MARLA WATSON

Foto

Ein Punkrock-Leben in Bildern

Eine Beobachtung meinerseits ohne Untermauerung durch belastbare Zahlen: Stehen seit Anbeginn von Punkrock erheblich mehr Männer als Frauen auf der Bühne, ist der weibliche Anteil unter den Menschen mit Kamera vor der Bühne erheblich höher. Marla Feldman aus dem „Valley“, dem Großraum Los Angeles, ist Jahrgang 1962 und entdeckte Ende der Siebziger Punkrock. 1982 erschien die erste Ausgabe ihres Fanzines Skank, und mit einem selbstgemachten Presseausweise zog sie los, um Bands zu interviewen und zu fotografieren. Fast forward in die jüngere Vergangenheit: Marla (heute: Watson) findet eine Kiste mit den alten Bandfotos aus dem Dachboden, scannt sie, packt sie auf ihr Social Media-Profil ... und macht ein Buch daraus. Ihre Fotos sind fast alle „nah dran“ und so, wie viele von uns einst analog fotografierten: Abdrücken und hoffen, dass was scharf ist. Sie fotografierte auch das Publikum, die Parkplatzpartys, hat in ihrem Buch THE CLASH, THE MISFITS, THE DAMNED, CRUCIFIX, BAD RELIGION, SOCIAL DISTORTION, DEAD KENNEDYS, BLACK FLAG, DESCENDENTS und zig andere. Ein spannendes Zeitdokument, das ich zum Anlass nahm für ein Interview.

Marla, bitte stell dich vor.

Ich bin Marla Watson und habe in den Achtzigern Fotos von Punkrock gemacht. In den Achtzigern war die Welt ganz anders als heute. Wir hatten keine Handys, keine sozialen Medien, keine Videospiele – außer Atari —, keine Computer, keine 24-Stunden-Nachrichten, kein Kabel-Fernsehen oder Streaming. Was wir hatten, waren das Radio, vier Fernsehkanäle, viel Zeit, die Welt da draußen, einen tiefen Hass auf Ronald Reagan – und Punkrock. Und ich hatte eine Pentax K-1000 Kamera, die im Vergleich zu einer Nikon oder einer Leica wie der Unterschied zwischen einem Ford und einem Ferrari war. Sie war nicht auffällig oder schnell, aber sie erfüllte ihre Aufgabe, und wenn sie kaputt ging, war es nicht zu teuer, sie zu ersetzen. Während des Corona-Lockdowns, als ich mehr Zeit hatte als je zuvor in meinem Leben, begann ich mit der Arbeit an meinem Buch „My Punk Rock Life“, in dem ich etwas über die Zeit erzähle, in der meine Fotos entstanden sind und ein paar Lieblingsbilder vorstelle. Man erfährt auch ein bisschen was aus dem Leben von den Kids, die damals dabei waren. Das Buch entstand komplett als DIY-Projekt. Ich wusste nichts über Grafikdesign, professionelle Fotobearbeitung, Druck oder Verlagswesen. Also habe ich mir das irgendwie draufgeschafft. Ich weiß, dass ich garantiert die hundert wichtigsten Grundregeln gebrochen habe, aber das ist Punkrock. Ich habe alles selbst gemacht, außer das Buch zu drucken, aber ich habe dafür bezahlt, dass es gedruckt wird, und in Amerika ist das genauso gut, haha. Von der ersten Auflage gab es 275 Exemplare und sie war direkt ausverkauft. Als ich mit der zweiten Auflage fertig war, begann meine Zusammenarbeit mit David Gamage von Earth Island Books in Großbritannien. Er war großartig und hat das Buch auf eine Weise gefördert, wie ich es selbst nie hätte tun können und die mir auch niemals eingefallen wäre.

Was waren deine ersten Erfahrungen mit Rockmusik und insbesondere mit Punkrock – und welche Bands waren das?
Als ich in die Highschool kam, tapezierte jemand die Flure mit „Are We Not Men?/We Are Devo!“-Postern. DEVO war überall! Das machte mich neugierig und ich fing an, die damaligen New-Wave-Bands zu hören wie THE CARS, BLONDIE, THE PRETENDERS und THE B-52’S. Doch erst im Abschlussjahr nahm mich meine Freundin Valerie mit zu meinem ersten Punk-Konzert, und zwar zu X. Von da an war ich süchtig! Ich war 16.

