Heidelberg, das verbindet mensch eher mit einer von japanischen und amerikanischen Touristen überschwemmten Altstadt und weniger mit bodenständigem Rock´n´Roll. Aber was sagt die geographische Herkunft schon aus über die Qualitäten einer Band? Nichts, gar nichts, eben, und so sind MUCUS 2 meiner bescheidenen Meinung nach derzeit eine der coolsten R´n´R-Bands des Landes. Nach dem letztjährigen Kracher, der "Bargain Basement Boogie"-10", hat der Vierer unlängst sein erstes Album "Excitation!" an den Start gebracht. Ich sprach mit "Cannonball" Schmidt, dem Mann an der zweiten Gitarre.
Erklärt mir doch mal, warum ihr auf der Bühne mal Englisch, mal Deutsch redet.
Sad Rockets ist ´n Ami, wir anderen Deutsche. Da kommt das von ganz alleine, das heisst, eigentlich reden nur Sad Rockets und prolligerweise auch Kid Charlemagne auf der Bühne Englisch, ich und Redondo Beat vermeiden das. Es gab da auch schon schöne Missverständnisse, etwa dass man Sad Rockets nicht abgenommen hat, dass er Amerikaner ist. In Leipzig hat ihn mal ein Typ mit sächsischem Akzent auf Englisch angebrüllt "Speak your own fucking language!", worauf Andrew, also Sad Rockets, der an dem Abend schlecht gelaunt war, dem Kerl beinahe aufs Maul gehauen hätte. Jeder im Publikum dachte aber, das wäre eine Showeinlage gewesen...
Darf ich fragen, wo der Kerl überhaupt herkommt und was er in Heidelberg macht?
Der ist vor drei oder vier Jahren aus San Diego zum Studieren nach Heidelberg gekommen, aber mehr als ein Semester hat er nicht durchgehalten und sich dann stattdessen der Musik verschrieben. Damit haben wir jetzt überhaupt keinen Studenten mehr in der Band. Aber bis auf Redondo Beat haben zumindest alle in der Band Abitur. Aber der Mann ist ja auch noch jung.
Apropos jung: ihr seht alle noch recht jung aus.
Also Redondo ist 21, Sad Rockets ist 26, ich auch, und Kid Charlemagne ist unser Oldtimer, der ist schon 35.
Und, kann der noch mit euch mithalten oder schwächelt der bereits?
Meist schon, aber bei längeren Trompetensoli hyperventiliert er schon mal und lässt sich dann erschöpft auf den Barhocker hinter seiner Orgel fallen.
Du hast mir eben schon eure grossartigen Pseudonyme vorgetragen - eine schöne Rock´n´Roll-Tradition, die sich gerade in den letzten Jahren wieder grösserer Beliebtheit erfreut.
Klar, schau dir nur mal Bands wie die OBLIVIANS oder die MAKERS an. Aber ich muss zugeben, wir praktizieren das eigentlich nur auf der Bühne, im Privatleben haben wir noch unser altes Ich, da sprechen wir uns mit dem "richtigen" Namen an - oder sagen einfach "Arschloch!".
Wir wird "Arschloch" denn in eurem regionalen Dialekt ausgesprochen?
Also Redondo Beat und ich sind sowieso Hessen, mit dem Heidelberger Dialekt haben wir nix zu tun. Den hat nur Karl drauf, und Andrew sowieso nicht. Wir machen Karl auch ständig an wegen dieses Pfälzer Dialekts, der ist nämlich kein Stück Rock´n´Roll - da kommt Hessisch schon besser...
MUCUS 2 sind - zumindest für mich - so vor ein, zwei Jahren plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht.
Das mit dem "Nichts" trifft´s ganz gut, denn Rock´n´Roll ist hier weniger angesagt, eher so elektronische Sachen oder Leute wie LIQUIDO - alles Sachen, mit denen wir nichts zu tun haben. Was die Wurzeln der Band anbelangt, so hat Andrew seinerzeit mit unserem alten Schlagzeuger Schindig Supreme angefangen Musik zu machen - nur die beiden, daher auch der Name MUCUS 2. Dann kam Kid mit Orgel und Trompete dazu, Ende ´97 ich, und Schindig Supreme ging dann wegen seiner Puppe nach London und wir suchten uns Redondo Beat als Ersatz. Mit dem mache ich schon längere Zeit Musik, wir beide spielen auch zusammen bei ROCK´N´ROLL AIRFORCE, einer ziemlich trashigen Rock´n´Roll-Band.
