Nach dem erfolgreichem Comeback steht mit „All Is Dust“ nun Album Nummer acht in den Startlöchern. NEAERA-Sänger Benny erzählt vom Entstehen des Albums, von der neuen Komplexität der Songs, warum das Artwork seinen ganz eigenen Reiz hat und dass es aktuell nicht ganz einfach ist, eine Show auf die Beine zu stellen, die bezahlbar ist.
Nach einer kreativen Pause meldeten sich NEAERA 2020 mit einem großen Knall zurück. Das selbstbetitelte Album kam damals völlig unerwartet und dass Corona kurz nach dem Release verhinderte, dass die Scheibe angemessen betourt wurde, war nach der langen Abwesenheit der Band ein Schlag in die Magengrube. Dennoch beginne ich unser Gespräch damit: „Als wir das letzte Mal gesprochen haben, haben wir uns noch mit den Worten verabschiedet: ‚Cool, dann sehen wir uns ja sicherlich mal auf einem eurer Konzerte‘ – und dann kam die Pandemie.“ Nach einer rundum gelungenen und in kürzester Zeit ausverkauften Release-Show in ihrer Heimatstadt Münster war dann erst mal eine lange Pause angesagt, was NEAERA ja eigentlich genau jetzt nicht mehr wollten. Als wir uns für dieses Interview treffen, ist das allerdings längst überwunden. „Das fühlt sich auch alles schon wieder an, als wäre es in weiter Ferne“, beginnt Sänger Benny.
Die Zeit fliegt und NEAERA konnten gerade erst eine Tour hinter sich bringen, von der sie überglücklich nach Hause zurückkehrten. Dabei gab es im Vorfeld leichte Bedenken. Benny berichtet von der gerade absolvierten Impericon Tour: „Ich hatte ja echt richtig Schiss, dass wir da gar nicht ins Line-up passen“, erzählt er, kommt dann aber schnell zu dem Schluss, dass diese Angst völlig unbegründet war. „Es hat alles wirklich gut funktioniert, aber bis kurz vor unserem ersten Auftritt war ich mir da nicht sicher und scheiße nervös. Und das ist auch gar nicht wertend gemeint, aber wir waren eine der wenigen Bands, bei denen nichts explodierte. Für uns war es schon eher eine Seltenheit, dass wir wie in Leipzig eine eigene Person für die Lichtshow hatten.“ Aber aus den Zuschauerreihen war das Feedback dann rundum positiv: „Ich fand es vor allem cool, dass auch einige sehr junge Leute auf uns zukamen und uns gut fanden. Gleichzeitig wurde mir auch zurückgespiegelt, dass es einige Leute gab, die wegen uns da waren und sich unsicher waren, ob sie mit dem Rest des Line-ups etwas anfangen können, die aber überglücklich nach dem Konzert feststellen konnten, dass doch rundum alles gepasst hat.“
Aber natürlich gibt es auch abseits der Bühne wichtige Neuigkeiten: „All Is Dust“ steht an und mit dem mittlerweile achten Longplayer kommen auch einige Neuerungen. Auf dem neuen Album gehen NEAERA nämlich bei aller Treue zu den eigenen Wurzeln auch viele neue Wege, öffnen ihren Sound, werden komplexer und haben sich streckenweise komplett neu erfunden, um dann an anderen Stellen fast wie auf dem Vorgänger „Neaera“ zu klingen und an alte Glanztaten anzuknüpfen. Das Ganze ist in sich super stimmig und eine sehr willkommene Abwechslung. Zwar fällt auf, dass „All Is Dust“ verglichen mit den Vorgängern etwas an Tempo eingebüßt hat, trotzdem wird die Abrissbirne weiterhin oft genug geschwungen. Benny stimmt zu: „Ja, das trifft es echt perfekt auf den Punkt. Es war noch nie so schwierig für uns, einen Song zu finden, den wir als erste Single raushauen wollen. Unsere Wahrnehmung war, dass die Stücke sehr unterschiedlich sind dieses Mal. Ein Track beispielsweise ist sehr melodisch, der nächste wieder eine richtige Abrissbirne. Manche gehen eher in eine melancholische Richtung oder sind etwas vertrackter.“ Neben dem neuen Facettenreichtum beschäftigt ihn aber vor allem die größere Komplexität der neuen Titel: „Wir haben vor allem etwas Mut zu längeren Songs bewiesen und hatten darüber auch einige Diskussionen im Proberaum, ob man das heutzutage so bringen kann. Man hat ja aktuell oft Angst wegen der Aufmerksamkeitsspanne. Ich habe gehört, dass ein Song schon innerhalb der ersten Sekunden zünden muss, sonst schalten die Leute direkt ab und das finde ich schon ganz schön krass. Jetzt erscheint ‚Pacifier‘ als erste Single. Bei dem Song gab es oft die Diskussion, dass der auch ordentlich lang ist. Aber ich finde, das kann man den Leuten schon zutrauen.