Ohne die britischen R&B/Psych-Legende THE PRETTY THINGS wäre das Leben von Mike Stax deutlich anders verlaufen. Die Besessenheit für deren Sound brachte Stax zu Beginn der 1980er Jahre aus London mit nach Südkalifornien. Dort gründete er unter anderem das Fanzine Ugly Things, das mit grenzenloser Hingabe den Garage/Beat/Psych-Underdogs der 1960er Jahre bis heute gewidmet ist. Zudem spielte er Bass bei CRAWDADDYS und bei TELL TALE HEARTS und stellte Ende der 1990er Jahre die LOONS zusammen, bei denen er mit viel Herz und Seele singt und Maraccas spielt. Anlässlich ihrer bevorstehenden Europatour gibt’s nun einiges mit dem einflussreichen Autor und Musiker zu besprechen.
Das neue Album der LOONS erscheint beim spanischen Label Munster Records, das vor allem für seine exquisite Auswahl an Wiederveröffentlichungen von Musik aus den 1960er Jahren und darüber hinaus bekannt ist, und nur wenige zeitgenössische Bands vertritt. Was ist das für ein Gefühl?
Wir sind alle sehr glücklich darüber. Über die Jahre hat sich eine enge Freundschaft mit Iñigo und Ulla von Munster Records entwickelt. Wir verbringen immer viel Zeit mit ihnen, wenn wir in Madrid sind. Sie sind wie eine Familie für uns. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit, die sie mit ihren Rereleases leisten. Sie haben einen fantastischen Musikgeschmack und einen hohen Standard beim Pressen, Mastern und Verpacken. Da wir ziemlich regelmäßig in Spanien touren und dort eine tolle Fangemeinde haben, war es eine logische Entscheidung, das Album dort rauszubringen.
Es gibt ziemliche Lücken zwischen euren Veröffentlichungen, das aktuelle Album ist gerade mal das fünfte in fast dreißig Jahren LOONS. Wie kommt das?
Wir alle haben feste Jobs, Familien und andere Aktivitäten, so dass wir nicht Vollzeit an der Band arbeiten können. Außerdem sind wir sehr kritisch, was unsere eigenen Songs angeht, also nehmen wir uns beim Schreiben Zeit und verwerfen alles, was uns nicht gefällt. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Leute jedes Jahr ein neues LOONS-Album verlangen, nicht mal alle zwei oder drei Jahre – also gibt es keinen Grund, den Prozess zu überstürzen und etwas Minderwertiges zu veröffentlichen. Wir veröffentlichen zwischen den Alben immer ein paar Singles, damit die Leute wissen, dass es uns noch gibt.
Wie verlief die Produktion im Vergleich zu früheren Platten?
Jedes Album fühlt sich anders an. Wir hatten während der Pandemie einige Songs geschrieben, aber viele davon flogen wieder raus, als wir in den Monaten vor den Studiosessions mit stärkerem Material aufwarten konnten. Plötzlich wussten wir, wie das Album werden würde, und danach fühlten sich die Songs einfach gut an. Jeder in der Band trägt etwas zum Songwriting bei, also Chris Marsteller und Marc Schroeder an den Gitarren, Anja am Bass und beim Harmoniegesang und Chris Cancelliere am Schlagzeug, der bei einem Stück auch ein bisschen Klavier spielt. Jemand bringt ein Riff oder eine Akkordfolge mit, dann arbeiten wir gemeinsam im Proberaum an den Arrangements und ich schreibe dazu die Texte und Gesangsmelodien. Der Großteil der Platte wurde Ende 2023 im Earthling-Studio in El Cajon eingespielt, das von unserem alten Schlagzeuger Mike Kamoo betrieben wird. Er verfügt über ein großartiges Vintage-Equipment, darunter die Achtspur-Bandmaschine, die in den 1960er Jahren in den Sunset-Sound-Studios in L.A. stand, wo LOVE, DOORS, BUFFALO SPRINGFIELD, CAPTAIN BEEFHEART und unzählige andere damals aufgenommen haben. Wir vertrauen Earthling schon seit mehr als zwanzig Jahren, wir fühlen uns super wohl in diesem Raum. Die meisten Backing-Tracks haben wir in wenigen Takes live aufgenommen, anschließend wurden der Gesang und zusätzliche Instrumente eingespielt – genau so sind schon unsere Lieblingsplatten entstanden. Es war eine lustige, lockere Atmosphäre und ich denke, das hört man der Platte auch an.
