MILLENNIAL PUNK

Foto© by Lina Fliedner

Mittelalte Punks

Geschichte wird immer dadurch geprägt, wer sie erzählt. Und wer die Deutungshoheit hat. Die Möglichkeiten, die Geschichte(n) zu erzählen. Mit Zugang zu Medien und Produktionsmitteln. Entsprechend sieht es mit dem Gefühl der Repräsentiertheit aus, das sich bei den Angehörigen etwa einer Subkultur – hier: Punk – einstellt, wenn sie mit der Erzählung zu ihrer Kultur konfrontiert werden. Über die letzten zwei Jahrzehnte gab es vielfältige Bemühungen, die Punk- und Hardcore-Szene zu dokumentieren, deren Geschichte zu erzählen. Viele Bücher und Filmproduktionen dazu stammen aus dem englischen Sprachraum, beschäftigen sich mit USA und UK, mit dem, was in den 1970er und 1980er Jahren geschah und die Fundamente legte.

Auch zu Punk in Deutschland gibt es einiges Material, „Zurück zum Beton“ von Jürgen Teipel legte dazu vor über zwanzig Jahren das Fundament, aber seitdem ist viel passiert und der Blick der Dokumentierenden war oft genug zu sehr auf die fernere Vergangenheit gerichtet, auf die großen Namen, ließ den „szenigen“ Blick fürs Detail vermissen. „Millennial Punk“ soll diese Lücke schließen mittels einer vier Folgen à rund 45 Minuten umfassenden Doku für die ARD, die in den kommenden Monaten in der ARD-Mediathek zu sehen sein wird. Die federführenden Akteur:innen sind Nico Hamm, Flo Wildemann, Diana Ringelsiep und Felix Bundschuh, die hier erzählen, wie das alles kam und warum sie der Meinung sind, dass ihre Geschichte von Punk als Szene von Menschen, die ab den Neunzigern punksozialisert wurden, bislang nicht erzählt wurde. Weshalb sie über sechzig Menschen zu diesem Thema zu Wort kommen ließen. (Disclaimer: Auch der Verfasser dieser Zeilen ist in der Doku zu sehen.)

Bitte stellt euch vor: Was ist euer Szene-Hintergrund, wie kamt ihr für dieses Projekt als Team zusammen?
Nico: Wir kennen uns alle vier schon sehr lange. Mit Felix habe ich schon seit Anfang der Zweitausender zusammen in einer Band gespielt und mit Kings of Booze selbst Punk-Konzerte im Ruhrpott veranstaltet. Ich wusste schon sehr früh, dass ich hauptberuflich in der Musikbranche arbeiten will, es stand völlig außer Frage, irgendwas anderes zu machen. Konzerte zu veranstalten ist meine absolute Leidenschaft, was in der Pandemie ja dann zeitweise gar nicht mehr möglich war. Genau zu diesem Zeitpunkt kam die Doku „The True Story of Punk“ in die ZDF-Mediathek, die Iggy Pop produziert hatte. Diese Doku hat mich von der ersten Minute an gepackt und ich fand es großartig, mich mit den Protagonist:innen auf diese musikalische Zeitreise zu begeben. Am Ende habe ich mich jedoch gefragt, warum mal wieder nur die Punk-Szene in England und den USA beleuchtet wurde und wieso die Story in den Neunzigern endete, weil es zu dem Zeitpunkt für unsere Generation ja erst losging. Also habe ich beschlossen, eine eigene Doku zu produzieren. Am nächsten Tag habe ich direkt Felix, Diana und Flo ins Boot geholt, denn für mich stand fest: Wenn ich das durchziehe, dann mit den dreien! So bin ich zum Produzenten des Projekts geworden.
Felix: Ich habe seit 2003 in zig kleineren Bands gespielt. Unter anderem hatten Nico und ich eine Band namens NOSEDIVE. Wir wollten schon immer in der Musikbranche arbeiten, ich weiß noch, wie wir damals im Proberaum davon träumten, wie geil es wäre, wenn das unser Hauptberuf werden würde. Uns war aber auch klar, dass unsere eigenen musikalischen Ergüsse uns maximal eine Busfahrt von Essen bis nach Oberhausen finanzieren würden, es musste also eine andere Lösung her. Ich fing damals bei People Like You Records an, wo ich dann über die Jahre vom Praktikanten bis zum Labelmanager alle Positionen durchhatte, die man bei einem Label haben kann. Bei People Like You habe ich damals auch Diana kennen gelernt, als sie vor zig Jahren während ihres Studiums ein Praktikum bei uns gemacht hat. Mit ihr habe ich 2018 dann auch einen Traum verwirklicht. Wir sind durch den südostasiatischen Untergrund gereist und haben unsere Erlebnisse in Form eines Dokumentarfilms und eines Buchs namens „A Global Mess – Eine SubkulTOUR durch Südostasien“ im Ventil Verlag veröffentlicht. Bei mir hat das damals viel ausgelöst, vor allem habe ich meine Leidenschaft fürs Storytelling entdeckt. Seitdem beschäftige ich mich beruflich viel mit persönlichen Geschichten und wie man eigene positive Narrative kreiert. Bei „Millennial Punk“ waren wir zwei dann auch für Buch und Regie verantwortlich und wir sind mal wieder ein Dreamteam gewesen, weil wir uns perfekt ergänzen.
Diana: Richtig, Felix und ich haben zusammen die Story geschrieben und dafür gesorgt, dass unsere Protagonist:innen am Ende eine gemeinsame Geschichte erzählen. Abseits der Doku bin ich freie Journalistin – leider ohne eigene Bandhistorie, mit der ich angeben kann. Berufsbedingt bin ich allerdings schon mit einigen Bands auf Tour gewesen und ganz gut vernetzt. Die meisten kennen mich wahrscheinlich auch von „A Global Mess“ oder meinem letzten Buch „Punk as F*ck – Die Szene aus FLINTA-Perspektive“, das ich 2022 zusammen mit Ronja Schwikowski herausgegeben habe. Ansonsten bin ich bei Instagram ziemlich aktiv und einigen dürfte inzwischen auch mein Podcast „Krawalle & Liebe“ etwas sagen, in dem ich gemeinsam mit der Journalistin Sabrina Waffenschmidt über feministische Themen und die ambivalenten Gefühle spreche, die diese manchmal in uns auslösen. Ansonsten besteht mein Szene-Hintergrund hauptsächlich aus Live-Musik und Biertrinken.
Flo: Ich bin vor 16 Jahren ins Bandmanagement von MASSENDEFEKT gerutscht und habe zu diesem Zeitpunkt auch Nico kennen gelernt. Wir haben uns angefreundet und ein gemeinsames Label gegründet. Seitdem arbeiten wir fast täglich zusammen und unterstützen Szene-Bands auf ihrem Weg. Felix habe ich in seiner Labelzeit bei People Like You Records kennen gelernt und durch ihn dann auch Diana.

