Vor kurzem erschien „Cell Scape“, das mittlerweile fünfte Album dieser mehr als beachtlichen japanischen Pop-Krach-Combo, auf dem bandeigenen Label A-Zap. 1991 von der Sängerin Yasuko Onuki und Gitarrist und Mundschutzträger Agata aus der Taufe gehoben, vollzog man innerhalb der letzten Jahre eine außergewöhnliche Karriere. Trotz immer wieder auftretender Line-Up-Wechsel veröffentlichte man kontinuierlich Platten auf Skin Graft, Slap A Ham, GSL oder selbst Tzadik, diverse Split-EPs mit solchen Bands wie ZENI GEVA, THE LOCUST und DISCORDANCE AXIS, arbeitete mit Steve Albini und K.K. Null zusammen und wurde selbst auf MTV 1996 für das besten Video gekrönt. Mittlerweile hilft sogar Schlagzeug-Gott Dave Witte (BURNT BY THE SUN) bei Konzerten aus. Alles mehr als gute Gründe, ein Gespräch mit Agato zu führen und ein wenig Nachhilfe in Japanisch zu bekommen.
Wie schaut es denn mit der Punk-/Hardcoreszene in Japan aus, rebelliert die Jugend gegen die alten Traditionen und die Regierung?
„Den Punks und Jugendlichen bei uns geht es eher um Spaß haben, als darum, irgendwelche Aufstände zu provozieren. Es gibt ein paar politisch motivierte Punkbands, aber den meisten geht es eher um Pogen und Party.“
Ihr bereist ja die ganze Welt. Hattet ihr hier und da schon mal Verständigungsschwierigkeiten?
„Oh, nicht wirklich, wir haben jeder einen kleinen Sprachcomputer dabei, der anzeigt, wie dieses oder jenes Wort in der jeweiligen Sprache gesprochen wird. Das ist schon eine große Hilfe. Wenn wir mal nicht weiter wissen, rufen wir unseren Tourmanager an oder fragen einfach Dave, die beide der englischen Sprache mächtiger sind als wir, hehe.“
Ist „Cell-Scape“ mehr ein Konzeptalbum, ich meine, nahezu alle Texte handeln von „Zellen“ in irgendeiner Form?
„Yasuko hat alle Texte geschrieben. Mittlerweile sind ihre Texte einfacher zu verstehen als früher und klingen nicht mehr so merkwürdig. Dave hat auch dieses Mal alle Texte Korrektur gelesen. Ich für meinen Teil bin derjenige in der Band, der am schlechtesten Englisch kann, insofern musste mir Yasuko erst mal ihre Lyrics übersetzen, bevor ich die kapiert habe.“
Im Vergleich zu euren vorherigen Platten klingt „Cell-Scape“ recht poppig. Beabsichtigt oder hat sich das ergeben?
„Wir alle stehen auf Pop, und wir selber würden unsere Musik als Pop bezeichnen. Je eingängiger, desto besser. Kennst du MERZBOW? Der ist z.B. für uns Pop. Er macht halt nicht den stumpfen Noise, bei dem einfach ein Geräusch monoton bis zum Ende durchgezogen wird, MERZBOW fügt dem ganzen mehr Nuancen hinzu, um die Musik strukturierter zu machen. Popmusik ist nicht gleich Pop.“
Stimmt es, dass man, wenn man in Japan mit einem Tattoo rumrennt, sofort von der breiten Masse als Yakuza bzw. Krimineller angesehen und sogar von der eigenen Familie verstoßen wird?
„Tattoos erfreuen sich immer größerer Beliebtheit bei den jungen Leuten, aber ja, in einigen Stadtteilen wird man häufig schief von den Leuten angeguckt, und viele gehen einem auch aus dem Weg. Wenn ich mir ein Tattoo stechen lassen würde, würden meine Eltern mich zwar nicht verstoßen, aber ich würde sie sehr, sehr, sehr enttäuschen, und damit könnte ich nicht umgehen, also lass ich es lieber.“
Ist die Yakuza ein sehr großes Problem, bzw. rennen alle mit Schwertern rum und springen durch die Luft?
„Ich wurde einmal von einem Yakuza verprügelt, als ich mit Yasuko spazieren ging. Er machte sie an und ich zeigte ihm den Mittelfinger. Wir rannten sofort weg, als wir merkten, dass es ein Yakuza war, aber ich war nicht schnell genug. Zum Glück rennen diese Leute nur in billigen Filmen mit Schwertern rum, hehe. In Wirklichkeit sind sie eher Menschen, die Stress suchen und fremde Leute auf der Strasse oder in einem Club einfach anpöbeln, um sich zu schlagen. Aber diese Leute halten sich eher in bestimmten Gebieten wie Rotlichtvierteln auf.“
Ich habe letztens eine Japan-Dokumentation gesehen, in der unter anderem darüber berichtet wurde, dass der durchschnittliche Japaner eine größere Lebenserwartung hat als z.B. wir Europäer, was auf die gesündere Ernährung zurück zu führen ist. Mittlerweile haben auch ein paar McDonald‘s-Restaurants bei euch eröffnet. Würdest du sagen, dass die Amis euch nun an den Kragen wollen und euch mit Fast Food bombardieren?
„McDonald‘s in Japan ist ganz anders als hier in Deutschland oder Amerika. Keiner würde freiwillig zu McDonald‘s gehen, wenn die sich nicht den japanischen Essgewohnheiten angepasst hätten. Wir nehmen uns das beste aus anderen Kulturen und mixen es mit unserer Kultur. Ich würde sogar behaupten, dass es viel gesünder ist als anderswo, auch wenn es frittierte Pommes gibt und nicht wie frisch zubereitet schmeckt. Wusstest du übrigens, dass der durchschnittliche Japaner in den letzten Jahren immer größer geworden ist?“
Für mich persönlich klingt japanisch als Sprache äußerst freundlich und zuvorkommend. Habt ihr eigentlich auch so genannte „böse Wörter“?
„Ja, natürlich haben wir diese, aber die klingen wahrscheinlich ebenfalls freundlich und zuvorkommend, haha.“
Karaoke ist ja ziemlich beliebt bei euch. Ist es ein Gerücht, dass das darauf zurück zu führen ist, dass alle Frauen darauf abfahren, wenn ein Mann „My Way“ zum besten gibt?
„Viele Geschäftsleute gehen mit ihren Sekretärinnen nach Feierabend dahin, um die zu beeindrucken. Die müssen dann natürlich diese Darbietung gut finden, wenn sie ihren Job behalten wollen.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #54 März/April/Mai 2004 und Kube
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