Und wie kamst du zur Fotografie? Anfang der Achtziger war ich in der Foto-AG meiner Schule, wo ich lernte, wie man auf klassische Weise Filme und Fotos entwickelt. Und du?
Auch! Ich war auf dem College und habe Journalismus studiert. Obwohl ich mich eigentlich als Autorin sah, konnte ich auch die Dunkelkammer nutzen. Ich belegte also einen Fotokurs – und war sofort begeistert.

Was hat dich am Fotografieren so fasziniert?
Ich war schon immer kreativ und hatte ein gutes Gespür für visuelle Räume. Fotografie war eine Möglichkeit, meine Perspektive auf die Dinge festzuhalten. Mit dem Aneinanderreihen von Wörtern kann eine Geschichte entstehen, aber ein Foto kann tausend Geschichten erzählen, denn jeder Betrachter sieht darin etwas anderes. Auch wenn ich jetzt meine Fotos poste, schreibe ich immer ein bisschen was hinzu, aber die Leute weisen mich dann auf Elemente in den Bildern hin, die mir nie aufgefallen wären.

Wann und wie bist du auf die Idee gekommen, bei Konzerten zu fotografieren?
Auf dem College hatte ich meinen guten Freund Mark kennen gelernt, da wir beide bei der Schülerzeitung waren. Er war ebenfalls Autor. Und er stand wie ich auf Punk. Wir hatten die Idee, ein eigenes Fanzine rauszubringen. Da ich eine Kamera besaß und mich für Fotografie interessierte, war ich für die Fotos zuständig, Texte und Interviews kamen von uns beiden.

Hast du daran gedacht, dass das Fotografieren dein Beitrag zur Punk-Szene sein könnte, oder ging es um etwas anderes? Andere Leute machen ein Zine – wie du ja auch –, veranstalten Shows, nehmen ein Instrument in die Hand, gründen ein Label ...
Gerade das machte Punk so anziehend für mich, dass wir Kids uns wirklich unsere eigene Szene geschaffen haben. Die meisten Bands, aber auch die Fotografen, Konzertveranstalter oder Plattenproduzenten entstammten unserem eigenen Umfeld. Ab und an schnupperte jemand aus der Rock-Szene bei uns rein, aber Punk war ihnen viel zu laut und abgedreht. Gerade wegen dieser DIY-Kultur war speziell die südkalifornische Punk-Szene so großartig. Der Mainstream hasste uns und wir hassten den Mainstream, das passte also. In Großbritannien hatten viele Punkbands eine Platte in den Charts und traten in Fernsehsendungen auf wie „Top of the Pops“ oder „The Old Grey Whistle Test“, wo sie ihre Mimik verrenkten zu vorab aufgezeichneten Songs. So etwas gab es in unserer Szene nicht – dabei waren wir in Hollywood! Punk interessierte keinen. Man betrachtete es als Schandfleck für die Gesellschaft. Heute behaupten sie alle, sie wären dabei gewesen, haha. Unser Fanzine, das Skank Magazine, war entstanden, weil Mark und ich Journalismus studiert hatten. Dadurch wurden auch wir Teil der Szene. Es hat super viel Spaß gemacht, Bands zu interviewen und zu fotografieren. Wir haben damals einige interessante Leute getroffen. Leider blieb es bei einer Ausgabe, denn obwohl die zweite fast fertig war, trennten sich unsere Wege. Trotzdem habe ich weiterhin Fotos gemacht.

Im Review über dein Buch schrieb ich: „Seit den Anfängen des Punkrock stehen zwar deutlich mehr Männer auf der Bühne, aber der Anteil der Frauen mit Kameras vor der Bühne ist wesentlich höher.“ Dein Kommentar dazu?
Es gab wahrscheinlich gleich viele männliche und weibliche Fotografen, aber inzwischen bekommen die Frauen endlich die Anerkennung, die sie verdienen. Ich war 19, als ich meine Kamera erstmals zu einer Show mitnahm. Alison Braun war 14 oder 15, Dina Douglass höchstens 16. Linda Aranow und Brenda Perlin waren auch in diesem Alter. Und nicht zu vergessen Jennifer Finch vor ihrer L7-Zeit, Hudley Flipside und Naomi Peterson. Während der ersten Punk-Welle gab es in L.A. außerdem Jenny Lens und Melanie Nissen. Ich glaube, in keinem anderen Bereich der Szene gab es so viele Frauen. Aber Ende der Achtziger hängten etliche von uns die Kamera an den Nagel und kümmerten sich um ihre Karriere oder andere wichtige Dinge im Leben. Jetzt, da Punkrock wieder so eine große Sache ist – wer hätte das gedacht –, kramen wir die alten Negative wieder raus, um sie mit der Welt teilen, und bekommen ein tolles Feedback auf das, was wir damals fabriziert haben. Ich bin jetzt 61 und habe die beste Zeit meines Lebens!

