Unzählige Labels gibt es da draußen, fast jedes hat eine Daseinsberechtigung, versucht sich im positiven Falle durch eigenwillige Releases hervorzutun oder nervt im negativen Falle durch einen steten Strom mittelmäßiger bis schlechter Veröffentlichungen. Doch der Kenner, das erfahrene Plattentrüffelschwein, riecht es, wenn da draußen irgendwer aus persönlicher Begeisterung und mit Herzblut Bands auftut, um sie über seine Türschwelle zu ziehen und alles dafür zu geben, die Welt von ihrer Grandiosität zu überzeugen. Monotreme Records aus London und seine fotoscheue Besitzerin Kim sind so ein Fall, und deshalb führte ich dieses Interview. Zur Einstimmung empfehle ich, sich mit 65DAYSOFSTATIC, STINKING LIZAVETA oder RAL PARTHA VOGELBACHER bekannt zu machen.
Wie und wann bist du mit Punkrock in Kontakt gekommen? Gab es bestimmte Bands und Stile, die für dich besonders wichtig waren?
Ich bin in der Gegend um San Francisco aufgewachsen, so dass mich die Musik der späten 60er und der frühen 70er sehr stark beeinflusst hat, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Bob Dylan ... Menschen, die die Grenzen der Musik erweitert haben und ihren eigenen Stil suchten, anstatt andere zu imitieren und zu kopieren. Später war es dann Punk und die D.I.Y.-Ethik die mich inspirierten, dann eine ganze Reihe anderer Musikstile, Metal, Hardcore, Pop, Americana, Elektronik, Folk, World Music, Hip-Hop ... Mein Geschmack entwickelt sich ständig weiter. Ich möchte Musik gegenüber gern so aufgeschlossen wie möglich sein.
Wann hast du das Label dann gegründet?
Das war 2002, weil ich ständig großartige Bands getroffen habe, die
Schwierigkeiten hatten, ihrer Musik das nötige Gehör zu verschaffen. Also begann ich zu helfen, indem ich ihnen Kontakte zu Plattenfirmen, Vertrieben und Promotern beschaffte. Letztendlich kam ich zu dem Schluss, dass meine Hilfe produktiver wäre, wenn ich mein eigenes Label starte, also tat ich es.
Und wie lief das dann genau ab? Ich meine, hattest du irgendwelche Erfahrungen bei der Veröffentlichung von Platten?
Ich hatte keine Erfahrung in dieser Hinsicht, aber weil ich viel Zeit damit verbracht habe, Musik zu hören und über Musik zu lesen, auf Konzerte zu gehen und mich in speziellen Internetforen herumzutreiben, realisierte ich, dass ich doch schon eine ganze Menge über das Musikbusiness wusste. Für weitere Informationen las ich Bücher übers Musikgeschäft und fragte Leute aus meinem Bekanntenkreis, die ihre eigenen Labels haben. Viele Independentlabels sind froh, anderen Labels helfen zu können. Wir haben hier in Großbritannien eine gute Label-Gemeinschaft, wo Erfahrungen und Wissen untereinander ausgetauscht werden.
Welche Labels, Personen oder Ideen haben dich dazu inspiriert, das Label zu gründen?
Der britische DJ John Peel hat dabei eine große Rolle gespielt. Sein Radioprogramm half mir, verschiedene Musikstile schätzen zu lernen, er war immer bereit, neue Bands zu supporten, ihre Demos zu spielen. Jede Band hatte die Chance, gehört zu werden, selbst wenn sie kein Label, keinen Presseagenten oder Radio-Promoter hatten. Das ist der wahre Geist des Undergrounds.
Wie findest du die Bands, bevor du sie bei dir veröffentlichst?
Die erste Band fand ich, als ich im Internet nach neuer Musik suchte. Das waren RAL PARTHA VOGELBACHER. Durch die kam ich in Kontakt zu verschiedenen anderen Bands, von denen sich einige bei mir meldeten und fragten, ob sie mir ein Demo schicken könnten. Darauf hin schickten mir auch Bands, die wiederum diese Bands kannten, ihre Platten und so ging es immer weiter.
Wer steckt konkret hinter dem Label?
