In meiner ersten Uniwoche vor einigen Jahren lernte ich Sebastian kennen und kurze Zeit später hatte ich die ersten Proberaumaufnahmen von MOURNING FOR TOMORROW in der Hand, die Band, in der er spielt. Der damals noch recht chaotische Screamo/Hardcore gefiel mir noch nicht wirklich, nachdem dann aber die erste EP aufgenommen war und ich die Jungs live gesehen hatte, änderte sich meine Meinung schnell. Dann passierte allerdings lange nichts mehr die Band betreffend und es mussten vier Jahre vergehen, bis sich MOURNING FOR TOMORROW wieder ins Studio zurückgezogen hatte, um ihr aktuelles Album „Deine Hülle, Deine Haut“ aufzunehmen. Herausgekommen ist ein atmosphärisches, düsteres Werk, das musikalisch irgendwo zwischen NEUROSIS und ROSETTA angesiedelt werden kann. Gitarrist und Co-Texter Sebastian stand mir Rede und Antwort.
Wie du vielleicht noch weißt, konnte ich mich anfänglich nicht direkt mit den deutschen Texten anfreunden, ehe mich eure erste EP dann aber doch gefangen nahm und ich sie mir mittlerweile auf keinen Fall mit anderen Lyrics vorstellen kann. Doch woher kam die Entscheidung, ausschließlich auf Deutsch zu texten, zudem habt ihr ja auch einen englischen Bandnamen?
Das ist ja schon eine Ewigkeit her. Wir haben während unserer musikalischen Sozialisation Hardcore und Punkrock immer als experimentierfreudiges Feld und als die Urform freien Ausdrucks verstanden. Der Grundgedanke war also, dass wir uns nicht einfach auf eine bestimmte Sache beschränken wollten. Außerdem gab es zunächst sogar auch Songs mit deutschen und englischen Texten. Daher bestand auch kein Widerspruch zwischen dem Namen der Band und der Sprache der Texte. Mit der Zeit sind dann einfach mehr deutsche Texte entstanden. Die Muttersprache lässt uns einfach noch mehr Raum, uns kreativ auszudrücken, egal, ob metaphorisch-verschlüsselt oder präzise. Und das merkt man ja auch bei der neuen Platte: Die Lyrics sind uns enorm wichtig ... sich einfach mit einer neuen CD tagelang hinsetzen und hören, lesen, sonst nichts.
Das sind wohl die intensivsten Momente beim Beschäftigen mit Musik, die jedoch leider auch viel zu oft in den Hintergrund geraten. Du hast mir ebenfalls verraten, dass sich hinter eurem aktuellen Werk „Deine Hülle, Deine Haut“ ein Konzeptalbum verbirgt.
Ja, stimmt. Auch wenn ich nicht alles verraten werde ... Ich sage zunächst mal so viel: Das Konzept von „Deine Hülle, Deine Haut“ folgt einer Generallinie. Es findet sich überall, in jedem Song, in jedem noisigen Übergang und natürlich auch im Design, was vom überaus fantastischen Matthias Gephart aus Berlin gefertigt wurde. Wir erzählen viele kleine Geschichten, wenn man richtig hinhört. Sogar eine Geschichte in einer Geschichte. Teils persönlich, teils politisch. Textlich wie musikalisch wollen wir eine Folie erzeugen, die für jeden Hörer individuell interpretierbar bleibt. Auch, wenn die Texte gewisse Richtungen andeuten, legen wir uns nicht fest. Wir zeigen Möglichkeiten auf. Entscheiden muss der Hörer. Mit diesen Anregungen kann man sich sicherlich eine ganze Weile mit der Platte beschäftigen.
Ihr kommt alle aus Gelsenkirchen, eine Stadt, die eher für Fußball als für gute Musik bekannt ist. Wie sehr beeinflusst eure Umgebung eure Musik?
So was wie „Herkunft“ beeinflusst sicherlich stark – nicht zuletzt auch textlich, auch wenn wir nicht ständig „Blau und weiß“ singen oder Onkel Tom Angelripper hören. Aber Gelsenkirchen, das Ruhrgebiet haben schon ihre Spuren hinterlassen. Man sammelt früh vielfältige multikulturelle Eindrücke, macht Erfahrungen und geht vielleicht mit einer natürlichen Offenheit und wachem Auge durchs Leben. Ist vielleicht gar nicht so schlecht hier.
Auf eurer EP von 2004 wart ihr noch als Quintett tätig. Basti, euer ehemaliger Gitarrist, spielt heute bei ONCE A DEMON, habt ihr noch Kontakt miteinander?
Auf jeden Fall! Und er gehört auch immer noch dazu, wir sehen uns recht häufig, zuletzt bei einem ONCE A DEMON-Konzert. Und mit der neuen Band hat er tolle Mitstreiter gefunden, die haben ja teilweise mal bei FORCED TO DECAY gespielt. Deren Platten habe ich geliebt!
Bist du mit der Lösung als Quartett glücklich? Ist es nicht schwierig, die Soundwand, die ihr auf eurem Album entwickelt habt, live mit nur einer Gitarre zu transportieren?
Ja, klar! Das funktioniert auch live sehr gut, sowohl auf kleinen als auch auf größeren Bühnen. Und jede Band braucht ja auch ihren eigenen Sound und ihren eigenen Arbeitsmodus. Wir funktionieren gut zu viert.
[b]Eure Pläne für das neue Jahr?
Das Hauptziel ist natürlich, viele Konzerte und eine Tour zu spielen, um die Platte zu promoten und neues Publikum zu erreichen. Vielleicht auch bald mal im Ausland. Unterwegs sein und live Leute dazu zu bewegen, sich auf intensive Musik einzulassen, ist einfach super!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #88 Februar/März 2010 und Tim Masson
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #86 Oktober/November 2009 und Jens Kirsch