Köln Ende des vergangenen Jahrtausends. Mehr oder weniger unbemerkt schließt im Herzen der Stadt eine Kneipe für immer ihre Tore, eine Kneipe für Randfiguren der Gesellschaft. Eine, in der ich, obwohl dort meine Musik lief, nicht allzu oft Gast war. Nahezu zeitgleich mit dem Erlöschen der letzten Lichter zieht es mich endgültig nach Köln. Stammkneipen in bis dahin benachbarten Städten waren mir vom logistischen Aufwand her zu kompliziert und so gehöre ich heute zu denen, die zwar wussten, dass es die Kneipe gab, aber außer ein paar Kölsch nur wenig Berührungspunkte hatten. Anders ging es da zwei Herren, von denen der ein Immi war und der andere schlicht "Kölner". Der Immi hinter dem Tresen, der Kölner davor. Der Immi hieß und heißt Guy Helminger, und hat in jenen vergangenen Tagen seinen ersten Roman geschrieben, der sich um jene Kneipe drehte, damals wohl Mittelpunkt seines Lebens. "Kölner" ist Manuel Andrack, der jenes Erstlingswerk nun aus den staubigen Kneipenregalen hervorgeholt und den Roman gleichzeitig mit Anmerkungen aus heutiger Sicht versehen hat. Die Kneipe hieß "Station" und es gab immer einen Streit darum, ob man das nun englisch oder deutsch auszusprechen habe. Das Buch zur Kneipe trägt den philosophischen Titel: "Die Ruhe der Schlammkröte". Hervorzuheben ist dabei, dass es keines jener Bücher ist, die seit "Verschwende deine Jugend" in Fülle herausgebracht werden, wo Autoren von ihrer wilden Jugend erzählen, sondern dass der Roman zu jener Zeit geschrieben und in kleiner Auflage herausgebracht worden war. Er war also seiner Zeit weit voraus. Mit Manuel Andrack, seitdem als Sidekick von Harald Schmidt bekannt geworden, unterhielt ich mich über Buch, Punk, Alkohol und mehr.
Manuel, du warst Stammgast in der Station. Die wenigen Male, die ich dort war, hatte ich immer ein Gefühl, nicht zum elitären Kreis zugelassen zu sein. Dieses Phänomen findet sich in Szenekreisen häufiger. Hast du eine Vorstellung, woher diese Mentalität kommen mag?
Haha, als Stammgast durfte man natürlich die Laufkundschaft ignorieren, ist klar. Aber eigentlich fand ich so was auch immer zum Kotzen. Das war die gleiche Mentalität, die dazu führte, dass man die TOTEN HOSEN nicht mehr gut finden durfte, eigentlich schon nach der ersten LP. Das war erfolgreich und damit für einige schon kommerziell. Mittlerweile finde ich die auch ziemlich beschissen, aber das sind eher Gründe, die mit den Texten oder der Musik zusammenhängen. In der Kneipe habe ich eigentlich immer gesagt, wenn dort gefragt wurde, was denn jetzt die ganzen Kinder hier machen, die solle man pfleglich behandeln, das wären schließlich die Stammkunden von morgen, haha. Dass ich im Buch meinen Stammgaststatus erwähne, hat eventuell auch was mit einem Rechtfertigungszwang zu tun. In Köln gab es natürlich Stimmen, die Guy fragten, warum ausgerechnet ich denn jetzt sein Buch noch mal rausbringe. Nach der Art, TV-Promi hängt sich an Punk-Story. Das war aber nun mal meine Idee und die Station damals mein zweites Zuhause.
Diese Vorurteile werden auch durch die Aufmachung des Buches geschürt. Dein Name ist deutlich größer als der von Guy, und das Buch verkauft sich dadurch wahrscheinlich auch besser.
Klar, das ist verlagstechnisches Kalkül. Würde da jetzt nicht "Andrack" draufstehen, wäre es weiterhin nur ein Liebhaberstück für einen kleinen elitären Kreis. Das ist leider so! Wir hatten aber verschiedene Entwürfe, die sich alle an der alten Gestaltung orientiert hatten, und dieser sah dabei am besten aus.
Guy hat im Buch alle Beteiligten mit Pseudonymen versehen. Du findest dich selbst nicht erwähnt. Kanntet ihr euch damals überhaupt?
Es gab dort verschiedene Thekenteams und einer meiner Kumpel war in einem anderen Team als Guy. Daher war das zwischen uns eher eine klassische Freundschaft zwischen Wirt und Gast, keine dicken Kumpels eben. Meine heutige Frau kannte Guy wesentlich besser, die hatten mehr miteinander zu tun.
Welche Idee stand für dich dahinter, diesen Roman noch mal herauszubringen?