Habt ihr eigentlich was mit den trotz des Namens auch nicht üblen BRIEGEL zu tun?
Die kommen auch aus unserer Ecke, so Karlsruhe/Heidelberg. Sad Rockets hat deren Single produziert. Doch, das sind auch fiese Kracher, die Jungs, genau unsere Wellenlänge.
Ihr wurdet bzw. werdet als Band gehandelt, die beinahe die erste deutsche Band auf Crypt geworden wäre.
Jaja, das war, glaube ich, ´97. Tim und Micha Warren sind ziemlich auf MUCUS 2 abgefahren und hätten wohl auch was mit uns gemacht, aber nachdem dann die ganzen neueren Releases wie DIRTYS oder LOS ASS-DRAGGERS nicht so toll liefen, haben sie ja beschlossen sich auf Sixties-Compilations zu beschränken. Tja, Pech für uns.
Trotzdem hätte das ja mit euch ganz gut gepasst bei Crypt, denn wenn man euch unter anderem zwischen JON SPENCER BLUES EXPLOSION und OBLIVIANS ansiedelt, werdet ihr darüber wohl nicht böse sein.
Ich bin Stammkunde beim Crypt-Mailorder, das ist meine wichtigste Quelle für coole Platten, von daher habe ich nichts gegen diese Einordnung. Das ist meine Musik, seit ich Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger keinen Bock mehr auf Hardcore mit immer mehr Crossover-Scheisse hatte. Auf der ersten MUCUS 2-Single habe ich zwar noch nicht mitgespielt, aber da waren auf jeden Fall alte Trash-Rock-Sachen und Blues ganz wichtige Einflüsse. Manches davon hat sich mit der Zeit etwas gegeben, da andere Einflüsse dazukamen und wir alle einen recht vielfältigen Geschmack haben, doch diese Basis steckt immer noch in unserer Musik drin.
Wie würdest du denn erklären, dass Punkrocker vor zehn Jahren eben Punk und Hardcore gehört haben, aber eine Bluesplatte hätte sich da keiner aufgelegt. Heute ist das anders.
Ich denke mir, angesichts dieser ganzen Crossoverscheisse, in die sich Hardcore in den letzten zehn Jahren verwandelt hat, angesichts eines sich immer wiederholenden Marshall-Sounds und wegen des prolligen Auftretens irgendwelcher "Gangster"-Hardcore-Bands gab es als Reaktion eben eine Rückbesinnung auf die Wurzeln. Nimm nur die Siebziger, als der Stadionrock so ätzend wurde, dass sich Punk als Gegenreaktion entwickelte.
Jedenfalls ist es ein Unterschied, ob fusselbärtige Stadtfest-Rockbands "Bluesrock" spielen oder ob ihr bluesigen Trashpunk spielt.
Auf jeden Fall. Hör dir ´ne HOWLIN´ WOLF-Platte oder andere Aufnahmen von Ende der Fünfziger an, das ist ein richtig harter Sound mit harten Texten, und dann vergleich das mal mit so billiger Scheisse wie dem Proll-Hardcore von irgendwelchen Kids. O.k., die Bluesgeschichte hört mit den Siebzigern auch irgendwie auf, die letzten geilen Aufnahmen waren Sachen wie HOUND DOG TAYLOR. Dann gingen die Jungs mit der Technik, neue Gitarrensounds kamen rein und das war bei weitem nicht so cool wie ein abgefuckter alter Amp mit defekter Membrane, der dadurch was hundsgemeines hat. Auf diese Art von Blues stehen wir eben, nicht auf irgendwelche glatte Scheisse. Und du siehst ja heute auch an Fat Possum, dass die Leute den alten Blues hören wollen, den von alten Delta-Knackern, die sie kurz vor ihrem Tod ausgegraben haben und die jetzt immerhin noch etwas Beachtung geschenkt bekommen.
Ohne dass ich euch jetzt des Plagiarismus beschuldigen will, aber ein Jon Spencer hat das, was ihr macht, ja schon vor mehr als zehn Jahren mit PUSSY GALORE in die Wege geleitet und später mit der BLUES EXPLOSION fortgeführt.
