MOSKOVSKAYA

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Ska-Train to Unterwaldhausen

Aus der schwäbischen Provinz stammen MOSKOVSKAYA. Und wenn man den gemeinen Schwaben wegen gewisser Charaktereigenschaften belächelt, muss man an Positivem doch entgegenhalten, dass sie ausdauernd, diszipliniert, fleißig, verlässlich und zäh sind. Das gilt dann wohl auch für diese Jungs, schließlich stammen sie aus jener deutschen Ska-Ära, als es noch angesagt war „Ska“ im Bandnamen zu tragen. Viele Bands sind seitdem gekommen, viele gegangen, aber MOSKOVSKAYA sind immer noch da, seit 20 Jahren. Anlässlich ihrer Jubiläumsveröffentlichung „20 Jahre“ und als Veranstalter des im April anstehenden jährlichen Querbeat-Festivals in Unterwaldhausen habe ich Manfred „Manne“ Schlagenhauf, Bassist und Bandmitglied der ersten Stunde, ein paar Fragen geschickt.

Welches Modehaus kleidet euch mit diesem feinen Zwirn ein, mit dem ihr euch auf der Bühne und auf den Pressefotos ablichten lasst?

Von wegen Modehaus! Bis dato ließ sich niemand finden, der uns ausstatten würde, also bestellen wir billige Klamotten irgendwo im Internet. Es war übrigens fast ein Ding der Unmöglichkeit, die Teile für die Fotoaufnahmen sauber zu bekommen. Unser Fotograf hat die letzten Flecken dann mit dem Bildbearbeitungsprogramm entfernt.

Neue Garderobe, neue CD, neuer Sänger zum 20-jährigen Bestehen. Was war darüber hinaus notwendig, dass sich MOSKOVSKAYA trotz Umbesetzungen 20 Jahre halten konnten?

Von acht oder neun Leuten waren immer welche dabei, die ausreichend Energie in die Band steckten, auch wenn es einmal nicht so gut lief. So haben wir uns durch die Jahre gehangelt.

Andere Bands protzen bei einem runden Geburtstag mit DVD, CD-Bonus-Paket mit Live- und Demomaterial. Mit einer 5-Track-CD gebt ihr euch ziemlich bescheiden.

Wir sind ja auch nicht die Band, die jedes Jahr ein Album raushaut. Trotzdem sind wir mit der CD sehr zufrieden und glücklich darüber, dass alles noch vor dem Jubiläum geklappt hat. Doppelt spannend war, dass es die erste Studiosession mit unserem neuen Sänger Ralf war. Man könnte bei so einem Jubiläum auch zurückblicken, das ist aber nicht unser Ding. Genau so wenig sind für uns Live-Aufnahmen interessant. Wer uns live hören will, soll auf unsere Konzerte kommen. Somit haben wir uns auf das Wesentliche konzentriert, und das sind fünf neue Songs in neuer Besetzung.

Und es wird 2010 einige Konzerte in Originalbesetzung geben. Wie laufen die Vorbereitungen?

Die alten Herren sind ausfindig gemacht und bereiten sich mit gezieltem Konditionstraining auf die einstündigen Shows vor. Ab Ende März geht’s dann los. Das wird sicher sehr spannend.

Eure Jobs lassen schließen, dass Ska und Wodka immer nur Freizeitspaß waren. Gab es mit der Band in den zwei Dekaden auch einmal kommerzielle Tendenzen?

1997 standen fast vierzig Auftritte an. Es gab aber keine Diskussion, es war einfach nicht möglich, das durchzuziehen. Die meisten standen am Ende des Studiums oder hatten schon Jobs. Rückblickend bin ich froh, dass es so gelaufen ist, denn sonst würde es die Band sicher nicht mehr geben. Damals wie heute sind wir nicht die Typen, die wochenlang zusammen abhängen. Jeder von uns hatte noch zig andere Interessen, und heute hat fast jeder Zweite eine Familie. Was aber nicht heißt, dass wir die gemeinsame Freizeit nicht extrem genießen.

