wie die Dinge früher so laufen konnten. Im Sommer 85 kauften wir Interrail-Tickets, um nach England zu fahren und dort fünf Shows zu spielen. Einige von uns kamen auf die tolle Idee, die Tickets zu nutzen, um für ein paar Tage nach Deutschland zu fahren, bevor die Tour in England begann ... Wir kamen also am Bahnhof in Hannover an und warteten auf den nächsten Zug. Plötzlich kam ein Typ namens Tobi vorbei und fing an, mit uns zu reden. Er fragte uns, was wir in Hannover machen, und wir sagten ihm, dass wir eine norwegische Band namens BANNLYST seien, und dass wir nach England fahren würden, um einige Gigs zu spielen. Er erzählte uns dann, dass er an der Organisation eines Punk-Festivals noch am selben Abend in einem Ort namens Korn beteiligt war, und wenn wir wollten, könnten wir kommen und spielen. Wir waren natürlich alle dabei und es sollte schließlich einer der besten BANNLYST-Gigs werden, den wir je gespielt haben. Wir waren vorher noch nie außerhalb Norwegens aufgetreten und plötzlich spielten wir vor vollem Haus in der Korn. Es war einfach etwas, das ich nie vergessen werde. Wir haben es geliebt! Sachen wie diese konnten passieren, obwohl wir ja völlig Fremde waren, die sich an einem Bahnhof trafen, einfach weil es Punkrock gab, was uns verband.
Kjartan Kristiansen, WANNSKRÆKK
Wir spielten die meisten unserer Shows vor einem freundlichen Publikum, das wusste, was es zu erwarten hatte – aber natürlich nicht immer. Wir hatten einmal eine Show in Molde, die in einem „Blutbad“ endete, weil sich viele etwas verletzt haben. Und in Oslo spielten wir ein paar Shows mehr oder weniger unter Androhung von Gewalt von Teilen der Blitz-Crew. Ihnen war der Zutritt zu einem Club verwehrt worden, in dem wir spielten, aber sie sagten, dass wir erst dann spielen sollten, wenn sie drin waren. Wir wollten uns von diesen Leuten nichts diktieren lassen und gingen wie geplant auf die Bühne. Das war der Anfang von etwas bösem Blut zwischen Leuten aus der Blitz-Crew und uns. Am Ende gab es nichts außer Drohungen.
Jens-Petter Wiik, ANGOR WAT
Mit ANGOR WAT war es nicht einfach, Gigs zu bekommen. Abgesehen von der UK-Tour 1985 spielten wir nur eine Show außerhalb Norwegens – in Dänemark auf der gleichen Tour. In Norwegen gab es keine richtige Möglichkeit zu touren. Oslo und Trondheim waren die Orte, wo man spielen konnte, abgesehen davon gab es für uns nur wenige Auftritte. Es gab jedoch eine für uns wichtige Tour, obwohl es nur zwei Gigs waren: Durch Briefe waren wir auf diese erstaunliche Band aus Molde mit dem Namen BANNYLIST gestoßen und sie luden uns ein, mit ihnen in Molde und Volda an der Westküste zu spielen. Das war die erste Band in Norwegen, die wir trafen, die ähnliche Vorstellungen hatte wie wir. Und das war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.
Frank Østrem, FADER WAR
Keine! Wir waren leider nie auf Tournee.
EIN RÜCKBLICK AUF DIE BAND
Wie fühlt es sich an, während der Achtziger in einer Hardcore-Punk-Band gespielt zu haben?
Jens-Petter Wiik, ANGOR WAT
Es waren meine prägenden Jahre, also hat es mich zu dem gemacht, was ich bin. Ich glaube nicht, dass ich mich auf die gleiche Weise entwickelt hätte, wenn ich zu der Zeit nicht in einer Band gespielt hätte. Die Werte, nach denen wir damals gelebt haben, sind mir immer noch wichtig. Zumindest für mich fühlt es sich nicht so an, als ob es schon so lange her wäre. Ich spiele auch immer noch in Bands, obwohl es nicht mehr meine ganze Zeit in Anspruch nimmt ...