Wie und wann und warum kam der Punk zu euch beziehungsweise ihr zum Punk?
Felix: Ich habe irgendwann als Kind mal Punks in der Innenstadt gesehen und fand das total spannend. Ich wusste zwar nicht, was das ist, aber habe es trotzdem irgendwie verstanden. Es war total strange. Ich habe dann schon in der Grundschule DIE TOTEN HOSEN entdeckt, was mich total abgeholt hat. Dann bin ich in den Neunzigern mit meinen Eltern in die USA gezogen, wo ich den ganzen US-Punk entdeckt habe. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich aber noch keinen Zugang zu einer Szene, ich habe einfach in CD-Läden nach Musik gesucht, die nach Punk aussah, und mir das bis zum Erbrechen eingehämmert. Im Jahr 2000 kam ich zurück nach Deutschland und fand im Ruhrgebiet das, was mir bis dato gefehlt hatte: eine Szene und Menschen, die genauso fühlten wie ich!
Flo: Was für die Alt-Punks SEX PISTOLS, THE CLASH und RAMONES waren, waren für mich NOFX, BAD RELIGION und DIE TOTEN HOSEN. Die CDs habe ich bei meiner älteren Schwester aus dem Regal stibitzt. Ab dem Zeitpunkt war ich dem Punk verfallen und habe auf Konzerten in Düsseldorf Anschluss an die Szene bekommen.
Nico: Bei mir war es ebenfalls das große Punk-Revival Mitte der 1990er Jahre, das mein Interesse geweckt hat. Es waren ganz klar vor allem internationale Bands wie GREEN DAY, THE OFFSPRING, NOFX, PENNYWISE und BAD RELIGION, die mich für Punkrock begeistert haben, aber auch deutsche Bands wie DIE TOTEN HOSEN, DIE ÄRZTE, THE BATES, WIZO und TERRORGRUPPE haben damals eine große Rolle für mich gespielt. Über diesen Umweg habe ich auch eine Leidenschaft für ältere Bands wie THE CLASH, UK SUBS, RAMONES oder MISFITS entdeckt.
Diana: Als ich so zehn oder elf Jahre alt war, hatte ich einen „Bravo Hits“-Sampler, auf dem „Alles aus Liebe“ von DIE TOTEN HOSEN drauf war. Ich habe den Song geliebt und kurz darauf hat meine beste Freundin mir ein „Reich und Sexy“-Tape aufgenommen, das ich rauf und runter gehört habe. Aber da war ich noch ein Kind und habe parallel auch CAUGHT IN THE ACT und die SPICE GIRLS gehört. Als dann etwa drei Jahre später meine Teeniezeit losging, stand ich vor allem auf deutschen HipHop: ABSOLUTE BEGINNER, DYNAMITE DELUXE, EINS ZWO und so was. Zum Punk bin ich erst mit 15 oder 16 gekommen, als ich anfing, an den Wochenenden feiern zu gehen. Ich bin in Nordhessen auf dem Land aufgewachsen und bei den Disco-Abenden, die in den umliegenden Dorfgemeinschaftshäusern stattfanden, sind zu späterer Stunde immer diese klassischen Onkelz-Fans aufgetaucht, die Stress gemacht haben und ganz klar rechts waren. Da wurde mir klar, dass ich mich positionieren muss, und so bin ich, gemeinsam mit meinem damaligen Freund, zum Punk gekommen. Das mit der Provokation der Dorfnazis hat auf jeden Fall wunderbar funktioniert. Von da an sind wir auch regelmäßig mit dem Wochenendticket zu irgendwelchen Konzerten gefahren. Optisches Vorbild waren übrigens die Punks aus dem Film „Wie Feuer und Flamme“.

