2006 wurde der New Yorker Untergrund seines Herzstückes beraubt. Nach langwierigem Streit mit dem Vermieter musste Hilly Kristal das CBGB’s schließen und beendete damit eines der bedeutendsten Kapitel der Punkgeschichte. Besucht man heute die ehemalige Keimzelle der New Yorker Punkszene in Manhattan, wird man sich vor den grellen Scheufensterscheiben einer Nobel-Boutique wiederfinden. Zwar ist das CBGB’s nun Vergangenheit, der Geist der Punkrock-Pionierzentrale spukt dennoch durch die Garagen und Proberäume des heutigen New Yorks. THE KRAYS, Zeitzeugen dieser glorreichen Ära, veröffentlichten dieses Jahr mit „Sangre“ ihr viertes Album. Ich nutzte den Anlass und erkundigte mich nach dem Stand der Dinge. Seit knapp 15 Jahren mischt die Truppe aus Brooklyn, NY ganz vorne in der Streetpunk-Liga mit. Nach „Inside Warfare“ (1998), „A Battle For Truth“ (2002) und „A Time For Action“ (2002) ist es keine Überraschung, dass auch ihre neue Platte mit einem aggressiven Sound, einigen spanischen Gesangsparts und einer gehörigen Portion Sozialkritik aufwartet. Dass Johnny Rosado (Gesang & Gitarre) bereits Mitglied bei THE DEVOTCHKAS war und auch einige Jahre bei THE CASUALTIES den Bass bediente, soll hier nur kurz erwähnt werden, um ein ungefähres Bild davon zu zeichnen, was einen bei THE KRAYS erwartet.
Johnny, gib uns doch bitte mal zur Einführung einen kurzen Überblick über die derzeitigen Bandmitglieder sowie die Band im Allgemeinen.
Wir sind eine „Reality Punk“-Band“ aus Brooklyn/NY. Außer mir, Johnny Kray, gibt es noch Spencer am Bass, Chris Ara am Schlagzeug und Kenny an der Leadgitarre. Zusätzlich gibt es noch einige ältere ehemalige Bandmitglieder, die immer mal wieder eine Jam-Session mit uns veranstalten, uns auf Live-Konzerten unterstützen und aushelfen oder auch im Studio nach wie vor ihren Beitrag leisten.
Was habt ihr seit der Veröffentlichung eures letzen Albums 2002 gemacht?
In den letzten Jahren haben wir die Band-Aktivitäten ein wenig heruntergefahren. Einige der Bandmitglieder legten sich Familien zu, ich selbst habe auch geheiratet. Zwischendurch spielten wir aber 2006 zum Beispiel in Polen auf einem großen Festival, 2007 gab es dann eine kleine US-Tour, auf der wir für die DROPKICK MURPHYS eröffnet haben, und immer wieder mal eine Show in und um New York. Neue Songs wurden auch geschrieben und aufgenommen. Zusätzlich saß ich an den Drums bei POLYABUSE, bestehend aus KRAYS- und TRUENTS-Mitgliedern.
Warum habt ihr das Label gewechselt und seid nicht mehr bei TKO?
TKO sind nach Kalifornien umgezogen und eröffneten ihren Record-Store, zu der Zeit hatten sie keine weiteren Ressourcen, um überhaupt irgendetwas zu veröffentlichen. John von Dead City Records, unserem jetzigen Label, fragte uns einfach nach einer LP-Veröffentlichung und im Laufe der Jahre entwickelte sich eine Freundschaft. Dadurch dass wir und auch das Label aus New York sind, passt jetzt einfach alles zusammen und deshalb fiel die Wahl auf ihn!
Das neue Album „Sangre“ erschien zeitgleich auch in Europa. War dies die Idee von John von Dead City oder eine Bedingung eurerseits?
Nun, das verdeutlicht einmal mehr die professionelle Arbeitsweise von Dead City Records. Von uns war es immer ein Traum, ein Album zeitgleich in den USA und Europa zu veröffentlichen, und nun hat es in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten, auch dem Label Street Justice Records, geklappt. Für die Leute fallen die Importkosten weg und wir finden es einfach cool.
