Mit „Unmaker“ wuchtet der dänische Vierer einen ausgewiesenen Brocken von Album ans Tageslicht. Auf Platte Nummer drei kommen die Kopenhagener dabei düsterer und brachialer daher als jemals zuvor. Das liegt auch an einem schweren Schicksalsschlag, wie uns Drummer Rasmus Sejersen erklärt.
Das Post-, Sludge- und Experimental-Genre hat ja mittlerweile eine beachtliche Popularität gewonnen. Unzählige Bands tummeln sich in dem Segment. Wie schwierig ist es da, noch etwas wirklich Individuelles zu kreieren?
Darüber mache ich mir nicht sonderlich viele Gedanken. Aber ja: Etwas wirklich Einzigartiges zu erschaffen, ohne dabei jetzt übertrieben skurril und abgefreakt zu sein, ist schon eine Herausforderung. Auch dass wir bei unserer Musik diese cineastische Synthie-Komponente einbringen, ist an sich ja nichts Neues mehr. Vielleicht aber noch die Tatsache, dass wir unsere Sound-Elemente komplett selber draußen in der Umgebung aufnehmen und dann bearbeiten. Die sind also wirklich alle einzigartig. Der ganze Prozess ist natürlich unfassbar zeitaufwändig. Und es wäre wesentlich leichter, einfach ein paar Plug-ins zu kaufen. Aber da sind wir ziemlich nerdy. Und vielleicht auch einzigartig, ich weiß nicht.
„Unmaker“ wird es in verschiedenen ausgefallenen Vinyl-Varianten geben. Ist die Renaissance dieses Mediums mittlerweile nicht schon zu einem übertriebenen Hype geworden? Gefühlt „darf“ sich eine Band ohne fancy Vinyl-Release ja schon gar nicht mehr auf den Markt trauen…
Ich habe mit meiner ehemaligen Band THE PSYKE PROJECT im Jahr 2005 mein erstes Album auf Vinyl rausgebracht. Schon damals schienen die Leute sehr auf dieses Format zu stehen, teilweise selbst dann, wenn sie gar keinen Plattenspieler zu Hause hatten. Ich habe Musik schon auf verschiedenste Arten veröffentlicht, aber für mich ist Vinyl einfach das Optimum. Und deswegen finde ich es großartig, was sich Bands und Labels heute so alles Kreatives einfallen lassen. Ich selber bin begeisterter Sammler, ich finde den aktuellen Hype daher super. Aber ich nutze auch andere Sachen. Neue Musik entdecke ich meist beim Streaming, im Auto liegen noch meine ganzen alten Hardcore-CDs, teilweise von Bands, von denen bis heute noch kein einziger Song auf YouTube zu finden ist. Es ist gewissermaßen ein kleiner Schatz, den ich hüte, damit diese Musik niemals in Vergessenheit gerät.
Es sind durchaus herausfordernde Zeiten. Hat sich deine persönlich Sichtweise auf das Leben und die Kunst in den vergangenen Monaten dadurch verändert?
Tatsächlich. Die Pandemie und die damit einhergehende Isolation von der Außenwelt, die unzähligen Stunden im Studio, teilweise allein, die ich mit meinen verschiedenen Projekten verbracht habe, haben mich zu einer introvertierteren und emotionaleren Person gemacht. Das fühlt sich jetzt nicht wie etwas Schlechtes an. Aber ja, ich habe schon eine Veränderung der Perspektive in meinem Innersten bemerkt.
Wie schwierig war die Lockdown-Zeit dennoch für dich als Musiker?
Ich bin selbstständiger Fotograf und Videoproduzent. Für mich waren es daher sehr schwere Zeiten, als die Lockdowns kamen. Die meisten meiner geplanten Projekte wurden gecancelt und die finanzielle Unterstützung, die ich vom Staat bekam, war nicht der Rede wert. Ja, es war in finanzieller Hinsicht eine große Herausforderung für mich und meine Familie. Aber auch viele meiner Freunde arbeiten in der Veranstaltungsbranche, sind Booker, Promoter, Musiker oder Künstler. Sie alle mussten und müssen unfassbar kämpfen. Aber es gab auch schöne Dinge: Beispielsweise die viele Zeit, die ich mit meinem Sohn während der Lockdowns verbringen durfte. Oder die kreative Arbeit an einigen musikalischen Projekten, die ich neben LLNN noch habe. Aber ich hoffe, dass das Schlimmste nun hinter uns liegt und die Zukunft Besserung bringt.
Ihr habt jüngst einen neuen Webshop an den Start gebracht, den ihr zu hundert Prozent selbst betreibt. Wie viel Zeit eures täglichen Lebens nimmt die Band am Ende ein?
Wir alle haben reguläre Jobs. Aber klar frisst die Band unglaublich viel Zeit. Für mich sieht das dann so aus: Neunzig Prozent der Zeit schreibe ich Mails, zehn Prozent sitze ich hinterm Schlagzeug. Ich bin seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Kopenhagener Szene als Musiker unterwegs. Und in jeder meiner Bands war ich immer irgendwie der inoffizielle Manager. Das scheint so ein Drummer-Ding zu sein, haha. Das kann dennoch manchmal sehr, sehr anstrengend sein. Aber ich will nicht jammern. Ich mache es ja gern und aus Leidenschaft.
Hast du während der Pandemie neue Erkenntnisse über die Menschheit gewonnen?
Die Welt ist gespalten, die Menschen sind gespalten. Social Media sind zu einem einzigen Schlachtfeld geworden. Es kommt mir vor, als hätten wir komplett verlernt, anderen Menschen zuzuhören und Dinge aus einer anderen Perspektive als der eigenen zu sehen. Es gibt gefühlt keinen Platz mehr für Dialoge zwischen Menschen, die eine unterschiedliche Meinung haben. Es wirkt, als hätten wir die Fähigkeit verloren, voneinander zu lernen.
Welche Umstände und Ereignisse während des Entstehungsprozesses eures neuen Albums werden dir in besonderer Erinnerung bleiben?
Ich habe das noch nie öffentlich erwähnt. Aber da du konkret fragst, werde ich dir auch eine ehrliche und konkrete Antwort geben. Mein Schwager ist gestorben, während wir im Studio waren. Er starb zu Hause in seinem Bett. Es vergingen fünf Tage, bis er von einem Freund schließlich gefunden wurde. Als wir aufgenommen haben, wusste ich davon noch nichts. Als wir im Studio fertig waren, bin ich am späten Abend nach Hause zu meiner Familie gekommen. Ich war gelöst, einfach froh und hatte große Erwartungen an die Zukunft. Am nächsten Morgen bekamen wir dann die Nachricht von seinem Tod. Ab diesem Moment wurde alles dunkel. All die Euphorie und Freude, die ich verspürt hatte, verwandelten sich plötzlich in tiefe Trauer. Er war noch jung. Und es war und ist für meine Familie nach wie vor ein tragischer Verlust. Ich habe viele positive und schöne Erinnerungen an den Entstehungsprozess von „Unmaker“. Aber in meinem Herzen wird das Album immer mit seinem Tod verbunden bleiben.
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