Tim Warren macht es sich nicht leicht: Hat man erstmal Quasi-Legendenstatus erreicht und mit den Releases seines Labels – die Rede ist natürlich von Crypt Records – die Standards für kontemporären Rock‘n‘Roll so hoch gelegt, dass trotz einer gewissen Kreativpause bis heute kaum jemand gegen NEW BOMB TURKS, GORIES und OBLIVIANS anstinken konnte, wird man natürlich misstrauisch beäugt, wenn man nach fünf langen Jahren dann doch mal wieder eine neue Band veröffentlicht. Die LITTLE KILLERS aus New York City sind es, die Mr. Warren vom ersten Hören an elektrisierten, seit Herbst ist das Debüt des Trios raus und im Frühjahr steht die Europatour an – Grund für mich, mit Sänger und Gitarrist Andy per E-Mail Fragen (und Antworten) auszutauschen. Außerdem in der Band: Bassistin Sara und Drummerin Kari.
Ich habe irgendwo die schöne Erklärung eures Bandnamens gelesen, dass er was mit dem französischen Begriff „la petite mort“, der Umschreibung des Orgasmus als „kleiner Tod“ zu tun habe.
„Ha, das ist gut! Aber ehrlich gesagt braucht einfach jede Band einen Namen. Unserer könnte auch eine Reverenz an Little Richard sein, und an den ‚original killer‘, Jerry Lee Lewis. Und dann gibt‘s da im Film ‚Freaks‘ die schöne Szene, wo einer der Zwerge mit einem Messer dasteht, und drauf und dran ist, seine Initialen in die Haut von Herkules, dem starken Mann zu ritzen.“
Und wie ist es derzeit so in der Stadt der NEW YORK DOLLS und der HEARTBREAKERS? Immerhin seid ihr ja nicht Teil der hippen New Wave Punk-Szene, die es derzeit ja angeblich in Brooklyn gibt.
„New York ist einfach so eine verdammt große Stadt, dass es eigentlich immer ein paar coole Bands gibt, ganz egal was angesagt ist und was nicht. Meine lokalen Faves sind derzeit ANDY G. AND THE ROLLER KINGS, THE CHURCH KEYS und noch ein paar andere, wobei die leider nur 0.0000001% dessen repräsentieren, was da draußen sonst so abgeht. Es gibt eben tonnenweise absoluten Müll. Und sehr unglücklich bin ich auch darüber, dass sich letztes Jahr eine meiner absoluten Lieblingsbands, die TIE REDS, aufgelöst haben. Was nun eine vermeintliche Nu-Wave-Punk-Hipster-Szene in Brooklyn anbelangt, so habe ich davon keine Ahnung. Aber irgendwas müssen die ganzen Typen, die vorletztes Jahr noch Electroclash gespielt haben, ja mit ihren teuren, alten Original-Synthesizern machen. Es ist einfach so, dass New York zwar für Bands wie die Dolls und die RAMONES bekannt ist, aber echter Rock‘n‘Roll hier in der Stadt schon immer schwer zu finden war. Der findet in den kleinen Clubs und Kneipen statt, wird von der örtlichen Presse komplett ignoriert und zieht nur eine Hand voll Leute an, obwohl man sagen muss, dass sich die Publikumszahlen in letzter Zeit wieder zum Besseren entwickelt haben.“
Wie habt ihr es geschafft, Tim Warren davon zu überzeugen, eure Platte rauszubringen? Und was war eigentlich deine erste Crypt-Platte?
