Stuttgart gilt zweifellos als perfekte Brutstätte für schaurig-punkige Kreaturen. Das trifft auch auf die NECKARIONS zu, die bereits 2019 den morastigen Ufern des Neckars entstiegen, um den Südwesten der Republik mit ihrer knackigen Mischung aus 1980er-Jahre-Hardcore-Punk und Surf heimzusuchen. Auf Smith & Miller Records erschien nun endlich das neue Album „Waterfront“, zu dem uns Schlagzeuger Helge Rede und Antwort stand.
Woher kommt diese düstere Gruselnote bei euch?
Wir sind große Horror- und SciFi-Fans, ganz besonders hat es uns der Kiemenmensch aus Jack Arnolds Film „Der Schrecken vom Amazonas“ angetan. Er hat sich ein wenig zu unserem Markenzeichen entwickelt und auch bei unseren Live-Shows spielt er eine wichtige Rolle.
Eure letzte EP kam Ende 2022 raus, nun folgt bald das neue Album „Waterfront“. Ihr wart demnach nicht gerade untätig.
Ja, definitiv. Im Laufe der letzten zwei Jahre entstand eine bunte Mischung aus zwölf Songs, die nun auf „Waterfront“ das Licht der Welt erblicken. Unter anderem eine Coverversion des COCK SPARRER-Stücks „Where are they now?“, ein Feature-Intro mit Kevin Cole von den TURBO AC’S sowie ein echter Song aus den 80er Jahren, in dem unser Sänger Ivan über seine Zeit in K-Town berichtet, als er öfter mit den SPERMBIRDS die Bühnen teilte. Das Coverartwork hat der spanische Künstler Ramon Girones für uns gezaubert. Es ist die perfekte, düstere Verpackung für unseren Sound.
Was treibt euch inhaltlich um? Gibt es einen roten Faden?
Nun, textlich sind wir ziemlich breit aufgestellt: Von politischen Themen, Zombies, reinem Blödsinn bis hin zu menschengemachtem Weltuntergang. Wir zeigen klare Kante gegen Arschlöcher in allen Bereichen, sind engagiert im Netzwerk „Kein Bock auf Nazis“ und haben dieses Jahr ein Festival gegen rechts organisiert. Den roten Faden des neuen Albums sehe ich hingegen vor allem in der knackigen Produktion von Andy Laaf von MAD SIN, in dessen Proberaumstudio in Neukölln wir alle Songs in nur drei Tagen in einem Rutsch runtergeprügelt haben.
Wie steht’s mit Videos?
Wir haben für das Album ein Live-Video zum Song „Questions“ gedreht. Wie der Titel unschwer vermuten lässt, geht es darum, dass sich in deinem Kopf die Fragen im Kreis drehen, weil alles droht, dich verrückt zu machen: die Nachrichten, die asozialen Medien usw. Also stellt sich die Frage: Kann das euer Ernst sein? Die Vorabsingle „Fuck the world“ ist Ausdruck unserer Wut und Ohnmacht gegenüber der Dummheit der Menschheit im Umgang mit unserem Planeten. Die zweite Single, „American devolution“ thematisiert den Niedergang der USA, den wir seit Jahren beobachten und der sich weltweit ausbreiten wird. Denn unser Lebensstil und unsere Gier führen zu Kriegen, Hunger und Hass. Das, zusammen mit Fake News und Egoismus hat die Devolution und letztlich die Auslöschung der Spezies zufolge. Aber wir sehen dem Ganzen interessiert zu und können es nur mit Sarkasmus ertragen ...
Und was hat sich klanglich bei den NECKARIONS getan? Was zeichnet die neuen Songs aus?
Also „Waterfront“ ist in sich deutlich homogener als unsere vorherigen Veröffentlichungen, dabei aber trotzdem sehr abwechslungsreich geraten. Wir wollten, dass das Songwriting diesmal noch mehr wie aus einem Guss klingt, und sind wirklich glücklich mit dem Ergebnis. Seit dem ersten Album haben wir uns kontinuierlich weiterentwickelt und dabei mit unserem Mix aus Streetpunk, US-Westcoast-Punk mit Singalongs und Surf unsere eigene Nische gefunden, würde ich mal sagen. Und natürlich ist der häufige Vergleich mit den DEAD KENNEDYS immer wieder sehr schmeichelhaft, was vor allem an Ivans Gesang liegen dürfte.
Eure Liebe für den klassischen 1980er-Jahre-Kalifornien-Punk ist unverkennbar. Seid ihr also genau mit dieser Musik sozialisiert worden?
Ja, das siehst du richtig, wir lieben diesen Sound und sind damit aufgewachsen. Du entdeckst diese eine Liebe und kommst nie wieder davon los ...
Zum Abschluss noch ein bisschen Punk-Geografie: Was geht momentan im Stuttgarter Raum? Welche Bands sind angesagt, welche Clubs und Plattenläden lohnen einen Besuch, wo gibt’s die besten Spätzle mit Soß?
In Stuttgart ist echt viel los – von Crust bis Skatepunk gibt es eine rege Szene hier im Großraum. Leider nimmt die Anzahl der Clubs ab, so ist zum Beispiel das legendäre Goldmark’s von der Schließung bedroht. Viele Konzerte sind schlecht besucht, daher unser Appell an alle: Arsch hoch, geht auf Konzerte, traut euch, auch unbekannte Bands zu entdecken, und lasst die Eventisierung links liegen! Ebenso beim Plattenkauf: Gebt den kleinen Bands eine Chance, deren LPs sind in der Regel günstiger als die der großen und ebenfalls billiger als die ganzen Rereleases. Wir würden auch gerne mehr verlangen für Merch und Tonträger, aber wo sich etablierte Bands mit Preisen überbieten, da unterbieten sich die kleinen. Damit werden kaum die Produktionskosten gedeckt. Übrigens hat in Bad Cannstatt vor ein paar Monaten sogar ein neuer Plattenladen eröffnet, es gibt überhaupt eine Menge Plattenläden im Raum Stuttgart, die einen Besuch lohnen. Oh ja, regionale Klischees sind schon was Tolles! Jetzt muss ich aber Schluss machen und die Kehrwoche erledigen.
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