Wie begann deine Leidenschaft für Musik und was brachte dich dazu, eine Karriere in diesem Bereich anzustreben?
Wie viele in meiner Generation bin ich mit der Musik aus dem Radio aufgewachsen. Meine Mutter erinnert sich, dass ich als kleines Kind zu den ROLLING STONES getanzt habe, und ich weiß noch, dass ich auch den BEATLES aufmerksam zugehört habe – den Alben „Rubber Soul“ und „Help“, die mein Vater auf Kassette hatte. Als Teenager Anfang der 1970er Jahre war ich besessen von Rock’n’Roll, vor allem von David Bowie und den ROLLING STONES der Brian Jones-Ära. Von da an begann ich, mich intensiver mit der Musik der 1960er Jahre zu beschäftigen – THE WHO, VELVET UNDERGROUND, YARDBIRDS, KINKS und vor allem natürlich PRETTY THINGS. Diese frühen Einflüsse haben meine Entwicklung geprägt. Ich wollte so viel wie möglich über diese Musik erfahren, die mich so begeistert, und über die Menschen, die sie machen. Ich habe alles gelesen, was ich nur finden konnte, und fing schließlich an, selbst zu recherchieren und darüber zu schreiben. Das Ziel war nicht nur, meine eigene unstillbare Neugier zu befriedigen, sondern auch andere Menschen für die Musik zu begeistern, die meiner Meinung nach sträflich übersehen wurde oder in Vergessenheit geraten ist. Selbst Musik zu machen gehört für mich auch dazu. Ich wollte den Code knacken, der diese Musik so besonders macht, und dann versuchen, etwas Eigenes zu schaffen.
Wie kam es dazu, das Fanzine Ugly Things ins Leben zu rufen, und welche Vision hast du im Laufe der Jahre damit verfolgt?
Ich weiß gar nicht, ob es da einen bestimmten Moment gab. Es war eine Idee, die sich bei mir und ein paar guten Freunden schon seit einiger Zeit entwickelt hatte. Wir haben unsere ganze Zeit damit verbracht, über Musik zu reden, Musik zu hören oder Musik zu spielen. Ich habe schon immer viel geschrieben, also war es unvermeidlich, dass ich auch darüber schreiben würde. Fanzines wie Brian Hoggs Bam Balam, Greg Shaws Who Put the Bomp und das deutsche Gorilla Beat haben mich dazu inspiriert, Ugly Things zu gründen. Der Name war natürlich eine Hommage an die PRETTY THINGS, die Band, die für mich das Ideal und die Ästhetik, die ich anstrebte, am perfektesten repräsentierte, nicht nur mit ihrer Musik, sondern auch mit ihrem Aussehen, ihrer Einstellung, ihrer Beharrlichkeit und ihrem Status als Underdogs. Meine Vision war es immer, die Außenseiter zu fördern, die Künstler und Musiker, die nicht unbedingt kommerziellen Erfolg hatten, aber dennoch interessante, spannende oder innovative Musik machten. Bei Ugly Things ging es immer darum, diese Geschichten zu erzählen, oft zum ersten Mal, und unsere Leser auf Musik aufmerksam zu machen, die sie vielleicht noch gar nicht kannten.
Als Autor und Redakteur hast du über viele übersehene Künstler aus den 1960er und 1970er Jahren berichtet. Welcher Interviewpartner ist dir am besten in Erinnerung geblieben und warum?