Wer sind die anderen Leute im Team?
Flo: Uns war es wichtig, hauptsächlich mit Leuten aus der Szene zusammenzuarbeiten, deren Herz ebenfalls für Punkrock schlägt. Ich nenne hier mal die Hauptakteure: Für Kamera und Szenenbild war Michi Winkler mit seinem Team von „Der Pakt“ verantwortlich, das schon für zahlreiche Punkbands Musikvideos produziert hat. Michael Arens hat sich um den Ton gekümmert – vor Ort und auch in der Nachbearbeitung. Thomas Erven haben wir das komplette Artwork rund um „Millennial Punk“ zu verdanken, inklusive der Grafiken, die in der Doku zu sehen sind. Kay Özdemir, auch eine bekannte Größe in der Szene, hat die Animation und B-Roll-Aufnahmen gemacht. Und besonders hervorzuheben ist Michi Münch, der den kompletten Schnitt übernommen und der Doku ihren Look verliehen hat. Außerdem unterstützen uns Fabi Halbig und Thore Vollert bei der Vermarktung der Doku. Fabi kenne ich noch aus seiner aktiven Zeit bei KILLERPILZE.

Und wie kamt ihr auf die Idee, diese vierteilige Doku zu drehen?
Nico: Wie ich schon sagte, die Idee ist mir im Winter 2020/21 gekommen, während des Lockdowns, als ich die Doku „A True Story of Punk“ geschaut habe. Im Grunde war es eine Mischung aus Lockdown-Langeweile und der Frustration darüber, dass unsere Generation in den meisten Punk-Erzählungen einfach ausgeblendet wird. Vielen von uns hat man schon vor dreißig Jahren das Gefühl gegeben, zu spät dran zu sein und keine Ahnung zu haben. Wir wurden schon immer von Älteren belächelt, weil wir angeblich keine „richtigen“ Punks seien, weil wir aus deren Perspektive die falschen Bands hören oder den falschen Style haben – und das ist ja zum Teil bis heute so. Dabei ist es einfach lächerlich, Regeln aufzustellen, wer dazugehören darf und wer nicht. Wer das macht, hat Punk unserer Meinung nach nicht verstanden. Und deshalb haben wir beschlossen, unsere Generation von Punks sichtbar zu machen und mit der Doku ein Statement zu setzen.
Diana: Es war ja auch lange so, dass Mainstream mit dem Ausverkauf der Subkultur gleichgesetzt wurde. Auf diese Weise hat man einer ganzen Generation eingeredet, dass man sich dafür schämen muss, beispielsweise Acts wie BLINK-182 oder Avril Lavigne gut zu finden. Aber was ist das bitte für eine Scheiße, junge Menschen kleinzuhalten, indem man ihren Musikgeschmack reglementiert und ihnen sagt, dass sie ausgeschlossen werden, wenn sie dies oder jenes mögen oder nicht mögen? Zudem war die Subkultur für die erste Generation von Punks schon allein deshalb enger mit der Provokation von Obrigkeiten und der eigenen Eltern verbunden als bei uns, weil man Erwachsene in den Siebzigern und Achtzigern noch leichter schocken konnte. Mit einem zerrissenen T-Shirt und Stachelfrisur hätten wir den meisten Erwachsenen bloß noch ein müdes Lächeln entlocken können. Einige von uns sind ja sogar zum Punk gekommen, weil ihre Eltern sie mit zu Konzerten von DIE TOTEN HOSEN oder DIE ÄRZTE geschleppt haben. Das waren vollkommen andere Voraussetzungen, die auch dazu führten, dass Punk für uns schon immer eng mit der Popkultur verknüpft gewesen ist. Bunte Haare wollte ich beispielsweise schon als Kind haben, seit ich mich in die von Lori Stern und Enie van de Meiklokjes bei „Bravo TV“ verliebt habe. Klar, du bist damit aufgefallen, aber es war bereits viel gesellschaftsfähiger geworden, so auszusehen.