Insgesamt sind ganze 16 Songs auf dem neuen Album zu finden, eine Menge Stoff für ein Punk-Album. War dies geplant, bevor ihr das Studio betreten habt, oder entwickelte sich das während des Aufnahmeprozesses?
Der Prozess des Songschreibens dauerte wirklich lang. Ich habe nie aufgehört zu schreiben und nehme immer irgendwelche Demoversionen auf oder verbessere alte Stücke, die nach wie vor live gespielt werden. Letztendlich konnten wir auf eine Menge an Songs zurückgreifen und haben hoffentlich die Besten für dieses Album ausgesucht.
Wer ist bei euch für die Texte verantwortlich? Ihr behandelt ja neben sozialkritischen und tagespolitischen Themen auch die eine oder andere persönliche Begebenheit und demnach halte ich diese für erfrischend abwechslungsreich und intelligent.
Bis auf „A simple man“ und „Sangre taina“ stammen alle Texte alleine von mir. Ich versuche, so viel wie möglich in die Texte reinzupacken, so dass diese aber doch auf den Punkt kommen. Meine experimentierfreudige Lebensweise erweitert wahrscheinlich meinen Horizont und meine Sichtweise auf die verschiedensten Dinge. Auch lese ich alles Mögliche, was sicher auch – bewusst oder unbewusst – mit einfloss. Ich vermeide es zudem, über meine eigenen, kleinen, unwichtigen Probleme zu schreiben und vielmehr über das, was um uns herum geschieht, oft auch aus der Sicht der Leute, die ich kenne. Ich versuche, mit der Wahl meiner Worte den einen oder anderen Menschen auf die Dinge, die um uns geschehen, aufmerksam zu machen. Das ist es, was Punk für mich ausmacht! Leute, die nur über eben die üblichen Klischees singen und dabei weinerliche, stumpfe Phrasen loslassen, ohne eine Spur von etwas Neuem zu vermitteln, sind für mich uninteressant und langweilig – und das ist hoffentlich nicht das, was THE KRAYS ausmacht ...
Einige eurer Lieder sind ja auf Spanisch, könntest du bitte eine kurze Erklärung zu den Inhalten dieser Songs geben?
In „Vida profunda“ geht es um die Frustration, die aufkommt, wenn man immer still und brav sein soll, und über den Ausbruch aus eben dieser Stagnation im Dasein, um schließlich ein selbstbestimmtes, wertvolles Leben zu führen. „Albizu Campos“ handelt von dem Leben und Wirken des Advokaten Dr. Pedro Albizu Campos, der einer der bekanntesten puertoricanischen Verfechter für Freiheit, Unabhängigkeit und gegen die US-amerikanischen Machtbestrebungen war. „Sangre Taina“ wurde von meinem Freund Joel Candelaria geschrieben. Es dreht sich hierbei um die so genannten Taino-Indianer, welche ursprünglich auf den Karibikinseln lebten, und eben auch auf Puerto Rico, um dann schließlich mit als Erste die würdelose Behandlung durch die europäischen Eroberer wie Kolumbus erfahren zu müssen. „Mundo perdido“ ist ein wenig melancholisch und spiegelt eine Erfahrung wider, die jeder von uns in seinem Leben macht – nämlich verloren zu sein auf dieser Welt. „Quién sabe más“ war das erste Lied, welches ich in spanischer Sprache verfasst habe. Ein einfaches, aber kräftiges: „Fuck you to the crap of the world!“
Du hast puertoricanische Wurzeln. Warst du jemals dort, hast du Kontakt zu den Leuten dort?
Ich wuchs dort im Haus meines Großvaters auf, fast wie sein eigener Sohn. Er selbst wurde in Puerto Rico geboren, wir wanderten dann nach Amerika aus, und so oft es ging, besuchten wir unsere Verwandten dort. Kurz vor seinem Tod ging er nach Puerto Rico zurück und ist nun in Arecibo, einer sehr schönen Stadt nahe der Nordwestküste, neben meiner Großmutter beerdigt worden. Ich habe dort viele Verwandte und Freunde dort. Mit POLYABUSE spielte ich sogar dreimal dort, es war großartig.