Das ist eine schwierige Frage, denn es gab so viele denkwürdige Interviews. Woran ich besonders gerne zurückdenke, ist das mit Sean Bonniwell von THE MUSIC MACHINE, weil es das erste Interview war, das ich je geführt habe, im Juli 1983. Er war total dankbar, dass ihn jemand nach seiner Musik fragte, nach Liedern, von denen er dachte, sie seien für immer vergessen, und das hat mich tief bewegt. Zum ersten Mal erlebte ich dieses Gefühl, einem Künstler mitzuteilen, dass seine Arbeit immer noch von Bedeutung ist. Vor ein paar Wochen habe ich Michelle Phillips von THE MAMAS AND THE PAPAS interviewt. Sie unterhielt sich mit mir mehr als vier Stunden lang, eine Achterbahnfahrt an fesselnden Geschichten und emotionalen Offenbarungen, Lachen, Tränen. Sie ist eine erstaunliche Frau, die die zweite Hälfte der 1960er Jahre mit außerordentlicher Intensität erlebt hat. Auch das werde ich nie vergessen.
Dein Buch „Swim Through the Darkness“ befasst sich mit dem Leben von Craig Smith. Was hat dich an seiner Geschichte gereizt, und was war das Überraschendste, das du bei den Recherchen entdeckt hast?
Ich wurde von dem Zauber und dem Geheimnis seiner Musik angezogen. 1972 veröffentlichte er als Maitreya Kali im Eigenverlag ein Doppelalbum mit dem Titel „Apache-Inca“. Das Cover ist seltsam und dilettantisch, und die bizarren Linernotes und Credits lassen auf einen gestörten, möglicherweise schizophrenen Geist schließen. Jemand, der sich für den nächsten Messias oder „König der Welt“ hielt. Ich war also erstaunt, als ich mir die Musik anhörte, denn die Lieder sind perfekt ausgearbeitet und wunderschön gesungen. Sie waren offensichtlich das Werk von jemandem, der sehr begabt war. Dieses Paradoxon hat mich fasziniert. Wann und wie wurde aus diesem hellen, begabten jungen Songwriter Craig Smith diese dunkle, verblendete Seele namens Maitreya Kali? Niemand wusste es, also begann ich zu recherchieren. Es dauerte 15 Jahre, bis ich die Puzzleteile seiner herzzerreißend tragischen Geschichte zusammensetzen konnte. Dabei gab es auf Schritt und Tritt Überraschungen, aber die größte war wohl die Entdeckung des Vorfalls, der seine Schizophrenie auslöste und ihn dazu brachte, seine neue Persönlichkeit anzunehmen. Das Schreiben des Buchs war auch für mich eine lebensverändernde Reise.
Der „Ugly Things“-Podcast erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Wie entscheidest du, was in der nächsten Folge zu hören sein wird?
Normalerweise arbeite ich immer an zwei oder drei Geschichten für das Magazin, von denen mindestens eine für eine Podcast-Episode geeignet erscheint. Manchmal greife ich auch auf eine Geschichte oder ein Interview von vor vielen Jahren zurück. Mit den meisten Leuten, die ich für das Magazin interviewt habe, bin ich in Kontakt geblieben, so dass ich oft auf sie zurückkomme, um ein Gespräch für den Podcast zu führen. Manchmal konzentrieren wir uns nur auf ein Album und gehen es Track für Track durch, was wir mit Johnny Echols mit „Da Capo“ von LOVE, Dick Taylor mit „Get The Picture“ von PRETTY THINGS, Don Stevenson mit dem ersten MOBY GRAPE-Album und einigen anderen gemacht haben. Das ist ein Format, das für den Podcast sehr gut funktioniert. Es gibt kein strenges System für die Auswahl der Inhalte für das Magazin. In der Regel ist der entscheidende Faktor, dass die Musik mich gerade interessiert. Und natürlich habe ich ein Team von guten Autoren, die mir Themen vorschlagen. Oft ergeben sich Gelegenheiten für Interviews oder Geschichten aus heiterem Himmel, wie zum Beispiel jüngst bei Michelle Phillips. Ich habe immer das Gefühl, dass es noch Hunderte von Geschichten gibt, die darauf warten, erzählt zu werden, aber die Zeit läuft langsam ab.
Wie war das damals, als du von England nach San Diego gezogen bist, um bei den CRAWDADDYS einzusteigen, und wie hat das dein Leben und deine Karriere beeinflusst?
