Warum immer nur fremde Leute interviewen, wenn man auch selbst genug interessante Typen im Kreise der Schreiber hat? Also stellen wir regelmäßig altgediente Mitarbeiter vor, und diesmal ist Sponge dran, der seit vielen Jahren seine englischsprachige Berliner Foto-Konzertkolumne beiträgt.
Bitte stelle dich vor.
Ich heiße „Sponge“, ein Spitzname, den ich mit zwölf Jahren bekommen habe, auf Deutsch: „Schwamm“. Weil mein Haar nach dem Wellenreiten immer gleich wieder trocken aussah. Geboren wurde ich in Huntington Beach, Kalifornien, und habe zwei Brüder, die noch dort leben. Ich wohne seit etwa 23 Jahren in Berlin.
Wie bist du einst zu Punk/Hardcore gekommen?
Ich bin sehr musikalisch aufgewachsen. Meine Eltern hörten alles, BEATLES, Chuck Berry, Little Richard, alles an Rock’n’Roll, aber auch Disco, Country, Blues, und Big Bands. Ich habe alles mitgehört, egal, welche Art von Musik. In Südkalifornien groß geworden, gehörte ich dann später zu der aufkommenden Surfer/Skateboarder-Szene, die meisten waren wie ich Individualisten, die auf die normale Musik oder auf Teamsportarten wie Basketball, Baseball, und American Football keinen Bock hatten. Und durch sie habe rockige Surfsounds kennen gelernt. Als ich dann mit dreizehn nach Zentralkalifornien umziehen musste, habe ich in die dortige Dorfmentalität gar nicht reingepasst, dieses Cowboy/Kiffer-Image, wo man nur Southern Rock und Country hörte. Da ich dort sowieso ein Outsider war, bin ich immer am Wochenende zurück nach L.A. gefahren – ich hatte mit fünfzehn schon einen Führerschein – und tauchte tief ein in die Skater-Szene und so kam auch schnell die passende Musik dazu: Punkrock wie 999, OINGO BOINGO, THE CLASH, und THE RAMONES, damals auch New Wave wie DEVO, B-52s, und BLONDIE. Als es dann Bands gab wie BLACK FLAG, DEAD KENNEDYS, TSOL, CIRCLE JERKS, AGENT ORANGE, GENERATION X und auch den L.A.-Radiosender KROQ, war das gerade das, was ich brauchte, um meinen inneren Ärger abzubauen und den „Normalen“ den Stinkefinger zu zeigen.
Was sind deine früheren, was deine heutigen „Szene“-Aktivitäten?
Wellenreiten, Skateboarding, Fotografieren, Punkrock-Konzerte war es damals und ist bis heute, über dreißig Jahre später. Ich hatte damals oft eine kleine Instamatic-Kamera dabei, war nur leider oft zu besoffen oder doof, sie richtig zu bedienen. Ich habe die Fotos trotzdem immer allen Bands gegeben und ab und zu etwas an Fanzines wie Flipside oder Maximum Rock’n’Roll geschickt.
Was machst du, um deinen Lebensunterhalt zu verdienen, wie war der Weg dorthin?
Glücklicherweise habe ich mir damals eine tollen Beruf ausgesucht, ich bin seit 28 Jahren Fluglotse. Seit ich fünf Jahre alt war, habe ich in der familieneigenen Baufirma arbeiten müssen, vor und nach der Schule und an den Wochenenden, vielleicht auch ein Grund für die wenigen Freunde. Mit neunzehn habe ich als der letzte Sohn immer noch dort gearbeitet, wollte weg, war aber zu feige, einfach abzuhauen. Ich wurde wie ein Sklave behandelt und habe fast nichts verdient, denn die Firma sollte mir sowieso irgendwann gehören. Toll, wie wäre es jetzt mit ein paar Dollars? Der einzige Ausweg war, zum Militär zu gehen. Die USA wollten gerade den Pflichtmilitärdienst wieder einführen und so meinte mein Bruder, ich solle mich bei der Luftwaffe bewerben, bevor ich zur Army oder den Marines gehen muss. Nach dem Eignungstest wurde ich gefragt, ob ich Interesse hätte, Pilot oder Fluglotse zu werden. Wirklich? Ja, dann Fluglotse. Bock, selbst zu fliegen, habe ich nie gehabt. Nach meinen drei Jahren Dienst in Berlin in den Achtzigern habe ich das Militär verlassen, bin zurück nach Kalifornien und dann ein Jahr später wieder in Berlin gelandet. Und wieder als Fluglotse, jetzt für die deutsche Flugsicherung, es ist dann doch mein Traumberuf geworden. Dadurch kann ich mir auch mein Hobby Fotografieren besser leisten.