Wer mal eine Uni-Arbeit geschrieben hat, weiß, dass man da immer das „Erkenntnisinteresse“ formulieren muss: „In dieser Arbeit soll gezeigt werden ...“ Wie habt ihr das formuliert und dann auch „beim Fernsehen“ gepitcht?
Nico: So viel kann ich direkt vorwegnehmen: Wer eine sozialwissenschaftliche Analyse eines subkulturellen Generationskonflikts erwartet, ist bei uns falsch. Das war aber auch nie unser Anspruch. „Millennial Punk“ beleuchtet die letzten zweieinhalb Jahrzehnte der hiesigen Subkultur anhand subjektiver Erinnerungen von Leuten, die diese Ära miterlebt und auch selbst mit geprägt haben. Unsere Doku ist lustig, bunt und emotional. Belehren können andere, wir wollen unterhalten.
Diana: Wir würden uns über die Erkenntnis freuen, dass dir niemand deine Punk-Zugehörigkeit absprechen kann. Erst recht niemand, der glaubt, dass er ein Patent auf Punk angemeldet hat, weil er früher geboren wurde. Wir haben uns die Frage gestellt, warum die meisten Dokus und Bücher über unsere Subkultur in den 1990er Jahren mit der Behauptung enden, dass Punk tot sei. Und die Antwort liegt auf der Hand: Weil diese Erzählungen von Filmschaffenden und Autor:innen stammen, die selbst durch die erste Punk-Welle sozialisiert wurden und ihrer eigenen Jugend damit ein Denkmal setzen wollten. So gesehen ist es logisch, dass der Fokus ihrer Geschichten auf den Anfängen in den 1980er Jahren liegt, weil die eigene Adoleszenz nun mal die prägendste Zeit im Leben ist. Uns geht es da ja offensichtlich ähnlich, weshalb es uns wiederum ein Anliegen war, endlich das Kapitel zu beleuchten, das gefühlt immer als „irrelevanter Ausläufer“ gelabelt wird, obwohl es insgesamt schon länger andauert als alles, was vor unserer Zeit passiert ist. Der SWR fand diese fehlende Perspektive offenbar auch sehr spannend und war direkt an Bord.

Wie schafft man es, so ein Projekt zu verkaufen? Gefühlt gibt es doch zig spannendere, neuere Jugendbewegungen als den ollen Punk ...
Felix: Wir haben die Serie ja auch nicht an einen 19-jährigen TikToker verkauft, sondern an den SWR ...
Flo: Wir zeigen mit unserer Doku ja, dass Punk eben nicht die olle Subkultur ist, die sich vor Veränderungen verschließt. Sondern, dass in unserer Szene noch immer viel passiert, weil ständig neue Bands dazukommen, sich die musikalischen Grenzen des Genres verschieben und immer wieder neue Themen diskutiert und andere Privilegien hinterfragt werden. Außerdem geht es bei einer Doku ja am Ende des Tages darum, die Geschichte möglichst unterhaltsam zu erzählen und ein hohes Identifikationspotenzial für die Zuschauer:innen zu schaffen. Du kannst auch ein spannendes Thema so langweilig erzählen, dass alle nach fünf Minuten abschalten. Oder du bereitest ein unscheinbares Thema so spannend auf, dass alle dranbleiben und danach das Bedürfnis haben, sich darüber auszutauschen. Und genau das ist unser Anspruch gewesen. Der SWR hat dieses Potenzial offenbar erkannt.

Könnt ihr quantifizieren, wie viel Zeit in diese Doku geflossen ist?
Felix: Uns war natürlich klar, dass dieses Projekt viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Mit dreieinhalb Jahren haben wir aber ehrlich gesagt nicht gerechnet, als Nico uns Anfang 2021 angerufen hat. Rückblickend kann man sagen: Das erste Jahr ging komplett für die Zusammenstellung des Teams und die Planung drauf. Diana und ich haben uns damals erst mal eingeschlossen und an dem inhaltlichen Konzept gefeilt. Auf dieser Basis konnte Nico dann parallel anfangen, erste Bands von unserem Vorhaben zu überzeugen, und mit deren Zusagen im Gepäck, haben wir die Idee schließlich an den SWR gepitcht. Im zweiten Jahr lag der Fokus auf den Dreharbeiten in verschiedenen Bundesländern. Das heißt, wir waren ständig unterwegs und es gab unglaublich viel zu tun – vor allem für Flo, der als Producer ja für die ganze Orga verantwortlich war. Danach ging für Diana und mich das Sichten los. Wir haben unter Berücksichtigung der vier Oberthemen über hundert Stunden Interview-Material durchsehen und nach passenden Zitaten Ausschau halten müssen. Keine Ahnung, wie oft wir uns manche davon reingezogen haben. Kein Witz, wir können mittlerweile viele Passagen auswendig mitsprechen. Das dritte Jahr war das arbeitsintensivste für uns. Zu diesem Zeitpunkt kam auch unser Cutter Michi Münch ins Team, der dann immer nach unseren „Drehbuch“-Anweisungen die Zitate montiert hat, während wir weiter an der Story gefeilt und passendes Archivmaterial recherchiert haben. Zeitweise dachte ich, die Arbeit an der Doku wird nie aufhören.
Nico: Die Doku war sehr viel zeit- und kostenintensiver, als wir es uns vorgestellt haben. Umso glücklicher sind wir, dass das Projekt nun endlich sichtbar wird. Es ist ein Herzensprojekt und nichts, um Geld zu verdienen.

