Aalen auf der Ostalb im Sommer 1986. NoRMAhl spielen im Jugendzentrum, hunderte Punks zerschmeißen Flaschen auf der Straße davor, ein paar werden von der Polizei abgeführt, hunderte laufen hinterher zur nahen Polizeiwache, hinterher ist die Rede von versuchter Gefangenenbefreiung. Im Pogomob wie vor der Polizeiwache war ich dabei, NoRMAhl waren sowas wie Lokalmatadore. Später hörte ich anderen Punk, mit dem als Funpunk titulierten Sound der Band aus dem Stuttgarter Speckgürtel konnte ich nichts mehr anfangen. 2010 feierten NoRMAhl ihren 34. Geburtstag, drehen einen quasi-autobiografischen Film mit dem Titel „Jong’r“. Dazu befragte ich Sänger Lars Besa.
Was waren die Höhepunkte in über 30 Jahren NoRMAhl, was die Tiefpunkte, und warum machst du die Band immer noch?
Höhepunkte sind nach wie vor die Live-Konzerte, wenn man merkt, dass Band und Publikum zu einer brodelnden Masse verschmelzen. Das ist vielleicht auch der Grund, warum wir die Band heute noch machen. Tiefpunkte waren sicherlich die Zeiten kurz vor der Auflösung, als uns eigentlich klar war, dass es so nicht weitergehen konnte, und wir uns alle die Frage stellen mussten, was uns nach der Auflösung trotz alledem für eine Leere erwarten würde. Tiefpunkte waren sicherlich auch Zeiten, als Konzerte wegen rechtsradikaler Demonstrationen vor den Konzertsälen abgebrochen werden und sämtliche Zuschauer unter Polizeischutz in Bussen abtransportiert werden mussten. Das waren ziemlich beklemmende Momente, allein mit ein paar Ordnern in einer leeren Halle rumzuhängen, während draußen hunderte von Rechtsradikalen gegen die Scheiben hämmerten. Höhepunkte waren auch die ersten Auslandstourneen Anfang der Achtziger Jahre unter anderem in riesigen Hallen in Ungarn, wo damals viele Punks aus der DDR auf unseren Konzerten waren. Auch die legendären Weihnachtspogos im Stuttgarter Longhorn waren jedes Mal Höhepunkte in unserer musikalischen Karriere. Aber ich glaube, dass es noch unzählige Höhepunkte gab, zum Beispiel erzählte mir jemand vor kurzem von einem legendären Konzert Ende der Siebziger Jahre auf der Schwäbischen Alb, wo wir anscheinend im Vollrausch vollkommen nackt gespielt haben sollen. Ich weiß heute zwar nichts mehr davon, aber man kann sich auch nicht alle Gigs in 33 Jahren merken.
Normalerweise machen Bands zum Jubiläum eine Live-DVD oder eine Best-Of-Platte, ihr dagegen habt euch mit „Jong’r“ einen Film gegönnt. Wie kam’s dazu?
Eigentlich hatten wir ja vor, ein Punk-Musical zu machen, was als Stuttgarter irgendwie nahe liegt. Spätestens mit der Kalkulation über das Trucking zu den Aufführungsorten wurde der Plan allerdings recht schnell wieder verworfen. Da die Idee zum Drehbuch nunmal schon vorhanden war, und Live- oder Best-Of-Platten irgendwie doch etwas abgedroschen sind, entschlossen wir uns, das Ganze eben als Film zu probieren.
Erklär doch mal den Titel. Was genau meint man im Schwäbischen, wenn man den männlichen Nachwuchs als „Jong’r“ bezeichnet?
Es sind in der Regel nicht die eigenen Eltern, die ihre Kinder als „Jong’r“ ansprechen, sondern meist Nachbarn oder Bekannte mit ihrem dummen Geschwätz. Das soll ja der Film auch ein bisschen rüberbringen, dass man zu seinen Kindern stehen muss, auch wenn die Leute sagen: „Guck mal, das ist der Jonge vom Besa“, oder „Guck mal wie dein Jong’r rumläuft“, „Aus deinem Jong’r kann ja nichts Rechtes werden“.
