Karl Backman, 1970 in Umeå geboren, ist seit den frühen Achtzigern Teil der schwedischen Punk- und Hardcore-Szene, 1982 waren die BOREDOM BROTHERS seine erste Band, 1990 gründete er die VECTORS, ist deren Sänger und Gitarrist, und wurde mit denen auch in Deutschland etwas bekannter. 2008 gründete er als Hauptsongwriter zusammen mit Dennis Lyxzén und David Sandström (beide ex-REFUSED) AC4. Im September 2013 kam das überraschende Ende von AC4, aber mit den T-55’S hatte Karl direkt eine neue Band am Start. Wie das alles so lief und was es mit seiner Karriere als Künstler und seiner Reise zum Katastrophenreaktor von Tschernobyl auf sich hat, das wollte ich von ihm wissen.
Zu allererst muss ich dir die offensichtliche Frage stellen: Was ist mit AC4 passiert, was ist der aktuelle Stand?
AC4 sind Geschichte. Wir werden noch einige Songs für eine Umeå-Hardcore-Compilation aufnehmen und eine Abschiedsshow um Weihnachten herum in Umeå spielen, aber das war’s dann. Wir hatten eine Menge Spaß in der Band, als wir noch auf Tour waren, aber alles hat einmal ein Ende.
Ich erwarte keine Klatschgeschichten, aber ich vermute, dass es Gründe für das plötzliche Ende von AC4 gab.
Eigentlich kam das gar nicht so plötzlich. Abgesehen von den sechs Wochen im April 2013, als die zweite Platte veröffentlicht wurde und wir zuletzt auf Tour waren, hatten wir seit Jahren nicht mehr alle vier in einem Raum zusammengespielt. Wir wollten keine weiteren Alben aufnehmen und nur noch für einige wenige Shows zusammenkommen, aber letztlich haben wir das auch gestrichen. Wir sind alle immer noch Freunde und alles ist gut. David und ich haben INVSN vor einigen Wochen gesehen und Jens und Dennis waren bei den THE T-55’s-Gigs. THE T-55’s und INVSN teilen sich einen auch Proberaum und wir arbeiten zusammen mit Fredrik im Studio.
Du hast bereits eine neue Band, THE T-55’s. Ein Teil eures Repertoires sind Songs, die ursprünglich für das dritte AC4-Album geschrieben wurden ...
Ja, ich schreibe eigentlich ständig Songs, und mit der Zeit häufen die sich an. Für das zweite AC4-Album habe ich mich zuerst mit Christoffer getroffen und ihm die Songs vorgespielt, dann kam Jens dazu und wir drei probten die Musik und nahmen sie auf. Anschließend gab ich Dennis die Texte zu den Songs, die er noch nicht gehört hatte, und wir trafen uns, um den Gesang aufzunehmen. Das war nicht unbedingt der beste Weg, als Band zusammen zu arbeiten, aber es war der einzige, auf dem wir es überhaupt machen konnten. Als Dennis uns erzählte, dass er sich vollständig auf seine andere Band INVSN konzentrieren wolle, und Jens die Band verlassen hat, hatte ich das dritte Album schon fast komplett geschrieben. Ich habe einfach neue Leute gefunden, um die neuen Songs zu spielen. Mittlerweile sind auch die anderen THE T-55’s-Mitglieder am Songwriting beteiligt und sie alle haben dazu beigetragen, dass die Songs nach T-55 und nichts anderem klingen. Es ist ein tolles Gefühl, wieder mit einer ganzen Band an Songs zu arbeiten.
Wer sind die anderen bei T-55’s, was ist ihr Background?
Alle anderen Bandmitglieder sind viel jünger als ich. Ich habe meiner Schwester erzählt, dass ich nach einem guten Drummer suche, und sie kannte Elias, ich hatte auch schon mal ein Videos von ihm mit seiner alten Band CRONOS gesehen. Er schrieb mir eine Mail, wir trafen uns, er kannte einige Songs meiner alten Band, also spielten wir die und dazu noch „Ace of spades“. Anschließend beschlossen wir, eine Band zu gründen, und begannen, an den Arrangements für meine neuen Songs zu arbeiten. „Send your poor“, der erste Track der neuen 12“, entstand schon an diesem Tag. Lisa und ich haben uns das erste Mal getroffen, als wir nach einem MOTÖRHEAD-Gig auf der Rückbank von Dennis’ Auto Bier tranken. Sie war davor noch nie in einer Band, aber ich wusste trotzdem, dass sie eine gute Frontfrau sein würde. Deshalb haben ich sie eingeladen, als Elias und ich damit anfingen, die Band zusammen zu stellen. Sie brachte Erik mit zu einer der Proben und es hat auf Anhieb funktioniert. Wir hatten schon davor einige Bassisten gehabt, aber keiner davon war gut genug. Erik spielt gleichzeitig noch in einer Art Doom-Metal-Band namens DESOLATION STATE RIOT.
