KEELE

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Unfassbar viel Scheisse

Jede*r hat es manchmal schwer. Das ist kein Geheimnis, auch nicht für die Hamburger Band KEELE. Die gesammelten Erfahrungen dienen nun als Grundlage für ihr zweites Album „Kalte Wände“. Geprügelt und geschlagen vom Leben, gilt es sich der Herausforderung zu widmen, als Emo-Band nicht belanglos zu klingen. Ob KEELE diese ohne Zweifel schwierige Aufgabe bewältigt haben, möge jede*r für sich beurteilen. Wir sprachen mit Frontmann Fabi.

Mein Eindruck ist, dass euer neues Album eher zurückhaltend ist, als dass es Singalongs und Gelegenheit zum Ausrasten bietet.


Wir können uns kein Grundgerüst hinstellen und sagen: Hier sind drei Knaller und drei Midtempo-Songs. Das funktioniert bei uns nicht. Man kann das bei uns eher als Momentaufnahme sehen. Man findet es natürlich geil, wenn man im Nachhinein merkt, dass eine Leitidee dahintersteckt. Bei uns kommt es aber aus dem Bauch. Für den Hörer ist es dann das kopflastige, facettenreiche Album. Da hat es uns hingezogen. Wir hatten ein mordsturbulentes Jahr, in dem privat unfassbar viel Scheiße passiert ist. Wir nehmen die schlechten Dinge, um Songs draus zu machen. Die Platte hätte auch voll das Brett werden können, aber wir haben uns zu dieser vertrackten Version hinleiten lassen. Das ist der natürliche Output gewesen.

Du sagst, es spielen persönliche Erfahrungen in die Platte rein, was ja zunächst mal nichts Ungewöhnliches ist. Aber gewissermaßen ist es ja ein Konzept, wenn man diese Erfahrungen verarbeiten will, nachdem das Debüt raus ist und man überlegt, was man machen will. Aber Gespräche dieser Art hattet ihr nicht?

Doch schon, aber wir sind mehr Bauch- als Kopfmusiker. Wir sind alle schon sehr lange befreundet, daher ist es keine Arbeitsband. Wir sprechen viel über die Dinge, die uns bewegen. Wir haben vorher aber keinen konkreten Plan gemacht. Die Veröffentlichung der ersten Platte war ein krasses Ereignis für uns und das war sicherlich ein Motivationsschub für „Kalte Wände“.

Zurück zu eurem ereignisreichen Jahr. Im Presseinfo heißt es, „Kalte Wände“ sei ein Album über die Backpfeifen, die das Jahr 2018 verteilt hat. Was waren das für Backpfeifen?

Ich denke, das steht zwischen den Zeilen in den Texten. Eher verschlüsselt allerdings, weil es Dinge sind, die wir gar nicht so offen kommunizieren können und auch nicht wollen. Deswegen kann ich das jetzt auch nicht so ausführen. Es sind Sachen, die wahrscheinlich jedem irgendwann passieren. Es waren die Backpfeifen, die bei jedem irgendwann kommen. Im letzten Jahr kamen die komprimiert, gesammelt, mit Anlauf und überall. All das aber in Kombination mit dem eigentlich guten Jahr als Musiker. Denn in dem Bereich hat alles viel besser geklappt, als wir uns das vorgestellt haben. Da gab es auch keinen Masterplan. Wir hatten auf der einen Seite eine Menge Rückenwind durch unser Label und die guten Erfahrungen und Erinnerungen, die wir gesammelt haben. Es hätte also auch ein Album über diese Seite des letzten Jahres werden können. Dann würde sich das ganz anders anhören. Aber das entspricht uns irgendwie nicht.

Was ist für euch der größte Sprung von eurem Debüt „Gut und dir“ hin zu „Kalte Wände“?

Die Platte ist facettenreicher. Jemand hat uns aktuell die „Entdeckung der Langsamkeit“ bescheinigt. In gewisser Hinsicht ist das richtig. Aber natürlich sind auf „Kalte Wände“ auch noch schnellere Songs. Das Spektrum ist viel breiter. Wir haben uns dieses Mal mehr getraut. Das macht was aus. Ich bin zu sehr in den Schaffensprozess involviert und kann da nicht objektiv drauf gucken. Vielleicht sehe und höre ich darum Dinge, die andere nicht sehen. Ich finde es musikalisch und vom Sound her sehr viel facettenreicher. Auch beim Gesang. Die erste Platte hatte Momente mit Sprechgesang, das hat auf „Kalte Wände“ jetzt noch mehr Einzug gehalten. Ich denke, wir haben da ein Upgrade zu verzeichnen.

Du hast eben euren Rückenwind erwähnt, zum Beispiel durch euer Label Rookie Records.

Ja, die haben uns mega supportet. Vorher haben wir so was noch nie gehabt. Das läuft alles sehr persönlich und freundschaftlich. Wir stehen intensiv in Kontakt und haben alle Freiheiten, die wir wollen.