Viggo Mastad, ISRAELVIS
Ich bin stolz auf das, was wir mit unserer Band erreicht haben, und auf die Tatsache, dass wir eine Reihe anständiger Platten veröffentlicht haben und unsere Musik vor vielen Leuten in verschiedenen Ländern spielen durften. Für uns ist die Geschichte noch nicht zu Ende und wir machen immer noch Musik, die in einer Kontinuität mit unseren früheren Bands steht. Es ist definitiv so, dass die Zugehörigkeit zur Independent-Szene uns als Personen geprägt hat und einen wesentlichen Teil unserer Identität ausmacht und wer wir heute sind. Die meisten von uns haben inzwischen Familie und Jobs, so viele Dinge haben sich sicher geändert, aber ich würde sagen, dass wir immer noch in der Lage sind, einen guten Punk-Song zu erkennen, wenn wir einen hören!
Frank Østrem, FADER WAR
Wir hatten viel Spaß!
Finn-Erik Tangen, BANNLYST
Ich muss sagen, dass ich es als Glück ansehe, in einem Alter zu sein, um Punkrock erlebt zu haben, als er in Norwegen noch in den Kinderschuhen steckte, zumindest in Molde. Ich erinnere mich nur daran, dass es eine wirklich aufregende Zeit war, in der für uns alles neu war und wir alles intensiv erlebten, was wir damals taten. Es war nicht nur irgendein verdammtes Hobby, dem wir nur am Wochenende nachgegangen sind. Es ging darum, eine ganz neue Lebensweise zu erkunden. Wir haben uns der Musik mit unserer ganzen Energie und Aufrichtigkeit gewidmet und ich hoffe, dass die Leute das immer noch spüren können, wenn sie die alten Platten hören. Für uns war das eine ernste Sache. Es ging darum, etwas zu erschaffen, das uns wirklich gehört, und nicht etwas, das in einem kommerziellen Medienstudio für die Leute produziert wird, die es konsumieren sollen. Die andere große Sache, die mir in den Sinn kommt, ist der Kontakt mit den Menschen, die uns damals viel bedeuteten. Besonders denke ich hier an ANGOR WAT in Trondheim, weil sie uns einen Tritt in den Hintern gaben, so dass wir einige unserer Sachen endlich aufgenommen und veröffentlicht haben, und weil sie einfach tolle Leute sind. Unser erstes Konzert außerhalb von Molde haben wir mit diesen Jungs gehabt. Wir hatten einen Riesenspaß! Und natürlich Gunnar und Ote bei X-Port Plater, die uns unseren ersten Gig im Blitz besorgt, unsere EP veröffentlicht und unsere Tour organisiert haben.
REUNIONS
Reunions sind nicht nur ein Phänomen von Bands aus Großbritannien und den USA, sondern auch von einigen norwegischen Bands. Doch was sind die Gründe derjenigen, die wieder mit ihren alten Bands unterwegs sind und was ist davon zu halten?
Jens-Petter Wiik, ANGOR WAT
Ich habe keine direkte Meinung dazu. Wenn Bands sich reformieren wollen, gut für sie. Und hoffentlich auch für die Menschen, die sie wieder sehen wollen. Ich finde auch nichts Falsches an Nostalgie, solange es auch gutes neues Material gibt. Was die norwegischen Bands angeht, spielt Geld sicher keine Rolle, da es nie Geld dafür gegeben hat. Es ist einfach die Liebe zur Musik und zur Szene – und hoffentlich eine gute Party!
Finn-Erik Tangen, BANNLYST
Ich habe nichts gegen Reunions, solange die Bands ihre ursprüngliche Haltung und Ausdrucksweise aufrechterhalten können. Aber viele Bands hätten besser auf eine Reunion verzichten sollen. Und wofür? Geld? Das ist einfach nur traurig ... Für mich persönlich wäre es undenkbar, BANNLYST oder SO MUCH HATE zu reformieren, ohne dass alle ursprünglichen Mitglieder dabei sind. Und da Børre 2007 verstorben ist, kann es keine Reunion dieser beiden Bands mehr geben. Ich weiß auch, dass der Rest der Jungs mir da zustimmt. LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT? haben sich aus den richtigen Gründen wieder zusammengetan, als sie nach dem Tod von Børre einen Gig für Børres Freundin und ihren neugeborenen Sohn gespielt haben. Das war ein unvergessliches Konzert. Aber wenn Bands eine Reunion wollen und sie es gut machen, wüsste ich nicht, was dagegen spricht.