“ Ich werfe ein, dass ich es gerade heutzutage auch sehr begrüße, wenn Musik nicht immer direkt so leicht verdaulich ist. Benny nickt: „Ich bin mega happy, dass du es auch so siehst. Ich muss aber echt gestehen, ich habe aktuell trotzdem ein bisschen Bammel. Man fordert ja aktuelle Hörgewohnheiten damit ein Stück weit heraus, aber gerade bei unserer Musik bin ich mir sicher, dass man das den Leuten noch zumuten kann. Aber ich bin sehr gespannt, ob auch Leute, die unsere Musik gar nicht kennen, die Muße haben, sich damit auseinanderzusetzen.“ Wer sich „All Is Dust“ mit offenen Ohren und mit voller Konzentration widmet, der wird definitiv belohnt. Der erwähnte Facettenreichtum steht dem Album nämlich sehr gut zu Gesicht. Schließlich ist es noch nicht allzu lange her, dass die Genrekollegen HEAVEN SHALL BURN es mit einem ziemlich sperrigen Doppelalbum an die Spitze der deutschen Charts geschafft haben und damit eine Lanze brechen konnten für Platten, die weit mehr als nur einen Anlauf brauchen, um sich dem Hörer voll und ganz zu erschließen. Benny erklärt weiter: „Bei ‚Pacifier‘ finde ich es auch total wichtig, dass man sich die Zeit nimmt. Nach so circa zwei Minuten fünfzig kommt nämlich ein Bruch und es startet ein sehr melodischer Part. Dieser entfaltet seine ganze Wirkung aber gerade deswegen, weil vorher nur Geballer war. Ich finde so was geil. Und ich liebe es auch, bei längeren Songs nach mehrmaligem Hören immer noch neue Sachen und Details zu entdecken. Aktuell fällt mir das bei BREAKDOWN OF SANITY wieder auf.“ „All Is Dust“ strotzt vor solchen Momenten und ich finde tatsächlich immer wieder neue Facetten und Parts, die mir beim vorherigen Hören noch nicht so richtig aufgefallen sind.
Auch wenn es Genremitstreiter schon vormachten und Benny selbst komplexe Musik mag, bleibt eine gewisse Aufregung vor dem Release der ersten Klänge von „All Is Dust“: „Also jetzt, da es so langsam auf die Veröffentlichung der ersten Single zugeht, merke ich, wie ich zunehmend schlechter schlafe, haha. Ich bin so gespannt auf die Resonanz, die uns erwartet. Es gibt ja immer auch negative Kommentare und vielleicht frage ich mich dann, ob wir nicht lieber einen anderen Song hätten auswählen sollen.“
Um den Albumrelease auch gebührend zu feiern und die Reaktionen der Fans auf das neue Material live mitzubekommen, wollen NEAERA der Tradition treu bleiben und eine Release-Show im heimischen Münster veranstalten. Dabei sollen die Tickets für alle Interessierten erschwinglich bleiben. Das stellt sich aber 2024 aufgrund einiger Faktoren als gar kein so leichtes Unterfangen heraus: „Wir haben uns in den Kopf gesetzt, das Ganze zu einem möglichst kleinen Preis zu veranstalten und das hat wirklich Kraft und Energie gekostet, das so zu organisieren. Das war viel Rechnerei und wir sind unglaublich dankbar, dass auch die andere Band, die wir uns für den Abend ins Boot geholt haben, mit uns an einem Strang zieht, denn sonst wäre das leider nicht möglich gewesen.“
Auch für das finale Produkt haben sich NEAERA viele Gedanken gemacht. Und hier gilt ebenfalls: Es darf gerne etwas vom gängigen schnellen Konsum weggehen. Oft ist es eben schöner, ein physisches Produkt in Händen zu halten und sich dem Album mit allen Sinnen zu widmen. Ein essenzieller Teil davon ist natürlich das Artwork: „Das Cover stammt von Giannis Nakos von Remedy Art Design. Ich fand seine Sachen schon immer mega geil und habe mal total ehrfürchtig bei ihm angefragt. Er hat direkt so sympathisch und nett geantwortet und erwähnte sogar ein, zwei Songs von uns, die er kennt und mag. Das fertige Artwork von ihm finde ich jetzt richtig krass. Es ist für uns mal was komplett anderes. Vor allem wenn man das Gatefold-Cover von der Vinylversion aufschlägt, hat das wirklich was.“ Das Gleiche gilt aber auch für Printmagazine: „Auch da ist es einfach geiler, etwas ‚Echtes‘ in der Hand zu haben. Und genau deswegen denke ich, dass das auch nicht so schnell ausstirbt.“
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