Wie lautet denn eure Definition von „Millennial Punk“? Und warum habt ihr das für ein Thema gehalten, dem bislang zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde?
Diana: Millennial-Punx wurden auf jeden Fall erst geboren, nachdem sich die SEX PISTOLS 1978 zum ersten Mal aufgelöst haben. Und im Gegensatz zu den zwischen 1997 und 2012 Geborenen der Gen Z haben wir auch noch das analoge Zeitalter miterlebt. Das heißt, wir sind die einzige Generation, die mit Festnetz und Handy aufgewachsen ist – mit Brieffreund:innen und Chats, mit Walkman, CD-Brenner und MP3-Player. Aber wir waren auch die ersten Punx in zweiter Generation, die sich innerhalb der Subkultur erst mal beweisen mussten. Die meisten von uns haben nach der Schule MTV und VIVA 2 geschaut, weshalb viele nicht ausschließlich durch Punk sozialisiert worden sind, sondern zum Teil auch durch Techno und deutschsprachigen HipHop. Ich würde daher sagen, dass Millennial-Punx offener gegenüber popkulturellen Einflüssen sind als ihre Vorgänger:innen und dass das der Musik heute auch an vielen Stellen anzuhören ist.
Flo: Unserer Generation wurde immer vermittelt, dass Punk tot sei. Das ist aber nicht der Fall. Die Szene ist lebendiger als je zuvor, spricht Missstände an und sucht Lösungswege. Uns war wichtig, dass der Punk aus unserer Jugend nicht nur auf Alkopops und Musikfernsehen beschränkt wird – verschweigen wollten wir diesen Teil aber auch nicht.

Für die vier Folgen habt ihr vier Themenschwerpunkte entwickelt. Warum „#THROWBACK – Nostalgie der Nullerjahre“, „#AKTIVISMUS – Die politische DNA von Punk“, „#NEULAND – Die digitale Revolution“ und „#FORTSCHRITT – Neue Genres & Feminismus“?
Nico: Am Anfang hatten wir vier sehr viele Lockdown-Zoom-Meetings, bei denen wir zusammen gebrainstormt haben und dabei ist ganz schnell klar gewesen, dass es vier Themen gibt, die uns allen enorm wichtig sind: Der Zeitgeist der 2000er Jahre, die politische und aktivistische Seite von Punk, die Auswirkungen der fortschreitenden Digitalisierung auf die Subkultur und die zunehmende musikalische Öffnung des Genres. Auf dieser Grundlage haben Diana und Felix die Interviews vorbereitet, um an ausreichend Futter für die einzelnen Episoden zu kommen. Aber als dann alles vorlag und es ans Eingemachte ging, war schnell klar, dass es den Rahmen sprengen würde, die Themen Antirassismus und Feminismus in einer Folge abzuhandeln. Das wäre beiden Themen nicht gerecht geworden, deshalb haben sie diese beiden Schwerpunkte in der Postproduktion gesplittet, um beiden Themen mehr Raum geben zu können. Und rückblickend betrachtet, gefällt es uns so auch viel besser, weil der aktuelle musikalische Wandel der Szene, beispielsweise durch Bands wie ANTILOPEN GANG, auch sehr viele Berührungspunkte mit der feministischen Bewegung und der Forderung nach einem Umdenken hat. So kam es zu den jetzigen vier Oberthemen.
Flo: Es war uns wichtig, mit den Protagonist:innen in Erinnerungen an die „gute alte Zeit“ zu schwelgen, um nostalgische Gefühle bei den Leuten vor dem Fernseher zu wecken. Sie sollen beim Gucken an ihre eigene Jugend denken, und bestenfalls kramen sie anschließend ihre alten Mixtapes raus oder kontaktieren einen Kumpel von früher, den sie aus den Augen verloren haben. Aber gleichzeitig war es uns wichtig zu zeigen, dass wir nicht nur die Spaßgeneration sind. Im Gegenteil: Eine klare Kante gegen rechts ist und bleibt der kleinste gemeinsame Nenner innerhalb der Szene, das war schon immer so und wird auch so bleiben. Deshalb stand es für uns überhaupt nicht zur Debatte, ob wir auch Leuten wie Dariush, der ertrinkende Geflüchtete im Mittelmeer rettet, eine Bühne geben und ihre Arbeit sichtbar machen wollen – es war einfach klar, dass wir das machen. Dasselbe gilt für Birgit und Horst Lohmeyer, die den Faschos in Jamel die Stirn bieten, oder Victoria Müller, die zurückgelassene Haustiere in der Ukraine rettet. Aber auch für die Aktivist:innen, die sich für unbequeme Themen einsetzen, bei denen aktuell noch kein Konsens in der Szene herrscht, wie beispielsweise Lisa und David Lebuser von Sit’n’Skate, die für mehr Barrierefreiheit kämpfen. Zudem gefällt mir der Gedanke, dass Kids durch die Doku der Einstieg zum Punk leichter fällt, dass deren Liebe zum Punk geweckt wird und die Szene so eine Verjüngungskur bekommt.