Welche positiven Erfahrungen haben euch als Band in all den Jahren weitergebracht, welche negativen Ereignisse haben euch hingegen manchmal zurückgeworfen?

Einen schweren Schock versetzte uns im Jahr 2000 die Firma Simex, die eine bestimmte Wodkamarke vertreibt, als sie uns mit einer einstweiligen Verfügung untersagte, unseren Bandnamen weiter zu verwenden. Es stand der Streitwert von damals 500.000 D-Mark im Raum. Die Sache kam vor Gericht und ging für uns relativ glimpflich aus. Wir bekamen Auflagen und wurden um einige tausend Mark erleichtert, die wir natürlich eigentlich gar nicht hatten. Persönliche Enttäuschungen gab es, als langjährige Bandmitglieder, mal mehr oder weniger kurzfristig, ihren Ausstieg ankündigten. So etwas berührt aber nicht alle Bandmitglieder in gleichem Maße. Ein einschneidender Wechsel war der Abschied von Sänger und Gitarrist Stefan Medel, wobei er uns aber auch heute noch kräftig unterstützt, indem er zuweilen als Überraschungsgast auf unseren Konzerten aufkreuzt und die Bühne entert. Ein herber Rückschlag war auch, als 2005 unser Labelboss Horst von Nasty Vinyl gestorben ist. Sein plötzlicher Tod hat uns sehr erschüttert. Zudem waren unsere Aufnahmen zum „Zeit“-Album fertig, und auf einmal hatten wir kein Label mehr. Aber jetzt zu den aktuellen positiven Seiten: Nach langer Suche sind wir bei ANR Music untergekommen, was uns wirklich weiter gebracht hat. Und natürlich geben Highlights wie Auftritte beim Force Attack oder Mighty Sounds Festival einer Band unheimlich Auftrieb.

Ihr habt mit DISTEMPER in Russland gespielt. Wie denkt ihr über die Situation dort, angesichts von Faschos auf Ska- und Hardcore-Konzerten, Morde an Antifaschisten und der Trennung eurer Labelmates WHAT WE FEEL wegen der zunehmenden Repressalien?

Anfang der Neunziger Jahre mussten wir uns in Süddeutschland auf Ska-Konzerten immer wieder gegen Nazis wehren. Daraufhin haben wir unsere Konzerte abgebrochen, wenn sich Nazis ins Publikum schlichen. Wir haben zig Benefizkonzerte gespielt und auch wirklich deutliche Texte geschrieben. Seit Mitte der Neunziger ist das Problem zumindest bei Ska-Konzerten gelöst. 2005 haben wir in Moskau zusammen mit DISTEMPER einen Auftritt gespielt, das war kurz nachdem sie von Nazischlägern überfallen wurden. Die Blessuren waren nicht zu übersehen. In Russland bezeichnen sich viele Ska-Bands als unpolitisch. Aus Angst vor den Faschisten akzeptieren sie diese auf den Konzerten. Vor unserer Reise nach Russland wurden wir von der Antifa gewarnt, es könnte gewalttätige Übergriffe von Nazis geben. Die Agentur hatte deswegen speziell am Eingang ein Auge darauf, dass keine Faschisten in die Konzerte kamen. Bands wie DISTEMPER haben vor Ort in Russland noch sehr viel zu leisten.

Zurück zu erfreulicheren Themen: Am 23. und 24. April findet zum 17. Mal das Querbeat-Ska-Festival in Unterwaldhausen statt. Mit eurem Festival seid ihr das schwäbische Pendant zu den TORNADOS aus Sachsen-Anhalt und sorgt mit dafür, dass die deutsche Ska-Festival-Szene am Leben bleibt.

