Kim Salmon & THE SCIENTISTS

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Never say never ?

Kim Salmons Ziel mit THE SCIENTISTS war es, den Punk auf die nächste Stufe zu heben. Das war 1976: Post-Punk bevor der Punk überhaupt erst richtig losgelegt hatte! Ein Mann mit Vision also. Und die Vision hinterließ ihre Spuren: NIRVANA, MUDHONEY, DEVASTATIONS, THE DRONES, BIRTHDAY PARTY berufen sich auf seinen Einfluss. Auf Bitten von MUDHONEY reformierten sich die SCIENTISTS 2006 in der Besetzung Kim Salmon (g/v), Boris Sujdovic (b), Tony Thewlis (g), Leanne Cowie (dr) und nahmen im Laufe der Tour das Live-Album "Sedition" auf. Kurz vor dem Swamp-Konzert im Freiburger Walfisch ergab sich die Gelegenheit, mit einem relaxten Kim Salmon ein Gespräch zu führen, das sich ausnahmsweise nicht um die Geschichte der SCIENTISTS dreht, sondern um sein musikalisches Gesamtwerk, seine Projekte und Pläne und Geheimtips aus Australien.

Kim, wie geht es dir und wie läuft die Tour in Europa bisher?


Fantastisch. Wir sind jetzt seit sechs Tagen unterwegs, drei Tage Spanien, drei Tage Frankreich, jetzt Deutschland und Holland und dann zwei Festivals in England. Das Spitz-Festival of Blues in London und als Höhepunkt das All Tomorrow's Party-Festival, bei dem auch Nick Cave mit seinem neuen Projekt GRINDERMAN auftreten wird und auch THE DRONES und DEVASTATIONS. Bisher waren die Venues eher klein; das liegt daran, dass wir die Tour erst im letzten Moment gebucht haben. Ich habe erst vor zwei Wochen mit Noise on Tour eine Booking-Agentur gefunden, die die Tour so kurzfristig organisieren konnte. Es macht Spaß, in den kleinen Venues zu spielen, eine richtige Grassroots-Tour, die uns zurückbringt zu unseren Anfängen.


Du hast 1976 mit dem Musikmachen angefangen und Unmengen toller Platten veröffentlicht. Woher kommt all die Kreativität und Energie?

Ich habe all diese Ideen und es fällt mir schwer, die nicht umzusetzen. Es ist manchmal frustrierend, denn die Möglichkeiten. diese Ideen zu verwirklichen, sind nicht immer gegeben. Aber ich habe diese Ideen immer. Ich denke, das haben andere auch. Obwohl: ich habe alle Ideen! Hahaha.


Stellen diese Bands immer eine andere Verwirklichung von Kim Salmon dar, oder sind sie alle ein Teil von dir?

Das ist eine interessante Frage. Es sind definitiv verschiedene Ideen. Manche Leute würden sagen, dass sie einen roten Faden in allen Bands und Veröffentlichungen hören können. Es fällt mir wirklich schwer, das objektiv zu beurteilen. Nimm zum Beispiel die DARLING DOWNS, dieses Akustik-Country-Folk-Projekt, das ich mit Ron Peno, ex-DIED PRETTY, habe. Das Album "How Can I Forget This Heart Of Mine?" kam 2005 heraus. Manche Leute behaupten, dass sie verschiedene Ideen der SCIENTISTS darin wieder erkennen. Ich denke, das ist kompletter ... Es hat dieselbe Einfachheit der SCIENTISTS, nur ohne Bandbegleitung, und dazu die Stimme von DIED PRETTY. Gitarre und Stimme, mehr nicht. Und deshalb denken einige Leute, dass es deswegen am anderen Ende meines musikalischen Spektrums ist.


SALMON hat diese Einfachheit nicht.