In letzter Zeit gab es in Deutschland heftige Diskussionen darüber, wie machohaft die Punk-Szene war und ist. Was waren deine Erfahrungen damals?
Ich glaube, in der ersten Punk-Welle gab es recht viele Frauen in den Bands. Das war damals noch ziemlich gleichmäßig verteilt. Als es in der zweiten Welle losging mit Hardcore-Punk, änderte sich das etwas. Ich kann nicht sagen, ob die Frauen aus der Szene verdrängt wurden oder ob es uns irgendwie zu hart wurde. Ich fühlte mich mit meiner Kamera an der Seite der Bühne immer sicher. Im Pit oder direkt daneben hätte ich mich nicht so sicher gefühlt. Mit sicher meine ich, dass sonst schwere Verletzungen drohten. Das heißt nicht, dass wir uns keine Beulen oder blauen Flecken geholt hätten, aber meist gab es eine Art von Security, die die Bands und damit auch uns einigermaßen schützte. Was den Macho-Charakter der Szene angeht, musst du bedenken, dass die zu 80% aus hormongesteuerten Halbwüchsigen bestand, die beweisen wollten, wie hart sie sind. Ja, es war definitiv machomäßig, aber sonst hätten wir heute nicht so viele tolle Schnappschüsse von durchdrehenden, um sich schlagenden Jungs in der Crowd.

Würdest du sagen, dass du in deinen Fotos einen spezifisch „weiblichen Blick“ auf Punk hast?
Vielleicht, aber nur, wenn die Jungs in der Band wirklich hot waren, haha. Wir waren schließlich Teenie-Mädchen. Wenn ich mir meine Fotos jetzt so ansehe, muss ich feststellen, dass ich auffallend viele Bilder von gut aussehenden Bands wie T.S.O.L. und CHANNEL 3 oder attraktiven Jungs wie Jay Bentley von BAD RELIGION oder Mike Ness geschossen habe. Nein, ich glaube, insgesamt umfassen unsere Fotos eine ziemliche Bandbreite. Jede Fotografin hat doch ein anderes Auge und einen anderen Stil. Einige waren auch im Umgang mit der Kamera technisch ein wenig versierter als andere. Ich gehöre übrigens zur letzteren Kategorie.

Wie ging dein Leben nach den Punkrock-Jahren weiter? Spielten Musik und Fotografie noch eine Rolle?
Musik war immer ein großer Teil meines Lebens und wird es auch bleiben. 1991 habe ich Los Angeles verlassen, um nach Portland, Oregon zu ziehen. Ich war fasziniert von dieser Stadt und habe sie auch mit der Kamera erkundet. In den Neunzigern war Portland fantastisch! Es war erschwinglich, etwas heruntergekommen und voller Künstler. Zu dieser Zeit entstand auch gerade die Grunge-Szene in Seattle, das 270 Kilometer nördlich von Portland liegt. Ich besuchte auch ein paar Konzerte, aber nicht so exzessiv wie noch in L.A. Und selten hatte ich die Kamera dabei. Es war eine ganz andere Phase in meinem Leben. 1994 wurde unsere Tochter Hailey geboren und ich fing wieder an, Fotos zu machen, aber nur von ihr. 21 Jahre lang drehte sich alles um sie. So ist das eben als Eltern. Schließlich zog sie von zu Hause aus, um in Los Angeles eine Schule für Spezialeffekte zu besuchen, und dort lebt sie immer noch. Das war der Zeitpunkt, als ich die Negative vom Dachboden holte und anfing, sie zu ordnen und einzuscannen. Es war, als ob ich einfach da weitergemacht hätte, wo ich aufgehört habe. Und was meinen Brotjob angeht, arbeite ich seit 26 Jahren für dieselbe Non-Profit-Agentur. So was können sich junge Leute heutzutage gar nicht mehr vorstellen, dass jemand so lange den gleichen Job hat. Aber ich habe eine gute Krankenversicherung, was schon ein echtes Privileg ist, und sogar sieben Wochen bezahlten Urlaub im Jahr, was in den USA fast einmalig ist. Außerdem ist mein Büro nur fünf Blocks von meiner Wohnung entfernt, so dass ich zu Fuß zur Arbeit gehen kann. Wir unterstützen Erwachsene mit geistiger Behinderung oder Entwicklungsstörungen dabei, ein unabhängiges Leben zu führen. Das ist eine große Hilfe für unsere Klienten, worauf ich sehr stolz bin, und wenn ich mal in Rente gehe, kann ich zufrieden auf mein Lebenswerk zurückblicken.

