Irgendwie scheint es nichts zu geben, was Jenny Lewis nicht kann: früher war sie mal Schauspielerin, doch war ihr das Biz zu oberflächlich; sie kann unglaublich gut singen, Gitarre spielen und fantastische Songs schreiben, ist wunderschön und obendrein zieht sie sich auch noch so stylish an, dass man meint, sie erfinde jeden Tag neue Trends. Eigentlich müsste man sie hassen. Sie ist einfach zu perfekt, fast wie eine menschliche Barbie, nur cooler und natürlicher. Doch ist Jenny Lewis nicht nur talentierter als der Rest der Welt, sie ist auch unglaublich nett und - noch viel wichtiger - hat eine Menge zu sagen. Und nicht nur über ihre neue Soloplatte, die im Januar in die Läden kam.
Niemand anders als Conor Oberst höchstpersönlich hatte die RILO KILEY-Sängerin darum gebeten, doch eine Soloplatte für sein eigenes Label Team Love aufzunehmen. "Conor fragte mich, ob ich eine Soloplatte für sein Label aufnehmen wolle, und plötzlich schrieb ich einfach ganz viele Songs. Diese sammelten sich dann an, also nahm sie eben auf. Es passierte einfach so", so Jenny. "Ich spiele aber genauso gerne mit RILO KILEY, wie ich solo Songs schreibe. In einer Band zu sein, ist wie eine Gang oder eine Familie zu haben, aber es ist auch schön, auf niemand anderen angewiesen zu sein. Einfach seine Gitarre nehmen und loslegen." Auch musikalisch sieht sie keinen großen Unterschied zwischen ihren folkigen Songs und RILO KILEY. "Es ist einfach eine ganz andere Art von Outlet. Alle Rilo-Songs waren am Anfang auch Folksongs, und zusammen mit den anderen explodierten sie einfach und wurden zu Rocksongs."
Auch ihr Fokus ist bei beiden Bands derselbe. Und als Amerikanerin drückt sich dieser immer öfter in politischen Songs aus, in denen sie ihrem Unmut über die US-Regierung Luft macht: "Ich schreibe in letzter Zeit viele kleine Protestsongs, wie zum Beispiel ?It's a hit'. Denn fast mein ganzes Land hat eine andere Einstellung als ich, und dadurch fühlt man sich ziemlich ausgeschlossen und isoliert. Und das kommt eben in meinen Songs zum Ausdruck, auch wenn diese nur kleine, unbedeutende Beiträge sind", erzählt sie. Trotzdem haben sie nach der Wiederwahl von George Bush auch die ganzen Mitläufer gestört, die dann pseudopolitische Songs geschrieben haben, nur weil es das war, was die Indie-Szene eben machte. "Manche dieser Songs kamen sicher auch von Herzen, aber viele wollten einfach nur mitreden, obwohl sie nichts zu sagen hatten", schimpft sie. Trotzdem denkt Jenny nicht, dass es ihre Pflicht ist, auf Missstände in der Gesellschaft hinzuweisen. "Ich singe keine Social-Justice-Songs. Ich singe Folksongs und versuche nicht, über Sachen zu schreiben, von denen ich nichts verstehe. Ich schreibe oft über Politik oder Beziehungen, aber alles auf persönlicher Ebene. Und ich denke nicht, dass ich ein Idol bin und will auch kein Vorbild sein", erklärt Jenny. "Ich bin einfach kein Rolemodel", meint sie nachdrücklich.
Auch denkt sie nicht, dass sie sich dadurch, dass sie nun im Rampenlicht steht, verändert hat. "Nicht die Tatsache, dass ich Artikel über mich in Zeitschriften finde, hat mich verändert, sondern die Tatsache, dass ich anfing, in einer Band zu spielen. Weil ich zu Beginn mit meiner Band in kleinen Clubs gespielt habe und sich niemand für uns interessiert hat. Und ich denke, Träume zu haben, etwas erreichen zu wollen, hilft einem, diejenige zu werden, die man sein will. Aber manchmal entwickelt man sich dann aber auch ganz anders, als man sich vorstellt. Es ist dieser ständig andauernde Prozess der Entwicklung. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es gar nicht mal so wichtig, ist Musik zu machen, sondern einfach nur mein Job. Nur Musik."
