Wie bitte, schon sechzig Folgen der Trommlergeschichten im Ox? Das sind umgerechnet zehn Jahre, in denen die Damen und Herren vom hinteren Bühnenrand hier zu Wort kommen. Also haben wir für dieses Jubiläum tief in die Trickkiste gegriffen und mit Joseph Porter einen Drummer gefunden, der sein Schlagzeug bereits 1983 nach vorn an die Bühnenrampe rückte, um dem Publikum seine Geschichten erzählen zu können. Josephs Stil zu trommeln und dabei seine Songs zu singen ist einzigartig und er war nur zu gern bereit, für diese Serie mit uns zu plaudern.
Joseph, gibt es aus deiner Kinderzeit irgendwelche Geschichten, dass du schon auf den Töpfen deiner Eltern getrommelt hast?
Nein, überhaupt nicht. Ich hatte auch nie den Plan oder das Verlangen, Schlagzeuger zu werden. Bis 1977 fiel es mir überhaupt nicht ein, dass ich irgendetwas wie Musiker werden könnte, denn vorher habe ich eigentlich kaum Musik gehört. Ich habe höchstens die GENESIS- und QUEEN-Platten meines älteren Bruders gehört, bis er dann plötzlich anfing, Platten von THE CLASH und THE STRANGLERS zu kaufen. Aber selbst dann brachte mich die Musik noch nicht dazu, Schlagzeug zu spielen. Wenn wir auf der nahegelegenen Baustelle endlose Luftgitarren-Versionen von „Bohemian rhapsody“ hinlegten, war ich nie der Drummer, denn ich hatte ja immer meinen Tennisschläger dabei.
Kommst du aus einer musikalischen Familie?
Meine Eltern mochten zwar Musik und haben viel Nat King Cole, Glenn Miller und so ein Zeug gehört, aber ein Instrument habe ich nicht gelernt. Ich mochte alle diese Stimmen, aber nichts davon entfachte in mir den Wunsch, selbst ein Instrument spielen zu wollen. Meine Schwester spielte Klavier und sie und mein Bruder hatten auch Unterricht, als wir jünger waren, aber mich interessierte das nicht und niemand drängte mich dazu. Dann kam 1977 und die drei Punks bei uns im Dorf beschlossen, eine Band zu gründen, und da ich nichts spielen konnte, musste ich eben der Drummer sein. Mein erstes Schlagzeug bestand aus einem Schulranzen, der mit Büchern gefüllt war, und einem Kaminfeuergitter als Becken, weil es einen befriedigenden Crash-Sound gab, wenn man da mit den besenstieldicken Drumsticks drauf einhämmerte. Damals war ich 15. Mein erstes wirkliches Drumset bestellte meine Mutter aus einem Versandkatalog. Das war ein sehr kleines Hoshino-Set mit einem Hängetom und Hardware, die man zwischen Finger und Daumen verbiegen konnte. Ich hatte keine Ahnung, wie man das Set aufbauen sollte, und es dauerte, bis mir ein älterer Junge, der schon mal echte Bands live gesehen hatte, bei einer Probe zu Hilfe kam und mir erklärte, wie das ging. Später habe ich dieses Set gegen ein Maxwin-Schlagzeug mit fünf Trommeln ausgetauscht, das mich 250 Pfund in einem Secondhand-Shop in Yeovil gekostet hat. Ich benutze diese Bassdrum heute noch, auch wenn alle anderen Teile im Laufe der Zeit mehrmals ausgetauscht wurden.
Wann hast du gemerkt, dass das Schlagzeug das richtige Instrument für dich ist?
