MATTHIAS EGERSDÖRFER

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Vom Jazz-Nerd zu AKNE KID JOE

Gibt es eigentlich irgendetwas, das Matthias Egersdörfer nicht kann? Im „Franken-Tatort“ mimt er den grummeligen Spurensicherer. Mit seiner Band FAST ZU FÜRTH trällert er skurrile Lieder. Als Kabarettist ist er mit wechselnden Programmen nonstop im deutschsprachigen Raum unterwegs. Vergangenes Jahr hat Egersdörfer seinen ersten Roman vorgelegt. „Vorstadtprinz“ ist die Geschichte eines Kindes, die der Vita des kleinen Matthias durchaus ähnlich sein könnte. Höchste Zeit, sich mal mit dem mittelfränkischen Knurrhahn über seine Berührungen mit Punkrock zu unterhalten.

Wie und wann bist du zum ersten Mal mit Punk in Berührung gekommen?

Die erste Schallplatte, die ich mir gekauft habe, war „Ihre größten Erfolge“ von EXTRABREIT. Ob das jetzt Punkrock ist, was die Herren aus Hagen gemacht haben, mag ich aber fast bezweifeln. Der erste wirkliche Kontakt war auf dem Gymnasium in der fränkischen Kleinstadt, auf das ich gegangen bin. Da ist ein Mitschüler mit einem Irokesenschnitt aufgetaucht. So was gab es bisher dort nicht und der kam auch aus einer Stadt, in der Leute ganz anders gesprochen haben. Der Typ war auf jeden Fall sehr nett und hat auch die Musik zu der Frisur gehört. Dem wurde dann vom Direktor gleich mal gesagt, dass so bei uns in Lauf rechts der Pegnitz niemand in der Schule herumläuft. Natürlich hingen damals im KOMM in Nürnberg solche Leute herum, die sich auch sehr unkonventionelle Sachen durch die Ohren gesteckt haben und wild geschmückte Lederjacken trugen. In Lauf war er allerdings der Einzige. Seine Eltern hatten ihn offenbar in die fränkische Diaspora zwangsverschleppt.

Hast du ihn dann auch kennen gelernt?
Ja, es gab sogar eine Band, in der er war, bei der auch gute Freunde von mir mitgespielt haben. Außerdem war er auch derjenige, der uns in die Kulturtechnik des Dosenlochens eingeweiht hat. Die Band hieß DIE DURCHBRECHENDEN DARMWÄNDE.

Du hast gerade das KOMM erwähnt. Hast du damals noch mehr von der Punk-Szene in Nürnberg, Fürth oder Erlangen mitgekommen?
Ich habe das immer von außen betrachtet. In der Zeit, als es mit dem Punk bei uns losging, war ich nämlich Jazz-Snob. Ich habe nachts heimlich im Fernsehen den Film „Fahrstuhl zum Schafott“ mit dem Soundtrack von Miles Davis geschaut. Deshalb habe ich immer sehr gerne Jazz gehört. Richtig kennen lernt habe ich die Punkmusik während meiner Zivildienstzeit in Hamburg. Mein damaliger Mitbewohner hat mich da regelrecht aufgeklärt. Dass es neben Thelonious Monk und Miles Davis auch noch andere Sachen gibt. Damals sind wir auch in Kellern der Hafenstraße bei Konzerten gewesen. Das war meine erste musikalische Berührung mit Punkrock.

Welche Bands habt ihr damals gehört? Was waren eure Favoriten?
Eine der Bands, die mir mein Mitbewohner vorgespielt hat, waren HÜSKER DÜ. Die mag ich heute immer noch sehr. Bob Mould habe ich über die Jahre sehr ins Herz geschlossen. Irgendwelche Mädchen in meiner Gymnasiumszeit haben natürlich auch RAMONES gehört. Das habe ich dann in meiner Hamburger Zeit nachgehört, worum es da eigentlich geht. Oder auch Bands wie BUZZCOCKS oder CLASH wurden mir damals offenbart.

