LOST PLACES OF PUNK AND HARDCORE

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Grenzregion der Niederlande (Teil 5)

OOC Bauplatz, VHC, Bauplatz, Venlo
Die niederländische Stadt Venlo liegt direkt an der deutschen Grenze, nur knapp vierzig Kilometer von Duisburg entfernt, was sie für viele Punks aus dem Ruhrgebiet zu einem großen Anziehungspunkt machte. Geile Konzerte und im Coffee-Shop Kiffzeug besorgen, das war es doch! Etwa ab 1983 fanden Hardcore-Punk-Konzerte in Venlo statt, zuerst im OOC, einem Jugendzentrum, das Anfang der Siebziger Jahre gegründet wurde. Die Konzerte organisierten Leute von der Band PANDEMONIUM und deren Umfeld. Im OOC gab es viele Musik-, Theater- und sonstige Veranstaltungen, die dem alternativen Umfeld zuzuordnen sind. Später gründete sich dort ein Musikkollektiv, mit eigenem Studio im Keller. Größere Konzerte mit Bands wie TOXIC REASONS, B.G.K., NEGAZIONE, ANTISECT, SUBHUMANS, SCREAM oder AMEBIX fanden im OOC statt, kleinere im besetzten VHC (Venlo Hard Core). In dem Studio wurden viele Platten und Demos aufgenommen, damals für viele Bands die einzige billige und auch qualitativ die beste Möglichkeit weit und breit. 1988 wurde von der Gemeinde entschieden, dass das OOC wegen Lärmbelästigung umziehen sollte, woraufhin es mehrere Demos und sogar Straßenschlachten gab. Das OOC wurde Teil einer größeren soziokulturellen Einrichtung, die einer Stiftung unterstand. Das war das Ende der Selbstverwaltung, sowohl was die finanzielle als auch organisatorische Unabhängigkeit betraf. Das neu zugewiesene Haus lag weit außerhalb der Innenstadt und der Widerstand der Squatter war nicht erfolgreich. Das OOC heißt heute Perron 55, Anfang der Nuller Jahre gab es noch mal einige interessante Punk-Festivals, aber seit dem Fortgang einiger Booker ist es heute ein eher normaler 08/15-Musikclub.

Babylon, Hengelo
Eine fast ikonische Bedeutung hatte der Babylon Club in Hengelo, der nur knapp zehn Kilometer entfernt gelegenen Nachbarstadt von Gronau. Die Punk-Konzerte im Babylon Club gab es nur über einen kurzen Zeitraum, errangen aber überregional eine große Aufmerksamkeit, denn dort spielte alles an Punkbands, was damals Rang und Namen hatte. Das Babylon ging hervor aus einem Jugendzentrum aus den frühen Siebziger Jahren, das 1978 in ein ehemaliges Schulgebäude umzog, ein Flachbau in der Wemenstraat in Hengelo, das von den Jugendlichen gründlich renoviert wurde. Ab 1983 gab es dort vermehrt Punk-Konzerte, wobei der Auftritt von CRUCIFIX im Februar 1984 als erstes großes Highlight fungierte. CRUCIFIX waren auf ihrer damaligen Tour ausschließlich in England und Holland zu sehen, also kamen knapp 70% des Publikums aus Deutschland. Kurz danach spielten auch BLACK FLAG im Babylon, wodurch der Club zu einer Art Mekka für uns wurde. Auf Anordnung der Gemeinde wurde das Jugendzentrum mit Wirkung zum 1. Januar 1985 geschlossen und die Förderung eingestellt. Zwei Wochen zuvor, am 18. Dezember 1984, fand im Rathaus eine Protestaktion von Punks, Squattern und Sympathisanten statt. Dies führte zur Besetzung der Ratskammer und neun Verhaftungen, aber das Babylon blieb geschlossen. 1985 erschien der LP-Sampler „Babylon: Bleibt Fahren“ mit Live-Mitschnitten von den Bands, die dort gespielt hatten, wie VARUKERS, MAU MAUS, PANDEMONIUM, WRETCHED, ZYKLOME A, CANAL TERROR, MDC und vielen anderen. Als Ersatz wurde für die Punks am 31. Dezember 1984 der Innocent Club eröffnet, der bis heute existiert, eine sehr wechselhafte Geschichte hat, dabei immer ehrenamtlich betrieben wurde und eine der wenigen subkulturellen Treffpunkte in Hengelo ist ... doch leider kaum noch für Konzerte im Bereich Hardcore-Punk-genutzt wurde. Ein Geschenk für die Szene war es aber, dass der Babylon-Sozialarbeiter Guus Sarianamual eine neue Stelle im Chi-Chi Club in Winterswijk fand.