Eure Doku zeigt letztlich doch einen recht schmalen Teil der Szene und Bands jener Jahre – stilistisch, regional, vom Szene-Background her. Punk kann ja auch Garage, Hardcore, Oi!, Emo umfassen, bei euch ist es dann doch vorwiegend „deutschsprachiger Punkrock“.
Nico: Es ist wichtig zu verstehen, dass wir keinen Film über Punk als Musikgenre machen wollten, sondern über das Lebensgefühl derer, die in einem bestimmten Zeitraum in Deutschland mit Punkrock großgeworden sind. Von daher spielte die Beleuchtung einzelner Genre-Nischen innerhalb der Nische „Punk“ überhaupt keine Rolle für uns. Natürlich hätten wir auch eine Doku namens „Millennial Hardcore“ oder „Millennial Emo“ drehen können, weil das ganz eigene riesige Felder sind. Oder eine Doku über die wichtigsten internationalen Punk-Einflüsse der Boomer oder der Generation X – aber diese Dokus gibt’s ja schon. Stattdessen haben wir uns bewusst für eine Erzählung aus der Perspektive derjenigen entschieden, die rund um die Jahrtausendwende durch kommerziell erfolgreiche Bands wie BLINK-182, NOFX, Avril Lavigne oder DIE ÄRZTE zum Punk gekommen sind – und zwar in Deutschland. Und so betrachtet ist es alles andere als „ein schmaler Teil der Szene“, den wir in der Doku abbilden. Im Gegenteil: Innerhalb unserer Definition von „Millennial Punk“ haben wir die Klammer sogar sehr weit aufgemacht: Angefangen bei den alten Helden WIZO, SLIME, TERRORGRUPPE und DIE TOTEN HOSEN, die für viele von uns damals ein Türöffner waren, über jüngere englischsprachige Bands wie ERECTION, ITCHY oder BERLIN BLACKOUTS bis hin zu aktuellen Acts wie AKNE KID JOE oder THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM, die mit elektronischen Einflüssen arbeiten, oder punkigen HipHop-Acts wie Swiss, BLUTHUND, ANTILOPEN GANG und Finna ist ja alles abgedeckt. Sogar Fat Mike ist repräsentativ für die US-Punk-Welle der 1990er Jahre dabei, die viele von uns zum Punk gebracht hat.
Diana: Dass es uns inhaltlich von Anfang an mehr um die Szene als solche als um den dazugehörigen Soundtrack ging, zeigt ja auch die Tatsache, dass es sich bei knapp einem Viertel unserer Protagonist:innen nicht um Bands, sondern um subkulturelle Akteur:innen unterschiedlicher Hintergründe handelt. Neben den bereits erwähnten Aktivist:innen haben wir unter anderem mit der Fotografin Sévérine Kpoti gesprochen, mit der Designerin Liza Sew, mit dem Autor Philipp Meinert, und nicht zuletzt ja auch mit dir als Herausgeber vom Ox. Man muss sich vor einer solchen Produktion die Frage stellen, welche Art Film man überhaupt machen möchte: Willst du eine informative Dokumentation drehen, bei der später eine Stimme aus dem Off penibel recherchierte Fakten erläutert und möglichst viele Nischen der Subkultur beleuchtet? Oder willst du möglichst vielen Menschen deiner Zielgruppe das Gefühl geben, dabei gewesen zu sein, indem du eine ganze Reihe von Zeitzeug:innen gemeinsam in Erinnerungen schwelgen lässt? Wir haben uns für letzteres entschieden, was natürlich auch bedeutete, dass alle Interviews eine gemeinsame Basis haben mussten. Schon allein deshalb mussten die Protagonist:innen über dieselben Dinge sprechen, damit wir die Zitate später zusammenpuzzlen und aufeinander aufbauen konnten. Hätte die eine über Hardcore und der nächste über Emo geredet, hätte nichts mehr zusammengepasst.

Ihr gebt auch Leuten aus der Rap-Szene Raum in dieser Doku – warum diese Entscheidung, warum diese Akteur:innen?
Felix: Zur Jahrtausendwende hat HipHop gerade richtig Fahrt aufgenommen und eine große Rolle in der Popkultur gespielt. Rap wurde sogar zu einer eigenständigen subkulturellen Alternative, die Punx vor uns in der Form nie hatten, weil es in diesem Fall, weder musikalisch noch vom Look her, Überschneidungen mit Punk gab. Allein durch die damalige Mode und Hits von Eminem und Co. war HipHop aus unserem Alltag damals nicht wegzudenken. Und genau wie Punk spielte auch Rap immer schon mit einer rebellischen Attitüde, Exzess und Underground-Vibes. Aber wer zu den Punx gehören wollte, musste sich für eine Seite entscheiden, beides zusammen war ein No-Go. Und auch ich habe mich tatsächlich lange Zeit dafür geschämt, beides zu mögen, aber genau wie viele andere hatte ich irgendwann keinen Bock mehr, in diesen Schubladen zu denken. Inzwischen gibt es richtig gute Acts, die beide Genres miteinander verbinden. Das beste Beispiel für diese Entwicklung sind Swiss und Diggen, die in unserem Interview zusammen auf der Couch saßen – ein Rapper und eine Deutschpunk-Ikone, die nun gemeinsam Musik machen. Eine ähnliche Verbindung gibt es ja auch zwischen Rapperin Finna und SCHROTTGRENZE. Beide Seiten verkörpern zwei verschiedene Generationen und machen trotz eines komplett unterschiedlichen Backgrounds heute zusammen Musik – das ist doch mega und zeigt einfach, wie viel sich dahingehend seit einigen Jahren tut. Logisch, dass auch ANTILOPEN GANG da nicht fehlen durfte, da die Band diese Verschiebung der Genregrenzen maßgeblich vorangetrieben und es Newcomern wie BLUTHUND erst möglich gemacht hat, in der Punk-Szene wahrgenommen und abgefeiert zu werden.

