Alle Bands aufzuzählen, in denen Nigel Powell in den letzten Jahren getrommelt hat, würde den Platz dieser Einleitung bei weitem sprengen. Das Besondere an ihm ist seine auf den ersten Blick unspektakuläre, bei näherem Zuhören jedoch den Sound unglaublich prägende Art zu spielen. Und weil ihm das permanente Leben im Tourbus anscheinend noch nicht anstrengend genug ist, hat er zwischendurch immer wieder Platten von anderen Bands und Musikern produziert, gemischt oder als Musiker mitgewirkt. Zur Zeit ist er mit Frank Turner auf Tour um die Welt und es ergab sich vor dem Gig in Hannover die Gelegenheit, über seine abenteuerliche Karriere zu sprechen.
Nigel, hast du als kleiner Junge schon die Töpfe und Pfannen deiner Mutter zerstört?
Ja, genau das habe ich getan. Als ich so ungefähr sieben Jahre alt war und mein Bruder schon Gitarre spielte, brauchte er jemanden, der mit ihm zusammen Krach macht. Ich habe dann Topfdeckel an Bindfäden aufgehängt und sie als Becken benutzt. Als Ersatz für die Snaredrum habe ich einen Plastiktopf benutzt, in den ich Drahtabschnitte von alten Kabeln füllte. Das klang dann einer Snare schon recht ähnlich und ich war glücklich.
Wann hast du dann dein erstes richtiges Schlagzeug bekommen?
Als ich elf war, spielte er schon in einer Schulband und war auf der Suche nach einem Drummer mit einem vernünftigem Drumkit. Als die Familie im Sommerurlaub war, wurde bei uns zu Hause eingebrochen und viele Dinge – wie zum Beispiel der Verlobungsring meiner Mutter – wurden gestohlen. Als dann später die Versicherung ausbezahlt wurde, sagte meine Mutter, dass sie wohl keinen neuen Verlobungsring brauchen würde, da sie ja schon lange verheiratet wäre. Mein Bruder ergriff sofort die Initiative und sagte: „Na dann kauf doch Nigel ein Schlagzeug.“ Und so geschah es dann auch und meine Eltern ließen sich überreden, mir ein Schlagzeug zu kaufen. Ich war zunächst gar nicht wirklich motiviert, habe mich dann aber so schnell in die Sache reingekniet, dass mein Bruder bald richtig genervt war, weil ich viel besser Schlagzeug spielte, als er auf seiner Gitarre.
Was für Musik hat dich damals inspiriert?
Damals habe ich viel IRON MAIDEN und MARILLION gehört, die sich musikalisch ähnlicher sind, als man auf den ersten Blick glauben würde, denn beide haben ihre Wurzeln letztlich im Rock. Und natürlich darf ich GENESIS nicht vergessen. Mit diesen Platten habe ich in meinem Zimmer gesessen und mir abgeschaut, was da so abgeht.
Hast du jemals Unterricht genommen?
Nein, eigentlich nicht, ich habe mir fast alles selbst beigebracht. Als ich 13 war, hatte ich mal zwei Stunden Schlagzeugunterricht, aber es hatten sich schon so viele schlechte Angewohnheiten in meinen Stil eingeschlichen, dass es wohl sinnlos war, da noch ein weiteres Mal hinzugehen. Zu dieser Zeit spielte ich ja auch schon in einer Band mit meinem Bruder und viele Leute gaben mir wertvolle Hinweise, so dass ich gut aufgehoben war. Als wir dann von London in die Nähe von Oxford zogen, spielte ich auch dort in einigen Schülerbands und entwickelte mich so immer weiter, denn auf Dauer war es doch anstrengend, immer mit dem älteren Bruder in einer Band zu spielen. Das konnte nicht gutgehen. Damals spielten wir auch nur Coverversionen von IRON MAIDEN, DEF LEPPARD und anderen Rockbands und ich habe mich dann mit meiner ersten eigenen Band mehr in Richtung R.E.M. und Indie-Musik orientiert.
