Myanmar Goes Democrazy

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Ein Dokumentarfilm von Daniel Grendel

Es hat etwas leicht Unseriöses, sich einem Film zu nähern, welcher von einem Land handelt, in dem man selbst bisher nicht gewesen ist, und dessen Hintergründe man somit auf den ersten Blick doch recht wenig bis gar nicht nachvollziehen kann. Dennoch, ein Versuch sei gestattet.

Myanmar, das ehemalige Burma und westliche Nachbarland Thailands, befindet sich seit relativ kurzer Zeit in einem Demokratisierungsprozess. Die ehemaligen Militärherrscher ließen freie Wahlen zu und verloren unlängst einen guten Teil ihrer Macht an die langjährige Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi. Das nahm Filmemacher Daniel Grendel zum Anlass, anhand seiner Dokumentation „Myanmar Goes Democrazy“ diesen spannenden Weg nachzuzeichnen. Und da ein Teil des Filmes von zwei Streetpunks aus Yangon handelt, gab es noch ein Argument mehr für mich, mir diesen Film zu Gemüte zu führen.

Der Film beginnt mit Comiczeichnungen, die einen somit zwar optisch schonend, dafür aber inhaltlich nicht wenig eindrucks- und gehaltvoll in den Streifen tragen. Das heutige Myanmar wurde im 13. Jahrhundert von Mongolen unter Kublai Khan besetzt. Das geschah nicht zum letzten Mal, und das Land wechselte gezwungenermaßen häufig seine Herrscher und Besatzer. Im Jahre 1824 kamen die Engländer und 1886 gehörte Burma dann nach drei anglo-burmesischen Kriegen zur Provinz British India. Staatslenker Thibau Min musste ins Exil gehen und im zweiten Weltkrieg wurde Burma von Japan okkupiert. Am 12.02.1947 wurde Burma dann vertraglich als eigener Staat fixiert. Doch Eigenständigkeit, Wohlstand und Zukunft besaß das Land damit noch lange nicht. Vor allem, weil das von nun an in Myanmar umbenannte Land seit 1962 unter Militärherrschaft stand und diese im Zuge des angesprochenen Demokratisierungsprozesses erst allmählich aufzuweichen beginnt. Ein paar Zahlen belegen dies deutlich: So betrug die durchschnittliche Lebenserwartung im Jahre 2011 (dem Jahr, in dem endlich ein ziviles Staatsoberhaupt an die Macht kam) 64,9 Jahre, 2002 hatte sie noch bei 57,2 Jahren gelegen. Zwangsarbeit, die Zwangsräumung ganzer Dörfer, die nach wie vor nicht beendeten Kämpfe ethnischer Gruppen untereinander, mangelhafte Krankenversorgung sowie ein monatlicher Durchschnittslohn von 2,50 Dollar illustrieren dieses Szenario ziemlich deutlich. Am 08. November 2015 standen endlich freie Wahlen in dem lange isolierten „Goldenen Land“ an, die die siebzigjährige Grande Dame der Opposition und Friedensnobelpreisträgern Aung San Suu Kyi für sich entscheiden konnte. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu wirklich demokratischen Verhältnissen.

Nachdem eine junge Frau ihren (Arbeits) Alltag bisweilen mit Tränen in den Augen schildert, begleitet das Filmteam sie zu einer Wahlveranstaltung von Aung San Suu Kyi. Countrymusik-ähnliche Klänge sind im Hintergrund zu hören, während das offenbar „gut erzogene“ oder disziplinierte Volk ihre Rede goutiert und ihr förmlich jedes gesprochene Wort von den Lippen abliest. „Aber nun sehe ich in enthusiastische Gesichter“, spricht die Politikerin. Sie besitzt Anmut und Verve, reißt zu Beginn ihrer Rede das Mikrofon aus der Halterung. Aung San Suu Kyi konstatiert, dass „wir immer noch keine Demokratie haben“, und dass in Myanmar „weiterhin Menschenrechte“ missachtet werden. Doch sie liefert bereits einen Lösungsansatz: „Startet die Demokratie in eurer eigenen Familie“, schlägt sie vor. „Verbietet euren Kindern nichts, ohne zu erklären warum.“ Sie sollen schließlich ihren „Führern nicht folgen, ohne das Recht zu haben, Fragen zu stellen“. Sie wird die Wahl später mit deutlicher Mehrheit gewinnen, kann jedoch aufgrund eines alten Gesetzes nicht selbst Präsidentin werden, auch ist sie in ihrer kommenden Regierungszeit nicht davor gefeit, dass nicht das Militär bei Entscheidungen das letzte Wort hat.