Kjartan Kristiansen, WANNSKRÆKK
Was bringen Reunions? Es kann viele Gründe für eine Reunion geben. Solange du es mit einem reinen Herzen tust, ist es eine coole Sache für die Beteiligten. Aber hey, es ist die Vergangenheit.
Frank Østrem, FADER WAR
Ich persönlich mag den ganzen Reunion-Mist nicht!
Viggo Mastad, ISRAELVIS
Ich bin ein wenig zwiespältig, wenn es um Reunions geht. Sentimentalität und der Blick zurück führen uns nirgendwo hin, also würde ich lieber eine Band sehen, die neues Material hat und ihre Musik weiterentwickelt, als eine Band, die Songs spielt, die sie vor zwanzig Jahren geschrieben hat. Andererseits hat es auch seinen Wert, Großes aus der Vergangenheit wieder zu feiern, daran ist nichts auszusetzen. Aber für mich ziehe ich es vor, im Hier und Heute weiterzumachen ...
VERFÜGBARE VERÖFFENTLICHUNGEN
Im Vergleich zu anderen Ländern gab es in Norwegen in den Achtziger Jahren eine Vielzahl von Punk- und Hardcore-Veröffentlichungen, aber fast alle diese Platten sind gesuchte Sammlerstücke, besonders die Vinyl-Veröffentlichungen von X-Port Plater. Angesichts teilweise sehr hoher Preise, freue ich mich wirklich, dass einige davon in den letzten Jahren offiziell wiederveröffentlicht wurden. Deshalb habe ich die ehemaligen Bandmitglieder gefragt, welche Platten ihrer Bands heute noch erhältlich sind und wo.
Finn-Erik Tangen, BANNLYST
Es gibt nur das Rerelease-Zeug. Ansonsten wurden im Laufe der Jahre verschiedene Bootlegs veröffentlicht.
Kjartan Kristiansen, WANNSKRÆKK
Unsere beiden Veröffentlichungen und einige Demotracks sind auf der 1992er CD „Riff“ zu finden.
Jens-Petter Wiik, ANGOR WAT
Zu teilweise sehr hohen Preisen kann man sie im Netz finden, zum Beispiel bei Discogs. Aber einige Labels haben uns in den letzten Jahren darum gebeten, Sachen neu zu veröffentlichen, und wir arbeiten gerade an ein oder zwei Rereleases auf Vinyl.
Frank Østrem, FADER WAR
Ich arbeite an einer Wiederveröffentlichung von einigen Tracks für eine Compilation. Das Mastering passiert in meinem eigenen Studio. Hoffentlich werde ich sie irgendwann auf einer limitierten 180-g-Vinyl-Schallplatte veröffentlichen. (Anmerkung: Außer dem Track „Religiøs terror“ auf der V.A.-10“ „Mørk Materie No! Too“ von 2015 ist bisher nichts passiert!)
WAS MACHEN SIE HEUTE?
Was machen die ehemaligen Mitglieder dieser klassischen norwegischen Hardcore-Punk-Szene heute? Spielen einige von ihnen noch in Bands?
Jens-Petter Wiik, ANGOR WAT
1987/88 änderten ANGOR WAT ihren Namen in ISRAELVIS und wir tourten in den späten Achtzigern bis weit in die Neunziger Jahre durch Europa. Heute spiele ich in einer neuen Band namens CASTRO, zusammen mit Viggo, der früher Gitarrist war bei ANGOR WAT und Gitarrist als auch Sänger bei ISRAELVIS, sowie anderen ISRAELVIS-Mitgliedern und Katja, die bei LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT? gesungen hat. Was den Rest von ANGOR WAT angeht, so machen sie verschiedene Sachen, es gibt einen Künstler, einen Architekten ... Nur ich und Viggo spielen noch in Bands.