Ja, das ist wirklich etwas ganz anderes. Zum einen sind die Leute in SALMON um einiges jünger als ich. Die haben das Projekt als Prog-Punk klassifiziert, haha. Aber das macht tatsächlich Sinn. Das ist das Schöne an SALMON: jeder, den du fragst, definiert es anders. Der eine sagt, es hat eine dunkle und monolithische Einfachheit, andere sehen etwas Orchestrales darin, wieder andere nennen es Art-Rock und für manche ist es schnörkelloser Rock'n'Roll. Ich denke, es ist alles das, denn es vereint alle Elemente, die ich gerade aufgezählt habe. Alle diese Projekte haben ihre verschiedenen Plätze und der Faden, der die sie verbindet, bin ich.


SALMON ist eine Supergroup bestehend aus fünf Gitarristen und zwei Drummern. Ash Naylor von EVEN, Penny Ikinger von WET TAXI, Louis Tillet und RED DRESS, Clare Moore von MOODISTS und LURID YELLOW MIST, Mike Stranges von MORNING AFTER GIRLS, Anton Ruddick von SWEDISH MAGAZINES und Dave Graney, unter anderem LURID YELLOW MIST und MOODISTS. Das hört sich extrem spannend an. Erzähl mal bitte davon.

Es macht richtig Spaß, mit diesen Leuten in einer Band zu spielen, besonders weil sie alle machen, was ich sage, hahahahaha. Nein, im Ernst. Das sind alles prima Musiker und haben eine Menge Spaß mit dem Projekt. Für die Platte haben wir alles im Studio live eingespielt. Die Aufnahmen waren anstrengend, da wir wie ein Orchester funktionieren. Es ist schwer, live zu spielen, weil wir alle eigene Bands haben. Aber wir sind jetzt schon zweimal in der Nähe von Melbourne aufgetreten. Einmal waren es nur hundert Kilometer, das war einfach. Das andere Mal war in Sydney, das war sehr schwierig. Jemand hat uns eine Menge Geld gegeben, um diese Tortur auf uns zu nehmen, hahahahaha. Es war Jon Spencer. Er wusste nicht, was ihn erwartete, aber er mochte SALMON. Er hat das Konzept verstanden. MUDHONEY dagegen konnten gar nichts damit anfangen, hahahahahahaha.


Zurück zu den SCIENTISTS. Welchen Anlass gab es, die SCIENTISTS zu reformieren? Oder war die Band immer da und hat nur keine neuen Songs aufgenommen?

Nein, nein, das ist definitiv eine Reunion. Boris und Leanne leben in Sydney, ich lebe in Melbourne und Tony lebt in London. Das ist schon mal ein logistisches Problem. Die Band ist Ende der 1980er tatsächlich auseinander gebrochen. Es waren MUDHONEY, die das Line-up für das letztjährige All Tomorrow's Parties-Festival zusammengestellt haben. Die wollten THE SCIENTISTS mit dabei haben und dadurch haben wir uns wieder getroffen. Dann haben wir zwei weitere Shows mit MUDHONEY gespielt und daraus ist das Live-Album "Sedition" entstanden. Und das ist jetzt die Tour zur Platte. Und dieses Jahr haben THE DIRTY THREE das Programm für das All Tomorrow's Party-Festival zusammengestellt und uns wieder gebeten aufzutreten, siehe: atpfestival.com.


Wir hatten ja eben schon mal kurz über die Menge an Kim Salmon-Veröffentlichungen gesprochen. Was mich immer interessiert: wie schreibst du deine Songs?