Jeder kennt doch die Reclam-Heftchen, das Gelbe mit dem Text und das Grüne mit den Erläuterungen und Anmerkungen zum Werk. So was wollte ich seit meinen Studium immer mal gemacht haben, aber viel persönlicher gestalten. Im Buch kann man unsere Kontaktaufnahme diesbezüglich nachlesen. Für mich war natürlich klar, dass Guys Buch dafür einfach ideal war. Das war nicht nur ein Roman über eine Kneipe, sondern über meine Kneipe. Also keine hundertste Abhandlung über einen Klassiker, sondern ein Buch, damals noch im Selbstverlag erschienen. Der Reiz dabei lag klar in der Verulkung des germanistischen Apparates und darin, schnell von der üblichen Abhandlungsform wegzukommen. Daher kann man jetzt sowohl den Roman ohne Anmerkungen lesen, als auch meine Anmerkungen ohne den Roman. Es ist von meiner Seite eben nicht nur eine solche Abhandlung geworden, sondern auch ein Teil meiner Geschichte in der Zeit von 1985 bis 1991, an deren Ende ich nicht nur Vater geworden bin, sondern auch, durch Shylo, einem der Protagonisten des Buches, meinen ersten Job beim Fernsehen verschafft bekommen habe.
Der Roman ist nicht nur lustig, sondern trifft den Nerv der Zeit. Viele Autoren bringen aktuell Punk-Historien raus. Wurde in dieser Hinsicht der Roman noch mal verändert?
Nein. Guy hat lediglich ein paar stilistische Überarbeitungen vorgenommen. Das waren aber einzelne Worte, die nun im Gesamtstil besser eingebettet sind. Natürlich gab es immer viele Bücher, in denen alte Männer vom Krieg erzählen. Weil wir keinen hatten, berichten wir von unseren wilden Zeiten.
Laut Buch verstehst du dich nach wie vor als Punk.
Haha, wenn ich mich mit Leuten treffe, die mich nur jetzt und nicht von früher kennen, stellen sich natürlich immer die gleichen Fragen, nach Aussehen und nach Fotos. Da habe ich aber kaum welche, nur stellen sich diese Leute das immer wilder vor, als es eigentlich war. Das war eher so der RAMONES-Stil, was das Optische anging. Lederjacke, enge Jeans, Turnschuhe. Bei Punk denken da viele an hochgegelte Haare, wenn nicht gar Irokese, und natürlich gefärbt. Dass man auf der Straße rumhängt, was man gemeinhin als Schimmelpunks beschreibt, also was vollkommen anderes. Die letzten 28 Jahre hat es wohl genug Beschreibungen gegeben, was Punk ist und wer sich Punk nennen darf. Auch, welche politische Haltung dahinter gehört. Ich glaube, dass dieses Spektrum sehr breit gefasst ist und darin befindlich kann ich eben auch sagen, ich war ein Punk.
Auf der Lesung kam von dir der schöne Satz, Punk sei man im Kopf und nicht auf dem Kopf.
Genau das trifft es! Schade, dieser Satz ist mir wirklich erst während der Lesetour eingefallen, sonst stünde er natürlich auch im Buch.
Dafür steht dort die Andeutung, du hättest einem Mädchen den Arm gebrochen.
Ach, die Geschichte. Das war Sommerjugendlager an der Ostsee, 1988 etwa. Da war eine Party mit lauter Musik und dieses Mädchen suchte zu mir dauernd Pogo-Kontakt. Nun war ich leider nicht nur älter, sondern auch wesentlich kräftiger vom Knochenbau. Wie man das als gut erzogener Pogo-Tänzer aus der Pogo-Tanzschule ja gelernt hat, hilft man sich natürlich nach jedem Sturz wieder auf. Anschließend war die aber verschwunden. Nach etwas über zwei Stunden war sie dann wieder da, diesmal mit Gipsarm und berichtete mir, ich habe ihr eben den Arm gebrochen. Das Erstaunliche aber war, dass sie direkt weiter Pogo tanzen wollte. Haha.
Pogo war dein damaliger Spitzname.
Das war wirklich so. Bei unserer Lesetour eröffnen wir ja auch so, dass Guy und ich reinkommen, er setzt sich, es läuft Iggy Pop und ich tanze erst mal ein bisschen. Darüber macht er sich dann meist lustig, auch mit den Worten, dass er mich in der Station meist Pogo tanzend wahrgenommen hätte. Dieser Spaß daran hätte mir aber auch beinahe mal schmerzhafte Konsequenzen zufügen können. Irgendwann Ende der 80er spielten im Luxor die ADICTS, die ja nicht nur bei Punks sehr beliebt waren. Die standen auf jeden Fall im linken Teil, während rechts die Skins standen. Beim Pogo bin ich auf alle Fälle, wie das meine Art war, hin und wieder auch in jenes Feindesland gesprungen. Einen von denen kannte ich noch von der Schulzeit und der hat mir dann auch geraten, ich solle mal halblang machen, sonst würde ich irgendwann mal dermaßen was aufs Maul kriegen. Trotzdem hatte ich nie Berührungsängste, oder mich einschüchtern lassen. Wegen dieser Unbekümmertheit ist wahrscheinlich nie was passiert.