Hast du nach der Schule einen Beruf gelernt oder war dir schon klar, dass du Profimusiker werden wolltest?
Nein, ich habe keinen wirklichen Beruf gelernt und war eigentlich immer auf die Musik fokussiert. Nach der Schule hatte ich mit PURPLE RHINOS die erste Band, mit der ich wirklich hart gearbeitet habe und für einige Jahre auf Tour gewesen bin. Als wir dann nicht mehr weiterkamen und uns nach einigen Meinungsverschiedenheiten auflösten, wusste ich plötzlich nicht, was ich tun sollte. Freunde von mir gingen damals gerade mit ihrer Band auf Tour und ich durfte als Lichtmischer für sie arbeiten. Ich dachte, das wäre eine gute Gelegenheit, um mal für ein paar Monate den Kopf frei zu bekommen. Dann wurde die Band plötzlich berühmt und aus den paar Monaten wurden eineinhalb Jahre. Ich gründete dann mit meinem Schulfreund Andy die Band UNBELIEVABLE TRUTH und wir haben es tatsächlich geschafft, einen Plattenvertrag bei Virgin zu bekommen und ein paar Platten auf dem Label zu veröffentlichen. Ich habe mich aber neben meinen Bandprojekten immer für viele Aspekte des Musikgeschäfts interessiert. Insbesondere für alles, was mit „auf Tour sein“ zusammenhängt. Ich liebe es einfach, auf Tour zu sein, und war schon als Lichtmann, Backline-Techniker und Tourmanager mit verschiedenen Bands unterwegs. Tatsächlich hatte ich 1994 ein verlockendes Angebot, für ein weiteres Jahr als Bühnenbeleuchter auf Tour zu gehen, aber das hätte bedeutet, dass ich meine Karriere als Drummer hätte aufgeben müssen. Die Entscheidung fiel mir damals nicht leicht, aber ich habe mich für das Trommeln und meine Band entschieden. Irgendetwas in mir hat gesagt, du musst Schlagzeug spielen.
Obwohl du ja niemals nur Schlagzeuger warst, sondern auch als Produzent arbeitest. Ist das nicht untypisch für Schlagzeuger?
Oh nein, ich glaube nicht. Ich kenne sehr viele Schlagzeuger, die sich mit Studiotechnik und Aufnahmeprozessen beschäftigen und früher oder später als Produzent oder Mischer tätig gewesen sind. Das liegt wohl im Wesentlichen daran, dass ihre Bandkollegen sie als Musiker nicht ernst nehmen und sie sich dann andere Fähigkeiten aneignen müssen, um akzeptiert zu werden. Also habe ich das auch getan und für UNBELIEVABLE TRUTH sowohl die Demos aufgenommen als auch später die Alben produziert. Für den heutigen Popstar Milow habe ich die erste Platte produziert, weil er ein großer Fan meiner Band war und mich fragte, ob ich das machen wollte. Das war ein harter Job, denn wir haben das ganze Album in nur sechs Tagen sowohl aufgenommen als auch fertig gemischt. Als das Album in Belgien später Goldstatus erreichte, waren wir natürlich stolz und seine internationale Karriere startete richtig durch.
Wie bist du dann Frank Turner über den Weg gelaufen?