Das ist sehr unterschiedlich und kommt darauf an, was ich mache. Bei SALMON war es die Idee, eine Band mit vielen Gitarren zu haben. Die Idee ist älter als alles, was ich mit den SCIENTISTS gemacht habe! Die Idee hatte ich so mit 19 und sie bisher nie umgesetzt. In den letzten Jahren habe ich häufiger über das Konzept nachgedacht. Titel wie "Licence To Rock" - ein richtig tolles Klischee - und "Rock Formation" standen schon, bevor die Songs geschrieben waren. Selbst die Visualisierung war fertig, bevor ich mit dem Schreiben angefangen habe. Und dann habe ich mir überlegt, wie jeder Songtitel umgesetzt werden soll. Dieser Song soll wie BLACK SABBATH klingen. Okay, wie klingt BLACK SABBATH? Und dann habe ich erst den Song geschrieben. Das ist das Geheimnis hinter SALMON. Als Nächstes gibt es ein LYNYRD SKYNYRD-Teil. Es wird "Kentucky Fried Salmon" heißen. KFS anstatt KFC, hahahahaha. Das Lied schreibe ich jetzt demnächst; die Riffs müssen sich der Idee des Liedes anpassen. Bei den DARLING DOWNS schreibe ich eine Melodie auf der Akustikgitarre, spiele sie Ron vor und er versucht, eine Gesangslinie dazu zu finden. Oder umgekehrt: Er hat eine Gesangslinie und ich suche eine Melodie dazu. Im Gegensatz zu SALMON also ganz einfach und überhaupt nicht intellektuell. Bei SALMON denke ich über alles lange nach, bevor ich anfange zu schreiben. Bei den SCIENTISTS war es viel schwieriger. Auch wenn sich die Lieder primitiv und einfach anhören, sind sie zum Teil das Komplexeste, was ich je geschrieben habe. Es musste immer primitiv und minimalistisch sein und jeder Song musste einfacher strukturiert sein als der vorhergehende. Manche der Songs bestehen nur aus zwei Noten. Es wurde also auf der einen Seite immer einfacher, aber dadurch immer komplexer. Wir haben die Songs auf den Rhythmus aufgebaut. Du siehst, es gibt mehr als einen Weg, wie ich Songs schreibe.


Du hast jetzt mehrmals die Worte "basic", "primitive", "simple" benutzt. Ist das der Kern der SCIENTISTS?

Ich denke schon. Allerdings nicht für SALMON. Generell denke ich, dass alles einfach ist. Je mehr du an den Kern einer Sache kommst, desto komplexer wird es.


Wie ist es um die Stromgitarrenmusik-Szene in Australien bestellt? In Europa touren gerade einige richtig tolle Bands.

In Melbourne sieht es gerade sehr gut aus, aber man liest immer nur über Sydney, wo nichts los ist. Mir gefallen gerade drei Bands richtig gut: WITCH HATS, THE STABS und besonders EDDIE CURRENT SUPPRESSION RING.


Dank des Teufelswerkzeugs MySpace kann ich mittlerweile die Klasse der drei Bands bestätigen. Schön noisig und zumindest bei THE STABS steht eine Platte der SCIENTISTS zu Hause im Regal. Glaubst du, es ist heute einfacher für Bands?

Es ist viel schwerer, weil Musikmachen durch Kommerzialisierung an Wert verloren. Durch das Internet scheinen Leute die Idee zu haben, dass Musik kein Geld kosten darf. Dann darf alles andere aber auch nichts kosten. Wenn man in einer Band ist und Musik macht, sollte man auch davon leben können. Wenn man das als Ziel nicht will, soll man es zum Hobby machen. Als ich noch jung war, habe ich darüber auch anders gedacht, aber jetzt, mit Familie ...


Macht es nach fast 30 Jahren noch Spaß aufzutreten?

Absolut. Diese Tour ist klasse und macht richtig Spaß. Wenn es mir keinen Spaß mehr machen würde, hätte ich schon aufgehört und mir einen Job gesucht.


Gibt es Pläne, neues SCIENTISTS-Material aufzunehmen?

Die Band ist auseinander gebrochen aus all den Gründen, warum Bands auseinander brechen. Wenn wir jetzt neue Songs schreiben, würden dieselben Sachen, die damals zum Split führten, wieder aufbrechen. So was verliert sich ja nicht über die Jahre, man trägt es immer mit sich herum. Wir haben Spaß, miteinander zu spielen, aber je länger wir zusammen sind, umso größer ist die Gefahr, dass sich die Sachen wiederholen, die damals zum Split führten. But never say never ... Ich denke, die Band hat immer noch ihren Platz in der Musiklandschaft heute, und so lange das so ist, machen wir weiter. Ich habe einige Ideen im Hinterkopf, aber ob etwas daraus wird, muss sich zeigen.


Kim, vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Spaß auf der Tour.