Frank Østrem, FADER WAR
Unser Sänger starb 2006, der Schlagzeuger arbeitet als Lichttechniker an einem großen norwegischen Theater. Der Bassist? Weiß ich nicht. Ich selbst habe mein eigenes Geschäft mit dem Verkauf und Support von Apple- und Pro-Audio-Geräten. Und manchmal übernehme ich auch Mastering- und Recording/Editing-Jobs in meinem eigenen Studio. Und ich mache Ambient-Musik.
Viggo Mastad, ISRAELVIS
Drei der Mitglieder von ISRAELVIS sind in einer neuen Band namens CASTRO zusammen mit Katja von LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT? und Karl-Martin von THE SCHOOL. Eine 7“ und das Album „River Need“ wurden 2015 veröffentlicht. Merkwürdigerweise sind drei von fünf ISRAELVIS-Mitgliedern ausgebildete Krankenpfleger und haben in verschiedenen Bereichen der Krankenpflege gearbeitet. Ich habe viele Jahre in der Neuro-Intensivpflege gearbeitet und leite nun die postgraduale Ausbildung in der Krankenpflege an der Universität Trondheim.
Roger Andreassen, LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT?
Dyret spielt Schlagzeug in der Osloer Punkrock-Band 2:20. Sie haben ein paar Platten auf einem Label namens Sjakk Matt Plater veröffentlicht. Ich und Tom gründeten DANGER!MAN zusammen mit dem Schlagzeuger von BARN AV REGNBUEN und dem Sänger von DRUNK. Katja hatte schon seit vielen Jahren in keiner Band gespielt, aber ich konnte sie dazu überreden, ein oder zwei Gastauftritte mit uns zu machen. Wir spielten 2010 in Oslo und Frankfurt. Katja singt jetzt bei CASTRO, zusammen mit einigen Jungs, die vorher bei ANGOR WAT und ISRAELVIS waren.
Kjartan Kristiansen, WANNSKRÆKK
Die Mitglieder des Haupt-Line-ups von WANNSKRÆKK spielen immer noch zusammen, mit Ausnahme des Bassisten. Er macht aber seit 20 Jahren musikbezogene Arbeit.
Gunnar Nuven, SVART FRAMTID, KAFKA PROSESS, SO MUCH HATE
Eigentlich habe ich nicht mehr so dermaßen viel Kontakt nach Norwegen, abgesehen von den SO MUCH HATE-Leuten, die noch übrig sind. Tragischerweise ist Børre ja leider gestorben. Das war damals ein Schock für mich! Wenn das früher passiert wäre, wäre ich vielleicht nicht so überrascht gewesen, weil ich gehört hatte, was da jahrelang in Oslo abging. Aber es ging Børre ja deutlich besser, nachdem er irgendwann nach Berlin gezogen war ... Per-Arne und Finn-Erik machen immer noch Musik. Finn-Erik spielt Schlagzeug bei DANGER!MAN zusammen mit Tom und Roger von LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT? Und Per-Arne wollte ein neues Projekt mit Thomas von BANNYLST und KAFKA PROSESS zusammen beginnen. Ansonsten glaube ich nicht, dass die anderen noch irgendetwas mit Musik machen. Aber die Leute sind immer noch in der Szene unterwegs, wie ich mitkriege. Wenn etwas Größeres im Blitz abgeht, dann sind sie immer noch alle da. Ich selbst wohne allerdings schon ziemlich lange in Karlsruhe, der Liebe wegen. Ich habe in Karlsruhe eine Zeit lang in diesem Punkrock- und Konzertlokal Alte Hackerei gearbeitet. Jeden Monat gibt es da sieben oder acht Konzerte, manchmal auch mehr. Ansonsten ist es eben eine Punkrock-Kneipe. Und ich spiele in einer neuen Hardcore-Punk-Band, BONE IDLES, wir machen Musik im Stil von altem US-Hardcore.
