Vor einigen Monaten, ich war gerade im wohlverdienten Urlaub angekommen, fiel mir eine Platte in die Hände, die mich beim ersten Hören enorm irritierte: "Caution Overload" von NO HEAD ON MY SHOULDERS, einer Band, die nach Ska klingt, ihre Songs aber spielt wie Progressive Rock. Endlos lange Stücke, enorm komplexe Rhythmen, etliche Taktwechsel, exotische Instrumente (okay, nicht jeder würde ein Telefon als Instrument durchgehen lassen, aber sonst funktioniert mein Einstieg nicht). Interessant, doch wer, bitte schön, puzzlet solche Stücke zusammen? Hinter dem Sound steckt ein zehnköpfiges Orchester aus Österreich, das neun Musiker, einen Tontechniker, massig Gitarren, Bläser, Drums und ganz viel anderen Kram beherbergt. "Caution Overload", ihr Debütalbum, besteht aus Hunderten verschiedenen Soundfetzen und kann ganz schnell zu einem anstrengenden Durcheinander mutieren, wenn der/die werte Herr/Frau Zuhörer/in nicht gewillt ist, konzentriert zuzuhören. Früher noch überwiegend im Punk- und Hardcore-Terrain unterwegs, haben NHOMS ihr Repertoire erweitert und machen nun Musik nach dem Motto "Ein schlechter Künstler kopiert und ein Guter stiehlt." Was dahintersteckt, beantworteten mir Phil, Florian, Martin und Pero per E-Mail.
Neun Musiker zusammen in einer Band, das schreit regelrecht nach langen Diskussionen und nervigen Kompromissen. Wie schafft ihr es, alle eure Ideen unter einen Hut zu bringen?
Martin: Eine Band in der Größe kann nur durch eine Diktatur geführt werden. Sicherlich sind gewisse Entscheidungen demokratische Prozesse, aber die Aufgabenverteilung und deren Überwachung, die Qualitätskontrolle, das muss Strukturen haben. Das Wirtschaftliche managet Phil und das Musikalische versuche ich zu managen. Da wir so viele Leute beziehungsweise Ressourcen haben, wollen wir natürlich zusehen, diese optimal zu nutzen.
Phil: Fast jeder singt. Das bringt richtig Stimmung, wenn jeder soviel wie möglich von sich selber preisgibt. Instrumente bleiben eigentlich immer fix. Administrativ haben wir unsere Aufgaben verteilt, wiederum ein Faktor, der bei der Größe der Band unbedingt notwendig ist, denn es fällt viel Arbeit an: Obwohl wir in Österreich von professionellen Agenturen wie Inkmusic, Resonance Promotion oder Remedy Records betreut werden, nehmen wir sehr gerne mal etwas selbst in die Hand, vor allem wenn es ums Ausland geht. Und auch unser Merchandise und unseren Online-Shop machen wir selbst.
NO HEAD ON MY SHOULDERS - welche Bedeutung steckt hinter diesem Namen?
Martin: Der Name entspricht exakt dem Punkbandnamenbild jener Zeit, als wir uns gegründet haben. Ein "No" musste jede Band im Namen haben, NOMEANSNO, NOFX, FAITH NO MORE und so weiter, "Head", um auch das intellektuelle Publikum anzusprechen, "On" als klassisches Bindewort, "My", um den immer selbstreflektierenden Kritiker darzustellen, und "Shoulders" kann als Symbol für die immer zu tragende Last und Verantwortung als Entertainer interpretiert werden.
Pero: Unser Bassist fand, dass unsere Zivilisation kopflos durch die Welt läuft und wie ferngesteuert agiert. Natürlich war die Band selber zu dieser Zeit auch nicht wirklich viel besser unterwegs. Es hat damals einfach gepasst und es passt noch immer. Und natürlich wurden wir auch durch unsere großen Idole zu dieser Zeit,wie NO FUN AT ALL oder NO USE FOR A NAME dazu inspiriert.
Martin: Heutzutage sehen wir den Namen als Denkenanstoß. Viel zu viele Menschen schließen sich gewissen Strömungen und Gruppierungen an und kopieren einfach nur deren Denkschema. Dabei bleibt der individuell denkende Mensch, speziell in der Jugendkultur, auf der Strecke.
Wie versucht ihr, diese Denkanstöße zu geben, folgt daraus, dass ihr euch als politische Band begreift?
Martin: Wenn man sich heutzutage auch nur ein bisschen darum kümmert, was um einen herum passiert, kommt man gar nicht drumherum, politisch zu sein. Ich denke, wir sind eine politische Band, jede Band ist das. Aber sich auf die Bühne stellen und dem Publikum sagen, wie es denken soll, das sollen andere machen. Wenn ein Mensch nicht von selbst darauf kommt, was richtig und falsch ist, bringt es nichts, ihm etwas aufs Auge zu drücken, denn dann würde es mit der Gegenmeinung genauso funktionieren. Wir verstehen uns eher als Hinweisgeber: die Menschen zum Denken anzuregen, das ist das Ziel.
Pero: Es ist wirklich schwer, gute politische Texte zu schreiben, ohne dabei selbst ein Opfer der so genannten eigenen Medienlandschaft zu werden und dadurch Statements abzugeben, die durch die ständige Beeinflussung entstanden sind. Immerhin sind sehr viele Menschen von diesen Themen betroffen und man sollte sehr sensibel sein. Die Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben und somit liegt die eigentliche Wahrheit immer irgendwo in der Mitte. Aber wir bemühen uns, und falls wir einmal falsch liegen, dann bitten wir um Verzeihung.