Hauptsächlich eine Person, nämlich ich. Aber ich bekomme Hilfe von ein paar ganz wundervollen Menschen, etwa meiner Freundin Kristina, und da sind noch die ganzen anderen großartigen Presse- und Radioleute überall in Europa, mit denen ich zusammenarbeite. Ohne ihre Hilfe könnte ich das Label nicht machen, und dann sind da eben auch noch einige andere Leuten, die mir mit Touren, Shows und dem Vertrieb helfen.
Steckt hinter dem Namen irgendeine Geschichte?
Könnte man sagen ... Das Logo zeigt ein Schnabeltier, ein Eier legendes Säugetier, welches ein, wie sollte es anders sein, "Monotreme" ist. Es gibt bei uns die Redewendung "ein Ei legen", was so viel heißt wie "etwas ziemlich schlecht machen" oder "es komplett vermasseln". Ich dachte mir also, wenn ich mit dem Label auf die Schnauze falle, wäre ich auch so eine Art Eier legendes Säugetier, also wäre es doch eine lustige Idee, das Label "Monotreme" zu nennen. Dazu kommt noch, dass der Ursprung von Monotreme die Zusammensetzung vom griechischen Wort "mono", also "eins", und "treme", was "Loch" bedeutet, ist. Und Platten und CDs haben ja nun mal ein Loch in der Mitte ...
Es gibt nur wenige Frauen, die ein Plattenlabel betreiben. Hast du dafür eine Erklärung, und macht es für dich einen Unterschied beziehungsweise ist das für dich überhaupt ein Thema?
Für mich ist das kein Geschlechterthema. Vielleicht weil ich persönlich eine Menge Frauen kenne, die Labels betreiben, und wir treffen uns nicht, weil wir Frauen sind, sondern weil wir Musik lieben. Ich sehe keinen Unterschied zwischen Männern, die ein Label machen, und Frauen, die das tun. Viele dieser Frauen bringen auf ihrem Label auch wirklich harte Musik heraus, ich sehe da keinen Geschlechterunterschied, auch bezüglich der Stile der Musik, die sie auf ihren Labels veröffentlichen. Meine Freunde in der Musikwelt sind männlich und weiblich, es ist unsere Leidenschaft für Musik, die uns zusammenbringt.
Ist das Label ein Hobby für dich oder kannst du davon leben? Falls nicht, wie sicherst du deinen Lebensunterhalt?
Es erfordert eine Menge Arbeit und Investitionen, ein Label zu etablieren. Monotreme ist nun seit vier Jahren ein Label, aber ich verdiene nicht genug damit, um davon leben zu können, selbst wenn ich jede freie Minute, die ich aufbringen könnte, in das Label stecken würde. Ich arbeite als Researcher an der Uni, damit zahle ich meine Rechnungen im Moment, aber wer weiß, vielleicht läuft das Label eines Tages so gut, dass ich allein davon leben kann.
Hast du eine spezielle "Label-Politik"?
Ja und die ist ziemlich simpel: Ich muss die Musik lieben. Ich muss die Menschen lieben, die diese Musik machen. Und ich muss mich dazu in der Lage fühlen, diese Musik zu promoten und ein Publikum zu erreichen.
Musikalisch ist dein Label schwer einzuordnen - was ja auch gut so ist -, aber was deine Bands verbindet, ist eine gewisse "Noisyness"- und haben alle nichts mit irgendwelchem trendigen Scheiß zu tun. Also, wie würdest du definieren, nach welchen Gesichtspunkten du eine Band aussuchst?