Der T-54/55 war der weltweit am häufigsten hergestellte Panzer, der in Russland nach Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt wurde und bis heute noch verwendet wird, vor allem in den so genannten Dritte-Welt-Ländern. Warum gerade dieser Name?
Panzer sehen nach Rock’n’Roll aus, oder nicht? Jedes Mal, wenn man einige total verrückt aussehende Rebellen sieht, die brüllen und mit ihren Maschinenpistolen in die Luft ballern, stehen sie neben einem alten T-55. Er ist wie die AK-47 der Panzer. Und zusätzlich ist ’55 das Jahr der ersten zwei Rock’n’Roll-Singles: Chuck Berrys „Maybelline“ und Bo Diddleys „Bo Diddley“! Erik hat vorgeschlagen, unsere erste EP „Tank You For The Music“ zu nennen, haha.
Ihr habt euren ersten Gig Anfang September bei einer Benefiz-Show im Verket, Umeå für Flüchtlinge ohne Papiere gespielt. Erzähl uns doch einmal etwas über die Situation dieser Menschen in Schweden, gerade unter Eindruck der aktuellen Tragödien im Mittelmeer bei Lampedusa und Malta.
Es ging darum, Geld für Flüchtlinge zu sammeln, die sich in Schweden illegal aufhalten. Deswegen bekommen sie keine anständige medizinische Versorgung, und falls sie eine Arbeit finden, dann ist es so etwas wie in der Nacht in Restaurants putzen, für einen miesen Stundenlohn. Es ist sehr leicht für eine Band, einen Benefiz-Gig zu spielen, um wenigstens etwas zu tun für die, die sich in einer weniger glücklichen Lage befinden. In den Achtzigern war ich sehr aktiv in einer ANC-Hilfsvereinigung und habe sogar ein bisschen mitgeholfen, südafrikanische Freiheitskämpfer aus dem Land zu schmuggeln. Die schwedische Polizei hat natürlich mit den Sicherheitskräften des Apartheid-Regimes zusammengearbeitet, deshalb war das ziemlich schwierig.
Was sind deine Pläne mit der neuen Band?
THE T-55’s gibt es erst seit wenigen Monaten, deshalb haben wir noch nicht so viele Pläne für die Zukunft. Bisher haben wir neun Songs aufgenommen. Zwei davon kommen auf einer Split-7“ mit MARY’S KIDS raus, die im Januar auf AM Vinyl Records in den USA veröffentlicht wird, und zwei weitere sind für die Umeå-Hardcore-Compilation-LP auf Ny Vag. Und alle anderen als 12“ auf JanML in Deutschland erscheinen. Der Titel lautet „Power Up“ und es wird eine einseitig bespielte 5-Song-EP mit Screenprint auf der B-Seite. Alles Releases sind Limited Editions. Wir haben auch angefangen, Shows zu buchen, man kann uns über unsere Facebook-Seite kontaktieren. Ich hoffe, dass wir nächsten Frühling in Deutschland touren werden. Wir hatten schon einige Angebote.
Wann hast du Punk und Hardcore kennengelernt, in welchen Bands hast du gespielt.
Meine erste Punkband, BOREDOM BROTHERS, habe ich 1982 gegründet, da lebten wir als junge Punks alle in besetzten Häusern. Ich war gerade zwölf geworden und hörte schon seit einige Jahren Punk. In den letzten gut dreißig Jahren habe ich in einigen Punkbands Gitarre gespielt. Vor AC4 war ich 18 Jahre lang bei THE VECTORS. Wir sind ein paar Mal durch Europa getourt und haben etliche Schallplatten veröffentlicht. Davor habe ich unter anderem bei einer Gruppe namens DEATH RATE gespielt. 1985 waren wir auf ein paar Hardcore-Compilations dabei.