Wie „punkrock“ ist dein Job, wo gibt es Berührungspunkte zu deinen privaten Interessen beziehungsweise zu Punk-Idealen, worin liegen die „Inkompatibilitäten“?
Ob mein Job „punkrock“ ist, kann ich nicht beurteilen. Eigentlich hat dieser Beruf viele Seiten, wo manche meinen, das passt nicht zu Punkrock oder seinem Image: sehr viel Verantwortung, Pünktlichkeit, eine klare Denkweise, zu hundert Prozent dabei sein und so weiter. Aber sind das nicht Eigenschaften, die auch viele Punkrocker haben? Erstaunlich ist, wie viele Kollegen auch auf diese Musik stehen. Natürlich muss ich etwas artiger sein, wenn ich weiß, dass ich um sechs Uhr arbeiten muss.
Wie reagiert dein Umfeld auf deine Punkrock-Vorliebe – Verständnis, Erstaunen, Unkenntnis?
Außerhalb meines engsten Freundeskreises und Arbeitsumfelds, sind fast alle anderen Kollegen, Freunde, Bekannten und Nachbarn zuerst immer überrascht, dass ich „so was“ höre! „Ich dachte, du arbeitest als Fluglotse, und die sind eigentlich immer hilfsbereit, nett, ruhig ...“ Wie bitte? Die meisten verstehen „Punkrock“-Texte und dieses Gefühl nicht, haben zu viele Filme gesehen, wo Punks immer als „Verlierer“ dargestellt werden. Ich denke, ich konnte bei vielen diese Ansichten widerlegen.
Punk war mal eine Jugendbewegung. Wie lässt sich das mit deinem Alter vereinbaren? Für immer jung, für immer Punk? Oder manchmal doch das schleichende Gefühl, für irgendwas zu alt zu sein?
Ich glaube, damals war ich ein Teil dieser Jugendbewegung, gehöre aber heute immer noch dazu, weil es sie immer noch gibt. Ich rede nicht von dem aktuellen Pseudo-Punk, der alle zehn Jahre die Schulen bevölkert, wie gerade jetzt. Nächstes Jahr ist Techno angesagt, ihr Poser! Ich habe immer noch Kontakt mit vielen Leuten von früher, aber auch mit vielen, die schon lange aus dieser „Bewegung“ oder „Szene“ raus sind. Für mich ist es ein wichtiger Teil meines Lebens, den ich nicht aufgeben will. Wieso auch? Punkrock hält auch jung – und ich habe mich nie „zu alt“ gefühlt auf einem Konzert.
Wie und wo hast du das Ox erstmals wahrgenommen?
Das Ox-Fanzine habe ich anfangs nur an wenigen Orten gesehen, durchgeblättert, mir die Bilder angeschaut, und es wieder zurückgelegt. Später, als ich besser Deutsch lesen konnte, habe ich ab und zu eins gekauft und Artikel über Konzerte und Bands gelesen, vor allem die, die ich persönlich kannte. Ich glaube, ab Ausgabe 25 habe ich mir jedes Ox am Bahnhof oder einer Tankstelle besorgt. Endlich eine vernünftige Punkrock-Zeitschrift mit vielen Infos.
Und was hat dich dann bewegt, beim Ox mitzumachen?
Irgendwann, als ich im Zug saß und das neue Ox gelesen habe, habe ich einen Artikel über D.I. entdeckt, sehr enge Freunde von mir, und es war ein Bild dabei von Casey Royer mit seinem Sohn am Strand in Huntington Beach. Das Bild hatte ich im Jahr zuvor aufgenommen, und Casey hat es dann wahrscheinlich ans Ox gemailt. Da ich häufiger Fotos für Zeitungen und Fanzines gemacht habe, dachte ich, warum sie nicht grundsätzlich dem Ox anbieten, weil es ein echt cooles Magazin ist, das mir gefällt, independent, low budget, D.I.Y. Ich habe dann Joachim geschrieben, und nach etwas Skepsis hat er dann Ja gesagt. Später habe ich meine eigene Seite bekommen.
Was macht für dich heute den Reiz aus, für das Ox zu schreiben?