Wie autobiografisch ist der Film? Er wirkt wie Szenen aus dem Leben eines Provinzpunkers, die jeder von uns kennt – so was wie die schwäbische Version von „Dorfpunks“.
Der Film spielt in der Zeit zwischen dem Tod von Elvis Presley im August 1977 und dem von Sid Vicious im Februar 1979, also den wahrscheinlich ersten Anfängen von Punk in Deutschland. Insofern war das schon eine etwas andere Zeit als 1984, wo der Film „Dorfpunks“ spielt. Wir wurden in den Siebziger Jahren ganz anders von der Bevölkerung wahrgenommen und hatten gerade im Gegensatz zu den „Dorfpunk“s das Glück, einer noch unetablierten Bewegung anzugehören. Mitte der Achtziger Jahre war das ganze Ding schon relativ ausverkauft und eine angepasste Jugendbewegung. Unser Ziel war es nicht vorrangig, eine Punkband zu gründen, sondern ganz allgemein der Angepasstheit des schwäbischen Bürgertums zu entkommen. Insofern ist das Ganze durchaus autobiografisch.
Du spielst in dem Film keinen Punk, sondern dessen Vater und siehst eher aus wie Mike Ness als Elvis-Fan. Wie (un)wohl fühltest du dich in dieser Rolle?
Das war die beste Rolle, die ich spielen konnte, da ich vieles von dem, was ich gespielt habe, fast schon ohne Skript spielen konnte. Das mit Mike Ness empfinde ich übrigens ausnahmsweise als Kompliment.
Wie war das Leben damals in Winnenden? Man kannte den Ort bis zu diesem Amoklauf doch höchstens als Besitzer eines getuneten Opels, da der Spoilerhersteller Irmscher da sitzt. Und wie lebt es sich heute in Winnenden, was geht da in Sachen Punkrock?
Winnenden bestand Ende der Siebziger aus einem selbstverwalteten Jugendhaus, ein paar mit Schlägertypen besetzten Kneipen und der Zugverbindung nach Stuttgart. Eine Gärung aus Alkohol- und Drogenexzessen und hemmungsloser Gewalt. Ein Besuch in der falschen Kneipe zur unpassenden Zeit konnte durchaus schmerzlich sein, wobei wir auch keine Kinder von Traurigkeit waren. Es gab bis Mitte der Achtziger Jahre eine durchaus große und auch aktive Punk-Szene in Winnenden. In dieser Zeit wurden viele Konzerte veranstaltet und auch mal Hausbesetzungen durchgeführt, was man sich wahrscheinlich heutzutage in Winnenden kaum noch vorstellen kann. Ende der Achtziger Jahre schloss dann das halbwegs selbstverwaltete Jugendzentrum. Wir hingen zwar noch einige Jahre in einer Kneipe in Winnenden ab, aber mit Wechsel des Pächters war die Punk-Szene in Winnenden aus meiner Sicht gesehen tot. Die Firma Irmscher machte dann übrigens auch zu, was aber nicht an uns lag. Ich sehe heute an manchen Tagen noch irgendwelche 16-Jährigen zum Nix-Gut-Shop hier im Ort pilgern, wo die aber sonst so abhängen, kann ich auch nicht sagen, da ich dafür wahrscheinlich doch etwas zu alt bin.
Und was geht mit NoRMAhl 2011?
Wir spielen dieses Jahr einige große Festivals und werden natürlich auch die Clubs in diesem Land bespielen. Dann zeigen wir natürlich nach wie vor unseren Film und spielen nach den Vorführungen noch die eine oder andere Unplugged-Show. Und wenn uns noch ein bisschen Zeit bleibt, nehmen wir vielleicht mal wieder ’ne ganz neue Platte auf. Wir haben ja keinen Stress.
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