Die meisten von uns geben irgendwann auf, wenn etwas zum zweiten, dritten oder vierten Mal nicht geklappt hat. Das liegt einfach in der Natur des Menschen. LOVE EQUALS DEATH gehören glücklicherweise nicht zu jenen, die sich von Rückschlägen aufhalten lassen, denn sonst hätte es diese Band nie gegeben. Nicht weil sie nichts anderes können, sondern weil ihnen so viel an Musik liegt, haben sich vier Nordkalifornier zusammengetan, um mit dieser Band die Vergangenheit zu überwinden. Sänger Chon Travis stand am Telefon Rede und Antwort zu ihrem ersten Album auf Fat Wreck Chords.
Wer sich eine Kritik zum Debütalbum "Nightmerica" durchgelesen hat, hat wahrscheinlich erfahren, dass LOVE EQUALS DEATH an Halloween 2003 gegründet wurden, dass die Mitglieder früher bei TSUNAMI BOMB, LOOSE CHANGE, ENVAIN, und noch anderen Bands gespielt haben und nach einer Mischung aus AFI und Billy Idol klingen sollen. Ebenso gut lässt sich sagen, dass das Ox in einer Wohnung gegründet wurde, die Mitarbeiter irgendwo zwischen Schule und Uni-Professur stehen und der Umfang zwischen einem Flyer und der Encyclopedia Britannica liegt. Das dürfte ähnlich genau sein.
Es ist für Chon schmeichelhaft, mit Billy Idol in einem Satz genannt zu werden, auch wenn er nicht genau sagen kann, wie Fat Wreck darauf gekommen sind. Vielleicht hat es etwas mit den ruhigeren und rockigeren Stücken auf dem neuen Album zu tun. Da ist die Nennung des anderen musikalischen Eckpunktes viel einfacher zu erklären. Es stimmt, dass einzelne Stücke auf "Nightmerica" an AFI erinnern. Der Grund dafür liegt aber nicht in einem Versuch, deren Sound zu kopieren, sondern reicht weiter zurück.
An dieser Stelle kommen die Bandnamen aus der Vergangenheit ins Spiel, bei denen es nur Sinn macht, sie von der Plattenfirmeninfo abzuschreiben, wenn man die nordkalifornische Szene etwas kennt. Denn mit LOOSE CHANGE kann außerhalb der USA nur ein eingefleischter AFI-Fan etwas anfangen, der sich für die ersten musikalischen Projekte von Gitarrist Jade Puget interessiert. Sänger und Bassist von LOOSE CHANGE war Chon Travis. Zusammen haben beide damals den Sound entwickelt, der später typisch werden sollte für AFI, nachdem Jade deren neuer Gitarrist geworden war. Sein Abgang führte dann kurze Zeit später zum Ende von LOOSE CHANGE. Aber es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Chon plötzlich ohne Band dasteht.
Nachdem Dominic Davi, heute Bassist von LOVE EQUALS DEATH, bei TSUNAMI BOMB, die er gegründet hatte, rausgeflogen war, fragten diese den Bassisten von ENVAIN, der damaligen Band von Chon, ob er nicht bei ihnen einsteigen wollte. Das Ende dürfte leicht zu erraten sein. Nur dass diesmal gleich zwei Freunde über Nacht ohne musikalisches Projekt dastanden. Nach kurzem Zweifel an der Musik und sich selbst merkten aber beide sehr schnell, dass sie es nicht ohne das Leben zwischen Proberaum und Shows aushalten würden. Außerdem hatte Dominic ein Versprechen Matt Freeman von RANCID gegenüber einzuhalten, nämlich immer in einer Band zu spielen. Das musste er ihm versprechen, als ihm dieser seinen Bass auf Dominics letzter Warped-Tour mit TSUNAMI BOMB geschenkt hatte. Was lag nach gemeinsamen Enttäuschungen mit früheren Projekten für Davi und Travis näher, als diesmal zusammen etwas zu starten? Und das war der Beginn von LOVE EQUALS DEATH.