„Tim hat uns gefunden, nicht wir ihn: Er stöberte im ‚Wowsville‘ herum, einem Plattenladen hier in Manhattan. Mein Freund Dave, der bei den TIE REDS war, arbeitet da, und er spielte im Laden die paar Songs, die wir gerade aufgenommen hatten. Tim gefielen sie, Dave musste sie immer wieder spielen und Tim nahm die CD-R schließlich sogar mit, und hörte sie das ganze Wochenende über. Und dann rief er mich an. Tja, aus diesen Aufnahmen wurde schließlich unser erstes Album. Was meine erste Crypt-Platte anbelangt, so kaufte ich mir damals direkt bei Erscheinen ‚Back From the Grave Vol. 1‘. Ich stand auf 60er Punk und hatte mir vorher die ganzen ‚Nuggets‘- und ‚Pebbles‘-Sampler gekauft, und ‚Back From The Grave‘ sah so aus, als ob das auch was für mich ist. Und seitdem habe ich tonnenweise Crypt-Platten gekauft.“
Ihr seid ein Trio und zu zwei Dritteln weiblich – leider immer noch eine Besonderheit in der von Männern dominierten Rock‘n‘Roll-Welt.
„Ich denke da überhaupt nicht drüber nach, ehrlich gesagt. Man kann Menschen generell nicht danach beurteilen, ob sie männlich oder weiblich sind. Ich spiele seit Jahren in Bands, mal mit Frauen, mal mit Männern, und letztlich kommt‘s immer auf die Einstellung der Person an: der eine ist eben schwierig, die andere einfach. Jedenfalls kommen wir in der Band gut miteinander klar, haben auch auf Tour viel Spaß, obwohl das natürlich immer eine Extremsituation ist. Ich meine, stecke eine beliebige Gruppe von Menschen einen Monat lang zusammen in ein Auto, das ist immer ein todsicheres Rezept für den Wahnsinn. Aber davon mal abgesehen, könnte ich mir keine sweeteren, spaßigeren Bandmates vorstellen als Kari und Sara, die sind für mich der Grund, das alles zu machen.“
Auf der letzten Tour gab‘s aber Ärger mit Bim von den BASSHOLES.
„Lass uns da bitte nicht drüber sprechen. Dieser Typ ist total abgefuckt.“
Vor den LITTLE KILLERS gab‘s für dich die SEA MONKEYS. Sonst noch was?
„Na klar, ich mach schon seit einer Ewigkeit Musik, habe bei Hunderten Bands gespielt, nur hat von denen keiner was gehört. Die SEA MONKEYS waren die einzigen mit ein paar Veröffentlichungen.“
Und was geht sonst so außer der Band?
„Ich arbeite hier in Manhattan in einem kleinen Gitarrenladen mit angeschlossenen Bandproberäumen, und irgendwie schaffe ich es zu überleben. Ich spiele auch noch in einer anderen Band namens THE SPITTOONS, eine Coverband. Wir spielen die KINKS, die RAMONES, alten Rock‘n‘Roll, worauf wir eben Lust haben, und ab und an haben wir auch mal einen Auftritt.“
Was für Erwartungen habt ihr an die Europatour?
„Ich freue mich total auf die Tour! Ich war noch nie in Europa, das ist alles ganz schön aufregend, und ich weiß nicht, was uns erwartet. Ich will einfach nur spielen und ‘ne Menge Spaß haben.“
Und wie sieht‘s in Sachen Alkohol aus?
„Ich bin eher so der Bier-und-Whiskey-Typ, aber ich übertreibe es selten, sondern trinke vor allem, um gut drauf zu sein. Mein Ding ist irischer Whiskey, Bushmills oder Jamesons. Bei Sara und Kari ist das genauso, nur dass die das gerne auch mal übertreiben, hahaha!“
Wie steht‘s um die Livemusikszene in New York? Man liest ja viel über die strikte Umsetzung des Rauchverbots durch Bürgermeister Bloomberg, einem stinkreichen Medienunternehmer.
