Wer dachte, die Typen aus „Trainspotting“ wären schon am Ende der Fahnenstange angelangt, der sollte sich die Gestalten aus „Ex-Drummer“ geben: Drei Freaks tun sich zusammen und gründen eine Band. Jeder von ihnen hat ein körperliches Handicap. Der Skinhead-Sänger lispelt und hat ein extremes Frauenproblem, der Bassist hat durch ein traumatisches Wichserlebnis einen steifen rechten Arm, und der Gitarrist ist taub, drogenabhängig und lebt mit Frau und Kind im totalen Dreck. Fehlt noch der Drummer. Für diesen Job heuern die drei einen erfolgreichen, intelligenten Schriftsteller an, der in kurzer Zeit die Führung der Band an sich reißt, alles manipuliert und intrigiert, bis die Situation vollends eskaliert. Dem belgischen Regisseur Koen Mortier ist mit „Ex-Drummer“ einer der interessantesten Filme der letzten Jahre gelungen, vorausgesetzt man steht auf Filme, die sich tief in den Scheißhausgruben von Sex, Drugs und Rock’n’Roll wälzen. Bei der belgischen Filmkommission war man eher schockiert über dieses düstere und ziemlich trostlose Werk, und Mortier wurde jegliche Filmförderung in Belgien versagt und der Film mit dem Kommentar abgetan, er sei „das Zelluloid nicht wert, auf das er kopiert wird“. Aber was für die einen totaler Mist ist, bleibt für andere ein großartiger Film, der das Zeug hat, in ein paar Jahren mit dem schrecklichen Wort „Kultfilm“ geehrt zu werden.
Koen, der Film spielt in Oostende, einer belgischen Hafenstadt, und die Eindrücke, die vermittelt werden, sind schon sehr dunkel und depressiv. Ist Oostende wirklich so eine heruntergekommene Stadt?
Eigentlich nicht mehr. Als ich um die 16 Jahre alt war, gab es eine Fähre zwischen England und Oostende und jedes Wochenende war die Stadt voll mit betrunkenen Hooligans. Es gab überall Prügeleien, aber gleichzeitig brachte das auch ein gewisses englisches Feeling nach Oostende. Heutzutage kommen viele obdachlose Menschen aus Osteuropa und wollen von Oostende aus ihren Weg nach England machen. Zudem stirbt die Industrie, was dazu führt, dass viele Gebäude leer stehen. Diese Locations machen den Film dunkel und traurig, er atmet eine Atmosphäre der Arbeitslosigkeit. In den letzten Jahren wurde versucht, die Stadt aufzuwerten, die einst mal die „Königin der Küstenstädte“ genannt wurde, heute aber eher aussieht wie ein Krüppel am Meer.
Es gibt im Film einige seltsam surreale Szenen, zum Beispiel die Statements aller verstorbenen Charaktere am Ende. Waren die schon in der Buchvorlage vorhanden oder habt ihr sie während des Drehs entwickelt?
Diese Szenen waren überhaupt nicht im Buch. Nach dem Konzert ging es im Buch weiter und weiter ohne ein klares Ziel. In dem Buch geht es mehr um den Ge- und Missbrauch von Drogen, aber ich wollte dieses Feeling vermeiden, denn „Trainspotting“ gab es ja schon und ich wollte keine Kopie davon machen. Am Ende des Films fühlte ich, dass das einfache Umbringen dieser Typen ihnen nicht viel Tiefe geben würde, sie wären nur Objekte oder Freaks gewesen. Deshalb habe ich ihnen Raum für ein letztes Statement gegeben, auch wenn sie schon tot sind. Sie waren schwache menschliche Wesen, traurige manipulierte Leute. Eine Herde von Schafen, die vom Schafhirten in ein Tal des Unglücks gestoßen wurde. Wie die Bibel sagt: „Der Herr ist unser Hirte“ ...
„Ex-Drummer“ erinnert mich allerdings tatsächlich stark an „Trainspotting“. War das englische Kino ein großer Einfluss für deine Art zu drehen?
Nicht wirklich. Ich mag nur die Art, wie es ihnen gelingt, den Charakteren ein echtes Gefühl zu geben: Fange mit einem realistischem Stil an und füge ein paar surrealistische Elemente hinzu. Natürlich liegt die ganze Ausgangssituation mit den Losern, die versuchen, es mit ihrer Rockband zu schaffen, und den lokalen Bandwettbewerb gewinnen wollen, nah an den Themen, die das britische Kino mit sich bringt.