Chi-Chi Club, Winterswijk
Da die Konzerte nicht mehr im Babylon stattfinden konnten, wurden kurz darauf massig Konzerte im Chi-Chi Club in Winterswijk organisiert. Der Club, in dem es auch regelmäßig politische Veranstaltungen gab, war schon 1966 gegründet worden und hatte 1972 bereits 450 Mitglieder. Allerdings geriet der Club Anfang der Achtziger Jahre etwa durch die Buchung überteuerter Acts wie Herman Brood etc. in finanzielle Schieflage. Doch durch Guus Sarianamual und andere Babylon-Aktivisten fanden ab 1985 wieder etliche Konzerte im Chi-Chi Club statt, so dass er in ein offenes Jugendzentrum umgewandelt wurde, wo neben Punk- auch Reggae- und Metal-Bands spielten. Jährlich wurden zwölf internationale Hardcore-Punk-Festivals veranstaltet, die den Club weit über die Grenzen hinaus berühmt machten. Oftmals spielten auf einem Festival bis zu zehn Bands, die bereits am frühen Nachmittag begannen. Der Club diente auch als Proberaum für WINTERSWIJK CHAOS FRONT, CRY OF TERROR oder DISABUSE. 1989 schloss der Club, die Aktivitäten wurden in das nahgelegene Eukalypta verlegt, das allerdings keine überregionale Bedeutung mehr erlangte.

Goudvishal, Arnheim
Ende der Siebziger Jahre fanden in der Stokvishal in Arnheim die ersten subkulturellen Konzerte statt mit Bands wie den SEX PISTOLS, THE CURE, THE CLASH, SIOUXSIE AND THE BANSHEES ... Nachdem die Halle Ende 1983 geschlossen wurde, wurde ein Haus auf der Vijfzinnenstraat 103 in Arnheim besetzt und Goudvishal genannt. Es war ein klassisches Squat mit vielen politischen Aktivitäten, mit Veranstaltungen im Haus oder es wurden Demos organisiert. Zudem gab es einen Piraten-Radiosender als auch Räume für verschiedenste alternative Gruppen. Um Marcel Stol und seine Band NEUROOT herum gründete sich eine Konzertgruppe, die von 1984 bis Anfang der Neunziger Jahre jährlich Dutzende Konzerte organisierte. Alles, was Rang und Namen hatte, spielte in der Goudvishal. Beliebt und berühmt sind auch die großformatigen mehrfarbigen Konzertplakate, die mittels einer eigenen Siebdruckmaschine hergestellt wurden und bis heute Sammelobjekte sind. Aufgrund der Streichung des kommunalen Zuschusses musste die Goudvishal am 31. Dezember 2007 ihre Türen endgültig schließen und wurde in ein Yuppie-Wohnhaus umgewandelt. Das derzeit aktuelle Team der Goudvishal kann seit 2008 ab und zu Konzerte im Willemeen in Arnheim durchführen, was eher sporadischen und lokalen Charakter hat. Marcel Stol bringt Anfang 2021 einen LP-Sampler heraus, auf welchem ein Best-Of der besten Live-Aufnahmen zu hören ist.

Parochiezaal, Scherpenheuvel
„Parochiezaal“ heißt nichts anderes als „Gemeindehaus“, was schon auf die Örtlichkeiten hinweist. Scherpenheuvel liegt in Belgien, hat also geografisch nicht viel mit den grenznahen niederländischen Clubs zu tun. Allerdings entstanden durch die regelmäßigen Besuche der holländischen Konzerte auch gute Kontakte zu der Szene aus Scherpenheuvel, das im Landkreis Hageland liegt, und die vornehmlich von den Leuten um die Band CAPITAL SCUM und das Plattenlabel Hageland Hardcore Records geprägt war. Labelbetreiber Werner Excelmans war einer der Ersten, der Touren für Bands aus den USA, Italien und Brasilien buchte. Scherpenheuvel ist ein streng katholischer Wallfahrtsort, wo eigentlich der Hund begraben liegt und Konzerte Mitte bis Ende der Achtziger Jahre immer spätestens um 23 Uhr beendet sein mussten, ansonsten flog die Bullerei unerbittlich ein. Daher begannen die Festivals am Wochenende immer am frühen Nachmittag. Bands wie SUICIDAL TENDENCIES, GOVERNMENT ISSUE, HERESY, SOCIAL UNREST, T.S.O.L., NEUROOT, SO MUCH HATE, SPERMBIRDS, FANG, VERBAL ABUSE, INDIGESTI, RHYTHM PIGS oder COLERA sorgten aber dafür, dass immer Hunderte von Leuten kamen. Ende der Achtziger Jahre war leider Schluss, da der Gemeinde das subversive Treiben in ihrer sauberen klerikalen Stadt irgendwann zu viel wurde. Heute ist der alte Gemeindesaal Bestandteil einer Grundschule.

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass es neben den genannten Clubs auch noch regelmäßige und gute Konzerte im Doornrosje in Nimwegen als auch im Vera in Groningen gab, die wir Punks aus Deutschland ebenfalls besuchten. Diese beiden Clubs existieren zum Glück bis heute.