Der Name stammt von Dominic, der irgendwie seine Frustration und Wut über das Ende bei TSUNAMI BOMB zum Ausdruck bringen wollte. Ende 2003 meinte er, der Name stünde dafür, wie sehr ihn das Ausscheiden aus seiner alten Band getroffen habe, dass er sich wohl immer wieder die Finger verbrennen würde mit Musik, es aber nicht lassen könne, weil sie ihm einfach zuviel bedeute und irgendwann noch sein Ende sein würde. Zumindest muss er sich bei L=D keine Sorgen machen, denn bislang läuft alles sehr gut. Wenige Wochen nach dem ersten Konzert nahm man eine Hand voll Songs auf, aus denen eine erste EP bei einem kleinen Label werden sollte. Kaum war das geschafft, setzten sich die Jungs in einen Van und fingen an, die Westküste der USA rauf- und runterzuspielen.
Bald darauf stand eine zweite EP an, wieder in Eigenregie aufgenommen, und die Touren wurden auf die gesamten USA ausgedehnt. Bei einer Show im heimischen San Francisco als Supportband von den MAD CADDIES kam Fat Mike auf sie zu und fragte, ob sie sich zu ihm setzen wollten. Beim anschließenden Gespräch bot er ihnen einen Vertrag bei Fat Wreck Chords an, weil ihm das Konzert so gut gefallen habe. Chon kann das auch ein Jahr später noch nicht richtig verstehen. Die Band hatte vorher keinerlei Kontakt zu Fat Wreck, Mikes Angebot war eine Überraschung für ihn. Aber natürlich eine, die man nur zu gerne annimmt. So kam es, dass Dominic, Chon und der Rest der Band im Herbst 2005 wieder im Studio waren, doch diesmal mit einem richtigen Produzenten. Und das war kein geringerer als Bill Stevenson.
Natürlich war es für L=D als junge Band ein besonderes Erlebnis, mit dem DESCENDENTS-Schlagzeuger zusammenzuarbeiten. Entgegen allen Warnungen, dass es nicht immer einfach sei, mit Stevenson aufzunehmen, hatten sie eine großartige Zeit im Studio. Und das Ergebnis hört eben auf den Namen "Nightmerica". Das Album besteht aus elf sehr unterschiedlichen Stücken, von denen vier schon auf den beiden EPs vertreten waren. Mike fand die alten Lieder so gut, dass er die Band mehrfach bat sie für die Platte zu benutzen. Die Auswahl ist laut Chon bewusst auf unterschiedliche Songs gefallen, um jenen, die die Band noch nicht kennen, zu zeigen wo, man sich musikalisch bewegt.
Der Titel "Nightmerica" klingt politischer, als es LOVE EQUALS DEATH tatsächlich sind. Aber manchmal kann man einfach nicht schweigen, und so gibt es zwei Songs, die sich mit der Gier der Amerikaner nach immer mehr beschäftigen, sowie mit den Plänen von George Bush. Dass tatsächlich eine Schlagzeile mal "Bombs over Brooklyn" lauten könnte, ist eher unwahrscheinlich. Trotzdem verdeutlicht besonders dieser Text Chons Meinung zur politischen Lage, in der sich die USA durch einseitiges Handeln immer weiter vom Rest der Welt distanzieren. Darüber hinaus sind die meisten Texte des Albums aber persönlicher Natur und behandeln eher eigene Alpträume als die der Nation.
Obwohl es an einigen Textstellen den Anschein hat, gibt es aus der Sicht des Sängers keinen Grund, mit seinen ehemaligen Bandkollegen abzurechnen. Besonders mit Jade Puget ist er weiterhin eng befreundet, was auch daran deutlich wird, dass auf dem Album ein Lied zu finden ist, dass die beiden schon vor Jahren gemeinsam geschrieben haben. Chon gibt zu, dass es am Anfang für ihn ein merkwürdiges Gefühl war, den Fernseher einzuschalten und seinen ehemaligen Bandkollegen auf MTV zu sehen oder Anrufe aus Europa zu bekommen. Natürlich wäre er gerne selber dort gewesen, aber Neid hat er zu keinem Zeitpunkt empfunden.
Und wie sieht Chon drei Jahre später Dominics Interpretation des Bandnamens? "Es mag ausgelutscht klingen, aber Musik ist die größte Liebe meines Lebens, und ich werde mich immer irgendwie damit beschäftigen. Auch wenn es mich irgendwann fertig macht."
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