„Hiatus is the status“ antwortete Lee Ranaldo auf meine Frage, ob denn noch irgendwas geht bei SONIC YOUTH nach dem Beziehungs-GAU von Thurston Moore und Kim Gordon. Seine Antwort lässt sich nur ungenau ins Deutsche übersetzen, „Fest steht, dass nichts geht“ reimt sich zumindest und trifft es im Kern. Meine Antwort auf seinen Reim war „Ach, halb so schlimm“, und das hat was mit „Between Times And The Tides“ zu tun, dem neunten Soloalbum des Gitarristen und Sängers, der einst Gründungsmitglied von SONIC YOUTH war. Der machte es mit seinen Soloalben in der Vergangenheit wie Thurston Moore, überließ die verdaulichere Musik der Hauptband und zog solo eher eigenbrötlerische Kreise. Dass dies beim neuen Album anders ist, sollte man aber nicht auf eine Verlagerung des künstlerischen Schwerpunkts seit dem (einstweiligen) Ende der Band schieben, denn zum Zeitpunkt des Splits stand das neue Solowerk schon weitgehend. Am Zustandekommen beteiligt waren neben Bandkollege Steve Shelley auch die Ex-Kollegen Jim O’Rourke (Bass) und Bob Bert (Percussion), Nels Cline von WILCO und Alan Licht an der Gitarre sowie John Medeski am Keyboard, produziert hat John Agnello, und Lees Gattin Leah Singer steuerte Backing Vocals bei.
Lee, wie steht es um SONIC YOUTH?
Hiatus is the status, mehr weiß ich auch nicht, etwas anderes kann ich nicht sagen. Wir haben keinen Plan.
Nun haben SONIC YOUTH – du bist Jahrgang 1956, die Band hast du 1981 mitgegründet – den größten Teil deines Lebens als Musiker die Hauptrolle gespielt. Da macht man sich doch sicher Gedanken.
Nun, ich habe die letzten Monate an meinem neuen Soloalbum gearbeitet, das hat mich beschäftigt gehalten. Was nun SONIC YOUTH betrifft, so finde ich, dass wir wirklich sehr lange durchgehalten haben und es eigentlich immer gut lief für uns. Derzeit müssen nun einfach außerhalb des Sichtfelds der Öffentlichkeit ein paar Dinge geklärt werden. Ich bin sehr glücklich mit allem, was wir getan haben, und wenn jetzt alles etwas pausiert, ist das okay, und wir werden sehen, was als Nächstes passiert. Wenn es weitergeht, wird es großartig, und wenn es nicht weitergeht, war es dennoch eine erstaunliche Erfahrung. Wir haben als Band so eine erfüllte Historie, dass egal, was passiert, wir dennoch weiterhin miteinander zu tun haben werden, es gibt beispielsweise Archiv-Projekte, um die man sich kümmern muss.
Mit der Aufarbeitung der SONIC YOUTH-Geschichte könnte man sich sicher den Rest seines Lebens beschäftigen.
Oh ja, aber erst mal interessiert mich die Arbeit an meinen eigenen Projekten.
Wie dem neuen Album. Das taugt, wie ich finde, sehr gut dazu, um sich darüber hinwegzutrösten, dass auf absehbare Zeit kein neues SONIC YOUTH-Album zu erwarten ist, ja, es ist erheblich weniger sperrig als frühere Solowerke.
Interessant, das zu hören, denn ich finde nicht, dass mein neues Album nach SONIC YOUTH klingt. Klar, ich bin da zu hören, aber ich habe auch schon zu hören bekommen, das Album klinge überhaupt nicht wie SONIC YOUTH, so dass ich nicht so recht weiß, was ich von diesen Einschätzungen zu halten habe. Aber gut, die Parallelen sind vorhanden, es ist der gleiche Schlagzeuger, der gleiche Gitarrist und manchmal auch der gleiche Sänger, doch es gibt auch viele Unterschiede. So entstand das Album unter ganz anderen Bedingungen als eine SONIC YOUTH-Platte. Es sind eben alles meine Stücke, die ich geschrieben und dann immer weiter perfektioniert habe, wohingegen SONIC YOUTH-Stücke in der Zusammenarbeit aller Bandmitglieder entstanden. Das ist für mich der größte Unterschied. Ich erkundigte mich dann bei verschiedenen Musikern, ob sie mit mir aufnehmen wollen, und hatte dabei schon einen bestimmten Sound im Sinn, weshalb ich Nels, Alan und John fragte, ob sie mit mir spielen wollen.