Und wie haben deine Fotos überlebt, wie hast du sie wiederentdeckt und das Buch gemacht?
Ich hatte sie in einem großen Plastikcontainer gelagert, um sie vor Licht zu schützen. Meine Negative waren alle in Hüllen, ebenso wie meine Farbdias, die meisten sind auch in tadellosem Zustand, nur manche haben ein bisschen gelitten. Aktuell verwende ich einen neuen hochauflösenden Scanner, um die Negative zu digitalisieren. Dabei entdecke ich immer wieder neue tolle Fotos.

Wie siehst du die Zukunft der Fotografie – angesichts der Bilderflut in den sozialen Medien, aber auch in Zeiten von KI-generierten Bildern?
Ich glaube, mit von KI erzeugten Darstellungen der Punk-Szene der Achtziger kann kein Mensch was anfangen. Die Leute erkennen den Unterschied zwischen echt und unecht. KI ist nützlich, wenn du in der Überwachungsbranche tätig bist, aber ruf mal bei Fed Ex an und sag der KI, dass du mit einem richtigen Menschen sprechen willst. Da bekommt das künstliche Gehirn direkt einen Kurzschluss. Nichtsdestotrotz müssen wir als Gesellschaft dringend aufpassen. Ich möchte wirklich nicht, dass „Terminator“ doch noch zum Dokumentarfilm wird.

Gibt es sonst noch etwas, das du uns sagen möchtest?
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mich zu interviewen. Ich weiß nicht genau, wann dein Zine erscheint, aber ich werde am 29. März im Punk Rock Museum in Las Vegas zusammen mit meiner alten Freundin Alison Braun einige Fotos zeigen. Die Ausstellung präsentiert zwei Punk-Fotografinnen der alten Schule und zwei von heute, um die stilistischen Ähnlichkeiten und Unterschiede von Fotos aus weiblicher Sicht zu veranschaulichen. Es wird Teil ihrer großen Ein-Jahres-Jubiläums-Party sein. Außerdem werde ich Ende Mai in Berlin sein und hoffe, dass es dort eine Gelegenheit für eine Signierstunde gibt. Wir arbeiten daran, etwas zu arrangieren. Mein Mann wird sechzig und wir machen eine Rucksacktour durch Europa, wie man sie eigentlich zwischen Highschool und College hätten machen sollen. Aber damals war ich zu sehr damit beschäftigt, Punk-Fotos zu machen, haha.

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SIN 34, REDD KROSS am Santa Monica Pier, 21.11.1982
In Südkalifornien haben wir die meiste Zeit des Jahres strahlenden Sonnenschein. Auch im November 1982 war es sonnig und warm mit blauem Himmel, so weit das Auge reichte. Es war ein hervorragender Tag, um ein bisschen Sonne zu tanken und ein paar Punkbands am Santa Monica Pier zu sehen. Ich, meine Schwester Alicia und unsere Freundinnen Sarah, Juliette und Lisa fuhren zum Pier. Shows tagsüber waren selten und Shows draußen im Sonnenlicht noch seltener. UXA hatten wir bereits verpasst, als wir ankamen. Auf dem Pier wimmelte es bereits von Punks, Touristen und Leuten, die angelten oder einfach dort abhingen. In der Menge stand ein sehr gut gekleideter Herr mit Anzug, Krawatte und schicken Schuhen. Er wirkte etwas deplatziert, als wäre er ein Besucher aus einer früheren Zeit. SIN 34 begannen zu spielen und er war begeistert von der Musik. Er tanzte direkt in der Nähe des Pits. Ich habe dieses Foto als Teil einer ganzen Serie geknipst. Damals dachte ich mir nichts dabei. Erst als ich die Bilder für mein Buch einscannte, fiel mir mir auf, wie toll dieses Foto ist.
Da steht dieser adrette Kerl vor dieser wilden Crowd, mit den wütenden Gesichtern und wild fuchtelnden Armen. Und direkt hinter ihm ist ein Punk, der ein „White minority“-Shirt trägt und so aussieht, als wolle er den Mann umrempeln. Jeder Punk weiß, dass „White minority“ ein Song von BLACK FLAG ist, aber außerhalb des Kontextes könnte es etwas seltsam und abstoßend wirken. Über dem adretten Mann und dem Typen mit dem Shirt sieht man die Band SIN 34, die gerade irgendeinen Song spielt, welchen weiß ich nicht mehr. Ich liebe dieses Foto einfach. Der Gentleman landete schließlich mit SIN 34 auf der Bühne und sang einen Song, während Leadsängerin Julie daneben stand und nur lachte. Es war wirklich lustig, das zu beobachten. Die ganze Band musste grinsen und ich auch. Nachdem der Spaß mit SIN 34 vorbei war, betraten REDD KROSS die Bühne. Während ihres Sets starteten die Punks einen „Kiwi Fight“ auf dem Pier. Wenn du wissen willst, was da los war (es war wild!), dann lies mein Buch „My Punk Rock Life“.