Denkt ihr, dass die „Einstiegszeit“, also welches Jahrzehnt, einen Einfluss darauf hat, wie man Punk sieht, welche Bedeutung der für einen Menschen hat? Und wie wirkt und drückt sich das aus?
Flo: Klar, schon allein, weil die Bands, die zu dem Zeitpunkt gerade angesagt sind, einen großen Einfluss auf unseren künftigen Musikgeschmack haben. Deshalb macht es auf lange Sicht schon einen Unterschied, ob du durch THE CLASH, NOFX oder AKNE KID JOE zum Punk gekommen bist. Und auch das eigene Alter spielt eine Rolle. Wenn du Punk als rebellischer Teenager als Ventil entdeckst und die Szene zu deinem Zuhause wird, wirst du vermutlich eine emotionalere Bindung zu der Subkultur aufbauen, als wenn du mit vierzig dazustößt, nachdem du einen guten Song im Radio gehört hast.
Diana: Selbstverständlich hat der Zeitpunkt deiner Jugend einen immensen Einfluss auf die Wahrnehmung deiner Außenwelt und das betrifft die Sicht auf alltägliche Dinge genauso wie gesellschaftliche oder subkulturelle Kontexte. Wenn du zum Beispiel schon seit der ersten Stunde Teil der Punk-Szene bist, hast du wahrscheinlich das Gefühl, sie mit aufgebaut zu haben. Daraus ergibt sich oft der Wunsch, auch die Regeln machen zu dürfen. Also zu sagen, welche Bands man kennen muss, wie man sich kleiden muss, was man zu boykottieren hat, wie viel man saufen muss ... Was weiß ich. Bist du hingegen zwanzig Jahre später geboren und willst dich einer bereits bestehenden Subkultur anschließen, gehörst du erst mal über Jahre zu den kleinen Babypunx, die sich erst beweisen müssen – das prägt dich natürlich auf eine andere Art. So ist über die Jahre ein richtiges Machtgefälle innerhalb unserer Szene entstanden. Was schon fast ein bisschen witzig ist, weil sie sich ja auf die Fahnen schreibt, gegen Autoritätspersonen zu sein. Ist doch klar, dass es da früher oder später zu Verwerfungen kommt. Spätestens, wenn die zweite Generation sich zu emanzipieren beginnt, unausgesprochene Regeln infrage stellt, verpönte Musikstile anderer Genres aufgreift und bestehende Privilegien hinterfragt, knallt’s halt irgendwann. Von daher, ja, es macht einen Riesenunterschied, wann du in einem sozialen Gefüge dazustößt. Mir geht es da übrigens nicht anders. Ich bin neulich nach einer Lesung von zwei jungen Punx gesiezt worden – seitdem ist mir die Gen Z auch äußerst suspekt. Haha!

Nun waren eure Interviews ja nicht repräsentativ, aber welche Gemeinsamkeiten, welchen roten Faden seht ihr?
Felix: Hätte ich eine repräsentative Studie machen wollen, hätte ich 2009 nicht mein Soziologiestudium abgebrochen, um bei einem Punk-Label zu arbeiten. Ich bin Storyteller und wir haben bekommen, was wir wollten: authentische Personen, Situationskomik und Denkanstöße. Was alle Protagonist:innen unabhängig von Alter, Geschlecht oder Background eint, ist der Impact, den Punk auf ihr Leben gehabt hat. Und der Wunsch nach einer gerechteren Welt. Und genau das wollten wir auch – die Gemeinsamkeiten aufzeigen, anstatt die Szene weiter zu spalten. Das heißt natürlich nicht, dass wir immer alle einer Meinung sein müssen und dass es keine Auseinandersetzungen geben darf, aber zwischendurch tut es einfach mal gut, sich in Erinnerung zu rufen, was uns verbindet.

