JIMMY JAZZ RECORDS

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Zu Besuch bei dem Szczeciner Plattenlabel

Unweit des Einkaufzentrums Turzyn im polnischen Szczecin (Stettin) in einem alten Industriegebäude sitzt Zdzislaw Jodko, Chef des alternativen Plattenlabels Jimmy Jazz Records, in seinem Büro und bereitet die Herausgabe des neuen Albums der bekannten polnischen Punkband THE ANALOGS vor.



An den Wänden hängen Poster von etlichen Punk- und Ska-Konzerten, die er selbst organisiert hat. Die Regale sind voll mit CDs aus eigener Produktion und ausländischen Undergroundlabels sowie mit Buttons und T-Shirts. Das Büro sieht aus wie eine Mischung aus Vertrieb, Lager, Redaktion und Designerbüro. Dort entstehen Ideen, Entwürfe für Poster, CDs, CD-Cover, druckreife Magazinbeiträge, wird das Internetportal aktualisiert, werden CDs verschickt. Rund 15 Alben der Stilrichtungen Punk, Ska, Psycho, Reggae, Hardcore, Oi! und Rockabilly, von meist polnischen Bands, produziert er pro Jahr.

Stolz präsentiert der 44-Jährige, auch Dzidek genannt, die letzten Ausgaben seines in der Szene beliebten Musikmagazins Garaz. Auf über 80 Seiten informiert es über Konzerte, Bands und Neuerscheinungen der polnischen und internationalen alternativen Musikszene. In Kürze erscheint unter seiner Federführung ein weiteres Magazin namens Reggaebeat, dem ebenso wie dem Garaz eine Promo-CD-Compilation beigefügt sein wird und das viermal jährlich auf den Markt kommt. Die Beiträge werden von ihm, seiner Schwester, seiner Freundin, einem Freund aus Karlsruhe, der von dort über das westeuropäische Musikgeschehen berichtet, sowie von den Musikern der Bands, die bei ihm unter Vertrag stehen, selbst geschrieben. Alle, die dazu gehören, müssen ran.

Nach der Wende gab es einen regelrechten Boom kleiner Plattenlabels und Szeneläden in Polen. "Viele existieren heute nicht mehr", berichtet er. Sein Label, 1989 gleich nach dem Studium noch unter dem Namen Rock'n'Roller gegründet, war eines der ersten auf dem polnischen Markt. Da hat er beispielsweise eigene Konzertmitschnitte von Punkbands von vor der Wende zusammengestellt und auf Tonträger gepresst. Viele neue Bands brachte er im Laufe der Jahre zuerst auf Kassette, später auf CD in die Läden und auch auf die Bühne.

Ein anderes alternatives Label der damaligen Zeit, Isabellin, wurde längst von einem der "Großen" geschluckt. "Die Leute haben kein Geld", bedauert der studierte Wirtschaftswissenschaftler. Andererseits werden die CDs massenweise kopiert. Doch mit seiner gut durchdachten und bewährten "Marketingstrategie", einem guten Gespür für Trends sowie der Mitarbeit aller sichert er auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten das Überleben seines kleinen, aber anspruchsvollen Unternehmens. Die Aufnahmen und das Abmischen macht Dzidek ebenfalls selbst.

Schließlich verweist er noch auf das Internetradio Jimmy Jazz Radio (ulicznik.net) mit seinem umfangreichen Angebot, in dem unter anderem auch die Bands von Jimmy Jazz zu hören sind. In einigen deutschen Szeneläden sind seine CDs ebenfalls erhältlich. Doch ist es schwer, im Ausland Fuß zu fassen: "Das Verschicken ins Ausland ist teuer und bürokratisch".

Andererseits wird aber der polnische Markt mit angloamerikanischen CDs überschwemmt. Ebenso übernimmt er den Vertrieb von CDs alternativer Labels aus Spanien, Italien, Deutschland und Großbritannien beziehungsweise produziert deren Titel in Polen unter Lizenz.

Natürlich bedarf es auch einiger musikalischer Zugpferde, um wirtschaftlich zu überleben. Das sind die bereits erwähnten THE ANALOGS, einer Stettiner Band mit Auftritten im In- und Ausland, die auf einen gemeinsamen Gig mit der kanadischen Punkband D.O.A. zurückblicken kann, plus der ebenfalls populären und erfolgreichen Rockabilly-Band KOMETY.

Es gibt auch politische Grundsätze: Veröffentlicht wird nur, was keinen rechten oder autoritären Hintergrund hat oder das Vorwendesystem verherrlicht. Oft tauchen auf den Covern seiner Bands anarchistische oder Anti-Nazisymbole auf. Woher der Name Jimmy Jazz stammt? Natürlich von dem gleichnamigen Lied der ehemaligen britischen Band CLASH, klärt Dzidek auf.

Die polnische alternative Musikszene kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Eine der ersten polnischen Punkbands, KSU, bereits 1977 gegründet, existiert noch immer. Die meisten Formationen erblickten Anfang der achtziger Jahre das Licht der den Normalbürger schockierenden Punkwelt. Sie starteten die "Rebellion gegen das Graue", wovon sich jedoch die meisten Landsleute eher abgestoßen fühlten. Die Regierung ging zunächst mit Härte gegen dieses subkulturelle Netzwerk aus weit reichenden Kontakten im In- und Ausland, Fanzines, Punkbands und Studentengruppen vor. Da sich die Subkultur trotzdem verbreitete und sich steigender Beliebtheit erfreute, begannen allmählich auch polnische Radiosender sich noch lange vor der Wende der einheimischen Punkmusik anzunehmen. Die Toleranzgrenze gegenüber der Subkultur war im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern verhältnismäßig groß. So konnten sie offen auftreten und bekamen teilweise sogar Plattenverträge. Dass der Toleranz jedoch Grenzen gesetzt waren, musste die Punkrockband SS-20 (damalige nukleare sowjetische Mittelstreckenrakete) erleben. Der Druck, diesen Namen aufzugeben, war groß. In DEZERTER (Deserteure) umgetauft, gab es merkwürdigerweise keine Probleme mehr. Übrigens existieren DEZERTER und weitere Bands aus der Vorwendezeit nach wie vor und sind auch in Deutschland keine Unbekannten. THE ANALOGS bereitet für 2007 eine Tournee durch mehrere europäische Länder vor.