Zum Punk gehört ja nicht nur Musik, sondern auch eine Attitüde. Welcher Aspekt vom Punk hat dich besonders angesprochen oder sogar begeistert?
Mir ging es hauptsächlich um die Musik. Sich ein Haus zu nehmen und da einfach einzuziehen, fand ich zwar schon sehr rechtschaffen. Ich habe immer meinen Hut davor gezogen und gesagt: Ihr habt komplett recht. Aber ich glaube, ich bin in meinem Denken heute noch nicht soweit. Ich bin solchen Leuten, die das so durchziehen, immer mit Hochachtung begegnet, aber mir selbst habe ich das nie zugetraut. Ich kam auch irgendwie gar nicht auf den Gedanken.

Hausbesetzung ist natürlich eine Form der autonomen Kultur. Es gibt aber auch das Prinzip des DIY, also alles selbst zu machen. Man fragt nicht erst um Erlaubnis und ist dem zivilen Ungehorsam sehr verbunden.
Indirekt hat mich das vielleicht schon beeinflusst. Ich habe in dem, was ich mache, keine Ausbildung gemacht. Mein ganzes künstlerisches Gebaren war von Anfang an so gestrickt, dass ein Missfallen nicht unerwünscht war. Uns hat es am Anfang überhaupt nicht gestört, wenn einer unsere Sachen ganz schrecklich fand. Außerdem haben wir alle Handwerkstechniken, sei es was Musik oder Theater betrifft, nicht beigebracht bekommen, sondern es einfach so gemacht, wie wir uns das gedacht haben. Ob man das Punk-Attitüde nennen möchte, das muss ein anderer entscheiden.

Letztendlich ist es der gleiche Spirit, der dahintersteckt. Hast du diese Attitüde in deine Rollen eingebaut? Ich habe schon ein paar Auftritte von dir gesehen. Ein Markenzeichen von dir ist ja, dass du dein Publikum gerne konfrontierst und provozierst.
Ich habe das am Anfang falsch verstanden. Ich dachte, mein Ziel müsste immer sein, Leute zu verschrecken und vor den Kopf zu stoßen. Also dafür zu sorgen, dass Menschen meine Vorstellung verlassen oder dass Fernsehsender die Übertragung abbrechen. Das haben meine Vorbilder gemacht und ich dachte immer, die hätten mit ihrer ganzen Strategie darauf abgezielt. Aber ich glaube, das ist ein Irrtum. Das ist denen einfach so passiert. Grundsätzlich bin ich mittlerweile auch in einem Alter, in dem ich mich freue, wenn die Leute im Publikum bis zum Schluss sitzen bleiben. Aber am Anfang war das noch anders. Wenn wir gemerkt haben, dass wir Leuten gewaltig auf den Zeiger gehen und zum Schimpfen bewegen, dann haben wir uns gedacht: Das war jetzt richtig, so gehört sich das.

Du hast von deinen Vorbildern gesprochen. Wer waren die?
Dazu gehörte vor allem Sigi Zimmerschied aus Passau oder auch Gerhard Polt. Zum Beispiel die ARD-Satiresendung „Scheibenwischer“ mit Dieter Hildebrandt und eben Polt über den Rhein-Main-Donau-Kanal, die 1982 für Riesenwellen in der Politik gesorgt hat. Damals hat sich Franz Josef Strauß furchtbar darüber aufgeregt, dass sein Prestigeprojekt durch den Kakao gezogen und ihm Bestechlichkeit unterstellt wurde. Noch schlimmer war es 1986, als „Scheibenwischer“ den Atomunfall in Tschernobyl thematisierte. Da blendete sich der Bayerische Rundfunk einfach aus dem gemeinsamen ARD-Programm aus. Die Sendung war damals in Bayern nicht zu empfangen. Besonders geliebt habe ich auch die Verwünschungen von Passauer Bürgern auf dem Anrufbeantworter von Sigi Zimmerschied, die ihm die schlimmsten Sachen an den Hals gewünscht haben, als Reaktion auf sein schreckliches antireligiöses Gebaren. Das war schon grandios.

