MANNEQUIN PUSSY

Foto© by Epitaph

Lass sie alle in die Luft gehen!

Marisa und Maxine erzählen frisch vom Schiff von ihrer verrückten Fahrt beim S.S. ­Neverender Festival auf See und ihrem neuen Album und es wird einmal mehr klar, dass es der Band aus Philadelphia seit jeher um mehr als nur Musik geht.

Im Promotext zu eurem neuen Album ist zu lesen: „The world that we live in is a heaven and we’re destroying it“ und es ist ziemlich offensichtlich, dass die Politik Themen wie soziale Gerechtigkeit oder dem Klimawandel immer noch keine Priorität einräumen. Was ist eure Rolle und wie finden wir das auf „I Got Heaven“ wieder?

Marisa: Ich denke, dass Künstler:innen als hochsensible Individuen ständig Energie und Informationen aus der Welt um sie herum aufnehmen, die sie dann in Musik verarbeiten, mit der sie die Umwelt, in der sie leben, reflektieren. Leider ist unsere Gesellschaft, insbesondere die in den Vereinigten Staaten, eine unglaublich gewalttätige. Und sie verbreitet diese Gewalt in der ganzen Welt.

Ich habe mit anderen Musiker:innen darüber gesprochen, was sich für nicht-männliche Künstler:innen ändern müsste, damit die Musikindustrie zu einem besseren Umfeld für sie wird. Was meint ihr?
Marisa: Ganz einfach: sprich nicht über unser Geschlecht, sprich über unsere Musik. Wenn du über unsere Identitäten und nicht über unsere Kunst sprichst, verfehlst du das Thema. Oder auch nicht, aber dann konzentrierst du dich auf einen Aspekt von uns, den wir nicht ändern können.

Marisa, du hast noch nie schlechte Erfahrungen auf Tour gemacht?
Marisa: Ich betrete alle Räume mit Energie. Ich zeige, dass ich der Boss bin und die Verantwortung trage. Und entweder respektierst du mich oder nicht. Ich habe bestimmt auch viel Glück gehabt. Das liegt sicher auch daran, dass ich nicht auf Erlaubnis warte. Ich komme rein, dominiere die Situation, setze mich durch und sage: Ich verdiene es, hier zu sein. Und dann wirst du mir Respekt zollen.

Ich habe gesehen, dass ihr mit COHEED AND CAMBRIA­ auf dem Cruise-Festival unterwegs wart, wow! Wurdet ihr angefragt oder wie kam es dazu?
Marisa: Mamma mia, ja! Tatsächlich haben die es immer mal wieder probiert und diesmal haben wir uns gesagt: Raus aus der Komfortzone und ab aufs Schiff! Vier Tage Festival draußen auf See, kuratiert von COHEED AND CAMBRIA, zwischendurch hatte das richtig Comic-Convention-Vibes. Es war super anstrengend, aber wir würden es auf jeden Fall weiterempfehlen.
Maxine: Es ist einfach so ein amerikanisches Ding, weil es so exzessiv ist, und ich habe das Gefühl, dass Exzess hier alles ist. Ja, es ist einfach so ein amerikanischer kultureller Zustand, dass man sich einfach zu viele Dinge gönnt. Wir haben da jedenfalls eine sehr gute Zeit gehabt – trotz stürmischer See und ein paar Alpträumen nachts.

Gibt es Bands, denen ihr in den nächsten zehn Jahren gerne einmal näher begegnen würdet, mit denen ihr euch auch gemeinsame Arbeit vorstellen könnt?
Marisa: Ich bin ein sehr großer RADIOHEAD-Fan, ich bin ein riesiger YEAH YEAH YEAHS-Fan, ich bin ein großer THE STOOGES-Fan, ich liebe THE BREEDERS. Ich meine, es gibt einfach so viele Bands, die ich verehre, und ich glaube, im letzten Jahr war ich richtig besessen davon, eine:n Künstler:in zu sehen, den oder die ich noch nie zuvor gesehen habe, und diese Erfahrung live zu machen. Aber Zusammenarbeit? Wir als Band sind eine so abgeschottete Gruppe, wenn es um die Art geht, wie wir zusammen schreiben, dass ich nicht weiß, wie das funktionieren sollte.

Was ist euer Traumszenario für die Wahlen in den USA im kommenden November? Könnt ihr euch vorstellen, euer Land irgendwann einmal zu verlassen?
Maxine: Ich denke super oft darüber nach. Ehrlich gesagt sind unsere Optionen für die Wahlen einfach lächerlich. Und es ist peinlich.
Marisa: Ich glaube, das beste Szenario für Amerika wäre, wenn alle unsere Politiker, die älter als 75 Jahre sind, spontan in die Luft gehen würden. Und dann sind wir in der Lage, tatsächlich neue Leute zu haben. Millennials und Gen Z sind in unserer Regierung stark unterrepräsentiert sind. Wir haben nicht wirklich Leute, die wie wir aussehen, die aus unserem Umfeld kommen, die uns in unserem politischen System vertreten, weil wir diese bestimmte Klasse von Leuten haben, die sich an die Macht klammern. Wir haben Beschränkungen dafür, wie erfolgreich jemand am politischen Spiel teilnehmen kann, denn im Grunde ist es das, was es im Moment ist. Für sie ist es ein Spiel, für den Rest von uns ist es das wahre Leben. Das Problem ist, dass die Entscheidungsträger:innen diejenigen sind, die alt sind, und jetzt Entscheidungen für die Menschen treffen, die in zwanzig oder dreißig Jahren damit leben müssen. Das Problem ist auch die Tatsache, dass in Amerika Unternehmen rechtlich als Personen angesehen werden und dass sie unbegrenzt Geld für jede Kampagne spenden dürfen, die sie haben wollen. Es ist nicht nur diese Sache mit den Einzelspender:innen. Wir haben keine öffentliche Finanzierung für Kampagnen. Wir haben dieses viele private Schwarzgeld. Die Gesetze zur Wahlkampffinanzierung müssten dringend geändert werden.

Auf was freut ihr euch 2024 am meisten?
Marisa: Endlich können wir das Album herausbringen, an dem wir seit einem Jahr gearbeitet haben! Das ist für uns unglaublich aufregend. Ich freue mich so sehr auf jede Show, die wir spielen werden – hoffentlich erreichen wir ein neues Publikum. Es gibt Leute, die uns noch nie gehört haben. Ich denke, dass diese Platte den Leuten, die bereits Fans von uns sind, sehr gefallen wird. Und vielleicht können Leute, die noch nie von uns gehört haben, sich für etwas begeistern, das für sie neu ist. Wir haben unser erstes Album 2014 herausgebracht. Ich habe mir als Künstlerin wirklich Zeit gelassen, ich hatte es nie eilig, irgendetwas zu erreichen. Weil Kunst, wie alles andere auch, eine Art tägliche Hingabe erfordert.
Maxine: Ich meine, es gibt Meilensteine und Ziele, die wir erreichen wollen, aber wir haben eben gesagt, dass man als Künstlerin immer so leben muss, dass man seine beste Arbeit noch vor sich hat und dass man immer noch mehr lernen, immer noch mehr erfahren und immer noch mehr mit anderen teilen kann, und deshalb denke ich, dass man sich bei jedem neuen Album wieder in die Welt hinauswirft und neue Dinge erlebt und neue Richtungen ausprobiert. Ich glaube, etwas zu finden, für das man sich begeistern kann, ist super schwer – weil wir in vielerlei Hinsicht darauf programmiert sind, dass wir unbedingt irgendeine eine Leidenschaft haben müssen. Aber wir haben unsere Musik.