Im Buch geht es wenig um Einstellungen und sehr viel um Alkohol. Glaubst du, dass Alkohol ein zentraler Bestandteil unserer Szene ist?
Ja, da ist durchaus was dran. Mittlerweile kommen wir ja in ein Alter, wo wir mit unseren Kindern gemeinsam auf Konzerte gehen. Ich war mit meinen bei Farin Urlaub und habe natürlich in meiner Vaterposition an dem Abend kaum etwas getrunken. Daher blieb der übliche Spaß auch größtenteils aus. Ich war auch ein Jahr vorher schon bei Farin, allerdings ohne Kinder, da war das natürlich wesentlich lustiger, haha. Es ist schon schlimm mit Alkohol, klar, aber er macht einfach enthemmter und das ist für Pogo und Punkrock nicht unbedingt falsch.
Ich habe im Vorfeld auch Rezensionen von anderen Städten gelesen. Dabei war ich verwundert, dass einige Sachen, die in Köln spontan wirkten, auch in anderen Städten so stattfanden. Kommt da der Chefdramaturg der Schmidt-Show durch, der das inszeniert?
Ich muss dazu sagen, als ich anfing, Bücher zu schreiben, fragte mein Verlag natürlich an, Lesereisen zu machen. Da hatte ich absolut keinen Bock drauf. Daher hatte ich von Anfang an den Ehrgeiz, dass ich mich nicht hinsetze und einfach mein Buch vorlese. Bei dem ersten Wanderbuch habe ich meinen Freund Victor genommen und ein entsprechendes Programm zusammengestellt. Das stößt natürlich ältere Besucher vor den Kopf, die eher schöne Wandergeschichten erwarten. Natürlich entwickelt sich ein solches Programm mit der Zeit und ähnlich gestaltet sich das auch bei der jetzigen Lesereise. Wir versuchen klar, da auch Show mit einzubauen. Die alte Lederjacke wird hervorgekramt und aufgetragen. Der von mir damals geklaute Thekenstuhl der Station hervorgeholt, Bier saufen auf der Bühne. Nur Roman und Anmerkungen, das wäre ja langweilig. Innerhalb unserer Kommunikation löst das wiederum einiges aus. So kam Guy am Abend der zweiten Lesung mit einer Anekdote und wenn die Leute an einer solchen Stelle lachen, bringst du den Spruch natürlich am nächsten Abend vor neuem Publikum wieder. Köln als siebter Abend war daher eine gute Stufe, weil der Ablauf schon gut gebaut war. Das läuft bei einer Schmidt-Show ähnlich. Der Ehrgeiz dabei ist, dass alles möglichst improvisiert und authentisch klingt. Dabei ist ein guter Teil immer noch spontan, ein anderer aber über mehrere Abende gewachsen. Auch nimmt man gerne Sachen auf, die am Tag selbst in der entsprechenden Stadt passiert sind. Lokalspezifische Anekdoten kommen immer gut. Aber klar kommt an diesen Stellen auch der Dramaturg durch, ein gewisser Ablauf ist mir einfach wichtig.
Funktioniert so was in Köln besser, weil im Publikum natürlich einschlägig bekannte Gesichter sitzen?
Eigentlich nicht. Wenn Guy Anekdoten aus dem Buch beschreibt, nämlich wie Shylo einen Schnaps trinkt und exakt die getrunkene Menge in das gerade geleerte Schnapsglas kotzt, oder wenn ihm seine falschen Vorderzähne in ein Kölsch fallen, dass er gerade für einen Gast zapft, dann brauchen die Leute den nicht zu kennen, um darüber zu lachen. Im Gegenteil, die kommen nach einer Lesung zu dir und sagen, genau so eine Kneipen hatten die hier auch, die hieß da nur anders, hatte aber die gleiche Atmosphäre und gleiche Charaktere. So was scheint bei vielen ein Gefühl von Heimat zu wecken, haha.
Gegen Ende des Buches kommt Wehmut auf, weil die Station, wie viele andere Kneipen, den Anwohnern zum Opfer fiel. Trauerst du dieser Zeit hinterher?
Eigentlich nicht wirklich. Es war eine schöne Zeit, keine Frage, aber als damals gegenüber die neuen Häuser gebaut wurden, saß ich mit meiner Frau und meiner ersten Tochter im Station-Biergarten und da war mir klar, diese Zeit ist vorbei. Denn was sich die alten Leutchen in den billigen Altbauwohnungen zuvor noch haben gefallen lassen, nämlich jeden Abend Lärm, die ganzen Punks, die da rumlungerten und sogar im Sommer da gepennt haben, dazu die Drogen und Schlägereien, das lassen sich junge Leute, die für ihre kleinen Appartements dicke Mieten zahlen müssen, einfach nicht mehr gefallen. Außerdem nahm mein persönliches Zeitfenster durch die Familie ebenfalls ab. Dafür fängt es aber jetzt damit an, dass ich mit meinen Töchtern zusammen auf Konzerte gehen kann.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #73 August/September 2007 und Claus Wittwer