Gibt es aktuell Punkbands, die du hörst? Vielleicht sogar aus dem Nürnberger Raum?
Ich bin Teil des aktuellen AKNE KID JOE-Hypes. Ich finde es sehr schön, was die machen. Ich habe ja eine monatliche Show auf der Kellerbühne vom E-Werk in Erlangen unter dem Motto „Egersdörfer und Artverwandte“, zu der ich mir jedes Mal Gäste einlade. Da wollte ich AKNE KID JOE einladen. Sie haben dann gesagt, sie könnten mich zwar gut leiden, haben aber große Angst, vor Publikum aufzutreten, das auf Stühlen sitzt. Das fand ich natürlich sehr schade. Meine Bühnenpartnerin Claudia hat mir sogar ein Ticket für ein Konzert von AKNE KID JOE im Nürnberger MUZclub geschenkt. Das ist aber leider wegen Corona ausgefallen.

In den Achtzigern gab es ja zwei große Gruppen unter den Kids. Popper und Punker. Hast du das auch miterlebt?
Ich hatte damals ein T-Shirt, auf das ich mir mit Stoffmalfarbe die Erklärung für „Anarchie“ aus dem Fremdwörterlexikon draufgemalt habe. Damals war ich aber kein echter Punker, sondern eher Naturschützer und Jazz-Nerd. Aber die Popper habe ich damals natürlich schon verachtet. Die mochte ich gar nicht. Ich hatte aber viel zu großen Respekt vor den Punkern. Ich kannte eben den einen, von dem ich schon erzählt habe, der hat uns dann irgendwann seine Jacke überlassen und gesagt: Ich bin jetzt raus!

Und was ist mit der Jacke passiert?
Die hat ein Freund von mir übernommen. Wir sind damals mal nach Berlin gefahren und mussten die Jacke dann an der Grenze zurücklassen. Die DDR-Grenzer wollten nicht, dass wir mit einer Jacke, auf der Anarchie geschrieben stand, in den Osten fahren. Wir haben sie aber auf dem Rückweg wieder abgeholt. In den Neunzigern haben wir außerdem eine anarchistische Aktion gestartet. In Lauf gibt es das so genannte Kunigundenfest mit Fußgruppen und Wagen, die im Sommer durch die Stadt ziehen. Da haben wir uns mit selbstgemalten Transparenten und Krachmusik in den Zug geschmuggelt. Auf einem stand geschrieben: „St. Anarcho grüßt St. Kunigund“. Das waren alles Jungs, die sich später im Kulturverein Winterstein zusammengefunden haben. Mit Teilen davon habe ich später die Band FAST ZU FÜRTH gestartet.

Der Mann, der deine Termine bucht, ist ja waschechter Punkrocker und spielt sogar in einer Band, oder?
Der heißt Sebastian Knoch und singt und spielt Gitarre bei HWS aus Coburg. Früher hießen die noch HARTWURSTSUPPE. Vor ein paar Jahren haben die als Support für RED CITY RADIO im Nürnberger Zentralcafé gespielt. Da war ich sehr begeistert, meinen Booker mal singen zu hören. Der hat gebrüllt wie ein Tyrannosaurus Rex. Ich war sehr gerührt. Und RED CITY RADIO waren einfach nur großartig. Als Punkrocker hat mein Booker natürlich auch besondere Qualitäten. Er versteht zum Beispiel, dass ich bestimmte Dinge nicht mag oder nicht mache. Unter den Bookern gibt es, glaube ich, nicht so viele, die solche Sturheiten nachvollziehen können oder sogar akzeptieren. Für alles, was manche als marktwirtschaftlichen Schwachsinn bezeichnen, hat dieser Mann ein großes Verständnis.