Was ist deine Rolle bei THE T-55’s, was ist deine „Vision“ für diese Band?
Meine Funktion bei THE T-55’s ist die gleiche wie in allen meinen anderen Bands. Ich schreibe Songs und spiele Gitarre. Ob man das als Vision bezeichnen soll, weiß ich nicht, aber ich hoffe, dass wir viel touren können und dabei Spaß haben. Die Leute scheinen sich jetzt schon sehr für die Band zu interessieren, ich habe bei der Sache ein ziemlich gutes Gefühl.
Die wenigsten Leute wissen, dass du auch Künstler bist. Wie hast du die Kunst entdeckt? Warst du auf einer Kunsthochschule oder bist du Autodidakt?
Nein, ich habe nie Kunst an einer Universität studiert. Als Kind wollte ich Comics zeichnen und ich habe dann angefangen, Konzertplakate, Fanzines, T-Shirts und so etwas zu gestalten. Es war einfach etwas, das von irgendwem gemacht werden musste, und mir hat es Spaß gemacht.
Du bist Teil des internationalen Projekts „Artmoney“. Worum geht es dabei, was ist das künstlerische und politische Statement dahinter?
Artmoney ist eine internationale, alternative Währung, bestehend aus Kunstwerken in der Größe 12 x 18 cm mit Seriennummern. Jeder der beteiligten Künstlern entwirft sein eigenes Geld. Mittlerweile gibt es hunderte von Firmen und Hostels, die Artmoney als Bezahlung akzeptieren, und natürlich gibt es auch Kunstsammler, die es als günstige Kunst kaufen. Das internationale Bankgewerbe hasst es und hat schon versucht, es weltweit zu verbieten. Lars Kraemer, der Künstler, der das Projekt ins Leben gerufen hat, wurde in Dänemark verurteilt, weil er in diesem Kontext das Wort „Bank“ verwendet hat.
Da wir gerade über Geld sprechen, kannst du von deiner Kunst leben?
Nein, hin und wieder verkaufe ich mal ein Gemälde, aber ich lebe konstant in extremer Armut. In meiner Kindheit hatte meine Famile auch nie Geld, deshalb bin ich es gewöhnt. Ich bin schon immer arm gewesen, aber wenigstens bin ich den größten Teil meines Lebens drum herum gekommen, irgendwelchen sinnlosen Jobs nachzugehen. Ich werde vermutlich bald wieder ein wenig arbeiten gehen müssen.
„Art school punks“ wurden schon immer etwas argwöhnisch betrachtet von den „echten“ Punks, spätestens seit WIRE. Nun, du siehst aus wie ein echter Punk ... und gleichzeitig bist du Künstler.
Es gibt ja immer engstirnige Idioten, die sich für „echter“ halten als alle anderen. Die sind dann aus der Punk-Szene auch oft schnell wieder verschwunden. Leute, die das Bedürfnis haben, allen zu erzählen, wie „echt“ sie sind, sind eigentlich fast immer fake. Ich mag WIRE übrigens. Ihre ersten Alben sind toll.
2010 bist du mit einem Filmteam der französischen Presseagentur AFP nach Tschernobyl gefahren. Was waren die Hintergründe, was war es für eine Erfahrung und wirst du es künstlerisch umsetzten?
Meine Freundin Jessica und ich haben alle notwendigen Dokumente beantragt, die man benötigt, um durch alle Checkpoints bis in die verbotene Zone zu gelangen, und irgendwann erhielten wir die Genehmigung der ukrainischen Regierung. AFP hat gefragt ob sie unseren Besuch dokumentieren könnten, also sind wir mit einem Filmteam dort hin. Man ist dort immer in Begleitung einer offiziellem Eskorte. Prypjat zu besuchen, die Stadt, in der die gesamte Belegschaft von Tschernobyl gelebt hat, bedeutet einfach, durch den Ort zu laufen, an dem sich für 50.000 Menschen der ganz normale Alltag in einer kommunistischen Diktatur abgespielt hat. Alles ist noch da – im Verfall begriffen. Das ist traurig und seltsam, aber auch wunderschön auf eine dystopische, menschenleere Art. Die Natur hat begonnen, alles zurückzuerobern, zwischen den Häuserblocks wächst ein dichter Wald und man hat nicht wirklich das Gefühl, sich tatsächlich in einer Stadt zu befinden. Die Gebäude fangen mittlerweile an einzustürzen. In einigen Jahren wird selbst das offizielle Personal diesen Ort nicht mehr betreten dürfen und er wird komplett der Natur überlassen werden. Das Kraftwerk dagegen ist komplett anders. Ich hatte noch nie zuvor das Gefühl gehabt, das Wesen der Menschheit so zu verstehen, wie es in diesem Moment der Fall war, als ich vor dem Sarkophag von Reaktor 4 stand. Vermutlich war ich einer spirituellen Erfahrung nie näher als in diesem Moment. Es repräsentiert die Menschheit als Spezies besser als irgendetwas etwas sonst. Ich arbeite an einem umfangreichen Bilderzyklus für eine Ausstellung im nächsten Jahr, die auf den dort entstandenen Zeichnungen und Fotos basieren. Der THE T-55’s-Song „Power up“ und „Burn the world“ von AC4 handeln ebenfalls von Tschernobyl.