Nun klingen aber beispielsweise Thurston Moores Soloalben ganz eindeutig anders als SONIC YOUTH, wohingegen „Between Times And The Tides“ für mich schon in den Bereich des klassischen, noisigen Indie-Gitarrenrocks fällt.
Es stimmt schon, das Album ist weniger experimentell als eines von SONIC YOUTH, und ich verstehe, was du meinst, wenn du sagst, es klingt nach einer Indie-Gitarrenband. Ich finde aber, dass das Album auf eine noch ältere Periode der Rockmusik zurückgreift – viel mehr als auf noisige, experimentelle Elemente. Und das ergab sich, weil ich die Songs ganz einfach auf meiner akustischen Gitarre schrieb, denn eigentlich hatte ich beim Komponieren auch ein akustisches Soloalbum im Sinn. Dann kam aber eines zum anderen und es wurde ein Rockband-Album daraus. Ich habe das Album selbst produziert oder wie immer man das nennen mag – ich habe die Aufnahmen angeführt, ich wusste ja, wie das alles klingen soll. Ich habe die Songs sich selbst entwickeln lassen und musste feststellen, dass so eine Albumproduktion, wenn man alleine dafür verantwortlich ist, eine ganze Menge mehr Arbeit bedeutet, als wenn man sich diese mit drei anderen Leuten teilt. Angefangen beim Songwriting, über die Aufnahmen, das Artwork und das erste Video, das ich auch selbst gemacht habe. Mir macht das alles aber natürlich viel Spaß.
Du erwähntest das ursprüngliche Konzept eines akustischen Soloalbums. Hattest du da bestimmte Vorbilder im Kopf?
Ja, Joni Mitchell. Die hat in einigen Stücken Spuren hinterlassen. Ich hatte irgendwie ihre Art von Singer/Songwriter-Musik im Kopf, wie sie auch von Neil Young oder David Crosby gemacht wurde. Ich habe einfach verschiedene Sachen auf der Gitarre ausprobiert und das kam dabei heraus. Und da kommen wir wieder SONIC YOUTH nahe, deiner Anmerkung, dass du Parallelen siehst: Ja, die Art, wie meine Gitarre gestimmt ist, ist auf meiner Platte genauso wie bei SONIC YOUTH. Es ist einfach meine Handschrift.
Die sich auch beim Artwork zeigt. Wie wichtig ist dir in Zeiten von Digital-Downloads das Artwork?
Sehr wichtig! Ich habe sehr viel Zeit ins Design des Klappcovers der LP gesteckt, mir war es es sehr wichtig, dass das Artwork auch in dieser Größe gut aussieht. Und es gibt beim Album auch ganz klassisch eine Seite 1 und eine Seite 2. Das sind zwei verschiedene Hälften, die für sich stehen, und ich halte das Albumformat auch immer noch für eine perfekte Zeitspanne, um sich mit Musik zu beschäftigen. Ich gehöre eben einer Generation an, die ein Album schätzt, als Gesamtkunstwerk wahrnimmt, für die das Gesamte mehr ist als nur ein einzelner Song. Klar, auch ich weiß einen einzelnen guten Song zu schätzen – aber eben auch als Teil eines Album voller guter Songs.
Heute wirken alte Alben, die nicht nur einen herausragenden Song enthielten, sondern gleich vier, fünf, sechs wie ein Anachronismus. Es scheint, als gelänge dieses Kunststück heute nur noch wenigen Bands, der Schwerpunkt liegt auf dem einzelnen Song.