Finn-Erik Tangen, BANNLYST
Per Arne Haugen spielte Bass bei BANNLYST und bei SO MUCH HATE von 1986 bis 1995 und Gitarre bei DRUNK von 1996 bis 2006. Zur Zeit ist er nicht in einer Band. Thomas Fosseide spielte später bei KAFKA PROSESS und STENGTE DØRER. Børre spielte weiter bei SO MUCH HATE, STENGTE DØRER und CAPTAIN NOT RESPONSIBLE. Im Laufe der Jahre hatte er auch andere Bandprojekte. Børre starb am 17. März 2007. Wir vermissen ihn sehr. Ich selbst spielte Schlagzeug bei SO MUCH HATE und DRUNK und heute bei DANGER!MAN. Børre und ich spielten auch eine kurze Weile in PSYKISK TERROR, bevor wir nach Oslo zogen.
X-PORT PLATER
Gunnar Nuven, X-Port Plater, Oslo
Ich habe das Label alleine gegründet. Später kam meine damalige Freundin Ote noch dazu. Sie hatte bereits Erfahrungen damit, weil sie mit ihrer Band in Bergen eine Single selbst herausgebracht hatte. Als wir zusammen in England waren, haben wir dann einen Haufen Leute kennen gelernt, die das ebenfalls gemacht haben. Also haben wir uns gedacht, das müsste auch in Norwegen funktionieren. Und am Anfang war geplant, dass wir die SVART FRAMTID- und danach die BANNLYST-7“ machen wollen. Die anderen Veröffentlichungen kamen dann so, wie es sich ergeben hat. Ich war damals nicht auf der Suche nach irgendwelchen Bands. Es kam, wie es kam. Erst waren es norwegische Bands, später folgten mit der Split-LP von STAND TO FALL und TARGET OF DEMAND auch zwei aus Österreich. Wir hatten in Wien auf einem Festival gespielt und diese beiden Bands sind am Tag nach uns aufgetreten. Ich saß dann irgendwann früh morgens total besoffen mit dem Demotape von TARGET OF DEMAND in der Kirche, wo wir geschlafen hatten. Ich habe, glaube ich, das Tape zwanzigmal gehört ... und irgendwann habe ich mit dem Sänger Rainer mitgegrölt. Die haben mich dermaßen fasziniert, dass ich danach diese Platte machen wollte. Es gab am Ende mehrere Gründe, warum ich mit X-Port Plater aufgehört habe. Erstens hatte ich ein paar persönliche Probleme, so dass mir alles ein bisschen über den Kopf gewachsen ist, und wir waren auch ziemlich viel mit SO MUCH HATE unterwegs. Dazu war ich inzwischen auch alleine mit dem Label und irgendwann wurde es einfach zu viel. Und ab einen bestimmten Zeitpunkt wurde es auch schwieriger, etwas zu machen. Es kam dann auch diese große New-York-Hardcore Welle und irgendwann haben sich die Leute keinen unbekannten Bands mehr angehört. Du musstest da viel mehr Zeit und Arbeit reinstecken, um solche Sachen unter die Leute zu kriegen. Schließlich kamen noch ein paar Probleme mit der Band dazu und ich hatte dann einfach keine Zeit und Kraft mehr. Von unseren X-Port Plater-Releases haben wir immer 1.000 Exemplare gepresst. Nur von der LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT?-LP haben wir 1.500 Kopien gemacht.
Roger Andreassen, BARN AV REGNBUEN, LIFE ... BUT HOW TO LIVE IT?
Als Tom und ich bei BARN AV REGNBUEN spielten, halfen uns Gunnar und Ote, die X-Port Plater betrieben, nach Oslo zu kommen und für uns Gigs im Blitz-Squat zu arrangieren. Sie veröffentlichten auch die erste BARN AV REGNBUEN-7“ „Det E’kje Nåkka Artig Længer“. Am Ende habe ich mit ihnen zusammen in einer WG gelebt, um ihnen ein wenig beim Label zu helfen, und natürlich haben wir auch die erste LP auf X-Port Plater veröffentlicht. Die LP haben wir nur sechs Monate nach der Gründung der Band aufgenommen. Wenn ich zurückblicke, können wir uns wohl alle darauf einigen, dass es etwas verfrüht war. Aber wir sollten ein paar Monate später gemeinsam mit SO MUCH HATE auf unsere erste Europatournee gehen, hatten also keine Zeit zu verlieren. Zu touren war wirklich unerlässlich für die Anerkennung von Bands.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #139 August/September 2018 und Helge Schreiber