Es tut mir echt leid, aber zu dieser Überzeugung bin ich bis heute nicht gekommen. Das Schlagzeug ist schon sehr wichtig für den Sound einer Band, aber andererseits kann niemand den Sound einer Band so sehr versauen wie ein Schlagzeuger, der sich für besonders schlau hält. Ich spiele Schlagzeug so, wie ich es für meine Musik gespielt haben möchte, und zwar hauptsächlich deshalb, weil ich so viele Drummer getroffen habe, deren Stil für mich einfach nicht funktionieren würde. Mehr Dynamik und weniger Interpunktion ist mein Motto. Einige von denen klingen, als ob eine Herde Gnus eine Treppe herunterfällt. Ich weiß natürlich, warum viele Drummer so spielen, weil ich das in meiner Zeit bei ZOUNDS und THE MOB auch so gemacht habe. Verzweifelte Suche nach Aufmerksamkeit. Ich hätte den Glauben einiger armer Schlagzeuger zerstören müssen, um dieses ewige Paradiddeln zu beenden und das hätte wohl zu Tränen geführt. Also habe ich lieber selbst Schlagzeug gespielt. Mein Lieblingsinstrument ist aber das Piano. Wenn ich mir unsere Songs ohne Piano anhöre, dann vermisse ich es. Das Keyboard ist für mich so ein essentieller Teil im Sound der Band geworden und ich schreibe meine Songs heute immer eher mit dem Sound des Keyboards im Hinterkopf als mit der Gitarre.
Gab es, als du angefangen hast zu spielen, andere Drummer, zu denen du aufgeschaut hast?
1977 habe ich mich nicht intensiv mit Musik beschäftigt. Ich mochte einen guten Song mit einer schönen Melodie, aber ich habe den Schlagzeugern keine Aufmerksamkeit geschenkt. Wirklich bemerken tut man eigentlich nur die schlechten Drummer, weil sie herausstechen wie ein schmerzender Daumen. Rick Buckler, Topper Headon, Rat Scabies und John Maher waren vier der immer präsenten Drummer der frühen Punk-Szene, aber ich muss zugeben, dass ich mich oft dabei ertappt habe, wie ich mir wünschte, sie würden die Klappe halten und aufhören, die Songs zu versauen. Jet Black von THE STRANGLERS andererseits hat seine Band immer unauffällig wie eine gut geölte Maschine vorangetrieben. Ich muss natürlich nachsichtig sein, weil ich selbst über Jahre ein fürchterlicher Drummer war, bis ich irgendwann angefangen habe, ordentlich zu spielen.
Hast du viel bei dir zu Hause geübt oder immer nur mit der Band?
Immer nur mit der Band. Zu Hause konnte ich nicht trommeln, weil das einfach zu laut war. Heute habe ich so ein elektronisches Drumset, mit dem ich für mich allein zu Hause üben kann. Dann setze ich mir die Kopfhörer auf und kann zu anderen Instrumenten dazu spielen. Selbst das ist für andere Menschen im Haus immer noch absolut nervtötend, aber immerhin wackeln da nicht die Wände.
Hast du jemals Unterricht genommen?
Nein, ich bin Autodidakt und das ist auch der Grund, warum meine Fähigkeiten sehr limitiert sind. Als ich 1983 anfing zu singen, habe ich das Interesse am Schlagzeugspielen verloren. 1982 hatte ich noch ein Schlagzeug mit sieben Trommeln und wollte, dass jeder das hören konnte. Nachdem ich bei BLYTH POWER zu singen begann, musste ich das Schlagzeug einfach halten und habe das Set auf ein Hängetom reduziert. Manchmal habe ich mir Dinge von anderen Drummern abgeschaut, aber ich wollte dem Schlagzeug nicht zu viel meiner Zeit einräumen. Wenn ich mein elektronisches Schlagzeug 25 Jahre früher gehabt hätte, wäre es vielleicht anders gekommen, aber so stand mein Schlagzeug zwischen unseren Touren immer im Bus und ich habe es kaum gesehen. Natürlich kann man überall üben und ich habe niemals aufgehört, auf irgendwelchen Dingen herumzuklopfen, aber am besten lernt man doch aus seinen eigenen Fehlern. Es gibt einen Haufen Platten, auf denen mein Drumming so schlecht ist, dass ich sie mir nicht anhören kann. Das macht sie zu sehr harten Lehrstunden für mich.
Wann hast du das erste Mal live gespielt?
Da war ich wohl ungefähr 16 Jahre alt und die Band, die wir gerade gegründet hatten, spielte zusammen mit THE MOB, die damals noch in der Nähe wohnten. Wir wohnten alle in der Gegend von Yeovil, einer mittelgroßen Stadt in Somerset, und mein erster Auftritt war in einem Pub, in dem viele Bauern, Marinesoldaten und eine Handvoll Fans von THE MOB abhingen. Ich war total aufgeregt, und ich glaube, der einzige Grund, warum wir nicht mit Flaschen beworfen wurden, war vermutlich, dass wir eine Sängerin hatten, die den Anwesenden wohl irgendwie gefiel. Ich lieh mir das Set von THE MOB und ihr Drummer Graham war sehr hilfsbereit. Er spielte bereits Schlagzeug, seit er sieben Jahre alt war, und wusste, was er tat, während ich einfach furchtbar spielte.