Ich habe erst spät realisiert, dass die TORNADOS hinter dem Festival in Rosslau stecken. Bislang gab es noch keinen direkten Kontakt, aber ich denke, das wird sich demnächst ändern. Seit 1994 gibt es das Ska-Festival in Unterwaldhausen. Bis 2006 war es ein eintägiges Festival und es spielten ausschließlich Ska-Bands. 2007 haben wir das Festival auf zwei Tage erweitert und es wurde in Querbeat-Festival umbenannt. Am Freitag treten nach wie vor Ska-Bands auf, aber am Samstag wird wild gemischt.

Wie fing das mit dem Festival an und wie hat es sich über all die Jahre entwickelt?

Da wir mit MOSKOVSKAYA anfangs selbst ständig auf der Suche nach Auftrittsmöglichkeiten waren, sind wir eines Tages auf die Idee gekommen, es beim Frühlingsfest des Musikvereins Unterwaldhausen im Festzelt zu versuchen. Die Schwierigkeit damals bestand darin, den alten Vorstand des Musikvereins zu überzeugen, dass es total super ist, wenn aus ganz Süddeutschland Punks und Skins anreisen, um in Unterwaldhausen zu feiern. Zur Info: Unterwaldhausen liegt sehr, sehr ländlich zwischen Ravensburg und Sigmaringen. Das Festivalgelände befindet sich idyllisch in einem Obstgarten hinter der Kirche. Veranstalter ist der Musikverein Unterwaldhausen und für das Booking sind wir zuständig. Und trotz aller Bedenken hat bislang alles ohne Probleme geklappt. Zum Glück sind wir nicht auf Gedeih und Verderb von Sponsoren abhängig. Wir versuchen, so gut es geht, alles selbst zu machen. Wir, das sind alles ehrenamtliche Personen – eigentlich das ganze Dorf. Wir organisieren für das gesamte Festival das Catering, putzen die Klos, räumen den Campingplatz auf und greifen dem Musikverein unter die Arme. Das Festival wurde über die Jahre immer größer. Die Besucherzahl stieg langsam von 600 auf 2.500 an. Alle paar Jahre musste das Zelt vergrößert werden, und später kam der Campingplatz hinzu. Für die Bandgagen wurde ein größeres Budget genehmigt, so dass wir nun jedes Jahr eine interessante Mischung organisieren können. In der aktuellen Größenordnung kann das so bleiben. Würde das Festival größer werden, wäre es alleine mit freiwilligen Helfern nicht mehr zu bewältigen.

Was ist das ganz Besondere an eurem Festival?

Die Bandauswahl ist schon ziemlich einzigartig. Letztes Jahr trat nach DEMENTED ARE GO! die Band LA BRASS BANDA auf. Das war wirklich eine krasse Mischung.

An welche Highlights denkst du besonders gerne zurück und wen hättest du gern einmal mit im Festival-Line-up?

Kurz vor seinem Tod durften wir Desmond Dekker in Unterwaldhausen feiern. Einmalig! Gerne hätten wir einmal die WAILERS, die TOY DOLLS oder die MIGHTY MIGHTY BOSSTONES, die ja wieder aktiv sind.

Zum Schluss interessiert mich, was du über die deutsche Ska-Szene so denkst. Während für mich Ska-Bands wie die BUSTERS, SKAOS und NO SPORTS und etwas später im Ska-Punk-Sektor DISABILITY oder SCRAPY fruchtbarer Boden für den deutschen Offbeat waren, hat sich das Genre in den letzten zehn Jahren in Deutschland für meinen Geschmack wenig positiv entwickelt.

Da bin ich leider deiner Meinung. Die Schweiz, Österreich oder Italien haben da einiges mehr zu bieten mt Bands wie TALCO, RUSSKAYA, PLENTY ENUFF oder OPEN SEASON ...

Trotz allem: Welchen jungen deutschen Ska(Punk)Bands sollte man in Zukunft deiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit schenken?

Hier in der Nachbarschaft gibt es ein paar Perlen, die mich live immer wieder begeistern: BAD SHAKYN, AREA 52 oder ZIEHGEUNER.

Und da soll noch einer sagen, in der Provinz passiere nichts. Auf nach Unterwaldhausen!