Nach einer intensiven halben Stunde Film kommen dann die beiden Streetpunks „Metal“ und „Skin“ zu Wort. Es ist Punkmusik mit burmesischen Texten (von der Hardcore-Punk-Combo REBEL RIOTS, mit Metal als Sänger) zu hören, während sich die Kamera in einer Nachtszene den beiden nähert. Das Ganze wirkt in der Perspektive sehr unaufgeregt beobachtend, angenehm distanziert, dadurch eben nicht gestellt, sondern authentisch. Daniel Grendel erklärt seine filmische Herangehensweise im Allgemeinen und diese Szene im Speziellen so: „Ich habe jeweils mindestens zehn Tage mit den Protagonisten gelebt beziehungsweise versucht, sie kennen zu lernen und Vertrauen aufzubauen, bevor ich eine Kamera mit in ihre Nähe gebracht habe. Dann kam die Kamera mit ans Set, doch dies auch vorerst, ohne zu drehen. Nach und nach habe ich angefangen, die Kamera laufen zu lassen. Ich musste zuvor Teil ihres Umfeldes werden.“ Doch da Myanmar eben kein freies Land ist, musste Grendel in den sechs Monaten, in denen er im Land drehte, auch in die Trickkiste zu greifen, um das Projekt zu realisieren. „Ich hatte häufiger Kontakt mit der Polizei oder der Geheimpolizei. Ich habe immer gesagt, dass ich einen Film über den Buddhismus drehe. Wenn sie etwas sehen wollten, hatte ich immer eine Speicherkarte mit passendem Material parat.“

Man sieht die Punks auf offener Straße sitzen und bereitwillig Auskunft geben. Sie seien etwa zwölf in jener Gruppe, insgesamt gebe es schätzungsweise siebzig Punks in Burma, und sie wechseln oft ihre Treffpunkte. Die Message von Metal wirkt vertraut, hierin ist Punk offenbar international. „Ich hasse alles. Aus politischen Gründen bin ich Punk geworden. Wir nehmen keine Drogen, aber Alkohol macht Spaß. Wir hängen herum, schmieden Pläne, schreiben Texte, amüsieren uns.“ Zudem – noch eine Parallele zu anderen Orten dieser Welt –, gebe es unter ihnen auch „bürgerliche Jungs aus gutem Hause, die studieren, ,Fashion Punks‘, für die das Ganze mehr ein Spiel ist“. Wobei auch das, in einer sich erst sukzessive auflösenden Diktatur, sicherlich Mut erfordert.

Daniel Grendel bringt enorm viel unter in diesen 92 Filmminuten, doch überfordert wird man als Zuschauer höchstens auf der emotionalen Ebene, wenn man Frauen und sogar Kinder auf Müllbergen im Freien arbeiten sieht. Richtiggehend schön sind hingegen die collagenartigen Konzert- und Hintergrundausschnitte von pogenden Punks mit turmhoch gestylten Stachelhaaren. Sie zeigen die Kraft dieser unzerstörbaren Bewegung, selbst unter den widrigsten Umständen. Grendel, der insgesamt 14 Protagonisten begleitete, von denen letztendlich fünf in der Endfassung übrig blieben, porträtiert hier auch einen Mönch. Die Begegnung mit ihm bescherte ihm, morgens um halb fünf, sein schönstes Dreherlebnis: „Die Sonne geht scheinbar unglaublich langsam auf, aus Lautsprechern ertönt ein seltsames und doch fast romantisches Lied, welches nur in sehr schlechter Qualität zu hören ist. Ich habe meine Kamera geschnappt und bin ums Kloster spaziert, um die ersten Sonnenstrahlen einzufangen. Auf einer Treppe saßen zwei junge Novizen. Nach einer Weile haben sie angefangen, den Text mitzusingen. Es war ein unglaublich friedlicher Moment, obwohl Polizei, Geheimpolizei und das Militär uns beobachteten.“

Die Filmpremiere am 26. Oktober 2015 in Berlin war ein voller Erfolg – eine solch vielschichtige und aufwändige Fleißarbeit findet zu Recht ein neugieriges Publikum. Das Kino war ausverkauft und einige Besucher mussten stehen. „Das war ein Moment der Anerkennung für den Film“, erzählt Daniel Grendel. „Myanmar Goes Democrazy“ ist wirklich sehenswert und horizonterweiternd. Da eine Firma sich bereits die weltweiten Rechte gesichert hat, ist davon auszugehen, dass es eine DVD/Blu-ray-Fassung davon geben wird. Abschließend noch mal der Punk Metal über sein persönliches Schicksal: „Sie war Christin, ich bin Punk. Trotzdem war ich in sie verliebt. Ich dachte, solange sie bei mir ist, könnte sie sie selbst sein und ich könnte ich sein. Wir haben uns respektiert. Dann ist sie am 1. Mai 2008 bei dem Zyklon gestorben. Meine Frau, meine Kinder – tot. Sie starben und ich wurde Extremist. Mein Leben war zerstört.“ Doch wie überall gilt auch hier, die Hoffnung stirbt zuletzt: „Irgendwie wünsche ich mir doch wieder ein Punkmädchen.“ Und bei diesem Satz lächelt er schon wieder.