Wann hast du ZOUNDS getroffen und bist ihr Drummer geworden?
Um 1980 hing ich in London mit Leuten von THE MOB und anderen Typen rum. Sie waren mit HERE & NOW und ALTERNATIVE TV auf Tour gewesen. Und HERE & NOW waren immer sehr darum bemüht, sich für ihre Support-Bands einzusetzen und ihnen Gigs in weiter entfernten Orten zu besorgen. ZOUNDS gehörten auch zu diesen Bands und es wurde eine Tour unter dem Namen „Weird Tales“ organisiert, bei der ZOUNDS, THE MOB und ANDROIDS OF MU dabei sein sollten. Ich spielte damals in einer schrammeligen Heavy-Metal-Band mit Leuten von HERE & NOW und deren Roadies und wir durften auf dieser Tour bei ein paar Gigs auftreten. Als ZOUNDS dann einen neuen Drummer brauchten, wussten sie, dass ich verfügbar, war und haben mich gefragt, ob ich bei ihnen mitmachen wollte.
Wie waren deine ersten Erfahrungen in einem Aufnahmestudio?
Das war in Somerset, als unsere Dorf-Punkband VALLEY FORCE in einem Achtspur-Studio in Yeovil für ihr erstes Demo einen Song aufnahm. Ich hatte damals keine Ahnung, was ich tat, und als der Tontechniker mir durch die Kopfhörer sagte, ich solle 4/4-Noten spielen, hatte ich keinen blassen Schimmer, was er von mir wollte. Wir hatten uns ja auch nie zuvor selbst gehört, so dass das Ganze für uns eine beeindruckende Erfahrung war.
Fühlst du dich nach 18 BLYTH POWER-Alben – und einigen anderen – heute wohler im Studio?
Ich habe im Laufe der Jahre eine Formel gefunden, die für mich funktioniert, und die Studiotechnik hat sich ja seit damals auch sehr verbessert. Vor allem haben wir aber mit Fred Purser, dem ehemaligen Gitarristen von PENETRATION und TYGERS OF PAN TANG, einen Produzenten gefunden, dem wir voll und ganz vertrauen. Ich glaube, auf unserer letzten CD „Women And Power, Horses And War“ stimmt endlich alles. Die Kombination aus der richtigen Band mit dem richtigen Produzenten. Es hat zwar viele Jahre gedauert, aber das war es wert.
Bist du bei euren Studiosessions immer gut vorbereitet oder ist da noch viel Raum für Improvisation?
Wir sind immer sehr gut vorbereitet. Bei Studiokosten von 300 Pfund pro Tag oder mehr, können wir es uns einfach nicht leisten zu improvisieren. Wenn wir ins Studio gehen, ist alles, bis hin zu den Tempi für die Klick-Tracks, bis ins Detail vorbereitet. Natürlich kommen uns manchmal neue Ideen währenddessen, aber eigentlich steht bis zum letzten Beckenschlag alles vorher fest.
Hast du BLYTH POWER gegründet, weil du deine eigenen Geschichten erzählen wolltest?
Ja, ich glaube, so war es. Es ist einfach so passiert. Nachdem ZOUNDS sich 1982 aufgelöst hatten, spielte ich zunächst bei NULL & VOID und bei THE MOB und schrieb nebenbei noch eigene Songs. Die haben wir auch bei den anderen Bands versucht zu spielen, aber diese hatten jeweils ihre eigenen Songwriter im Zentrum und niemand interessierte sich wirklich für meine Sachen. Als sich THE MOB aufgelöst hatten, gründete ich BLYTH POWER.
War dir damals schon klar, dass du singen und trommeln wolltest, oder wolltest du singen und hast nach einem Schlagzeuger gesucht?
Ich hatte nie den Plan, jemand anderen trommeln zu lassen. Ich hatte über die Jahre bis 1983 so viele verschiedene Drummer kennen gelernt, dass ich es nicht ertragen hätte, jemand anderen spielen zu lassen. Ich hätte ihnen wohl das Leben zur Hölle gemacht und sie wären freiwillig weggelaufen.
