Für Verwirrung sorgt eine englischsprachige Band aus Stuttgart/Tübingen, die sich KRIME nennt und ein Jahr jung ist. Chris der Berg von der Stuttgarter HELMUT COOL BAND hat die Post-Punk-Band empfohlen. Ein Verweis führt zu Bandcamp: shutupkrime. Pia (v), Milena (org), Hannes (g), Uwe/Phillip (b) und Tante Jo (dr) präsentieren da fünf Juwelen aus ihrer Schatzkiste: runde, fein strukturierte Songs, voller Stärke, Kraft und Energie.
Beim Titel des Demos – „Plata O Plomo“, Silber oder Blei, Schmiergeld oder Krieg – denkt man an den mächtigsten Drogenbaron der Welt, Pablo Escobar. „Ghetto“ oder „Power Penner Punk“ steht auf ihren Plakaten. Groß Werbung machen KRIME nicht und Pia und Hannes wollen sich bei einem Gespräch am Stuttgarter Marienplatz nicht selbstgefällig erklären. Alle Bandmitglieder sind sehr eingespannt und kümmern sich in dieser sauteuren süddeutschen Welt der unbezahlbaren Wohnungen und ungemütlichen Konkurrenzsituationen ums eigene Überleben.
Musikalisch wirken KRIME überdurchschnittlich und enorm saftig! Dieser fiese Orgelsound setzt schöne Melodien und kommt immer an der richtigen Stelle. Fünf ausgebuffte, kurze, quicklebendige Kompositionen, präzise Akzente, reichlich Akkordwechsel und eine sich beschwerende Männerstimme, versteckt hinter dem anklagenden „Gebrüll“ von Sängerin Pia. Gebrüll, das hört sich aufdringlich an, Pia kann sich live auch weicher und zarter geben, sie geht auf das Publikum ein oder rappt auch mal kurz zwischen den Stücken. Die Botschaften kommen live trotz prekärer Inhalte auch charmant rüber. Angeprangert wird das gesellschaftliche Gefälle, „Sozialdarwinismus“, wie Pia meint.
Brachiale, aber auch feinfühlige Gitarre, Rückungen, Verschiebungen, die wesentlichen Akkorde werden vom Bass derart untermauert, dass alles zusammenpasst. D-Beat-orientiertes Schlagzeug verpasst den melancholisch wirkenden Songs die nötige Härte. Kompakter und kompetenter Punkrock. Als lägen hier viele Übungsstunden dahinter – oder die Musiker passen einfach zueinander. Nach jedem Song noch ein Brett, immer härter und schneller. Eine unglaubliche Dynamik und man glaubt wirklich, sie kämen, wie bei Bandcamp steht, aus Bradford, aber das war einfach nur ein Verschreiber, wie Pia und Hannes erklären.
Im schnaubend-wütenden Track „James Holmes“ verweist Sängerin und Texterin Pia auf den US-amerikanischen Massenmörder. Der Amoklauf von Aurora war ein Gewaltverbrechen, bei dem am 20. Juli 2012 in einem Kino während der mitternächtlichen Premiere des Films „The Dark Knight Rises“ zwölf Menschen erschossen und 58 weitere zum Teil schwer verletzt wurden. In dem dramatischen Song „Cult“ kritisiert Pia, wie sie sagt, „das Nicht-Hinterfragen verschiedener Normen“: „Bloodline-research, racial fanatism, ritual mass murder / You give up your responsibility to someone who knows best / Trying to find a home you found a cult – so congratulation! / Let’s kill the gimp babies, go back to hit the gym / Content at all ages, calm modest clean and thin“.
Im allerletzten Moment lassen sich KRIME noch ein paar Infos entlocken. Drummer Tante Jo schreibt: „Wir haben uns im September 2015 im Juz Warmbronn selbst aufgenommen beziehungsweise unser Basser Uwe hat uns aufgenommen. Dann haben wir das Markus gegeben, mit dem war ich bei der Band NIHIL BAXTER. Thomas Haug von Erste Theke Tonträger wollte das Ganze erst rausbringen, hat auch dafür gesorgt, dass Daniel von North London Bomb Factory das noch mal mastert, dann aber doch keine Lust und Zeit für unser Demo gehabt. Deswegen immer noch kein Tape.“
KRIME machen lässig das, was tobenden Punk ausmacht, sie ziehen einen mit und die Stücke bleiben in Bauch und Birne hängen. Mit Aggression und Finesse! Wünschenswert wäre auch mal ein Stück, das die üblichen Genreregeln aufbricht, ein anarchisches Stück KRIME-Improvisation, ein Ausbruch, auch um die Ketten der Kriminalisierung zu zerbrechen. Eine höhere Kassetten-Auflage wollen KRIME rausbringen, eine Platte könnte in Aussicht sein, mehr Gigs auch, mal sehen. Und Hannes spricht auch von neuen Kompositionen. Wir sind gespannt, was da noch kommt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #131 April/Mai 2017 und Simon Steiner