„Also wir hatten bislang nie Probleme, an Auftritte ranzukommen. Es gibt immer noch reichlich Läden, die Bands buchen, und klar, die meisten sind Scheiße, aber es gibt auch ein paar gute. In Manhattan und Brooklyn gibt es ungefähr, fünf, sechs Läden, in denen wir regelmäßig spielen. Das Blöde an dem Rauchverbot ist für uns als Band, dass die Leute auch während der Show ständig nach draußen gehen, um zu rauchen. Zum Glück gibt es ein paar Läden, die es nicht so genau nehmen mit dem Rauchverbot, da paffen die Leute dann auch während der Show fröhlich vor sich hin. Was Bloomberg anbelangt, so ist der auch nicht anders als die Bürgermeister davor: Manhattan wird vom Geld regiert, seit die Holländer damals den Indianern die Halbinsel abgekauft haben.“
Fühlt ihr euch wohl dabei, als „garage band“ bezeichnet zu werden? Viele Leute nehmen es ja ganz genau mit den Begrifflichkeiten Punk, Rock‘n‘Roll, Garage, und so weiter.
„Ja, das ist lustig, haha. Als die Leute anfingen, uns als ‚Garagerock‘-Band zu bezeichnen, war ich ehrlich gesagt etwas überrascht, denn ich verstand darunter schon ein bisschen was anderes als das, was wir machten. Weißt du, mehr dieses Sixties-Ding, mit Fuzztone-Gitarre, Farfisa-Orgel, Vox-Amps und so was, die komplette Retro-Schiene eben. Dabei sehe ich uns viel mehr als straighte Rock‘n‘Roll-Band, mit Elementen all jener Stile, die wir noch so mögen, darunter eben Punk und Garage. Wichtig ist nur, dass wir das mögen und es uns eigentlich egal ist, wie das nun jemand nennt. Ich bevorzuge eben ‚Rock‘n‘Roll‘, aber das hat auch so viele Bedeutungen, dass es beinahe schon bedeutungslos wird. Sind U2 etwa Rock‘n‘Roll? Ich meine, die Presse bezeichnet Bono ständig als ‚Rock‘n‘Roller‘, soll ich mich deshalb aufhängen? Hauptsache ich weiß, was es für mich bedeutet, auch wenn sich keiner dafür interessiert.“
Wie habt ihr euch gefunden?
„Die SEA MONKEYS waren auf Eis gelegt, ich hatte nichts zu tun und wurde allmählich fickrig. Ich arbeitete damals in einer Kneipe, in der jeden Abend vier Bands spielten – und ich hasste sie alle! Ich dachte mir, es kann doch nicht so schwer sein, einfach halbwegs akzeptable Musik zu spielen. Sara arbeitete ebenfalls in dieser Kneipe hinter der Theke, und so standen wir da und ertrugen zusammen all diese miesen Bands. Und wie es eben so ist, erwähnte ich, dass ich gerne eine neue Band anfangen würde. Sara meinte, sie habe auch Lust und einen Bass. Sara wiederum wuchs zusammen mit Kari in New Hampshire auf, die auch ab und an in der Kneipe abhing. Sie hatte mal mir gegenüber erwähnt, dass sie gerne Schlagzeug spielen würde, und so fragten wir sie – obwohl sie nie zuvor gespielt hatte. Auch Sarah hatte noch nie in einer Band gespielt, aber wir gingen die Sache sehr locker an, hielten alles so simpel wie möglich, spielten anfangs alte Rock‘n‘Roll-Cover von Little Richard und Chuck Berry. Es machte einfach Spaß, wir lernten zusammen zu spielen, und das ist auch schon die ganze Geschichte. Unsere Idee hinter der Band war und ist, ganz einfach Spaß zu haben und die Musik zu machen, auf die wir Lust haben.“
Wie schwer ist es denn, sich nicht in zwei hübsche Mädels zu verlieben, wenn man mit denen in einer Band spielt? Bist du eifersüchtig, wenn sie mit anderen Typen reden? Und sind sie eifersüchtig, wenn dich Frauen ansprechen?
„Ich liebe sie natürlich beide, das fiel mir nicht wirklich schwer. Und natürlich können sie reden, mit wem sie wollen. Und ich glaube, die haben auch ihren Spaß, wenn mich nach einem Auftritt irgendwelche Girls ansprechen – aber so oft passiert das leider nicht, hahaha.“
Andy, ich danke dir für das Interview.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #54 März/April/Mai 2004 und Joachim Hiller
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