Wie habt ihr die Leute ausgewählt, die ihr interviewt habt? Ich kenne ja so ein bisschen euren Hintergrund, da konnte ich gefühlt schon erkennen, dass es da vorab schon gewisse Connections gab, oder ...?
Nico: Da wir alle vier bereits so viele Jahre beruflich in der Szene unterwegs sind, wäre es das größere Kunststück gewesen, 69 Akteur:innen vor die Kamera zu kriegen, zu denen niemand von uns eine Connection hat. Aber selbst davon hat es ja einige gegeben. Wir sind tatsächlich sehr systematisch vorgegangen, was die Auswahl der Protagonist:innen betrifft. Ganz am Anfang gab es eine Tabelle, in der wir alle deutschen Punkbands gesammelt haben, mit deren Musik wir in den letzten 25 Jahren sozialisiert worden sind. Danach haben wir verschiedene Kategorien erstellt, die wir abdecken wollten – von alten Helden bis hin zu Newcomern. Aber auch Subgenres wie Politpunk, Deutschpunk, Skatepunk, Rap hatten eigene Spalten. Die gesammelten Bands wurden dann darauf verteilt und wenn es zu viele für eine Kategorie gab, haben wir anonym abgestimmt und die mit den meisten Stimmen wurden angefragt. Dabei ging es jedoch niemandem von uns darum, möglichst viele Buddys in die Doku zu bekommen, sondern möglichst viele Facetten abzubilden. Wir hatten alle vier persönliche Favorit:innen auf der Liste, von denen wir uns zugunsten der Story irgendwann verabschieden mussten. Aber das war auch von Anfang an der Deal. Als das grobe Gerüst schließlich stand, haben wir uns noch mal gezielt das Geschlechterverhältnis angeschaut und uns auch darüber hinaus gefragt, wo in puncto Diversität noch Luft nach oben ist. Unser Anspruch war es, mit der Doku zu zeigen, wie bunt unsere Szene ist, und auch denen eine Bühne zu geben, die an anderer Stelle häufig nicht mitgedacht werden.
Diana: Außerdem war es uns ein Anliegen, die einzelnen Punk-Generationen nicht gegeneinander auszuspielen. Überspitzt gesagt: Nicht alle alten weißen Männer sind unreflektiert und nicht alle FLINTA-Punx wollen die Szene zerstören. Ja, es gibt einige Themen, über die wir reden müssen, damit auch die Punk-Szene mal im 21. Jahrhundert ankommt. Und es darf und muss auch weiterhin der Finger in die Wunde gelegt werden – das wurde uns von den Großen nämlich damals so beigebracht. Aber wir leben nicht auf verschiedenen Planeten und dürfen nicht aufhören, einander zuzuhören, denn vor lauter Schnappatmung vergessen wir leider oft, wie cool es sein kann, wenn wir alle zusammen sind. Ich hoffe daher wirklich sehr, dass uns diese Message mit der Doku geglückt ist.

Was uns – Uschi und mir – auffiel: es gibt zig verschiedenen Geschichten von Punk. Wir hatten immer wieder so Momente von „Echt? Okay ... das haben wir ganz anders wahrgenommen damals ...“ Mit Zeitzeugen ist das wohl wie mit Polizeizeugen: Je mehr du fragst, desto mehr verschiedene und sich am Ende sogar widersprechende Aussagen gibt es. Was denkt ihr?
Flo: Ehrlich gesagt sind wir eher überrascht, wie sehr unsere eigenen Erinnerungen über weite Strecken mit denen der interviewten Millennials übereinstimmten. Wir haben bei den Dreharbeiten so oft laut gelacht, weil vom Kameramann bis zu den Protagonist:innen in den 2000er Jahren anscheinend alle denselben Alltag geteilt und dieselbe Musik gehört haben. Teilweise stellte sich sogar heraus, dass gefühlt die Hälfte der Anwesenden vor zwanzig Jahren dieselben Konzerte besucht hatte, zum Beispiel die „10 Jahre TERRORGRUPPE“-Show in der Berliner Columbiahalle. Aber auch Erinnerungen an anschneidende Erlebnisse, wie beispielsweise 9/11 sind bei vielen erschreckend identisch gewesen.
Felix: Wahrscheinlich muss man auch selbst Millennial sein, um diese kollektive Wahrnehmung zu teilen. Ich weiß nicht, wie alt ihr seid, aber ich gehe mal davon aus, dass Uschi und du um die Jahrtausendwende nicht aus der Schule gekommen seid, und erst mal VIVA angemacht habt. Als Erwachsene habt ihr 9/11 damals sicherlich anders wahrgenommen als wir Teenager und auch die ganze HipHop-Entwicklung werdet ihr anders erlebt haben, weil ihr schon viel gefestigter in eurem Musikgeschmack wart und viele Dinge bereits ganz anders reflektiert habt. Aber genau das ist ja der Grund, warum wir diese Doku unbedingt machen wollten, denn so ging es uns bisher bei jeder einzelnen Punk-Doku, die wir in unserem Leben gesehen haben – wir fühlten uns nie zu 100% abgeholt, weil unsere Perspektive fehlte und wir komplett andere oder gar keine Erinnerungen an die Anekdoten hatten, die darin erzählt wurden. Umso mehr freut es uns, diese Lücke nun für die Millennials schließen zu können.

Habt ihr Blut geleckt? Welche Punk-Aspekte müssten unbedingt in weiteren Dokus beackert werden?
Diana: Nach einem dreieinhalbjährigen Arbeitsmarathon mit teils burnoutartigen Zuständen will ich jetzt ehrlich gesagt nicht an die Arbeit von morgen denken, sondern gerade einfach nur die Zeit der Veröffentlichung und das Feedback derer genießen, für die wir diese Doku gemacht haben.
Flo: Uns ist relativ schnell klar geworden, dass es Themen gibt, die nicht nur kurz angeschnitten werden können, sondern eigenständig beleuchtet werden müssten. Über die Hardcore-Szene in Deutschland könnte man zum Beispiel eine eigene Doku drehen, genau wie über das Grauzone-Phänomen in der Mitte der Nuller Jahre.
Nico: Frag mich das noch mal, wenn ich etwas Abstand zu dem Projekt gewonnen habe. Darüber hinaus denke ich aber, dass wir unabhängig von weiteren Genres innerhalb des Punk doch bereits sehr viele Aspekte aufzeigen.
Felix: Weiß ich gerade nicht. Aber eine Doku über die nächsten zwei Jahrzehnte Punk überlasse ich gerne der Gen Z.