Phil: Gäbe es in der Politik eine Wahrheit, wäre Politik überflüssig. Deshalb will ich mich da nicht auf eine Richtung festnageln lassen. Wir sind im Allgemeinen politikkritisch, thematisieren aber auch soziale oder teilweise groteske Alltagsprobleme. Sich selber zu ernst zu nehmen, wäre nicht gut, darum wandern wir oft ins Skurrile ab.
Lasst uns mal zu eurer Musik kommen. Zwischen all den Sprach- und Soundfragmenten, Tempowechseln und einfach außerordentlich vielen Instrumenten ist es verdammt schwer, überhaupt einen Anfang und ein Ende eurer Stücke zu registrieren, geschweige denn, Strophen oder Refrains zu erahnen. Wie entsteht die Musik von NHOMS, habt ihr dafür ein Konzept?
Martin: Jedes Riff, jede Melodie kann gut sein, wenn man es nur nicht zu lange auslutscht. Unser Konzept ist es, kurzweilig zu sein, und damit den Hörer zu zwingen, die Musik aktiv wahrzunehmen. Fahrstuhlmusik gibt es heutzutage sowieso viel zu viel.
Pero: Das Konzept ist ziemlich einfach: Pump, Pump, Pump. Wenn wir merken, dass es zu viel wird, hören wir auf und die Nummer ist fertig.
Florian: Martin, der für Vocals, Posaune und Telefon zuständig ist, hat die meisten Ideen und von ihm kommen auch die Gerüste für die Songs. Sie kommen schon fast fertig aus seinem Kopf und dann wird geschliffen und gefeilt und eine echte NHOMS-Nummer entsteht. Oft kann man wegen der Zwischenteile und Breaks die Form nicht mehr so klar erkennen, aber es gibt Strophen und einen Refrain. Bei den neuen Nummern sind wir dazu übergegangen, tatsächlich auch Strophen zu wiederholen. Als kleines Zugeständnis an die Zuhörer.
Das klingt ja nun alles sehr durchdacht und überlegt. Wie habt ihr zu solch einem Konzept gefunden, respektive wie sieht euer musikalischer Background aus?
Pero: Wir haben alle einen unterschiedlichen Hintergrund. Einige haben ihr Instrument auf die klassische Art und Weise erlernt, zwei studieren es sogar, und der Rest hat es sich selbst beigebracht. Natürlich kommt dann irgendwo eine Phase, in der eine Entwicklung einsetzt, und dann ist einfach Unterricht notwendig, da es sonst zu lange dauern würde, es sich selber beizubringen. Sehr viel bringt man sich auch gegenseitig bei, was ich am schönsten finde. NHOMS ist einfach über die Jahre gewachsen. Am Anfang waren wir gerade mal zu viert, und wir wollten einfach nur Musik machen. Davon sind drei, nämlich Martin, Phil und ich, bis heute dabei. Es war einfach die typische Punkrock-Combo. Mit der Zeit sind wir langsam, aber doch immer weiter gewachsen. Es war teilweise schwer, die richtigen Leute zu finden, die erstens ihr Instrument beherrschen, zweitens aber auch zu uns passen und mit der gleichen Einstellung durchs Leben gehen mussten. Die Band und die Musik stehen einfach an erster Stelle und dann kommt erst der Rest.
Martin: Das ist ja das Schöne, dass jeder irgendwoanders herkommt, das macht das Ding abwechslungsreicher. Die Leute kommen sowohl aus dem Jazz als auch aus der D.I.Y.-Punk-Ecke. Also sowohl Studierte als auch Autodidakten.
Phil: Zu Beginn, Ende der 90er, Anfang 2000, waren wir fest in der österreichischen Punk-Szene verwurzelt. Das gab uns Selbstbewusstsein und zeigte uns: wir können es schaffen. Vom Songwriting her waren wir eigentlich schon immer experimentell veranlagt, was aber mit wachsender Besetzung und wachsendem Instrumentenverständnis immer besser umgesetzt werden konnte.
Trotz der unterschiedlichen Backgrounds: Begreift ihr euch als Ska-Band?
Florian: Wir werden da reingedrängt, weil es noch am einfachsten ist, uns dort einzuordnen. Die Musik, die uns alle geprägt hat, ist aber so vielfältig, dass sich das nicht in zwei Sätzen zusammenfassen lässt. Jeder hat seinen Background und bringt das in die Musik der Band ein. Ich bin zum Beispiel der Jazzer der Truppe.
Pero: Persönlich haben mich auf jeden Fall Punk, Hardcore und Ska stark geprägt. Die Bands auf Burning Heart, Epitaph und Fat Wreck fand ich schon immer genial und sie sind es für mich noch immer. Aber natürlich entwickelt man sich weiter und es kommen immer mehr Bands und Musiker dazu, und heute ist es wirklich ein großes Spektrum und es wird immer größer. Wir fühlen uns im Punkrock zu Hause, obwohl unsere Musik dafür etwas untypisch ist. Wir verarbeiten natürlich auch viele Elemente aus der Ska/Punk-Ecke, aber wir haben auch kein Problem damit, ein Jazz-Publikum zu begeistern. Wir wollen keine Grenzen definieren und uns dadurch einschränken lassen.
Was steht dann als Nächstes bei euch an?
Phil: Im Moment arbeiten wir eifrigst am Songwriting und an der Produktion des neuen Albums. Die Aufnahmen dazu werden im Sommer stattfinden, Veröffentlichungsdatum ist im Frühjahr 2009. Und wir möchten sobald als möglich in Deutschland spielen, eine Tournee ist bereits in Planung, doch suchen wir noch nach den richtigen Partnern, um alles zu organisieren. Es ist sehr hart, Shows zu booken, da uns kaum jemand in diesem Raum kennt, aber wir geben nicht auf und nehmen natürlich jede Hilfe an.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #77 April/Mai 2008 und Katrin Schneider