Ihr seid da ja auch mit BAMBIX, LOVE A, SPERMBIRDS und so weiter in sehr guter Gesellschaft. Wobei ihr da als Emo- oder Post-Punk-Band ja eigentlich aus dem Rahmen fallt.

Ja, das sehen wir und das Label ebenfalls so. Wir sind aber nicht so was wie Außenseiter. Wir waren ein paar Tage mit LOVE A auf Tour, die später dann auch unsere Release-Party besucht haben. Es ist eine kleine Familie. Niemand setzt sich hin, unterzieht die Band einem Test und fällt dann das Urteil: Das ist jetzt aber nicht 100% Punk. Gerade in der Szene, in der wir uns bewegen, sollte das ja auch machbar sein. Klar, das ist nicht das, was das Label jahrelang ausgemacht hat. LOVE A klingen ja auch nicht wie die SPERMBIRDS. Die Band LETO geht zum Beispiel tatsächlich eher in unsere Richtung. Vielleicht ist das eine neue Ader, die Rookie entdeckt hat.

Rookie schreibt, dass ihr die erste Band wart, die nicht über den Bekanntenkreis, sondern über den klassischen Weg einer Bewerbung zum Label gekommen ist. Wie ist generell eure Einbindung in die DIY-Szene?

Wir kennen das von unserer Jugend auf dem Dorf. Wir kommen aus dem Hamburger Umland und früher konnten wir nur kleine Underground-Konzerte in Jugendzentren besuchen, in denen sich selbstorganisierte Gruppen zusammengefunden haben, um was zu reißen. Ansonsten gab es für uns nur das Schützenfest. Wir spielen heute super gern in Läden wie dem Schokoladen in Berlin. Es ist unglaublich, wie aufopferungsvoll die Leute da sind. Es geht um eine Herzenssache und nicht um die Kohle. Neben dem Schokoladen spielen wir demnächst zum Beispiel im Kölner Limes. In solchen Läden sind die Leute, die richtig Bock haben. Sowohl auf Seiten des Publikums als auch auf der der Veranstalter. Da will man am nächsten Morgen gar nicht aufbrechen, sondern alle noch mal in den Arm nehmen.

Du willst nicht ins Detail gehen, was die Texte angeht. Was man auf jeden Fall raushören kann, ist zum Beispiel die Identitätssuche. Das wiegt natürlich für den Einzelnen schwer, grundsätzlich ist es aber nichts Außergewöhnliches. Wie schwierig ist es, dass so was dann nicht abgeschmackt, sondern persönlich klingt?

Dass es abgeschmackt klingt, ist natürlich eine Gefahr. Das Problem stellt sich beim Texten aber generell. Es soll nicht kitschig und peinlich werden, die Gefahr besteht aber trotzdem. Umso stärker, wenn man sich an Themen abarbeitet, die jeder kennt und die auch schon tausendmal besungen wurden. Die Challenge ist, etwas so zu besprechen, dass der Umstand, wie oft es schon zum Thema gemacht wurde, nicht auffällt. Gerade deswegen bleibt es an manchen Stellen eher kryptisch. Um Identitätskrisen geht es unter anderem, das war aber auch schon auf „Gut und dir“ präsent. Wir sind in der Zwischenzeit zwar älter geworden, aber irgendwie hat man immer noch die gleichen Probleme. Letztendlich hört dieser Prozess des Erwachsenwerdens nicht auf. Ich habe zwar inzwischen zwei Kinder, aber trotzdem noch Probleme mit so was. Mittlerweile glaube ich, ich könnte den Rest meines Lebens darüber schreiben.

In diesen in politischer Hinsicht doch prekären Zeiten, könnte man von Punkbands erwarten, dass sie inhaltlich Stellung beziehen und aktuelle Entwicklungen kommentieren. Das kann man von „Kalte Wände“ nur bedingt behaupten.

Da hast du recht. Es ist nichts drauf, was explizit politisch wäre. Manchmal ist die Grenze zwischen persönlichen und gesellschaftlichen Themen aber fließend. Politik, wie man das von Punk kennt, ist nicht vertreten. Auch das ist was, was wir uns nicht vorher vorgenommen haben. Es ist einfach kein Song entstanden, das war nicht auf der Agenda. Das heißt aber nicht, dass wir unpolitische Menschen wären und keine Position beziehen könnten. Es ist nur kein entsprechender Song auf dieser Platte.

Da wogen die Backpfeifen des Jahres 2018 schwerer?

Das sind zumindest die Dinge, die wir verarbeitet haben. Auch wenn meine persönlichen Probleme nicht schlimmer sind als die der Welt. Aber auch dabei stellt sich die Frage, wie man ein Thema bespricht, dass in aller Munde ist, ohne dass es am Ende abgeschmackt klingt.