Eines der vielen hervorstechenden Lieder ist die leicht melancholische Ballade „Mundo perdido“. Ist dies ein traditionelles Stück? Spielt ihr es auch live, neben den anderen spanischen Stücken?
Das genannte Lied ist im Stil der Guajiro-Musik, einer traditionellen Musik, die ihre Herkunft in Kuba hat. Bei diesem Lied wurde ich durch Guillermo Portabales inspiriert, der wirklich viele bekannte Guajiro-Stücke geschrieben hat. Einfluss darauf hatte auch der Musiker Manu Chao, nach dem ich diesen 2006 live in Brooklyn gesehen habe. Es ist wunderbare Musik, gefühlvoll, in der man auch die entsprechenden Texte einbauen kann. Einige der spanischen Songs werden auch live umgesetzt, dieses bisher noch nicht.
Auf dem Album befinden sich ja ein paar wirkliche Kracher, allen voran der Opener „Drone“, „A race towards the morning“ und „Out of the darkness“. Welche sind deine Favoriten auf dem Album?
Mein persönlicher Favorit ist „A race towards the morning“, da ich die Lyrics sehr kraftvoll finde und ich den Fluss der Riffs und der Chöre mag. Zudem finde ich „Sour ground“ und „Dying cold“ auch sehr gelungen, da beide Songs gleichzeitig traurig und aggressiv rüberkommen und zudem durch das Buch „Bury My Heart at Wounded Knee“ von Dee Brown inspiriert wurden. Aber alle Lieder des neuen Albums werden auch live gespielt!
Wer ist für das Artwork verantwortlich? Das Cover, das wirklich schön gestaltete Booklet und auch die beiden erhältlichen Poster sind optisch ein Augenschmaus.
Die Idee zu dem Covermotiv hatte ich selber. Für die Umsetzung des Covers, Booklets und Posterdesigns war Tiffany von Red Card Hooligan, die außerdem mit John von Dead City Records verheiratet ist, verantwortlich und wir sind ausgesprochen zufrieden damit.
THE KRAYS gibt es ja nun schon seit annähernd 15 Jahren. Was wollt ihr mit der Band noch erreichen? Habt ihr irgendwelche unerfüllten Träume?
Nun, dieses Album so zu machen, wie es jetzt ist, war für mich die bisher größte Herausforderung. Dieses nun veröffentlicht zu wissen, dann noch mit der reibungslosen Zusammenarbeit mit dem Label, das war im wahrsten Sinne des Wortes traumhaft. Da wir innerhalb der Band noch einiges an positiver Energie verspüren, wird es in Zukunft definitiv ein weiteres Album geben, da es noch einige Songs gibt, die schon geschrieben wurden. Momentan arbeiten wir auch an der einen oder anderen EP-Veröffentlichung und hoffen, diese im Laufe des Jahres ebenfalls rausbringen zu können. Ein Highlight wäre eine Tour durch Südamerika, da wir dort mit THE KRAYS noch nie gespielt haben.
In Brooklyn hattet ihr ja vor kurzem eure Album-Release-Party und auch sonst tourt ihr live kreuz und quer in den Staaten. Wie sieht es mal mit Europa aus?
In naher Zukunft werden wir eine Tour durch Kalifornien spielen, nachdem wir eine Mini-Tour in Texas absolviert hatten. Europa steht fest auf unserem Plan und wir hoffen, dass es klappt, um mit unseren explosiven Shows den Fans einen unvergesslichen Abend zu bereiten.
Gibt es eure alten Veröffentlichungen noch beziehungsweise Pläne diese noch mal rauszubringen?
Dead City Records hat alle alten Aufnahmen digital auf iTunes veröffentlicht. Für die anstehenden Touren werden wir limitierte Nachpressungen der drei ersten Alben dabei haben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #97 August/September 2011 und Ox
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #97 August/September 2011 und Sebastian Walkenhorst