Am Anfang will Dries gar nicht in der Band trommeln, macht es aber dann doch und wird ziemlich schnell so etwas wie der Anführer der Band und das nur mit dem Ziel, Stoff für ein neues Buch zu finden. Das ist ja eine ziemlich egoistische Einstellung, zumal er der Einzige in dem Haufen ist, der kein Außenseiter ist oder aus einem zerrütteten Umfeld kommt. Und obwohl er der Hauptcharakter ist, bleibt er eine ziemlich unsympathische Figur. Wie würdest du ihn beschreiben?
Ich wollte eine Figur schaffen, die jeder gerne sein würde. Er ist intelligent, hat eine hübsche Freundin, hat wirklich Karriere gemacht und lebt ein cooles Künstlerleben. Aber er stellt sich als schlimmer heraus als all die anderen armen Charaktere. Wo die anfangs noch drogenabhängig, gemein, gewalttätig sind, fangen sie an, schwach zu werden und sind nur Marionetten an den Fäden der wirklich bösen Person. In einer gewissen Art spielt Dries Gott, wie es wohl nur der Teufel tun würde. Ich wollte auch eine Referenz an die Welt schaffen, in der wir leben. In der Politiker, Künstler und reiche Leute idolisiert werden, aber andererseits jeden missbrauchen, der ihnen über den Weg läuft. Präsidenten lügen ihr Land an, um einen Krieg anzuzetteln, während ihre einzigen Ziele nur Öl und Geld sind. Wir leben nun mal in einer zynischen Welt ...
Würdest du sagen, dass der Film trotzdem eine optimistische Komponente hat? Immerhin schafft es die Band ja, trotz der ganzen Scheiße, die passiert, den Gig zu spielen und den Wettbewerb zu gewinnen?
Es gibt überhaupt keine optimistischen Züge im Film. Das ganze Konzert und der Gewinn des „war of the bands“ werden durch die Teilnehmer manipuliert. Dries entschließt sich, ein Teil des Ganzen zu sein, um einen Höhepunkt für sein Buch zu finden. Er kreiert einen Höhepunkt und erzeugt sogar Spannungen, indem er der Band von Big Dick einen großartigen Song schreibt. Es streichelt sein Ego, dass er die Musik für die beiden besten Songs gleichzeitig schreibt. Er schreibt an einem gewissen Punkt sogar die Geschichte vor. Er schreibt Szenen, die passieren, nachdem er sie geschrieben hat.
Wie wichtig ist die Musik bei deinen Filmen?
Musik ist die Seele meiner Filme, sie gibt einem Film eine gewisse Richtung. Sie kann Gewalt abschwächen, Langsamkeit beschleunigen, sie kann dem Zuschauer helfen, gewisse Szenen zu schlucken, aber auch das Gegenteil, sie kann es dem Beobachter sehr schwer machen. Ich versuche, die Musik so zu wählen, dass sie erzählt, was passiert oder was ich mit der Szene meine. Ich hasse es, wenn Leute bekannte Musik einsetzen, weil sie meinen, das würde ihren Film besser verkaufen. Ich suche nach der richtigen Musik und es macht mich froh, wenn die Leute eine Band durch den Soundtrack entdecken. Außerdem höre ich Musik, wenn ich anfange ein Skript zu schreiben und suche nach der richtigen Klangfarbe. Als ich an meinem neuen Projekt „22nd Of May“ geschrieben habe, hörte ich immer die CD „Wavering On The Cresting Heft“ von MUSTARD GAS AND ROSES. Sie übersetzt die Atmosphäre des Films, die ich darin erzeugen wollte.
Die Songs von den FEMINISTS, die im Film vorkommen, sind von der belgischen Band MILLIONAIRE. Warum hast du gerade sie ausgesucht? Gab es noch andere mögliche Kandidaten für den Soundtrack?
MILLIONAIRE ist eine großartige Band, die auf manchen Gigs sehr psychopathisch klingt und deshalb gut zu den FEMINISTS passt. Der Sänger Tim Vanhamel kann sehr gut seltsame Charaktere interpretieren und das brauchte ich, um die Stimme von Koen De Geyter, dem Sänger der Band im Film, zu kreieren. Eine andere Band, die den Job hätte machen können, wenn sie denn noch existieren würde, wären THE EVIL SUPERSTARS gewesen. Sie haben sich 1998 aufgelöst und ihr Bandleader Mauro wurde später Gitarrist bei dEUS: Tim Vanhamel ist bei dieser Band mit 15 eingestiegen.
Warst du eigentlich in der Punk-Szene deiner Heimatstadt unterwegs, als du jünger warst?