War es schwierig für dich, gleichzeitig zu singen und zu trommeln?
Wir hatten so um 1982 mit THE MOB schon einmal einen meiner Songs im Programm und anfänglich war mein Gesang wirklich noch sehr hölzern. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich den Bogen raushatte und die Sache rundlief. Frühe Aufnahmen von mir klingen fürchterlich, aber eine Sache ist von damals geblieben: Wenn ich heute Gesang im Studio aufnehme, muss ich immer auf einem imaginären Schlagzeug spielen, damit ich weiß, dass alles später komfortabel zusammenpasst.
Hattest du damals schon den Plan, von der Musik leben zu können?
Natürlich, den hatte ich und ich habe es auch immer hinbekommen, keinen Vollzeitjob machen zu müssen. Ich hatte nur einige Gelegenheitsjobs, um über die Runden zu kommen. Das Problem war und ist, von der Anarchopunk-Bewegung ausgehend verbreitete sich die Einstellung, es wäre etwas Ausbeuterisches, wenn jemand von seiner Musik leben kann. Also wurden auf Tour immer alle bezahlt, außer den Bands, die auftraten. Wenn wir wieder nach Hause kamen, mussten wir also Mist schaufeln, um überleben zu können. Ich war nie der Meinung, es sei meine Aufgabe, Toiletten in Krankenhäusern zu putzen, nur um dann gratis aufzutreten, damit irgendwelche Arschlöcher sich das Eintrittsgeld sparen und mehr Bier trinken können. Leider waren einige sehr einflussreiche Leute anderer Ansicht.
Wir sind ja keine Teenager mehr. Musst du dich besonders fit halten oder genügt Schlagzeug spielen?
Als wir noch hundert oder mehr Shows im Jahr gespielt haben, hat mich allein die physische Anstrengung, den Bus ein- und auszuladen, schlank gehalten. Nach der Geburt unserer zwei Kinder haben wir aufgehört, regelmäßig zu touren, und dann habe ich reichlich Gewicht zugelegt, weil ich wirklich fressen kann wie ein Schwein. Heute jogge ich drei- bis fünfmal pro Woche, um mich etwas in Form zu halten, obwohl ich Laufen eigentlich hasse. Die Generation meiner Eltern war mir eine Warnung. Heute erwarten wir alle, älter zu werden, und da muss man schon irgendetwas tun, um länger fit zu bleiben.
Wie würdest du deinen Schlagzeugstil in einem Satz beschreiben?
Ökonomisch, aber dynamisch. Damit meine ich, dass ich mich in erster Linie um die Struktur und den Fluss eines Songs kümmere. Mal härter und mal sanfter, und nahtlose Übergänge von Strophe und Refrain sind mir da wichtiger als überflüssige Drumfills.
BLYTH POWER planen, ein neues Album aufzunehmen. Hast du während der Corona-Krise viel Zeit gehabt, neue Songs zu schreiben?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe eigentlich seit zwei Jahren keinen Song geschrieben, aber immerhin habe ich im Frühling 2019 neun Songs fertig bekommen, so dass wir bis jetzt 24 Tracks herumliegen haben, die wir aufnehmen können. Neue Sachen schreibe ich immer nur dann, wenn es mich gerade überkommt. Im letzten Jahr habe ich viel Zeit verbracht mit den finalen Arrangements der Musik und des Gesangs für die nächsten Aufnahmen. Wir werden allerdings bis nach dem Lockdown warten müssen, bis wir einen Termin im Studio buchen können.
Kannst du dir vorstellen, musikalisch einmal eine ganz andere Richtung auszuprobieren?
Ich würde sehr gern in einer Swing-Band spielen. Glenn Miller war für mich ein großer Einfluss. Ich bin ja mit der Plattensammlung meiner Eltern aufgewachsen und die Schlagzeuger hinter Sängern wie Nat King Cole und anderen waren immer großartig.
Denkst du daran, nach der Corona-Pandemie auch wieder auf dem Kontinent auf Tour zu gehen?
Das würden wir schon sehr gern tun, aber leider ist das Geschäft, auf Tour zu sein, in diesen Zeiten viel zu teuer für uns. Jetzt nach dem Brexit ist es noch unwahrscheinlicher geworden, dass wir touren, weil wir die Kosten einfach nicht mehr decken können.