Ich spielte 2005 bei DIVE DIVE und wir waren die Vorband für eine Band namens REUBEN, auf deren Englandtour. Frank spielte damals noch bei MILLION DEAD und hat auf dieser Tour T-Shirts für REUBEN verkauft. Frank mag es auch nicht, zu Hause herumzusitzen, und ergriff jede Gelegenheit, wieder unterwegs sein zu können. Der Soundcheck beim ersten Gig der Tour musste sehr schnell gehen, so dass ich mich einfach hinter das Schlagzeug setzte und „Rock and roll“ von LED ZEPPELIN spielte. Frank hörte das und meinte hinterher: „Oh Mann, das klang ja ziemlich cool.“ Wir hingen dann für den Rest der Tour oft zusammen rum und Frank erzählte mir von seinen Plänen für eine Solokarriere. Später lud dann unser Gitarrist Frank nach Oxford ein, um seine erste EP aufzunehmen. Wir hatten mit DIVE DIVE unser eigenes Aufnahmestudio und so geschah es dann auch. Frank nahm sein erste EP und später seine erste LP bei uns auf und seitdem hängen wir irgendwie zusammen. Frank glaubte damals bestimmt, es wäre nur so eine Beziehung auf Zeit, aber irgendwie ist letztlich eine dieser sehr langfristigen Beziehungen auf Zeit daraus geworden. Irgendwie ist das lustig, denn heute kommen viele Leute zu Frank und sagen: „Wir fanden dich besser, als du noch keine Band hattest.“ Ich bin aber ziemlich sicher, dass die allererste Note auf Franks erster EP von mir gespielt wurde, denn das war ein Drumbeat. Es fühlt sich alles sehr gut an und eigentlich ist es wie in einer richtigen Band, nur halt mit einem sehr starken Bandleader.
Hast du ähnlich wie Frank eine Vergangenheit in der britischen Punk- oder Hardcore-Szene?
Nein, überhaupt nicht, aber verrate es ihm nicht, sonst bin ich meinen Job los, haha. Manchmal ist es auf Tour wirklich hart für mich, weil Frank die gesamte Fahrzeit damit verbringt, mir irgendwelche Platten vorzuspielen, von denen er meint, die müsste ich unbedingt kennen. Ich kenne meistens eher die Bands aus dem Grenzbereich von Indie und Punk, wie die PIXIES oder IDLEWILD aus England beziehungsweise Schottland, so dass wir immerhin ein paar Bands haben, über die wir uns unterhalten können. Eine Band auf die wir uns alle einigen können, ist FUGAZI, die ich sehr liebe, obwohl ich sonst eher Rock höre. Ich stehe zum Beispiel sehr auf GENESIS, obwohl mich andere Prog-Rock-Bands eher kalt lassen. Ähnlich ist es auch mit Bands wie BLACK FLAG, bei denen ich zwar weiß, warum sie gut sind, mich ihre Musik aber dennoch kalt lässt. Es gibt also viele Bands unterschiedlicher Musikstile, die ich mag, aber ich würde nie sagen: „Ich mag Punk, also muss ich jede Band mögen, die Punk spielt.“
Was für ein Drumset spielt du heute und wie hat es sich im Laufe der Zeit entwickelt?
Mein allererstes Set war ein altes Rogers-Schlagzeug, weil es einfach das billigste Set war, das damals im Laden herumstand. Ich habe dann lange Zeit ein Premier-Set gespielt, während wir mit UNBELIEVABLE TRUTH unterwegs waren, weil ich einen ganz guten Deal mit denen hatte, der es mir ermöglichte, die Drums deutlich günstiger zu bekommen. Leider hat mir der Deal nicht viel gebracht, weil ich mir direkt davor ein neues Premier-Set gekauft hatte.
Gab oder gibt es Drummer, zu denen du selbst aufgeschaut hast
Für meine Karriere als Schlagzeuger waren insbesondere zwei Drummer von Bedeutung. Der eine war Phil Collins und der andere war Rob Ellis, der für P.J. Harvey auf ihren ersten Alben gespielt hat. Der Typ war so großartig, weil er auf den ersten Blick technisch nicht wirklich toll war, aber seinen ganz eigenen Stil entwickelt hatte, den man sofort überall wieder erkennen konnte. Wenn man ihn spielen sah, wirkte er immer völlig verkrampft und es tat körperlich weh ihm zuzuschauen, aber der war so kreativ und spielte wie niemand sonst. Mike Bordin von FAITH NO MORE ist auch großartig und es gibt so viel gute Drummer, die man alle gar nicht erwähnen kann, ohne hier den Rahmen zu sprengen. Von den ganzen Jazz-Größen sollte ich Art Blakey und Buddy Rich nennen, wobei insbesondere Rich wohl der größte Drummer ist, der jemals gelebt hat. Da sollte man sich unbedingt mal alte Aufnahmen besorgen und genau zuhören, was da so passiert.