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THE MISFITS, SOCIAL DISTORTION in Bob’s Place in South Central Los Angeles, 02.10.1982
Die MISFITS waren eine Band, die irgendwie jeder Punk gerne live gesehen hat. Sie waren laut, aggressiv und auch ein bisschen angsteinflößend. Bei dem Konzert 1982 in Bob’s Place war dann auch das Who’s Who der Punkrock-Szene anwesend. Bob’s Place (auch bekannt als Contempo Hall) befand sich in einem von kriminellen Gangs beherrschten Viertel in South Central. Ja, dieses South Central. Die meisten von uns Punks waren weiße Mittelschichtkids aus der Vorstadt. Ich glaube, wir waren nicht vorbereitet auf so eine Location und die Anwohnerschaft war nicht vorbereitet auf uns. Als wir in meinem blauen 1980er Toyota Starlet ankamen, war alles ruhig. Wir parkten etwa einen halben Block vom Club entfernt. Bob’s Place befand sich über einem Spirituosenladen. Es gab eine schmale Treppe, die zu einem ziemlich kleinen Laden hinaufführte. Ich kann mich noch an den Billardtisch und die Toilette erinnern. Ich weiß noch, dass es Fenster gab, die auf die Straße hinausgingen. Die Bühne war winzig, sehr schmal und niedrig. Zwischen dem Schlagzeugpodest und dem Bühnenrand war nicht viel Platz. Es war eine Bruchbude, aber das waren wir ja gewohnt. Kein schöner Ort, um eine Punk-Show zu spielen.
SOCIAL DISTORTION spielten zuerst. Ich liebte SOCIAL DISTORTION. „Mainliner“, „1945“ und „Mommy’s little monster“ sind Punkrock-Klassiker. Ich fotografierte das Set von SOCIAL D und machte auch Bilder vom Slam Pit. Der Club war besonders gut geeignet, um das Publikum zu fotografieren, denn es gab Stühle, auf die man klettern konnte, um genau den richtigen Winkel zu erwischen. Als SOCIAL DISTORTION fertig waren, ging ich zur Bühne und suchte mir einen Platz an der Seite. Mit auf der Bühne zu stehen, war eines der Privilegien, die man mit einer Kamera hat. Wie gesagt, die Bühne war sehr klein und ich stand so nah bei ihrem Gitarristen Doyle, dass ich seinen Schweiß spüren konnte. In der Crowd, direkt vor Doyle, stand Jay Bentley, der Bassist von BAD RELIGION und WASTED YOUTH aus L.A.
Die MISFITS begannen zu spielen. Ich erinnere mich nicht mehr an die Reihenfolge der Songs, aber ich weiß, dass sofort alle ausflippten. Die MISFITS sind auf der Bühne kaum zu bremsen, so dass es sogar schon mal Verletzte im Publikum gab. Da die Bühne so niedrig war, befand sich Doyle durch seine Körperhaltung nur wenige Zentimeter von Jay Bentleys Gesicht entfernt. Ich schätze, Jay nutzte den Moment, als Doyles Devillock ihm direkt vor der Nase baumelte, um kurz mal daran zu ziehen. Doyle blickte von seiner Gitarre hoch, dann ging er auf Jay los. Jay wich schnell einen Schritt zurück und machte ein Peace-Zeichen. Doyle war sauer, aber konnte sich noch beherrschen, Jay nicht seine Gitarre auf den Kopf zu hauen. In diesem Moment habe ich auf den Auslöser gedrückt. Ich bin immer noch begeistert, wie gut es geworden ist. Es ist eines meiner absoluten Lieblingsfotos.