Ich war 18 Jahre alt, als ich nach San Diego kam. Ich hatte die CRAWDADDYS bei John Peel im Radio gehört. Sie klangen genau wie eine britische R&B-Band aus dem Jahr 1964, wie die frühen Stones oder PRETTY THINGS, und ich war verblüfft, als ich erfuhr, dass es sich um eine neue Band aus Kalifornien handelt. Ich machte einige ihrer Platten ausfindig, schrieb ihnen einen Fanbrief und schickte ihn an ihr Label Bomp! Records. In dem Brief erwähnte ich, dass ich Bassist bin und eine Band gegründet hatte, die dieselbe Art von Musik spielt. Ron Silva schrieb mir prompt zurück und fragte mich, ob ich Interesse hätte, bei ihnen mitzumachen. Das war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich war gerade mit der Schule fertig und wollte eigentlich studieren, aber ich ließ sofort alle Pläne fallen, kratzte das Geld für ein Flugticket zusammen und flog nach San Diego. Ich war jung, naiv und unerfahren. Ich hatte weder eine Arbeitserlaubnis noch Geld, aber irgendwie hat es dann doch geklappt, nach langem Ringen. Eine weitere Entscheidung, die mein ganzes Leben verändert hat.
Wie schaffst du es, deine Zeit zwischen Schreiben, Bearbeiten und Aufführen von Musik einzuteilen?
Das ist nicht immer einfach, denn jeder dieser Bereiche erfordert hundertprozentige Konzentration und Engagement, wenn er gut gemacht werden soll. Es hilft also, wenn ich morgens aufwache und weiß, was ich tun werde, damit ich mein Gehirn auf die richtige Frequenz einstellen kann. Natürlich ist das nicht immer möglich, da das Leben viele andere Anforderungen und Ablenkungen mit sich bringt.
Was ist mit anstehenden Projekten oder Kooperationen?
In den letzten Jahren habe ich an zwei Büchern gearbeitet. Das eine ist eine Kooperation mit dem Schriftsteller David Holzer und handelt von dem ungarisch-amerikanischen Jazz-Gitarristen Gábor Szabó, dessen fesselnde Musik auch in die Bereiche Pop, Rock und Psychedelia vordrang. Das andere Buch, das mir sehr am Herzen liegt, handelt von Phil May und seiner Zeit bei den PRETTY THINGS. Außerdem freue ich mich darauf, diesen Sommer wieder mit den LOONS nach Europa zu kommen, um unser neues Album mit Live-Auftritten in Spanien und Deutschland zu promoten.
Gibt es neue oder aufstrebende Künstler, die in letzter Zeit deine Aufmerksamkeit erregt haben?
Ich liebe MOHAMA SAZ aus Spanien, sie haben einen einzigartigen Sound, der Raga und nahöstliche Aromen mit hypnotischen, CAN-artigen Grooves verbindet. Alle ihre Platten sind fabelhaft, aber man muss sie live sehen, um sie wirklich zu verstehen. Es gibt auch eine neue Welle junger Garage-Bands hier in Südkalifornien, die wirklich gut sind, darunter THE KILLING FLOORS und THE WYLD GOOMS, sowie eine wirklich talentierte Powerpop-Gruppe namens UNI BOYS. Was neue Alben angeht, so sind meine Favoriten „Simple Songs For Complex People“ von THE FALLEN LEAVES und „All Good Things (Turn To Dust)“ von THE BEATPACK, beides britische Bands.
Die Musikindustrie ist so unbeständig. Was motiviert dich und lässt dich deine Arbeit mit Leidenschaft angehen?
Ich denke nicht viel über die Branche nach, nur über die Projekte. Ich bin nie ganz zufrieden, also motiviert mich zum Teil das Bedürfnis, mich zu verbessern, besser zu schreiben und bessere Musik zu machen. Es gibt nichts Schöneres als den Nervenkitzel, etwas zu erschaffen, das es vorher noch nicht gab, sei es ein Lied oder ein Text, vor allem wenn es den Leser oder Zuhörer dann emotional berührt. Das ist es, was mich antreibt, und ich denke, das gilt für alle bei den LOONS.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #174 Juni/Juli 2024 und Gereon Helmer