Doch ist es für Jenny Lewis manchmal schwierig, diese Unterscheidung zu machen, und nicht auf die Gerüchte und Storys zu hören, die über sie verbreitet werden. "Ich lese manches und dann werde ich immer deprimiert. Sogar wenn jemand etwas Nettes über mich schreibt, finde ich etwas Negatives daran", sagt sie ernst. Also versucht sie, keine Artikel über sich selbst zu lesen. "Aber natürlich ist es schwierig, das nicht zu tun, wenn es eine ganze Website gibt, auf der es nur um dich selbst geht. Dann muss man sich die irgendwie ansehen. Aber ich denke, es ist keine gute Idee, sich mit so etwas zu beschäftigen. Denn wenn man sich zu leicht von den Meinungen anderer Leute beeinflussen lässt, kann das einen ganz schön fertig machen. Man sollte sich nie selber googlen!"
Insbesondere nicht, wenn es einem schlecht geht. "Manchmal machen mir solchen Sachen überhaupt nichts aus und manchmal super viel", meint sie. "Ich muss jeden Tag wieder von vorne anfangen und versuchen, nichts über mich selbst zu lesen." Und insbesondere mit ihrem Soloprojekt wird ihrer Meinung nach Einiges auf sie zukommen: Es wird in der Presse und von den Fans selbstverständlich mit RILO KILEY verglichen werden, und eine der beiden Bands wird dabei immer schlecht wegkommen. "Deswegen muss ich mich vollkommen davon abschotten. Denn damit habe ich persönlich nichts zu tun. Ich mache Musik und das ist das Einzige, was zählt. Das ist mein Job und darauf sollte ich mich konzentrieren. Nicht auf die Gerüchte."
Und auch nicht darauf, den Leuten und ihren Erwartungen gerecht zu werden. "Ich denke, meistens benehme ich mich nicht auf eine bestimmte Art und Weise, um den Erwartungen der Leute gerecht zu werden", erklärt sie. "Natürlich hat man manchmal das Gefühl, sich auf bestimmte Art und Weise geben zu müssen, um seinen Songs gerecht zu werden. Denn wenn ich über Verantwortungslosigkeit singe, kann mein Leben dazu tendieren, sich in diese Richtung zu bewegen, weil ich mich ja mit diesem Thema beschäftige - und das ist sehr gefährlich. Und eigentlich will man ja nur Musik machen und nicht darüber reden, aber das geht beides Hand in Hand. Insbesondere in der Indie-Szene muss man rausgehen und über seine Musik reden, so dass Leute von deiner Musik erfahren, da kein großes Label hinter einem steht, dass Hunderttausende an Dollars in dein Projekt reinsteckt. Aber es ist etwas vollkommen anderes, über Musik zu reden, anstatt sie zu machen, und eigentlich passen die zwei Dinge auch nicht zusammen. Ich hoffe, dass die Songs dafür einstehen, was ich mache und bin."
Denn manchmal ist es nicht so einfach, zwischen der Person, die man ist, und dem Charakter eines Songs zu unterscheiden, da das Publikum diesen Charakter auf den Sänger als Person projiziert. Dazu Jenny: "Mein Problem ist auch, dass es bei Songs oft schwierig ist, sich im Nachhinein daran zu erinnern, wo die Wahrheit aufhört und die Lügen beginnen. Beim Schreiben stoßen diese zwei Welten einfach zusammen und im Nachhinein hat man vergessen, was man wirklich erlebt hat und was nicht." Doch weiß sie genau, wie sie auf dem Boden der Tatsachen bleiben kann: "Deshalb braucht man Beziehungen und Freunde: Um nicht zu vergessen, wer man ist. Die einen wieder auf den Boden zurückholen und einem sagen, dass man kein Arschloch ist, wenn man wieder einmal etwas Schlechtes über sich selbst gelesen hat. Deine Freunde können dir dann sagen, dass du bist, wie du immer warst. Und das ist sehr wichtig, wenn ständig Leute über einen schreiben, die einen gar nicht kennen."
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #65 April/Mai 2006 und Julia Gudzent
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #80 Oktober/November 2008 und Thomas Kerpen