Klar, der war seiner Zeit weit voraus, und wir werden oft mit Jon Spencer verglichen. Ich habe so ziemlich alle seine Platten und finde, er ist ein grossartiger Musiker. Wir haben schon so ziemlich die gleichen Einflüsse wie er, aber letztendlich denke ich, dass wir schon was straighteres daraus gemacht haben. Bei Jon Spencer ist das alles etwas kranker und zerhackter.
Im Vergleich mit den Scheiben davor ist euer erstes Album vielfältiger geworden. Ist das bewusst passiert oder hat sich das so ergeben?
Das hängt in erster Linie damit zusammen, dass Sad Rockets so ein kleiner Mischfreak ist und gerne in seinem kleinen Studio sitzt und nachträglichg noch irgendwelche Effekte einbaut. Wir haben die Platte im Keller mit einem 8-Spur-Gerät selber aufgenommen, und Sad Rockets hat sich im letzten Jahr wohl auch mit Dub befasst, was man dann hin und wieder daran hört, dass plötzlich ein krasser Echoeffekt auftaucht. Wir haben die Songs relativ straight so eingespielt, wie wir sie auch auf der Bühne bringen, aber er hat dann eben noch etwas dran gearbeitet. Ich denke, wir sind live eine ziemlich geile Band, aber was uns von anderen Trashrock-Bands wirklich unterscheidet ist seine Studioarbeit.
Hm, stimmt schon: so geil ich die 10" finde, so muss ich doch sagen, dass so einen Sound natürlich auch andere Bands spielen. Da ist das Album doch noch etwas eigenständiger.
Die Sache ist halt, dass mir auch heute noch die ganzen Releases von Labels wie Crypt, Sympathy For The Record Industry oder Estrus sehr gut gefallen, aber in den letzten zwei, drei Jahren gibt´s in diesem Bereich leider auch ´ne ganze Menge Rotz. Mir fehlt da etwas der kreative Input.
Crypt hatte trotz seines phantastischen Rufs und musikalisch toller Bands keinen kommerziellen Erfolg mit den letzten Releases. Da stelle ich mir die Frage, was ihr so erwartet bzw. was euch so erwartet. Läuft´s darauf hinaus: zwar klasse Musik, ein paar Leute kapieren´s auch, aber das war´s dann?
Tja, davon gehen wir aus. Ich weiss nicht, ob unser Label das anders sieht, aber wir machen uns da keine Illusionen. Jedenfalls stehen DECK 8 hinter uns, machen gute Promotion und haben wohl auch keine falschen Hoffnungen, dass wir absolut einschlagen. Dazu ist die Konkurrenz wohl zu gross, etwa durch den ganzen Skandinavien-Retrorock, auf den ich zugegebenermassen auch abfahre. Ich stehe dieser Sache eh etwas gespalten gegenüber: einerseits habe ich GLUECIFER und HELLACOPTERS live gesehen und fand beide sehr gut, andererseits brauche ich von denen nicht ein paar Platten für zuhause, denn da höre ich mir lieber die Originale an.
Wie sieht´s bei euch international aus?
Wir werden vom neuen Album ein paar Platten in die USA verschicken, sowohl an Labels wie an die Presse und halt mal schauen, was da an Feedback kommt. Vertriebsmässig sind wir auch nur europaweit vertreten, da müssen wir auch mal sehen, was sich so tut.
Kommen wir doch mal auf die angenehmen Seiten des Lebens zu sprechen: Was sind die Drogen eurer Wahl?
Alkohol und was zu rauchen. Kid ist überzeugter Fernet Branca-Trinker, wir anderen sind eher auf Bier eingestellt. Wenn wir rauchen, dann weit vor dem Gig oder danach, weil wir so sensible Typen sind, dass uns das sonst viel zu paranoid macht. Da könnte ich die Gitarre dann gar nicht mehr stimmen. Sad Rockets ist übrigens meist der nüchternste auf der Bühne.
Habt ihr euch auf der Bühne schon mal Verletzung zugezogen?
Naja, Sad Rockets hat in Kassel mal so die Bühne zerlegt, dass ihm der Arzt ein paar Tage später 0,3 Liter Schleim aus dem Knie gezogen hat. Und der tobt auch sonst immer so auf der Bühne rum, dass er auch mal runterfällt, während er das Publikum beschimpft. Mittlerweile beherrscht er sich allerdings etwas mehr...
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