So scheint sich das Hörverhalten geändert zu haben, ja. Da schließt sich der Kreis, denn früher, bevor Alben zum Maßstab wurden, lag der Fokus auf der 45-rpm-Single. Damals kaufte man auch nur den einen Song und bekam noch eine B-Seite dazu. Aber es gibt auch heute noch hier und da Alben, wie du sie beschrieben hast, mit fünf, sechs, sieben herausragenden Songs. PJ Harveys letztes Album etwa war so eines, da ist jeder Song ein Hit, zumindest für mich. Es ist ein gutes Beispiel für ein sehr gut durchdachtes Album, bei dem jeder Song mit den anderen harmoniert und so ein mitreißendes Ganzes entsteht.
Wenn man sich mal anschaut, was für einen massiven kreativen Output du hast, der ja nicht nur die Platten mit SONIC YOUTH umfasst, sondern auch diverse Soloplatten wie Kollaborationen, aber auch Bücher – da frage ich mich, wie man da selbst noch den Überblick behält.
Mein Computer hilft mir dabei, haha. Ich glaube aber auch nicht, dass es so wichtig ist, alles im Blick zu behalten, was man mal gemacht hat. Interessen kommen und gehen, treten hier und da an die Oberfläche und verschwinden auch wieder. Manchmal ist es wichtiger, nach vorne zu schauen und sich nicht mehr um die Vergangenheit zu kümmern. Diese Einstellung ist meiner Meinung nach auch wichtig, um weiterhin interessante Kunst schaffen zu können. Da kann es hinderlich sein, sich zu sehr mit seiner Vergangenheit aufzuhalten.
Über dieses Thema unterhielt ich mich kürzlich auch mit WIRE, die sich ausschließlich auf die Gegenwart konzentrieren und Bands überhaupt nicht mögen, die sich nur über das definieren, was sie vor 30, 35 Jahren geschaffen haben.
Da kann ich nur zu 100% zustimmen! Dieses Phänomen, dass sich Bands nach Jahren wieder reformieren, um all ihre alten Songs zu spielen, das ist nicht immer gut ... Mich langweilt dieses Verweilen in Nostalgie derzeit, mich interessiert das, was hier und heute passiert, viel mehr.
Dann sprechen wir auch über die Gegenwart, die auf den Namen „Between Times And The Tides“ hört, dein auf Matador erschienenes Album. Dort erschien 2009 auch das SONIC YOUTH-Album „The Eternal“.
Matador war eine leichte und logische Wahl. SONIC YOUTH haben da ja nur ein Album veröffentlicht, aber es war eine sehr angenehme Erfahrung – exakt die Art von Erfahrung, die man als Musiker mit seinem Label machen möchte. Das stand in hartem Kontrast zu zehn Jahren in der Majorlabel-Wildnis, wo wir das Gefühl hatten, ziellos hin und her zu irren. Bei Matador hatten wir dann das Vergnügen, etwa mit Gerard Cosloy zusammenzuarbeiten, mit dem wir schon in der Frühzeit von SONIC YOUTH zu tun hatten, denn er war bei unserem damaligen Label Homestead für uns zuständig. Die Leute dort unterstützen uns, mich, sie sind echte Musikfans, und so war ich froh, dass sie interessiert waren, mein Album zu veröffentlichen.
Alleine kann man leicht auf Tour gehen, mit Musikern, die sonst in anderen Bands spielen, wird es schwieriger ...
Stimmt, aber mit Steve, Alan und Irwin Menken habe ich ein Line-up, das auch live spielt. Im Juni und Juli sind wir in Europa unterwegs, teilweise zusammen mit DISAPPEARS, der Band, in der Steve Schlagzeug spielt. Ich freue mich darauf, nach all den Shows in großen Hallen jetzt wieder verstärkt in kleinen Clubs spielen zu können.
Verfolgst du auch, was deine – ich hätte beinahe gesagt „ehemaligen“ – Bandkollegen so treiben?
Na klar! Letzte Woche war ich hier in New York bei einem Konzert von Thurston, und es stehen gemeinsame Konzerte meiner Band mit DISAPPEARS an. Wir verfolgen gegenseitig, was die anderen so tun, aber halten uns ansonsten raus.
Lee, besten Dank für deine Zeit.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #102 Juni/Juli 2012 und Joachim Hiller
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