Ein anderes Thema deiner Kunst ist Sex/Nacktheit/Pornografie.
Ich mag Sex und es ist ein visuell sehr interessantes Thema. Eine Künstlerin, deren Arbeiten im Museum of Porn in Art in Zürich gezeigt wurden, schlug mir vor, mit ihnen zusammenarbeiten. Also habe ich Zoë, die Leiterin, kontaktiert und sie hat mich für eine Einzelausstellung eingeladen. Danach habe ich einige Pornodarstellerinnen angeschrieben und sie waren alle bereit mitzumachen.
Dein Malstil ist sehr fotorealistisch, erinnert an Warhol. Du kombinierst unter anderem weibliche Akte mit einem Porträt Stalins.
Die Bilder für die Ausstellung in Zürich handeln von unserer Faszination für Sex und Gewalt, die Manifestation von Leben und Tod und die Anziehungskraft von Bilder, die als beschämend oder schlecht gelten, auf Männer. Also zeigen die Arbeiten alle einen Pornostar oder ein Nacktmodel neben einem Symbol des Bösen. Sex bedeutet Leben und Diktatur ist der Tod.
In der Polit-Punk-Szene wurde die Rolle respektive der Missbrauch der Frau in der Pornografie immer sehr kontrovers diskutiert, die einen sind strikte Gegner, andere hingegen sehen darin eine Waffe im Kampf um soziale und politische Selbstbestimmung.
Diese Diskussion ist wirklich pseudo-religiöser Mittelklasse-Schrott. Die Pornodarstellerinnen, mit denen ich gesprochen habe, stammen alle aus der Arbeiterklasse und haben sich diese Profession ausgesucht, weil sie exhibitionistisch veranlagt sind, höchst sexuell geprägt sind und keine Lust haben auf einen öden Nine-to-five-Job. Im Grunde also dasselbe wie bei den meisten Punk-Musikern. Es ist kein Job für jeden, aber es ist furchtbar, dass einige Leute meinen, sie hätten das Recht, sich darüber zu mokieren oder ihre Kunst zu zensieren. Eine Pornodarstellerin repräsentiert nicht alle Frauen, genau wie ich nicht alle Männer repräsentiere. Ein pornografischer Film repräsentiert nicht jedermanns Sexleben, genau so wie ein Actionfilm nicht die Arbeit der Cops im wahren Leben wiedergibt. Das ist alles Fantasie und Unterhaltung. Es gibt eine direkte Verbindung zwischen Zensur und Missbrauch. Die Länder mit der strengsten Zensur sind immer die Länder mit der höchsten Zahl von Vergewaltigungen und grundsätzlicher Ungleichheit und Sexismus. Wenn Menschen wegen verdrehter politischer Ansichten die Sexualität und Fantasien anderer angreifen, ist das genau so bescheuert bösartig, wie das, was die religiösen Faschisten in Russland gerade den Schwulen, Lesben oder Transsexuellen antun. Oder was religiöser Abschaum überall auf der Welt tut. Die Sexualität anderer und die vielen verschieden Arten sie auszuleben, sind nicht das Problem. Das Problem sind die religiösen und politischen Extremisten, die sich von allem angegriffen fühlen, was sich irgendwie von ihren Überzeugungen unterscheidet.
Übersetzung: Hannah Lang
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Joachim Hiller