Schreiben tue ich eher weniger. Für mich ist es eine Plattform, um gute Live-Fotos zu zeigen, und vielleicht kurz etwas darüber zu erzählen. Es ist auf Englisch, nicht nur weil es meine Muttersprache ist und ich mich damit besser ausdrücken kann, sondern auch, weil die meisten Deutschen Englisch gut lesen können, somit ist das vielleicht auch eine Abwechslung für die Leser. Außerdem freuen sich auch die englischsprachigen Bands, etwas über sich in einem deutschen Magazin lesen zu können, anstatt nur das Bild anzuschauen und sich zu fragen, was dort geschrieben steht. Alle Musiker oder Bands auf meiner Seite „Sponge Pix“ bekommen eine Ausgabe von mir geschenkt.
Wie schätzt du die Entwicklung des Heftes ein, wie sollte es weitergehen?
Ich fand das Ox immer gut, wie es war und wie es jetzt ist, und solange das Ox-Fanzine nie ein „Sellout“ wird und über alle Arten von Rock, Punk, Hardcore, und Oi! berichtet, werde ich das Ox immer lesen und gerne mitmachen, trotz meines Alters und des Zeitmangels.
Gab oder gibt es ein Interview, einen Artikel, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist, positiv wie negativ?
Das wäre dann zu viel. Man kann aber durch gute Interviews viel über Bands erfahren, eher Positives als Negatives.
Welche Bands/Platten und Genres haben dich früher beeindruckt und beeinflusst, welche sind es heute?
Mich begeistern viele der neuen und jüngere Bands. Und alle Bands, die ich schon genannt habe, dazu kommt auch das Hardcore-Genre, haben mich beeinflusst und tun es immer noch. Ich weiß, wie schwer es ist, sehr lange bei dieser Musikrichtung zu bleiben, deswegen beeindrucken mich besonders die, die es nach zwanzig, dreißig Jahren immer noch sind. Beinahe unglaublich, weil nur wenige von ihrer Musik leben können, ohne zusätzlich arbeiten zu müssen. Bands wie Agnostic Front, The Adicts, Agent Orange und vielen, vielen anderen gebührt mein größter Respekt.
Was hat sich deiner Meinung nach in der Szene in der Zeit, die du dabei bist, am maßgeblichsten verändert?
Geändert hat sich nicht so viel, was den Stil von Punkrock angeht oder das Gefühl. Natürlich ist es kommerzieller geworden, aber das ist fast alles.
Was ist heute das größte Ärgernis in Zusammenhang mit Musik?
Dass ich nicht öfter dabei sein kann. Ich verpasse jeden Monat so viele gute Konzerte, weil ich andere Pflichten habe.
Wie wichtig waren dir früher Äußerlichkeiten, wie sieht das heute aus?
Ich habe früher – wie auch heute – nie viel Wert auf meine Äußerlichkeiten gelegt. Wenn jemand meint, man kann nur Punkrocker sein, wenn man so oder so aussieht, dann ist das doof. Ich hatte nie einen Mohawk, nie ein Tattoo oder Piercing, auch wenn ich so was sehr passend und cool finde. Für mich ist das eine Sache des Herzens, nicht meines Aussehens. Ich trage meistens Jeans, Turnschuhe, und T-Shirts, am liebsten schwarz. Das hat aber mit mir zu tun, nicht mit meiner Musik.
Wie groß oder klein ist deine Plattensammlung, wie wichtig ist sie dir, welche Formate bevorzugst du?
Meine Plattensammlung ist ziemlich groß, aber nicht übertrieben. Leider finde ich kaum Zeit, Musik zu hören, außer beim Autofahren, denn meine Frau steht nicht auf alles, was ich höre. Ich habe noch viele Kassetten und Vinyl, höre heute aber nur noch CDs.
Wie steht es um dein Konsumverhalten? Wie viel Geld hast du früher für Platten ausgegeben, wie viel heute?
Früher habe ich mehr Geld ausgegeben für Platten und Konzerte, obwohl ich nicht viel Geld hatte. Heute könnte ich mir das leisten, aber ich bekomme so viele Platten geschenkt, weil meine Bilder oft auf den Platten oder Websites zu sehen sind oder die Bands meine Meinung interessiert.
Gibt es heute Wichtigeres in deinem Leben als Punkrock, wie gehst du mit eventuellen Interessenkonflikten um?
Extrem wichtig in meinem Leben sind meine Frau, die Familie, meine Tiere, Reisen und gute Freunde. Aber Punkrock ist schon viel länger ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, und manchmal muss ich mich durchsetzen, dass ich immer die Möglichkeit habe, weiterhin Punkrock zu hören und zu leben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #84 Juni/Juli 2009 und Joachim Hiller