Eine Menge der Platten auf meinem Label sind sehr noisy, aber nicht alle, ich bin ein Fan aller Arten von Musik - laut, leise, Metal, Punk, Pop, Jazz, Folk ... Alles kann es auf mein Label schaffen, Bedingung ist nur, dass ich es mag. Für mich muss die Musik eine besondere Ausdrucksform beinhalten, welche die Stimmung der Leute, die die Musik machen, widerspiegelt. Wenn es für mich falsch oder leer klingt, egal wie gut es technisch gemacht ist, würde ich es nicht herausbringen. Eine Menge Musik, die sehr populär ist, passt mir nicht - es fehlt eine bestimmte Seele. Ich mag Musik, die nicht Teil eines Trends ist. Ich finde, Trends hinterherzulaufen ist etwas, das viele Leute machen, die meinen, ihren eigenen Stil noch nicht gefunden zu haben. Wenn ich Musik höre, bevorzuge ich etwas, das sich von dem unterscheidet, was andere Leute hören. Es ist gut, Einflüsse zu haben, aber bitte macht etwas Eigenes daraus, das ist besser, als zu versuchen, etwas zu reanimieren, das längst schon gemacht wurde.
Fühlst du dich irgendeiner Szene zugehörig?
Nein, aber ich fühle mich als ein Teil eines informellen Netzwerks von Freunden, die in alle möglichen Arten von Musik involviert sind. Ich würde nicht wollen, dass eine der Bands von meinem Label sich zu sehr irgendeiner Szene zugehörig fühlt, denn zu viele Leute tendieren dazu, zu denken, dass Bands aus einer Szene sehr ähnlich und austauschbar sind. Und wenn du zu festgefahren in einer bestimmten Sparte steckst, kann das dein eventuell angepeiltes Publikum fernhalten und dich in deiner individuellen Kreativität einschränken, denke ich.
Hat es eine Bedeutung für dich, ein Indielabel zu sein?
Ja, für mich bedeutet es, Unabhängigkeit und künstlerische Freiheit an die erste Stelle zu setzen. Also nicht, unheimlich viel Geld zu verdienen und Bands zu besitzen.
Was ist deine persönliche Meinung über Major-Firmen? Irgendwelche positiven oder negativen Erfahrungen?
Ich kann nachvollziehen, dass eine Menge Bands gerne das Geld bekommen würden, das ein Major bieten kann, gerade wenn eine Band ziemlich arm ist und viele Opfer bringen muss, um ihre Musik zu machen. So gesehen, kann das Geld eine gute Sache sein. Ich kenne aber auch verschiedene Bands, die auf Majors waren und recht schnell den Laufpass bekamen, weil sie nicht genug Alben verkauft haben. Anderen Bands wurde gesagt, sie sollten ihren Stil ändern, um populärer zu werden. Also verloren sie die Kontrolle über ihre Musik und mussten Kompromisse bezüglich ihrer künstlerischen Freiheit eingehen. Independentlabels bemühen sich in der Regel bei der Arbeit mit ihren Bands um eine partnerschaftliche Beziehung, so haben sie für gewöhnlich mehr Freiheiten.
Vinyl oder CDs? Hast du bestimmte Vorlieben?
Ich liebe Vinyl. Aber auch CDs haben Vorteile, sie sind einfach unterwegs praktischer. Ich trage einen Diskman mit mir herum und höre mir Demos an, während ich Zug fahre oder irgendwo herum laufe. Das geht schwer mit Schallplatten.
Was war dein größter Erfolg bisher?
Die erfolgversprechendste Band im Moment ist wohl 65DAYSOFSTATIC aus Sheffield. Ich kann mir vorstellen, dass du von denen in der Zukunft noch einiges hören wirst. Das sind beeindruckende Musiker und wirklich liebe Menschen, die unglaublich hart an ihrer Musik arbeiten und viel touren, um sie zu promoten.
Welche ist deine Lieblingsband, die nicht auf dem Label ist? Und welche Bands hättest du gerne auf deinem Label?
Vor ein paar Monaten hätte ich gesagt, die LOW LOWS, aber die sind jetzt auf dem Label. Und ich hätte gerne BLACK SABBATH, Johnny Cash, Diamanda Galas und NEUTRAL MILK HOTEL auf Monotreme gemacht..
Was wirst du in nächster Zukunft veröffentlichen?
Nächsten Herbst wird es zwei neue Veröffentlichungen geben und zwar von Aaron Stout und den LOW LOWS. Viele von den anderen Monotreme-Bands arbeiten an neuen Sachen, unter anderem 65DAYSOFSTATIC, STINKING LIZAVETA und THEE MORE SHALLOWS.
Kim, ich danke dir für das Interview.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und Joachim Hiller