Nicht wirklich, da war Punk schon lange tot und die, die zu jener späteren Phase noch Punks waren, waren Spinner. Ich bin mit Bands wie DAF, THE JAM, THE SMITHS, KILLING JOKE, THE STRANGLERS oder Iggy Pop groß geworden Aber mein all-time-favourite ist Lou Reed und zwar zu der Zeit, als er blond war. Ich wollte sogar aussehen wie er. Er war die Inkarnation von „cool“. Meine Freunde hatten damals eine Coverband und ich war der Roadie für die P.A. und zum Fotografieren. An einem gewissen Punkt lebten wir den Höhepunkt des Rock’n’Roll mit viel Alkohol, Drogen und Frauen. In ihrer kleinen Stadt waren sie weltberühmt und das war’s. Wir hatten Spaß, bis die Dinge aus dem Ruder liefen. Ihr Name war AKKER G. AND THE ASSHOLES. Der Sänger war damals mein bester Freund und ich erinnere mich, wie er Janis Joplin kopierte und eine Flasche Whisky während eines Gigs getrunken hat. Am Ende war er immer so besoffen, dass er das Konzert auf dem Rücken liegend beendete. Es geht ihm heute sehr gut und als er „Ex-Drummer“ gesehen hat, erkannte er schon gewisse Elemente aus unserer Jugend.
Woher hattest du die Idee, einen Film auf der Grundlage von Herman Brusselmans’ Roman zu machen? War es schwierig, den Inhalt umzusetzen? Es wird oft behauptet, dass seine Bücher als filmisch kaum umsetzbar gelten, würdest du das auch so sehen?
Ich habe Hermans Werk vom ersten Buch an geliebt und als er meinen Kurzfilm „A Hard Days Work“ als besten Film des Jahres bezeichnete, habe ich Kontakt zu ihm aufgenommen. Es war sehr einfach, das Buch umzusetzen, weil ich diese Welt von Typen die in einer Band, in kleinen Kneipen für Freigetränke als Gage spielen, kannte. Ich wusste auch, dass sie alles tun würden, um berühmt zu werden. Leute, die behaupten, dass ein bestimmtes Buch nicht für das Kino umsetzbar ist, wissen nicht, was sie sagen, denn jedes Buch kann auf die Leinwand gebracht werden. Meistens ist es ein Mythos, der von Journalisten, Lesern oder den Fans eines bestimmten Autors in die Runde geworfen wird. Das sind aber die Worte von Amateuren, die noch nie irgendwas in ein Skript adaptiert haben. Es gibt mehr als tausend Bücher, die nicht ins Kino passen, und trotzdem wurden daraus Filme gemacht. Es gibt gute und schlechte Adaptionen, genau wie es gute und schlechte Filme gibt.
Würdest du sagen, dass der Film einige typische Aspekte der belgischen Gesellschaft widerspiegelt und auch kritisiert?
Davon abgesehen, dass der Film als schwarze Komödie gemeint ist, habe ich versucht, der Gesellschaft, in der ich lebe, einen Spiegel vorzuhalten. Der schlummernde Rassismus ist Teil von Flandern, wie auch des Bewusstseins meiner Charaktere. Die soziale Armut drückt dem Film den Stempel auf. Die Tatsache, dass das intellektuelle und politische Establishment zusammen mit der medialen Manipulation „das Volk“ in der Hand hält, als wären es Schafe, ist auch eine meiner Prämissen.
In „Ex-Drummer“ gibt es viele sehr brutale und gewalttätige Szenen, gab es deshalb eventuell auch Probleme mit dem Publikum, wenn der Film auf Festivals oder im Kino gezeigt wurde? Wie würdest du generell die Reaktionen und Kritiken beschreiben?
Es war eine sehr seltsame Sache für mich, abwechselnd mit Liebe und Hass überschüttet zu werden. Das hat mir aber auch verdeutlicht, dass ich eine bestimmte Art von Kino mache, die es nicht jedem erlaubt, es zu verstehen oder zu akzeptieren. Es waren speziell die flämischen Zuschauer und die Presse, die geschockt waren. Ich denke, sie konnten diesen Spiegel ihres „perfekten“ Way of Life ohne Moral oder Deus-ex-machina nicht ertragen. Natürlich hat der Film einen hohen „Love it or hate it“-Faktor, aber außerhalb der flämischen Grenzen waren die Reaktionen nicht so emotional. Auf Festivals gab es Stimmen, die den Film zensieren wollten, aber das waren nur ein paar einzelne. Die meisten haben den Humor und die Message schon verstanden, was meiner Meinung nach schon eine große Sache ist. Besonders, wenn man weiß, dass der Film in einem lokalen Dialekt gedreht wurde und die Geschichte einer sehr bestimmten sozialen Gruppe erzählt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #82 Februar/März 2009 und Gary Flanell